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Kolumne
Streiks: Oft kaum der (Medien-)Rede wert?

Es war der eindringlichste Streik, der an den Unikliniken NRWs je stattgefunden hat: Zwölf Wochen ging dort fast gar nichts mehr, tausende OPs fielen aus, Patienten mussten abgewiesen werden. Doch berichtet wird über Streiks meist nur mäßig - wenn der Kick fehlt, oder die eigene Betroffenheit.

Von Samira El Ouassil | 20.07.2022
Mitarbeiter der Uniklinik gehen während einer Demonstration mit Transparenten durch die Stadt.
Streikende am Uniklinikum Bonn (picture alliance/dpa)
Der bisher längste Arbeitskampf im nordrhein-westfälischen Gesundheitswesen ist am Dienstag zu Ende gegangen. Die Verdi-Tarifkommission konnte sich mit den Arbeitgebern einigen. In sechs Unikliniken wird seit Mittwochmorgen nicht mehr gestreikt. In den zwölf Wochen Streik ging es vor allem um bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, insbesondere für diejenigen, die direkt mit Patienten arbeiten.
Drei Monaten dauerte das – und ich muss ehrlich zugeben: So wirklich viel habe ich von dem Streik nicht mitbekommen. Natürlich hätte ich mich auch mehr informieren können, aber leider waren meine Medienmenüs mit anderen wichtigen Dingen gefüllt – voll mit journalistischen Kommentaren über eine Frau namens Layla – und dann war da noch diese glamouröse Promi-Hochzeit. Herzlichen Glückwunsch: Ben Affleck und Jennifer Lopez.

Eigentlich ideal: "David-gegen-Goliath-Erzählung"

Die Beziehung indes zwischen Streikenden und Medien scheint leider nicht so liebevoll - wenn man danach geht, wie viel über sie berichtet wird. Der Streik als gesellschaftliches Ereignis ist in seiner Form eigentlich ideal für die Berichterstattung. Es findet eine Störung alltäglicher Abläufe statt. Es gibt Akteure, mit denen man sich solidarisieren kann. Oftmals bietet sich eine David-gegen-Goliath-Erzählung an. Überzeugende Nachrichtenwerte wie beispielsweise die "geographische Nähe" oder die "Negativität" – weil ja hier etwas lautstark kritisiert wird – können bedient werden. Und dennoch werden Streiks bei der medialen Abbildung häufig mit Desinteresse gestraft.
Damit Berichterstattende den Streikenden doch etwas mehr Aufmerksamkeit schenken, müssen sich schon besondere Begebenheiten ereignen. Wenn sich beispielsweise Kinder und Jugendliche für den Umweltschutz einsetzen, können sie als Schulschwänzer verunglimpft werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass ansonsten gar nicht berichtet wird: Dass ein Streik stattfindet, warum er stattfindet und welche Konsequenzen er hat, wird im Geiste der Chronistenpflicht von öffentlich-rechtlichen Sendern wie Zeitungen pflichtbewusst reportiert; nur verschwindet dann das Streikgeschehen zumeist – mit Ausnahmen versteht sich – aus dem Fokus der Berichterstattung. So lange, bis Einigungen - oder eben nicht - erzielt wurden.

Hamburger Hafenstreik: Nur lokal von Interesse

Über den aktuellen Hafenstreik, bei dem in allen wichtigen Nordseehäfen insgesamt 12.000 Beschäftigte ihre Arbeit für höhere Stundenlöhne niederlegten, wurde zwar von Hamburger Medien, wie dem Norddeutschen Rundfunk und der Zeit, erwartbarerweise berichtet; aber in Anbetracht der Tatsache, dass dieser Streik gerade in Zeiten von Ressourcenknappheit die gesamte deutsche Warenversorgung besonders empfindlich lahmlegen könnte, ist das mediale Echo erstaunlich gering.
Das bemerkenswerteste Beispiel dafür, dass Streikende oftmals journalistisch vergessen werden, ist vielleicht ein internationales: Einer der größten Streiks der Menschheitsgeschichte, der 2019 in Indien stattfand. Dort organisierten sich in mehreren Städten insgesamt 200 Millionen Beschäftigte, die ihre Arbeit bei der Post und Bahn, in den Banken und Schulen niederlegten. Dreimal die deutsche Bevölkerung – am Streiken! Doch das interessierte international zu Beginn kaum jemanden. Erst mit Abstand und etwas zäh sickerten Berichte in die mediale Weltöffentlichkeit ein.

Kommentar aus eigener Betroffenheit

Eine Ausnahme - und besonders beliebt bei Bahnstreiks: der journalistische Kommentar, der die Streikenden oder aber die Deutsche Bahn auffordert, es "jetzt endlich mal gut sein zu lassen" – und der vor allem über die Zumutungen für den Kunden spricht. Ich behaupte, diese Form des Kommentars gibt es häufiger, weil die Kommentierenden meist selbst betroffen sind.
Vielleicht sollten die streikenden Beschäftigten, damit ihr Arbeitskampf medial mehr Beachtung findet, einfach mal im Brautkleid auf die Straße gehen und dabei Ballermann-Hits singen. Ich sehe schon die Schlagzeile: Traumhafter Streik in NRW, mit 140 Gästen, alle Pflegekräfte in romantischem Weiß.