Freitag, 19. April 2024

Wachsende Kritik an Twitter
Zeit für einen Abflug?

Seit seiner Übernahme hat Elon Musk viel verändert bei Twitter. Inzwischen zeige sich ein nach rechts verzerrter Diskurs, meint Kolumnistin Marina Weisband - und sie fordert: Es ist Zeit, um sich Gedanken über Alternativen zu machen.

Von Marina Weisband | 10.05.2023
Das Twitter-Logo auf einem Smartphone, das auf einem Laptop liegt.
Die Kritik an Twitter wächst - und Medien denken über Alternativen nach (imag / NurPhoto / Beata Zawrzel)
Wer niedrigen Blutdruck hat, sollte es mit Twitter probieren. Die Plattform ist bekannt dafür, ein Quell ewiger Empörung zu sein. Aber in den letzten Monaten ist es viel viel schlimmer geworden.
Gerade followerstarke Accounts und Accounts marginalisierter Menschen fühlen es deutlich. Seit der Übernahme der sozialen Plattform durch Elon Musk hat sich der Ton stark verändert. Viel mehr Hass, viel mehr Radikalität. Jeder noch so harmlose Tweet wird politisiert. Und Desinformation verbreitet sich in nie dagewesener Geschwindigkeit.

Twitters große Probleme

Das hat mit drei Faktoren zu tun. Erstens gibt es, seit etwa 80% der Angestellten von Twitter gefeuert wurden, kaum noch Moderation auf der Plattform. Antisemitische Inhalte melde ich seit Monaten vergeblich.
Zweitens tritt Elon Musk selbst zunehmend offen mit seinem Rassismus auf, verbreitet irreführende Statistiken und unterhält sich ganz normal mit buchstäblichen Nazis. Seine Fans ziehen bei dieser Radikalisierung mit.
Drittens privilegiert der Twitter-Algorithmus die Twitter-Blue-Abonnenten, die genau jene Menschen sind, die kein Problem damit haben, Elon Musk Geld zu bezahlen. Aus persönlicher Erfahrung muss ich die meisten Leute mit blauem Haken inzwischen auf Sicht stummschalten, damit die Plattform für mich irgendwie benutzbar wird.

Beleidigungen, Lügen, Schmutzkampagnen

In der Praxis kann ich nämlich meine Erwähnungen, die Antworten auf meine eigenen Tweets, kaum noch ansehen. Sie sind voll von Beleidigungen, Lügen, Schmutzkampagnen, rechtsradikaler und russischer Propaganda. Während die russische und chinesische Regierungspropaganda nicht mehr gekennzeichnet wird, wurden öffentliche Rundfunk-Accounts wie der BBC kurzzeitig als Staatssender markiert.
Der jetzt veröffentlichte Twitter-Algorithmus zeigt, dass Berichterstattung über die Ukraine aktiv unterdrückt wird, sprich, weniger Reichweite bekommt. Meine Arbeit wird mir damit, gelinde gesagt, verkompliziert. Überhaupt ist die Plattform so toxisch geworden, dass ich viel weniger drauf schaue. Große Accounts ziehen sich reihenweise zurück. Wer die Entwicklungen als positiv lobt, retweetet meist auch rechte Inhalte.

Ein nach rechts verzerrter Diskurs

Was bedeutet das alles jetzt für eine Medienlandschaft, die es gewohnt ist, Twitter quasi als Pressemitteilungsstelle zu benutzen? Berichte, was diese Politikerin oder jener Schauspieler auf Twitter gesagt hat, sind ja nun völlig alltäglich. Aber auch Artikel über allgemeine Meinungen in der Bevölkerung („Twitter regt sich auf über…“) sind gang und gäbe. Es bedeutet, dass Journalisten über diese Plattform einen nach rechts verzerrten Diskurs aufnehmen. Der verbreitet sich dann natürlich über Artikel in die breitere Öffentlichkeit.

Schwierige Suche nach Alternativen

Jene Menschen, die von ihren Regierungen oder von Rechten angefeindet werden, also Dissidenten, queere Menschen, marginalisierte Menschen, Frauen, ziehen sich mehr und mehr von der Plattform und damit aus dem öffentlichen Diskurs zurück.
Ihre Stimmen werden wieder weniger hörbar, ihr Einfluss geringer, ihr Kampf wieder erschwert. Das ist natürlich exakt das Ziel dieser nicht nachlassenden Angriffe und des Hasses. Es ist politischer Hass.
Das Problem ist, dass es derzeit keine überzeugenden Alternativen gibt. Das Fediverse mit Mastodon ist tatsächlich eine öffentliche Plattform, aber es fällt viel schwerer, neue Dinge mitzubekommen. Damit ist es keine Alternative als Nachrichtenquelle. Einen wirklich öffentlichen digitalen Marktplatz haben wir nicht. Praktisch nur die Wohnzimmer von Milliardären, die bestimmen können, was wir darin tun und lassen – und vor allem wer.  

Zeit, um sich Gedanken zu machen

Zeit für Redaktionen, in sich zu gehen und sich Gedanken zu machen, wie viele und welche Nachrichten man sich von Twitter holt. Zeit für die Gesellschaft in sich zu gehen und nachzudenken, warum wir eigentlich keine Infrastruktur haben, die uns allen gehört – ihren Nutzenden.