
Sicherheitspolitik ist nie nur rational. Wäre sie es, würden Verteidigungsminister Pistorius oder der bayrische Ministerpräsident Söder endlich vom toten Pferd der Wehrpflicht absteigen und stattdessen klar benennen, wobei sie wirklich helfen kann und wobei eben nicht. Eine Wehrpflicht kann dabei helfen, mehr Reservepersonal zu produzieren. Also junge Männer und Frauen, die grundsätzlich wissen, wie man ein Gewehr bedient und die im Spannungsfall schneller mobilisiert werden können. Was eine Wehrpflicht jedoch nicht leisten kann: die Zahl der Zeit- und Berufssoldatinnen und -soldaten zu steigern.
Das darf Deutschland etwa von seinen schwedischen Verbündeten lernen. Die hatten ihre vormals ausgesetzte Wehrpflicht 2017 wieder eingeführt. Seitdem verpflichten sich nach Ableistung des Wehrdienstes allerdings sogar weniger junge Leute beim Militär als in den Jahren davor, als der Dienst noch freiwillig war.
Doch Sicherheit ist eben kein rationales, sondern ein höchst emotionales Thema. Und politisch Verantwortliche sind versucht, ihre Wählerschaft mit scheinbar einfachen Lösungen zu beruhigen. Wenn damit aber die Personalzahlen nicht steigen, entsteht eine Lücke zwischen subjektiver, gefühlter und objektiver, messbarer Sicherheit: Die rund 5000 Soldatinnen und Soldaten, die in zwei Jahren dauerhaft in Litauen stationiert werden sollen, müssen auch wirklich da sein – einsatzbereit, ausgebildet und motiviert. Genauso wie die 35.000 Soldatinnen und Soldaten, die Deutschland laut aktueller Nato-Bündnisverpflichtung im Notfall innerhalb von 30 Tagen stellen soll.
Höchste Zeit also, die Truppe wirklich attraktiv zu machen. Und nein: Es liegt nicht am Geld. Schon heute verdienen freiwillig Wehrdienstleistende rund 1800 Euro, bekommen Unterkunft, Bahn und medizinische Versorgung frei. Ergebnisse der Sozialforschung zeigen viel mehr: Zehnmal wichtiger als Gehalt ist Menschen gute Führung. Dazu gehört explizit ein wertschätzender Umgang, und zwar unabhängig von Hautfarbe oder Geschlecht.
Dass die Realität anders aussieht, berichten Bundeswehrangehörige, die Sensibilisierungstrainings zu sexualisierter Gewalt in der Truppe geben. Geht es um Vergewaltigungen, laute die Standardantwort von Soldaten häufig: “Was ist, wenn die Frau sich das ausgedacht hat?” Die Frauenquote bei den Bewerbungen sank unterdessen in den vergangenen zwei Jahren um zwei Prozentpunkte auf 16 Prozent ab.
Deutschland wird seine Nato-Zusagen nur erfüllen, wenn es gelingt, dauerhaft engagierte Freiwillige zu gewinnen – nicht nur kurzzeitig Verpflichtete. Und eine Wehrpflicht ist kein Ersatz für kluge Personalpolitik.