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Kommentar zu Roger Waters‘ Tournee
Entschlüsselung eines antisemitischen Weltbildes

Der mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontierte Musiker Roger Waters beendet seine Tournee in der Frankfurter Festhalle. Dort wurden 1938 Juden zusammengetrieben, in KZs verschleppt. Eine Verhöhnung der Shoah-Opfer, findet Sebastian Engelbrecht.

Ein Kommentar von Sebastian Engelbrecht |
Pink-Floyd-Mitbegründert Roger Waters beim Auftritt in der Münchner Olympiahalle.
Antisemitismusvorwürfe wurden während seiner Tournee durch Deutschland immer wieder gegen ihn erhoben: Pink-Floyd-Mitbegründert Roger Waters beim Auftritt in der Münchner Olympiahalle. (picture alliance / Jens Niering)
Roger Waters hat sich nach allen Seiten abgesichert. Zu Beginn des Konzerts in Berlin verkündet er per Lautsprecherdurchsage unter dem Jubel seiner Anhänger, das Frankfurter Verwaltungsgericht habe bestätigt, er sei kein Antisemit. Damit brachten die Juristen eine Entscheidung der Stadt Frankfurt am Main und des Landes Hessen zu Fall. Diese hatten das Konzert verbieten wollen.
Der formale Freispruch machte die Bahn frei für Waters‘ Konzerte. Vordergründig ein Triumph für den Musiker. Gleichwohl waren auch die jüngsten Konzerte von Roger Waters Ausdruck eines verklausulierten Antisemitismus. – Wie lässt er sich entschlüsseln?

Judenhass nicht mehr offen sichtbar

Das Waters-Konzert ist eine ununterbrochene politische Kundgebung aus verkürzten Botschaften auf riesigen Videoleinwänden. Der Judenhass ist dabei allerdings nicht mehr – wie bei früheren Konzerten – offen sichtbar, in Gestalt des schwebenden Schweins mit dem Davidsstern auf den Bauch.
Das schwebende Schwein – auf Videos am Himmel und in der Konzerthalle fliegend – bleibt der ästhetische und inhaltliche rote Faden des Abends. Es steht für das, was manche das „Schweinesystem“ nennen. In großen Lettern prangt auf ihm: „Fuck the poor“. Daneben die Logos eines israelischen und eines britischen Rüstungskonzerns.

Die ganze Bühnenshow zeigt Waters‘ Weltbild

Folgt man Roger Waters‘ dualistischem Weltbild, teilt sich die Welt in das Böse, symbolisiert durch das Schwein, und das Gute, symbolisiert durch Waters selbst, den Kämpfer gegen das Böse. Dieses Weltbild zieht sich durch seine ganze Show.
Eine Videoprojektion mit einem fliegenden Schwein vor dem Auftritt des Pink-Floyd-Mitbegründer Roger Waters im Rahmen seiner Deutschland-Tour "This Is Not A Drill" in der Olympiahalle.
Konzert mit umstrittener Symbolik: Das schwebende Schwein als Sinnbild für das "Schweinesystem". (picture alliance / dpa / Angelika Warmuth)
Auf die Seite des Bösen gehören Polizisten in Kampfmontur, israelische Soldaten, Dollarnoten, teure Uhren, die Bibel, Privatflugzeuge, High Heels, Milliardäre, Kampfflugzeuge, Drohnen, US-Präsidenten, Coca-Cola, Panzer, das Schwein und Geschäftsleute mit Aktenkoffern, die mit Schweineköpfen gezeigt werden. Böse sind für Waters Kapitalismus, Faschismus, Krieg, die israelische Besatzung palästinensischer Gebiete und israelische Panzer, die auf palästinensische Zivilisten zielen.
Zum Reich des Guten gehören die Palästinenser, Sophie Scholl, Anne Frank, George Floyd und die palästinensische Journalistin Shireen Abu Akleh, die durch einen Schuss der israelischen Armee getötet wurde.

Israelischer Staat als Inbegriff des Bösen

Waters präsentiert diese Zweiteilung der Welt in Gut und Böse in einem unaufhörlichen Strom aus Bildern und Worten, untermalt mit seinen Liedern, deren Inhalt im Laufe des Konzerts zweitrangig wird. Im Durcheinander der flutenden Eindrücke bleibt aber eins klar: Die Kategorisierung der Welt in Gut und Böse.
Zweifellos steht Israel in dieser Weltanschauung auf der Seite des Bösen – in einer erschütternden Pauschalität: das Schwein, der israelische Rüstungskonzern, die israelische Armee, die israelischen Waffen. Und ohne jeden Zweifel wird der israelische Staat so zum Dämon, zum Inbegriff des Bösen. In infamer Weise nimmt Waters dabei auch noch die deutsche Jüdin Anne Frank für sich und die Seite des Guten in Anspruch, die in einem deutschen Konzentrationslager ermordet wurde.
Seine dichotomische Weltanschauung präsentiert Roger Waters auf demagogische Weise. Ein Beispiel: Auf den Bildschirmen erscheint „Widersteht dem Kapitalismus! Widersteht dem Faschismus! Widersteht dem Krieg“ – und die Masse jubelt. Waters bietet gröbste Vereinfachungen, wie wir sie von Rechtspopulisten kennen. Er selbst wendet Methoden faschistischer Demagogie an und begreift sich als Antifaschisten.

Eine Verhöhnung der Opfer der Shoah

Wie die Verschwörungsmythologen in Corona-Zeiten verteufelt er „die Regierung“, stellt sie auf die Seite des Bösen. Welche Regierung er meint, bleibt offen.
Der Dualismus der Waters-Weltanschauung erinnert frappierend an das offen antisemitische Bild des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf der letzten documenta: Es stellt die gute indigene Bevölkerung des Südens den bösen Kräften des Westens gegenüber: Polizei, Militär, Teufel, Juden, Panzer und dem israelischen Geheimdienst Mossad. Exakt dieselbe Gegenüberstellung kultiviert Waters in seinem Konzert.
Es ist eine Verhöhnung der Opfer der Shoah, dass Waters seine Tournee durch Deutschland in der Frankfurter Festhalle beenden darf – an dem Ort, an dem die Nationalsozialisten im November 1938 jüdische Frankfurter zusammentrieben, misshandelten und in Konzentrationslager verschleppten.