
Das Maß an diplomatischer Koordinierung unter den Europäern ist beeindruckend. Dass Bundeskanzler Merz daran großen Anteil hat, ist offensichtlich, und das ist gut so. Die Europäer sprechen mit einer Stimme, sie legen sich auf gemeinsame Ziele fest. Das ist ungeheuer wichtig, um Gehör zu finden.
Dass die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Bundeskanzler Merz an dem Gespräch zwischen US-Präsident Trump und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj in Washington teilnehmen, ist ein wichtiges Zeichen. Auch andere europäische Staats- und Regierungschefs sowie Nato-Generalsekretär Rutte sind dabei, die sogenannte Koalition der Willigen.
Wer sich mit einem unzuverlässigen Verbündeten wie US-Präsident Trump auseinandersetzen muss, ist gut beraten, geschlossen aufzutreten und klar zu kommunizieren. Das Signal der Europäer ist auch ohne viel Worte zu verstehen. Sie wollen den ukrainischen Präsidenten Selenskyj unterstützen. Beim letzten Treffen im Weißen Haus hatte Trump Selenskyj auf übelste Art und Weise gedemütigt – und ihm sogar die Schuld am Angriffskrieg Russlands gegeben.
Ob sich seitdem ein Erkenntnisprozess bei Trump vollzogen hat – daran kann es berechtigte Zweifel geben. Immer wieder hat sich Trump von Putin vorführen lassen. Und immer wieder zeigte Trump gegenüber Putin eine Haltung, die man mit Fug und Recht unterwürfig nennen kann. Daran wird sich auch nichts ändern.
Trumps Image ist angekratzt
Im Moment ist es aber so, dass Putin verhindert, dass Trump endlich das lästige Kapitel Ukraine abschließen kann. Das lässt Trump auch vor dem heimischen Publikum schwach aussehen. Der angeblich weltbeste Dealmaker und Verhandler versagt im Umgang mit dem Kriegstreiber im Kreml. Das kratzt an Trumps Image.
Bundeskanzler Merz und die Truppe der Europäer, die jetzt einen Platz am großen Esstisch im Weißen Haus bekommen, müssen die Gunst der Stunde nutzen, und einen Konsens mit Trump finden. Wie lange dieser Konsens halten wird, ist völlig unklar.
Taurus-Lieferungen könnten den Druck auf Putin erhöhen
Klar ist aber, dass die Europäer weit besser auf dem diplomatischen Parkett aufgestellt sind, als da, wo es wirklich drauf ankommt. Die Ukraine braucht Waffen, und davon möglichst viel. Munition, Panzer, Flugabwehr, Anti-Drohnen-Drohnen, und vor allen Dingen weitreichende Präzisionswaffen, die Putin da treffen, wo es besonders weh tut: Beim Nachschub, bei der industriellen Produktion, bei der kriegswichtigen Infrastruktur.
Hatte Bundeskanzler Merz nicht die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine gefordert? Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt dafür. Das würde sowohl den schwierigen Trump als auch den gewissenlosen Putin beeindrucken.
Putin reagiert, das hat der Gipfel in Anchorage einmal mehr bewiesen, nur auf militärischen Druck. Erst wenn er zu der Einsicht kommt, dass er diesen Krieg verliert, wird er sich bewegen. Und das heißt, die Europäer müssen ihre Rüstungsproduktion deutlich beschleunigen.
Diplomatie ist wichtig. Diplomatie ohne Machtoptionen ist unwirksam.