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Klimapolitik in Russland
Große Kraftwerke, alte Heizungen, kaum erneuerbare Energien

Vier Jahre hat es gedauert. Vor kurzem hat auch Russland das Welt-Klima-Abkommen von 2015 ratifiziert. Das Land ist der weltweit viertgrößte CO2-Emittent. Doch Klimaschutz spielt für die russische Regierung kaum eine Rolle.

Von Thielko Grieß | 09.10.2019
Rauschschwaden sind über einem Gaskraftwerk in der Nähe von Moskau am 11. Juli 2019 zu sehen.
Kraftwerke: Haben in Russland eine größere Lobby als erneuerbare Energie (AFP/Alexander Nemenov)
Es ist in jedem Jahr eines der wichtigsten Herbstereignisse: Die zentralen Heizsysteme werden angestellt, so geschehen Ende September in Moskau. Dann wird es in Wohnungen wieder wärmer, und gleichzeitig steigt der Ausstoß von Klimagasen wie CO2 deutlich an, sobald die großen Heizkraftwerke bis zum Frühling wieder in Betrieb sind.
Der Temperaturanstieg verläuft in Russland im Durchschnitt zwei Mal schneller als im globalen Durchschnitt, erklärt Sergej Semjonow, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für globales Klima und Ökologie in Moskau. Grund: Die fortlaufende Erwärmung der Arktis, die einen besonderen Einfluss auf die russischen Temperaturen besitze:
"Je weniger Eis es wegen der Erwärmung gibt, desto mehr Sonnenenergie wird in der Arktis absorbiert. Desto stärker fällt die Erwärmung aus, und folglich gibt es desto weniger Eis."
Putin stellt Klimawandel in Frage
Andere russische Regionen hingegen, etwa im Süden Westsibiriens an der Grenze zu Kasachstan, hätten sich in den vergangenen Jahren im Jahresmittel etwas abgekühlt, sagt Semjonow, weil sie stärker unter dem Einfluss arktischer Polarströmungen stünden.
Politisch spielt die Klimaerwärmung in Russland eine nur sehr kleine Rolle. Dass vom Menschen verursachte Emissionen deren Grund sind, hat Präsident Wladimir Putin immer wieder in Zweifel gezogen. Deutlich überzeugter sprechen die Regierenden darüber, den Export von Erdgas und Kohle zu steigern.
Ein Prozent erneuerbare Energie
Das Land selbst hat keine Anreize, seine Energieerzeugung, die vorrangig auf Gas, Kohle und Nuklearenergie basiert, umzustellen. Erneuerbare Energie soll in ein paar Jahren einen Anteil von einem Prozent erreichen - kein ehrgeiziger Plan.
Die Rohstoff- und rohstoffverarbeitenden Industrien sind mächtig und exzellent mit dem politischen System verknüpft, analysiert Georgij Safonow von der Wirtschaftshochschule HSE in Moskau: So verfügt Russland über kein System zur Messung von Emissionen:
"Selbst wenn über Maßnahmen entschieden wird, werden sie dekorativ sein. Es werden Daten erfasst, aber wir werden niemanden zwingen, sie zu überprüfen - man kann schreiben, was man will. Es wird freundlich erklärt, man wolle Emissionen senken, und alle werden so tun als ob sie es täten."
Kein moralisches Pflichtbewusstsein
Hinzu kommt: Die Pariser Klimaziele für 2030 sind bereits erreicht, weil die Wirtschaft in schwacher Verfassung ist. Und für die im Abkommen bis 2050 verlangte weitaus stärkere Senkung werden die riesigen russischen Wälder und Moore als Kohlenstoffspeicher einberechnet.
Dabei gehe die Regierung allerdings darüber hinweg, dass sich deren Zustand in den nächsten Jahrzehnten wegen der Erwärmung massiv verschlechtern könnte. Keine Rolle spielten die in Europa, auch in Deutschland, verbreiteten ethischen Argumente für Klimaschutz, unterstreicht Safonow:
"Das ist niemandem wichtig, nicht in den Unternehmen, nicht in der Regierung. Nicht das Schicksal des Klimas, nicht der Umwelt, nicht die Menschen."
Hohe Emissionen bei Metallproduktion
Der Ökonom Safonow sieht nur zwei Hebel, eine andere Politik zu beginnen: Der eine ist das langsam wachsende Bewusstsein auch russischer Verbraucher für die ökologischen Folgen ihres Handelns. Das aber ist im landesweiten Durchschnitt schwach ausgeprägt und hat unter den Bedingungen eines autoritären Systems wenig Chancen, an Dynamik zu gewinnen.
Der andere Hebel liegt bei den Kunden russischer Rohstoffe, also auch bei Europäern. Sie könnten weniger fossile Rohstoffe verbrauchen und Produkte verteuern, wie etwa Metall, das unter hohen Emissionen in Russland hergestellt wurde.
Energieverschwendung durch alte Heizungen
Darüber aber, sagt der russische Wissenschaftler, rede die Europäische Union nur. Sie handele nicht:
"Deshalb sollte man nicht naiv von Russland Motivation und Führung in diesen Fragen erwarten, solange 99 Prozent der Wirtschaft auf einem schmutzigen Modell beruht."
Ein Modell, das Energie nicht effizient nutzt. Es ähnelt den Heizungen, die jetzt angeworfen werden: Sie lassen sich selten regeln. Viel Wärme geht durch die Fenster gleich wieder an die Luft. Die Chancen, dass sich das ändert, sind minimal.