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Klinik oder Knast
Warum mehr süchtige Straftäter im Maßregelvollzug landen

Die Gerichte schicken immer mehr drogenabhängige Straftäter in den Maßregelvollzug. Die forensischen Kliniken sind überfüllt, die Wartelisten lang. Das Bundesjustizministerium will jetzt das Strafgesetzbuch reformieren.

Von Timo Stukenberg | 09.02.2022
Das Gebäude der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim wird von einer Mauer mit einem Stacheldrahtzaun umschlossen. Im Rahmen einer Pressekonferenz stellt die Justizministerin von Baden-Württemberg die Ergebnisse der Strafverfolgungsstatistik 2020 vor.
Das Gebäude der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim (picture alliance/dpa / Bernd Weißbrod)
Wenn jemand mit einer Waffe in der Hand eine Tankstelle überfällt und dafür rechtskräftig verurteilt wird, muss er wahrscheinlich ins Gefängnis. Hat er die Tat jedoch im Rausch begangen oder steht sie in einem Zusammenhang mit seiner Drogensucht, dürfte er zumindest einen Teil seiner Haftstrafe in einer sogenannten Entziehungsanstalt, also im Maßregelvollzug, verbringen. Der Tankstellenräuber ist dann ein sogenannter 64er, benannt nach dem Strafrechtsparagrafen 64. Es geht um Menschen, bei denen das Gericht einen – wie es im Rechtsdeutsch heißt – „Hang“ zu Drogen festgestellt hat.
Matthias Jacobi ist Sozialarbeiter auf einer Station für die 64er im Berliner Krankenhaus des Maßregelvollzugs. Die meisten seiner Patienten kommen direkt aus dem Gefängnis hierher.
„Im Moment sieht es so aus, dass die Abteilung weiterhin bis zum letzten Platz belegt ist, es allerdings auch einen Rückstau gibt im Sinne einer Warteliste von Patienten, die sich im Moment noch im regulären Justizvollzug befinden, bei denen der Paragraf 64 angeordnet ist.“

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Jacobis Patienten sitzen dann nicht wegen ihrer Freiheitsstrafe im Gefängnis, sondern sie befinden sich offiziell in Organisationshaft. Das heißt, eigentlich müssten sie in die Klinik, um dort einen Entzug zu machen. Stattdessen sitzen sie aber im Gefängnis und warten auf einen freien Behandlungsplatz.

Im Fokus stehen seit einiger Zeit die 64er

„Aber, wenn jemand dann sitzt und ist eigentlich primär hoch motiviert und hat dann das Gefühl ich warte hier, ich warte hier und die Haftzeit nimmt gar nicht mehr ab. Dabei erlebe ich das oftmals auch durch die Berichte der Patienten, wenn sie dann endlich angekommen sind. Das ist relativ demotivierend schon im Vorfeld.“

Im Maßregelvollzug werden neben den 64ern auch Menschen behandelt, bei denen ein Gericht wegen einer psychischen Erkrankung eine Unterbringung angeordnet hat. Doch im Fokus stehen seit einiger Zeit die 64er, deren Taten also im Zusammenhang mit Drogen- oder Alkoholmissbrauch stehen. Ihre Zahl hat sich deutschlandweit in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt. Das geht aus dem Bericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe hervor, der im Januar veröffentlicht wurde. Im Schnitt waren 2020 demnach 5280 Personen untergebracht. Einige von ihnen auf geschlossenen Hochsicherheitsstationen, andere in Einrichtungen, die eher einer herkömmlichen Psychiatrie ähneln. Maßgeblich verantwortlich für den Anstieg der Patientenzahl im Maßregelvollzug ist der Paragraph 64 des Strafgesetzbuches.
Er wurde bei der großen Strafrechtsreform 1975 neu gefasst. Demnach sollen Menschen, die im Zusammenhang mit einer Drogensucht straffällig geworden sind, in einer Entziehungsanstalt untergebracht und behandelt werden. Die dafür zuständigen Kliniken des Maßregelvollzugs sind vielerorts jedoch überbelegt und das Personal an seinen Belastungsgrenzen. Mehrere Bundesländer müssen die nach Paragraf 64 Verurteilten längst anderswo unterbringen. So auch in Thüringen, heißt es aus dem dortigen Sozialministerium.
„Mangels anderweitiger Unterbringungsmöglichkeiten ist es mit Blick auf die akute Überbelegung der § 64-Maßregelvollzugseinrichtung sowohl aus vollzugsorganisatorischen Gründen, als auch zur Wahrung der Sicherheit des Vollzugs erforderlich, geeignete Patientinnen und Patienten abweichend vom Vollstreckungsplan zuzuweisen.“

Das Land will in den Entziehungsanstalten mehr Betten schaffen

In Bremen waren zum Stichtag 31. Dezember 2021 nur noch zwei reguläre Betten in Entziehungsanstalten frei, in Brandenburg war es nur noch eins. Das zeigt eine Abfrage des Deutschlandfunks unter den Bundesländern. Sachsen-Anhalt hatte seine Belastungsobergrenze bereits überschritten. Auch in Baden-Württemberg reichten die Behandlungsplätze nicht aus, sagt Manfred Lucha, gelernter Psychiatriepfleger und grüner Sozialminister in Baden-Württemberg. Das habe teils drastische Folgen.
„Also im schlimmsten Falle werden Verurteilte auf freien Fuß entlassen, wenn sie kein entsprechendes therapeutisches Angebot im Maßregelvollzug vorfinden. Und das gilt es auf alle Fälle zu verhindern.“
Das Land will nun in den Entziehungsanstalten mehr Betten schaffen, teils durch Doppelbelegung. Wo das nicht geht, wohnen die Menschen auf dem Gelände der Entziehungsanstalt in Containern. Frage an den Psychiatriepfleger und Minister Lucha: Kann in einem solchen Rahmen eine Suchtbehandlung überhaupt funktionieren?
Manfred Lucha, Minister für Soziales und Integration in Baden-Württemberg, steht in einer Covid-19-Teststation in der Nähe des Stuttgarter Hauptbahnhofs.
Der baden-württembergische Sozialminister Manne Lucha (Grüne) (dpa / Marijan Murat)
„Ja, kann. Natürlich sind das herausfordernde Rahmenbedingungen. Aber das therapeutische Konzept, die soziotherapeutischen Angebote, die psychotherapeutischen Angebote, die medikamentösen, auch die sozialtherapeutischen wie Arbeitstherapie wie Lockerungsversuche können auch in diesen Rahmenbedingungen umgesetzt werden, die sind sehr unabhängig davon, wie die Unterbringung stattfindet.“

Zu viele Menschen im Maßregelvollzug, die eigentlich ins Gefängnis gehören

Norbert Schalast, Psychotherapeut und Forscher an der Uni Bielefeld, untersucht seit vielen Jahren den Maßregelvollzug in Deutschland. Seiner Ansicht nach kann sich die Überbelegung sehr wohl auf die Behandlungsqualität auswirken.
„Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass gerade in den letzten Jahren Behandlungsteams einfach erschöpft sind und sich überfordert fühlen. Und das ist dann auch nicht unbedingt die beste Voraussetzung dafür, um Patienten zu motivieren und mit den Untergebrachten vernünftige Ziele definieren und auf die hinarbeiten. Und eigentlich ist der Paragraf 64 Maßregelvollzug ganz erfolgreich als sozialtherapeutische Maßnahme. Aber unter der Entwicklung der letzten 15 Jahre leidet das ganze System.“
Schon lange beschweren sich Kliniken des Maßregelvollzugs bei den zuständigen Gesundheits- und Sozialministerien der Länder über die Zustände. Rund zwei Jahre lang haben die Ministerien nun Reformvorschläge geprüft. In ihrem Abschlussbericht kommen sie zu dem Ergebnis, dass zu viele Menschen im Maßregelvollzug untergebracht werden, die eigentlich ins Gefängnis gehörten. Matthias Koller ist Vorsitzender Richter am Landgericht Göttingen und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Als Richter hat auch er bereits Menschen in einer Entziehungsanstalt unterbringen lassen.
„Das hat sicher auch was mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu tun, der dann doch häufig anmahnt, dass die Frage einer Schuldminderung und mehr noch die Frage einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt von den Gerichten in ihren Urteilen nicht näher geprüft worden ist.

"Hang" zum Drogenkonsum

Entscheidend ist hier der Wortlaut im Gesetzestext. Die Tat müsse unter anderem auf einen sogenannten „Hang zum Drogenkonsum“ zurückgehen. Laut dem Bericht der Bundesländer hat der Bundesgerichtshof diesen Passus in den vergangenen Jahren immer weiter ausgelegt. So lasse ein Zusammenhang von Straftaten und Drogenkonsum im Sinne des Paragrafen 64 unter anderem Beschaffungstaten annehmen, also, wenn jemand zur Finanzierung seines Drogenkonsums zum Beispiel eine Tankstelle überfällt.
„Das ist im Übrigen ein Punkt, den man relativ schlecht als Gericht überprüfen kann. Wenn jemand sagt‚ 'ich habe mit 14 begonnen irgendwie diese Droge zu nehmen und mit 16 die nächste und mit 18 die übernächste’ - sind das Punkte, die die Gerichte verhältnismäßig schlecht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können und müssen sich letztlich auf die Angaben des Angeklagten verlassen.“
Der Bundesgerichtshof hat in der Vergangenheit mehrere Urteile aufgehoben und an die Gerichte zurück überwiesen, weil die Richterinnen und Richter nicht berücksichtigt hätten, dass der Hang zu Drogen eine Rolle gespielt haben könnte, sagt Richter Koller.
Ein Hinweisschild mit dem Bundesadler und dem Schriftzug "Bundesgerichtshof", aufgenommen beim Bundesgerichtshof (BGH).
Der Bundesgerichtshof hat in der Vergangenheit mehrere Urteile aufgehoben und an die Gerichte zurück überwiesen (dpa)
„Möglicherweise sehen aber manche Gerichte das dann als Anlass, dann zu sagen naja, dann in Ordnung, weil dann meint der Bundesgerichtshof wohl, dass das angeordnet werden muss. Ich glaube nicht, dass das richtig ist, dass der Bundesgerichtshof das meint. Aber ich denke schon, dass es da so eine Tendenz gibt, dann eher unterbringungsfreundlich zu entscheiden.“

Es gibt "eine Tendenz, dann eher unterbringungsfreundlich zu entscheiden"

Auch viele Verteidiger zielen auf eine solche Unterbringung ab – besonders bei hohen Haftstrafen. Sie reagieren damit auf zwei Anreize, die im Gesetz festgeschrieben sind. Der erste ist der sogenannte Halbstrafenzeitpunkt, sagt Norbert Schalast.
„Der entscheidende Anreiz ist, dass man nicht zwingend erst nach zwei Drittel des Strafmaßes in die Freiheit kommen kann, sondern dass es schon nach der halben Strafe möglich ist. Das ist das entscheidende Bonbon, das sozusagen geboten wird.“
Was das konkret bedeuten kann, macht ein Rechenbeispiel deutlich. Verurteilt das Gericht jemanden zu sechs Jahren Freiheitsstrafe in einem Gefängnis, wird der Verurteilte frühestens nach zwei Dritteln seiner Strafe, also nach vier Jahren inklusive Untersuchungshaft in die Freiheit entlassen. Ordnet das Gericht jedoch zugleich eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt von zwei Jahren an, muss der Verurteilte nach der Hälfte seiner Strafe in Freiheit kommen können. Das wäre in diesem Beispiel schon nach drei Jahren. Zieht man von diesen drei Jahren eine Behandlungsdauer von zwei Jahren in einer Entziehungsanstalt und etwa ein halbes Jahr Untersuchungshaft vor dem Gerichtsurteil ab, bleiben von den sechs Jahren Freiheitsstrafe noch etwa sechs Monate im Gefängnis.
Die Möglichkeit, nach der Hälfte der Strafzeit in Freiheit zu kommen, hat noch einen anderen Effekt: Die Unterbringungen dauern immer länger. Denn wie im Beispiel kommen Untergebrachte theoretisch zwei Jahre vor dem Halbstrafenzeitpunkt in den Maßregelvollzug. Doch nicht mal ein Fünftel aller Untergebrachten wird tatsächlich auch nach der Hälfte der Zeit entlassen, weil bei den meisten zu dem Zeitpunkt etwa ihre Sozialprognose nicht gut genug ist. Mehr als 80 Prozent bleiben also länger als zwei Jahre in der Entziehungsanstalt. Norbert Schalast:

„Es gibt meines Erachtens keine vernünftigen Gründe, jemanden viel länger als zwei Jahre in der Maßregel zu behandeln. Wenn man nicht nach, ich sag jetzt mal nach anderthalb Jahren einen guten Weg mit dem Betreffenden entwickelt hat, um ihn sozusagen unter geordneten Bedingungen in die Freiheit zu begleiten, dann wird das wahrscheinlich nach drei Jahren auch nicht klappen.“

Vermutung: „Missbrauch der Entziehungsanstalten“

Der zweite Anreiz, um auf eine Unterbringung im Maßregelvollzug hinzuarbeiten, wie Norbert Schalast sagt, sind die Lockerungsmöglichkeiten, die hier in der Regel wesentlich häufiger angewendet werden als im Strafvollzug. Bei gutem Behandlungsverlauf würden Patienten vom Maßregelvollzug zum Beispiel dauerbeurlaubt, bevor sie in die Freiheit kämen.
„Das heißt, die leben einige Zeit schon in enger Anbindung an die Klinik, gut betreut dort, wo sie tatsächlich dann nach der Entlassung auch leben wollen. Sie werden unterstützt, Arbeit zu finden oder eine Qualifizierungsmaßnahme und so weiter. Da gibt es also doch deutlich größere Spielräume als aus dem Strafvollzug heraus.“
Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe vermutet hinter den steigenden Zahlen einen – Zitat - „Missbrauch der Entziehungsanstalten“. Das zeige sich auch in der wachsenden Zahl der Untergebrachten, deren Therapie abgebrochen wird, weil sie als aussichtslos gilt. Die müssen wieder zurück ins Gefängnis. Im Berliner Krankenhaus des Maßregelvollzugs würden derartige Patienten schon auf der Aufnahmestation erkannt, sagt Sozialarbeiter Matthias Jacobi, etwa, wenn sie „Mitpatienten auch zum Beispiel zum Konsum wieder auffordern, auch Leute, also Mitpatienten, unter Druck setzen, bedrohen, teilweise auch Mitarbeiter versuchen, unter Druck zu setzen, um Drogen einzuschmuggeln, um Handys einzuschmuggeln, was ja letztendlich alles schon ein guter Indikator für eine schlechte Motivationshaltung ist. Und es schafft halt ein schlechtes Klima insgesamt.“
Blühende Cannabislandschaften in Sachsen (01.02.2022)
Das wirke sich nicht nur auf die Aufnahmestationen in den Kliniken aus, sagt Schalast. Sondern auch auf die Verurteilten selbst – und letztlich auf deren Resozialisierungchancen.

„Das ist eigentlich eine Katastrophe, weil die Bewährungschancen der Betreffenden, die sind entscheidend besser, wenn sie gut begleitet, nach positivem Verlauf von der Klinik in die Freiheit entlassen werden, als dass sie noch mal quasi eine Ehrenrunde im Strafvollzug drehen, wo bei solchen Therapieabbrechern in Anführungszeichen wahrscheinlich auch kein ganz großer Aufwand mehr betrieben wird.“

Anreize für nicht therapiewillige Verurteilte senken

Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat sich mit zwei konkreten Reformvorschlägen auseinandergesetzt. Sie sehen beide eine Änderung des Paragraphen 64 im Strafgesetzbuch vor. Zum einen sollen sie die Anreize für nicht therapiewillige Verurteilte senken. Dafür soll der Begriff „Hang“ im Gesetzestext stärker definiert werden und eine Substanzkonsumstörung vorausgesetzt werden. Außerdem solle die Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt von der Regel zur Ausnahme werden. Für einen zweiten Vorschlag hatte sich hingegen Richter Matthias Koller stark gemacht. Er sieht vor, dass Verurteilte erst einmal im Strafvollzug untergebracht werden. Dort sollten sie ihre Therapiebereitschaft unter Beweis stellen, indem sie zum Beispiel an Suchtberatungsangeboten teilnehmen.
„Das hätte insbesondere den Vorteil, dass dann Menschen in die Entziehungsanstalt kämen, die tatsächlich zur Behandlung entschlossen sind, und sich das gut überlegt haben, dass sie dahin wollen, was das Behandlungsklima in der Einrichtung von vornherein deutlich verbessern dürfte.“
Der Vorschlag wurde abgelehnt, unter anderem, weil die Länder befürchten, dass die Chancen der Verurteilten auf eine Behandlung im Maßregelvollzug zu stark sinken würden. Im Endeffekt würden damit mehr Menschen länger im Gefängnis sitzen. Beide Vorschläge dürften jedoch dazu führen, dass mehr Menschen, bei denen Gerichte bislang einen „Hang“ zu Suchtmittelkonsum feststellen, im Gefängnis landen. Darauf müsse der Strafvollzug letztlich ohnehin reagieren, sagt Richter Koller.

 „Aber eine noch weitergehende Behandlung dafür gibt es eben im Justizvollzug bisher, soweit ich sehe, in vielen Fällen keine weitergehenden Angebote.“

Mehr als die Hälfte der Bundesländer plant oder prüft Neubauten

In den Entziehungsanstalten sei das Betreuungsverhältnis hingegen wesentlich besser, sagt Norbert Schalast. Außerdem gebe es ein effektiveres Übergangsmanagement und mehr Möglichkeiten, um Lockerungen zu erproben: Rahmenbedingungen, die die Wiedereingliederung in die Gesellschaft grundsätzlich erleichterten.

„Wir haben eben eine begrenzte Kapazität. Und in einer idealen Welt hätten wir für quasi ein Drittel aller Strafgefangenen Plätze in Entziehungsanstalten. Das kann man derzeit nicht ernsthaft diskutieren und propagieren.“
Marco Buschmann (FDP) ist Bundesjustizminister
Minister Marco Buschmann von der FDP hat „zeitnah“ einen Referentenentwurf angekündigt (picture alliance/dpa/Kay Nietfeld)
Bereits 2007 und zuletzt 2016 hatte die Bundesregierung versucht, den Anstieg zu bremsen – ohne Erfolg, gibt auch Axel Müller zu. Er ist Richter in Baden-Württemberg und sitzt als CDU-Bundestagsabgeordneter im Rechtsausschuss.

 „Ja, wir haben ganz offen gestanden, natürlich auch ein Stück weit die Entwicklung beobachten müssen und dass es so aus dem Ruder läuft, wie es die letzten drei Jahre der Fall war. Das war da noch nicht abzusehen. Also die ganz exorbitanten Steigerungen haben wir, denke ich, in den Jahren 19 bis 21 gehabt. Diese Steigerungen hatten wir davor in dieser exorbitanten Form nicht.“ 
Während das Strafgesetzbuch Bundesangelegenheit ist, müssen sich die Bundesländer um die Unterbringung kümmern. Mehr als die Hälfte der Bundesländer plant oder prüft Neubauten, wie eine Umfrage des Deutschlandfunks zeigt. Hamburg will demnach seine Kapazitäten fast verdoppeln. In Nordrhein-Westfalen sind insgesamt zusätzliche 700 Betten geplant. Die ersten Neubauten könnten im kommenden Jahr fertig sein.

Bis dahin sind Übergangslösungen notwendig, also kurzfristig mehr Betten, sagt Sozialminister Manfred Lucha. Clara Bünger ist seit Januar rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Sie hält den Ansatz für total verkürzt.
„Weder würde es Sinn machen, jetzt neue Kliniken zu bauen oder Entziehungsanstalten, noch würde das Sinn machen, jetzt einfach nur den Straftatbestand zu verkleinern, weil, dann verschiebt man und verlagert man nur das Problem.“

Ein Referentenentwurf soll „zeitnah“ folgen

Bünger kritisiert, dass sich der Vorschlag ausschließlich auf die Strafrechtsnorm beschränke. Sie vermisst bei dem Reformvorschlag ein Gesamtkonzept, das auch auf Prävention setzt.

„Dass da jetzt einfach nur ein Rumdoktern an strafrechtlichen Vorschriften bei herauskommt, ist aus meiner Sicht eine herbe Enttäuschung, weil es … sehr viele Experten, aber auch Angehörigenverbände natürlich auch viel dazu beigetragen haben, und Vorschläge gemacht haben, was man besser machen könnte.“
Axel Müller von der CDU ist von dem Reformvorschlag jedoch angetan.

„Ich würde es dem Bundesjustizministerium raten, wenn es darauf setzt, dass es eine breite parlamentarische Basis geben soll unter Einbeziehung der Opposition, insbesondere der CDU-CSU-Fraktion. Dann wäre dieser Entwurf, der hier vorliegt, eine gute Basis dafür, um fraktionsübergreifend zu einem guten Ergebnis zu kommen.“
Das Bundesjustizministerium sehe in dem Vorschlag der Länder eine „sehr gute Grundlage“, heißt es auf Anfrage. Minister Marco Buschmann von der FDP hat – so wörtlich - „zeitnah“ einen Referentenentwurf angekündigt. Einen konkreten Zeitpunkt könne man jedoch noch nicht nennen.