Freitag, 19. April 2024

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Kommentar zum Klimaschutz
Die Grünen sind eine isolierte Partei

"Stoppt die Spinner": Nach diesem Motto bremsen SPD, FDP und Union die Grünen und den Klimaschutz aus, meint Georg Löwisch. Das habe seine Ursache ausgerechnet im grünen Erfolg der vergangenen Jahre, so der Chefredakteur von "Christ & Welt".

Von Georg Löwisch | 01.04.2023
Von links nach rechts: Britta Haßelmann, Katharina Dröge, Ricarda Lang, Robert Habeck und Omid Nouripour laufen nebeneinander auf einem Fußweg.
Ihnen fehlen Partner für mehr und schnelleren Klimaschutz: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und die Führungsspitze der Grünen. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Das hat mal wieder sauber geklappt. Robert Habeck und seinen Grünen ist ihre politische Kraft genommen worden, dem Klimaschutz damit ein weiteres Mal das Tempo. Die Konkurrenz macht das routiniert: die SPD und die FDP in der Regierung und die Union in der Opposition. Die Grünen werden als Eiferer hingestellt, die bedrohen, was den Deutschen heilig ist: Heim, Auto, Abendbrot.
Vorsicht, sie wollen neue Autobahnen verhindern, heißt: noch mehr Staus! Achtung, sie reißen die Ölheizungen aus den Kellern! Oh nein, wir müssen bald Insektenburger essen! Das Motto ist stets: Stoppt die Spinner.

Radikale Protestformen schaden den Grünen

Und diese Zerrbilder verfangen. Sie bauen auf uralten Motiven auf: Die irren Grünen, die einst den Protest in Parlamente trugen, langhaarig, laut und ohne Krawatte. Diese alten „Skandal“-Reflexe werden heute von anderen neu ausgelöst - von jungen Klimaaktivisten und ihren radikalen Protestformen, zum Schaden der Grünen.
So kommt es, dass sich die Konkurrenz stark fühlt und diese Woche im Koalitionsausschuss den Klimaschutz bremsen konnte. Die Ziele für die einzelnen Politikfelder, die sogenannten Sektoren, gehen in einer mehrjährigen Gesamtrechnung auf. Die schlechten CO2-Werte aus dem Verkehrssektor können somit verrechnet werden. Eine Menge Autobahnprojekte sollen beschleunigt geplant werden, verziert mit Solaranlagen neben der Leitplanke.
Immerhin haben die Grünen erreicht, dass die Lkw-Maut erhöht wird und für den Bahnverkehr eingesetzt werden kann. Was brächten SPD und FDP wohl klimapolitisch zuwege, wenn sie zu zweit in der Bundesregierung säßen? Diese Woche zeigt: Im Klimaschutz sind die Grünen isoliert.

Tempo beim Klimaschutz löst Angstreflexe aus

In Berlin ist auf Landesebene gerade ein Volksentscheid für mehr Tempo im Klimaschutz gescheitert. Nur 440.000 Menschen stimmten dafür – zu wenige, um die Hürde für einen Erfolg zu überspringen. Und  420.000 Menschen wollten den Klimaschutz lieber nicht beschleunigen. Der Volksentscheid steht dafür, wie viele Menschen sich gegen Klimaschutz mobilisieren lassen. Der Fall macht ein Problem deutlich: das Dilemma mit dem Faktor Zeit. Will Klimaschutz schnell sein, kommt er vielen zu radikal und ruckartig daher und wird zum Schlüsselreiz für Angstreflexe.
Wo kommen aber die Mehrheiten her, die den Klimaschutz vorantreiben? Den Grünen fehlen schlicht die Partner. Das hat seine Ursache ausgerechnet im grünen Erfolg der vergangenen Jahre. Die Grünen sind alles in allem gewachsen. Union, SPD und FDP können das nicht von sich behaupten. Sie reagieren, indem sie sich auf die Grünen beziehen. Alle haben ein bisschen Klima im Angebot, mal etwas sozialer, mal irgendwas mit E-Fuel.

Die Konkurrenz karikiert Robert Habecks Partei

Aber vor allem profiliert sich die Konkurrenz auf Kosten von Wirtschaftsminister Habecks grüner Partei. Was die im Klimaschutz vorhat, wird kritisiert: wirtschaftsfeindlich, freiheitsfeindlich, unsozial. Das Angebot der anderen Parteien besteht darin, die Grünen zu karikieren, zu relativieren und zu revidieren. Aus dieser Rollendefinition der anderen ergibt sich das strategische Problem der Grünen. Sie stehen einsam da. Verrückt: Der Klimaschutz, für die Grünen ist er ein Alleinstellungsmerkmal im bitteren Sinne geworden. Robert Habeck, allein zu Haus.
Aber schlechte Verlierer sind unbeliebt und verlieren noch mehr. Robert Habeck weiß das und kämpft. Er erklärt auf Instagram, er labert bei Lanz. Olaf Scholz verkündet, es gebe „sehr, sehr, sehr gute Ergebnisse”. Habeck sagt tapfer: „Unser Papier enthält sehr, sehr, sehr viele Punkte", darunter Dinge, die er richtig gut finde.

Die Grünen müssten die Provinz als Partner gewinnen

Wo kriegen die Grünen nun Partner her? Auf der Suche könnten sie eher außerhalb der Hauptstadt fündig werden, abseits der Fernsehrepublik. Partnerinnen und Partner für den Klimaschutz könnten Mittelständler sein, die Wärmepumpen oder Dämmstoffe herstellen. Partner sitzen an den Küsten, wo schon Deiche erhöht werden oder in den Tälern, wo die Flüsse zur Gefahr geworden sind. In Berlin spielen sie kaum eine Rolle.
Die Provinz als Partner zu gewinnen, zu mobilisieren, könnte eine klug geführte Partei mit Landes- und Kreisverbänden vielleicht schaffen. Nur dafür bleibt wenig Zeit. Denn die Erde erhitzt sich in enormer Geschwindigkeit: sehr, sehr, sehr rasch.