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Klassiker: "Die Drahtharfe"
Biermanns politische Gedichte als Affront für die SED

Beim Frankfurter Ostermarsche 1965 präsentiert Wolf Biermann neue Lieder, deren Texte wenig später im Westberliner Verlag Klaus Wagenbachs erscheinen werden. "Die Drahtharfe" heißt Biermanns Lyrik-Sammlung aus dem Schaffenszeitraum 1960 bis 1965.

Von Marcus Heumann | 21.12.2015
    Wolf Biermann, Liedermacher aus der DDR, während seines Auftritts in der Sporthalle in Köln am 13. November1976. Es war sein erstes Konzert auf einer bundesdeutschen Bühne seit Ostern 1965.
    Wolf Biermann, Liedermacher aus der DDR, während seines Auftritts in der Sporthalle in Köln am 13. November1976. Es war sein erstes Konzert auf einer bundesdeutschen Bühne seit Ostern 1965. (picture-alliance / dpa / Wilhelm Bertram)
    - MUSIK BIERMANN -
    Wenn ich mal tot bin
    wenn ich mal tot bin
    werd‘ ich Grenzer und bewache
    Wenn ich mal tot bin
    wenn ich mal tot bin
    werd‘ ich Grenzer und bewache
    die Grenz‘ zwischen Himmel und Höll‘
    Ausweis bitte - Kunststück
    Das Jahr 1965 schickt sich an, ein gutes Jahr zu werden für den jungen Wolf Biermann. Gleich zu Jahresbeginn hat er die Chance, einige seiner frechen Lieder für eine geplante Platte aufzunehmen. Doch sie wird nie veröffentlicht. Die Bänder landen mit Sperrvermerk im Archiv. Kein Jahr später wird Biermann in der DDR zur Unperson erklärt, belegt mit Auftritts- und Publikationsverbot.
    - MUSIK BIERMANN -
    Keiner tut gern tun, was er tun darf
    was verboten ist, das macht uns gerade scharf

    Auf der Abschlussveranstaltung des Frankfurter Ostermarsches 1965 tritt Wolf Biermann gemeinsam mit dem "Mann mit der Pauke", Wolfgang Neuss, vor ein begeistertes Publikum – und präsentiert dabei auch Lieder, deren Texte wenig später im frisch gegründeten Westberliner Verlag Klaus Wagenbachs erscheinen werden. "Die Drahtharfe" ist die Sammlung von Balladen, Gedichten und Liedern Biermanns betitelt, entstanden zwischen 1960 und 1965.
    Obwohl er schon 1963 aus der SED ausgeschlossen worden ist, kann Wolf Biermann dennoch zunächst von jenem liberaleren Kurs in der DDR-Kulturpolitik profitieren, der in dieser Zeit seinen Anfang nimmt. Im Schutz der Mauer reklamieren Künstler nun das, was ihnen von der Partei vorher unter dem Hinweis auf die offenen Grenzen verwehrt wurde: eine freiere Diskussion über die Widersprüche im DDR-Sozialismus. 1964 erscheinen in der Anthologie "Sonnenpferde und Astronauten" zum ersten und einzigen Mal einige Biermann-Gedichte in der DDR. Herausgeber Gerhard Wolf erinnert sich:

    "Es kam eine wirkliche Generation jetzt auf mit Volker Braun, den Kirschs, Mickel, Adolf Endler die habe ich alle verlegen können im Mitteldeutschen Verlag da gab es natürlich immer Streitpunkte mit dem Amt für Literatur. Und wenn Sie genau hingucken dann ist es ja alphabetisch geordnet, aber ich sollte nicht mit Biermann anfangen wir haben mit Braun angefangen."
    Ab Spätsommer 1965 schaltet die SED kulturpolitisch auf Repression um
    Obwohl Biermann ein enger Freund des gerade geschassten Humboldt-Uni-Professors Robert Havemann ist, darf er 1964/65 noch öffentlich auftreten, etwa bei den legendären Jazz & Lyrik-Veranstaltungen Werner Sellhorns. Doch ab dem Spätsommer 1965 schaltet die SED auch kulturpolitisch auf Repression um: In der gelenkten Presse häufen sich die Anfeindungen gegen westliche Unkultur und aufmüpfig gewordene Schriftsteller.
    Just zu diesem Zeitpunkt erscheint Biermanns "Drahtharfe"-Buch in Westberlin. In den Augen der DDR-Kulturbürokratie, die argwöhnisch alle Veröffentlichungen kontrolliert und zensiert, ist die ungenehmigte Publikation im Westen ein Affront, der nicht ungesühnt bleiben darf. Und so fällt am 5. Dezember 1965 im SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" der Kulturredakteur Klaus Höpcke über die "Drahtharfe" und ihren Autor her:
    "Was Wunder, dass Biermann in einem (…) Gedicht davon faselt, die Partei der Arbeiterklasse hacke sich die Füße ab. In Wirklichkeit handelt es sich um die tönernen Füße des Skeptizismus des Herrn Biermann. Er zerhackt die Verbindungen mit dem Volke, die Verbindungen mit der Partei. Er greift auch in den Draht seiner Harfe, um gehässige Strophen gegen unseren antifaschistischen Schutzwall und unsere Grenzsoldaten erklingen zu lassen. (…) Ist es etwa Zufall, dass solche Verse ausgerechnet in Westberlin gedruckt werden? Unsere Grenzsoldaten dienen dem Sozialismus und dem Frieden. Wem aber dient Biermann mit solchem Machwerk?"
    Kultureller Exorzismus: das 11. Plenum des ZK der SED
    Die Polemik Höpckes, der später zum stellvertretenden Kulturminister der DDR avancieren und in dieser Funktion die DDR-Buchproduktion kontrollieren wird, ist das propagandistische Vorspiel zum 11. Plenum des ZK der SED, das zehn Tage darauf in Ost-Berlin beginnt und in einen kulturellen Exorzismus ausartet. An dessen Ende steht das Verbot westlicher Beatmusik , fast sämtlicher DEFA-Filme des Jahrgangs 1965, die Disziplinierung kritischer Kulturschaffender und die Absetzung liberaler Funktionäre . Einer der zahlreichen Partei-Hardliner, die auf dem Plenum über Biermann wettern, ist der 1.Sekretär der Bezirksleitung Halle, Horst Sindermann:
    "Könnte ein Volk den Absturz vertragen von Goethes 'Edel sei der Mensch, hilfreich und gut' zu Biermanns Reimerei 'Es war einmal ein Mann, der trat in einen Scheißhaufen'. Bei einem solch geistigen Absturz muss sich eine humanistische Nationalkultur den Hals brechen. Unweigerlich. Was aber ist an Biermann zu verunglimpfen, was er nicht selbst schon längst verunglimpft hätte. Angeblich haben wir seine Seele, die er als die Seele Francois Villon deklariert, auf der Mauer um Westberlin erschossen. Was legt er seine Seele zwischen Sozialismus und Imperialismus? Warum leidet seine Seele so großen Kummer? Nur weil wir drei imperialistische Armeen in Westberlin eingemauert haben, damit sie hier nicht das gleiche machen können, wie in Vietnam?"
    - MUSIK Biermann -
    Ach Sindermann / Du blinder Mann / Du richtest nur noch Schade an / Du liegst nicht schief / Du liegst schon quer / Du machst mich populär
    Fortan konnte Wolf Biermann solche Lieder nur noch im stillen Kämmerlein, sprich in seiner Wohnung in der Chausseestraße singen. Während im Untergrund Kassettenkopien seiner Lieder kursierten, wurde er in den DDR-Medien zur beredt beschwiegenen Unperson – bis zu seiner Ausbürgerung 1976. Und auch der Westberliner Verleger Klaus Wagenbach musste für die Publikation der "Drahtharfe" einen hohen Preis zahlen, wie er sich 1993 in einem Interview erinnerte:
    "Nach der Veröffentlichung von Biermann kam ja der berühmte junge Journalist Höpcke und hat mir dieses unsittliche Angebot gemacht: Wenn Sie Biermann nicht weiterdrucken, können Sie die Lizenzen haben von allen DDR-Autoren die Sie haben wollen. Silvester 1965. Da ich das nicht gemacht habe, kriegte ich nicht nur die Lizenzen nicht, sondern ich kriegte auch ein Einreiseverbot und ein Durchreiseverbot. Das heißt, die Mauer drückte sich wirklich ein dreiviertel Jahr nach Verlagsgründung bei mir so aus, dass ich hier nur noch mit dem Flieger rauskam."
    Buchinfos:
    Biermann, Wolf: Die Drahtharfe – Balladen, Gedichte, Lieder
    Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1965