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Kolonialismus
Portugal arbeitet seine Geschichte auf

In Portugal sind die Spuren der Kolonialzeit nicht nur in Klöstern und Palästen bis heute erkennbar. Auch leben Nachfahren von Migranten aus den ehemaligen afrikanischen Kolonien in den Großstädten, zum Teil in Vororten, die Slums gleichen. Bislang hatte sich das Land seiner Geschichte selten kritisch gestellt, doch nun 40 Jahre nach Ende des Kolonialreiches scheint sich das zu ändern.

Von Tilo Wagner | 31.12.2015
    Die Standseilbahn "Ascensor da Bica" fährt durch eine Gasse in Lissabon.
    Vieles aus der Kolonialismusgeschichte wurde über Jahrzehnte unter den Teppich gekehrt und ausgeblendet. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Im Lissabonner Stadtteil Belém ragt ein Denkmal in den Tejo-Fluss, das den Seefahrern und Entdeckern des 15. und 16. Jahrhunderts gewidmet ist. Seit ein paar Wochen stehen direkt daneben ein paar Container. Die Kunstinstallation erinnert an die Zeit vor 40 Jahren, als der Traum vom portugiesischen Kolonialreich ein jähes Ende fand und Hundertausende Portugiesen teils überstürzt nach Europa zurückkehrten.
    Elsa Peralta steht in einer Galerie ganz in der Nähe und zieht historische Dokumente aus einer Schublade. Die Anthropologin hat eine Ausstellung organisiert, um den kritischen Blick auf die Kolonialgeschichte zu schärfen. Denn die Portugiesen, so Peralta, haben immer noch ein sehr verklärtes Bild von ihrer Herrschaft in Afrika:
    "Unsere nationale Identität wird immer noch sehr eng mit der Kolonialgeschichte verknüpft und mit der Idee, dass unsere Herrschaft wohltuend und gut gewesen sein soll. In diesem Sinne, so die Legende, seien die Portugiesen ganz anders gewesen als andere europäische Mächte. Und die positiven Aspekte in den portugiesischen Kolonien, zum Beispiel ein angeblich multiethnisches, friedliches Zusammenleben, werden als Beweis für die Sonderstellung der portugiesischen Herrschaft herangezogen. Alle negativen Elemente wie die Sklaverei, die Kolonialkriege oder der chaotische Rückzug aus Afrika werden gleichzeitig unter den Teppich gekehrt."
    Mehrheit der afrikanischen Migranten lebt am Rande von Städten
    Die Idee, dass Portugal eine multiethnische Nation sei, in der rassistische Diskrimination keinen Platz habe, besteht auch heute fort. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Die große Mehrheit der afrikanischen Migranten lebt in heruntergekommen Vierteln am Rande der Großstädte Lissabon und Porto. Der soziale Aufstieg falle den Kindern der Migranten auch deshalb so schwer, sagt Elsa Peralta, weil in der Gesellschaft ein unterschwelliger Rassismus herrsche. Darum reiche es nicht, dass jetzt in der portugiesischen Regierung zum ersten Mal eine schwarze Justizministerin sitze:
    "Ich finde das zwar sehr gut. Es ist ein klares politisches Zeichen, dass in der portugiesischen Gesellschaft nicht nur weiße Portugiesen das Sagen haben, dass Platz ist für eine angemessene Repräsentation von Menschen mit anderer Hautfarbe und anderen ethnischen Wurzeln. Aber es muss auch klar sein, dass der Staat mehr für die Integration tun muss und den sozial Schwächeren die Möglichkeit gibt, sich individuell zu verwirklichen, unabhängig von ihrer Hautfarbe und ihrem Wohnort."
    Francisca van Dunem, die neue Justizministerin, ist kein Beispiel für den außergewöhnlichen Aufstieg afrikanischer Migranten aus portugiesischen Armenvierteln. Sie stammt aus einer einflussreichen angolanischen Familie, hat in Lissabon in den 1970er-Jahren Jura studiert und dann im portugiesischen Justizwesen Karriere gemacht. Doch selbst Van Dunem hat sich schon öffentlich über die Diskriminierung ihrer Kinder an portugiesischen Schulen beschwert.
    Erste schwarze Frau im Kabinett
    Mit derartigen Klagen hat die Migrantenvereinigung Solim täglich zu tun. In einer heruntergekommen Dreizimmerwohnung in der Lissabonner Altstadt kümmert sich Timóteo Macedo seit über einem Jahrzehnt um Rechtsfragen und soziale Ansprüche der Einwanderer in Portugal. Über den portugiesischen Premierminister António Costa, der jetzt die erste schwarze Frau ins Kabinett berufen hat, kann Macedo nichts Positives berichten: Costa habe es in seiner Zeit als Lissabonner Bürgermeister nicht für nötig gehalten, die Migrantenvereinigung Solim zu unterstützen. Dabei gehöre sie mit ihren 26.000 Mitgliedern zu den wichtigsten Anlaufstellen für Einwanderer:
    "Die Ernennung der schwarzen Ministerin ist doch nur eine Form von Kosmetik, wie wir sie auf der politischen Führungsebene häufig sehen, ohne dass damit die Gesellschaft wirklich beeinflusst wird. Denn der latente Rassismus, der in Portugal zu beobachten ist, spielt sich vor allem auf institutioneller Ebene ab. In Banken, Versicherungen, den Aufsichtsräten von Unternehmen und in der öffentlichen Verwaltung gibt es fast niemanden, der nicht weiß ist, sondern aus einer anderen ethnischen Gruppe stammt. Wir stellen fest, dass afrikanische und andere Migranten in Portugal immer weiter an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden und ihre Bürgerrechte nicht wahrnehmen dürfen. Deshalb zählt diese politische Kosmetik für uns nicht. Wir erwarten dagegen, dass diese Regierung die Integrationspolitik in Portugal endlich neu aufstellt."