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Kiew und der Donbass
Wachsende Entfremdung fördert Korruption

Neue Gefechte und wachsende Schattenwirtschaft: Drei Monate nach der Einigung auf das sogenannte Minsker Abkommen ist der Donbass immer noch von der westlichen Ukraine abgeschnitten. Die scharf bewachte Frontlinie und eine von Kiew verhängte Wirtschaftsblockade entfremden die Menschen im Donezbecken immer weiter vom ukrainischen Staat.

Von Florian Kellermann | 15.05.2015
    Ein Kämpfer der prorussischen Separatisten geht in der Provinz Donezk über einen zerstörten Marktplatz.
    Nicht nur die neuen Gefechte in der Ostukraine, auch die Versorgung des Separatistengebietes stellt ein Problem dar. (picture alliance / dpa / Dan Levy)
    Es gibt kein Mineralwasser mehr im kleinen Laden von Tatjana im Zentrum von Donezk. Einen Kunden nach dem anderen muss sie wieder fortschicken, der Großhändler hat einfach nicht geliefert. Engpässe hat sie auch bei Wurst und Milchprodukten.
    "Wir haben praktisch keine ukrainischen Lebensmittel mehr, sie kommen nicht mehr über die Grenze. Deshalb verkaufen wir so viele russische Waren."
    Nudeln, Konserven, Bier - fast alles bei Tatjana kommt inzwischen aus Russland. Auch diese Limonade hier?
    "Ja, die ist auch aus Russland. Die russischen Produkte sind ja auch besser, mit weniger Konservierungsstoffen, natürlicher einfach."
    Warenlieferungen kommen nicht mehr über die Grenze
    Ein Blick auf das Etikett der Limonade kann das nicht bestätigen: Natürlich sind an diesem Produkt nur das Wasser und der Zucker. Aber aus Tatjana spricht ihr Ärger über die Ukraine: Kiew hat über das Donezk-Becken eine Wirtschaftsblockade verhängt. Warenlieferungen kommen nicht mehr über die mittlerweile scharf bewachte provisorische Grenze.
    Die Folge für die Menschen in Donezk und Luhansk: Waren werden nicht nur weniger, sondern auch teurer. Und mit den russischen Produkten kommen auch russische Rubel in das Separatistengebiet. Die Geschäfte geben ihre Preise in zwei Währungen an.
    Kiew verhalte sich falsch, meint Jewgenij Schybalow, Korrespondent der Kiewer Wochenzeitung "Dzerkalo Tyschnja":
    "Solche Maßnahmen sind nur berechtigt, wenn sie kurzfristig einen Erfolg bringen. Das ist aber hier nicht der Fall. Wenn so eine Blockade Monate oder Jahre andauert, beschädigt sie das Ansehen der Ukraine. Denn sie spitzt die humanitäre Lage in den Separatistengebieten zu. Außerdem schadet das der ukrainischen Wirtschaft, wenn russische Schmuggelwaren ihre Produkte ersetzen."
    Monatelanges Warten für die Überquerung der Frontlinie
    Und es entfremdet die Menschen im Donezkbecken weiter vom ukrainischen Staat. Dazu trug schon die sogenannte Finanzblockade im vergangenen Herbst bei. Die Ukraine ließ alle Banken im Separatistengebiet schließen. Rentner müssen seitdem mit Kleinbussen auf die andere Seite der Frontlinie fahren, um dort ihre Bezüge zu erhalten.
    Aber auch das wird immer schwieriger. Bürger brauchen inzwischen eine Genehmigung, einen sogenannten "Propusk", um die Frontlinie zu überqueren. Manche berichten, sie warteten seit Wochen, andere seit Monaten auf ihren Propusk. Die kleinen Zettel gelten jeweils nur für einen von vier dafür vorgesehenen Übergängen.
    Das System verärgert auch Menschen, die nicht viel von den Separatisten halten, so den gerade pensionierten Donezker Universitätsprofessor Wolodymyr Katschan:
    "Ich bin gerade aus Kiew gekommen. Auf dem Weg hierher habe ich zweieinhalb Stunden auf die Abfertigung am Übergang warten müssen, nur zweieinhalb Stunden. In der anderen Richtung war die Schlange viel länger - 46 Busse waren vor uns und nur fünf sind pro Stunde durchgekommen. Da bin ich in einen Bus weiter vorne umgestiegen und habe doppelt gezahlt. Ich verstehe ja, dass die Ukraine den Personenverkehr kontrolliert. Aber sie darf es den Bürgern doch nicht so schwer machen."
    Korruption und Schattenwirtschaft in der Ostukraine
    An den Busbahnhöfen im Donezkbecken werden schon Reisen auf die Krim angeboten, die nicht mehr über die Ukraine gehen. Sie nehmen den Umweg über die russische Schwarzmeerküste, inklusive Transport auf der Fähre. Dass die Menschen im Donezkbecken sich von der Ukraine entfremden, ist aber nur ein Problem der ukrainischen Politik, meint Jewgenij Schybalow:
    "So wie das jetzt gehandhabt wird, fördert es nur die Korruption. Offiziell darf keiner ohne Genehmigung über die Frontlinie, aber wer besticht, fährt auch so. Waren darf man nicht einführen, aber mit Schmiergeld geht es dann doch. So wächst die Schattenwirtschaft - unakzeptabel für ein Land, das sich der Europäischen Union annähern will."
    Das hat inzwischen auch die ukrainische Führung erkannt. Ihre Lösungsideen würden das Donezkbecken aber noch weiter abschneiden. So schlug der Gouverneur des Bezirks Luhansk, Hennadyj Moskal, vor wenigen Tagen vor, die Bürger sollten die Frontlinie nur noch zu Fuß überqueren dürfen.