Griechenland
Auf Kreta wird das Asylrecht infrage gestellt

Die Wege von Geflüchteten aus Nordafrika haben sich verschoben. Boote aus Libyen erreichen vermehrt die griechische Insel Kreta. Dort gibt es keine Infrastruktur für die Hilfesuchenden. Stattdessen greift die Regierung das Asylrecht an.

    In einer Halle sind Dixie-Toiletten an einer Wand aufgestellt. Davor stehen Menschen. Außerdem liegen davor Menschen, teilweise nur auf Kartons. Es ist eine Flüchtlingsunterkunft auf der Insel Kreta.
    Notdürftige Bedingungen: In den Lagern auf Kreta schlafen die Menschen auf den Boden, auch stehen ihnen nur wenige Baustellentoiletten zur Verfügung (picture alliance / NurPhoto / Gene Medi)
    Kreta gehört zu den beliebtesten Urlaubsinseln Griechenlands. Doch in den vergangenen Wochen tauchten auch Bilder von geflüchteten Menschen auf, die an der Küste des Ferienidylls landen. Mehr Hilfesuchende als in den Jahren zuvor erreichen die Insel. Die Behörden sind überfordert, die Regierung in Athen hat die Migrationspolitik verschärft und das Recht auf Asyl ausgesetzt.

    Inhalt

    Wie ist die aktuelle Situation auf Kreta?

    Auf Kreta kommen aktuell deutlich mehr Geflüchtete an als in vergangenen Jahren. Die meisten von ihnen starten ihre Überfahrt aus Libyen. In Booten erreichen sie die Südküste Kretas oder die vorgelagerte kleinere Insel Gavdos. Manche werden auch von der griechischen Küstenwache auf See aufgegriffen.
    Seit Anfang des Jahres sind nach Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen bereits mehr als 10.600 Hilfesuchende an der fünftgrößten Insel des Mittelmeers angekommen. In ganz Griechenland kamen demnach fast 26.800 Geflüchtete an. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren ist die Zahl der Geflüchteten insgesamt im normalen Bereich, dass rund 40 Prozent in Kreta ankommen, ist allerdings neu.
    Die kretische Verwaltung ist mit den Ankommenden überfordert. Die Insel ist auf Touristen eingerichtet, für die Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten gibt es keine Infrastruktur. Obwohl von der Regierung geplant, gibt es immer noch kein Flüchtlingslager.

    Warum kommen mehr Geflüchtete auf Kreta an?

    Es gibt mehrere Gründe, warum derzeit vermehrt Geflüchtete auf Kreta ankommen. Einerseits haben sich Fluchtrouten verschoben. Anstatt von der Türkei in Richtung der ägäischen Inseln wie Lesbos und Samos zu gelangen, fliehen viele Menschen direkt von Ostlibyen nach Kreta oder zur südlich vorgelagerten Insel Gavdos.
    Da türkische und griechische Behörden inzwischen enger in der Ägäis zusammenarbeiten, sind die zuvor genutzten Fluchtwege nicht mehr so aussichtsreich. Auch in anderen Gebieten des Mittelmeers ist es für Asylsuchende schwieriger geworden. So arbeitet Tunesien enger mit Italien und der EU zusammen.
    Es gibt die Vermutung, dass anfangs einige Geflüchtete, die eigentlich von Libyen nach Italien wollten, aufgrund von Seenot auf Kreta und Gavdos gelandet sind. Das habe zur Verfestigung der Route beigetragen, erklärt Eleftherios Papayanakis von der Hilfsorganisation Greek Council for Refugees. „Kreta ist zu einem der Zwischenziele ihrer Reise geworden.“
    Die griechische Regierung mutmaßt zudem, die Geflüchteten würden als politisches Druckmittel eingesetzt. Der in Teilen Ostlibyens herrschende Warlord Chalifa Haftar missbrauche die Menschen, ähnlich wie Belarus gegenüber den baltischen Staaten und Polen. Die rechtskonservative Regierung von Premier Kyriakos Mitsotakis nutzt diese Argumentation der „Instrumentalisierung der Migration“ als Begründung für ihre Maßnahmen.

    Wie geht es mit den Geflüchteten nach ihrer Ankunft weiter?

    Auf Kreta gibt es kein Flüchtlingslager. Deswegen sind die Asylsuchenden nur einige Tage auf der Insel. Nach ihrer Ankunft werden sie in einen der südlichen Hafenorte gebracht. Von dort werden sie in der Regel mit Bussen in improvisierte Lager rund um die größeren Städte Chania, Rethymno und Heraklion transportiert. Dabei handelt es sich um alte Lager- oder Messehallen, teilweise auch Zelte auf Fußballplätzen. Die Versorgung mit Essen und die medizinische Betreuung liegen bisher bei den Gemeinden sowie Freiwilligen etwa des Roten Kreuzes.
    Die Bedingungen sind schlecht. Die Menschen schlafen auf dem Boden, oft nur auf Kartons oder Decken, es gibt nur Baustellenklos und improvisierte Duschen, wie Journalisten berichten. Der Ausgang ist stark eingeschränkt: Die Menschen dürfen nur zum Essen oder einzeln für den Toilettengang heraus. Ihre Handys werden ihnen abgenommen. Bis zu zehn Tage harren die Geflüchteten in den Unterkünften aus, bevor sie aufs Festland gebracht werden.

    Wie reagiert die griechische Regierung?

    Die griechische Regierung reagiert auf die vermehrte Ankunft von Geflüchteten auf Kreta mit einer Verschärfung der Migrationspolitik. Premierminister Kyriakos Mitsotakis argumentiert mit einer „außerordentlichen Lage“ und der „Instrumentalisierung der Migration“ durch Kräfte in Libyen.
    Die gravierendste Maßnahme der Athener Regierung ist die Aussetzung des Asylrechts. Seit Juli wird die Bearbeitung von Asylanträgen für Menschen ausgesetzt, die über den Seeweg nach Griechenland kommen, verkündete Mitsotakis. Das Vorgehen zielt vor allem auf die Geflüchteten auf Kreta. Die Maßnahme soll drei Monate gelten.
    Neu ankommende Geflüchtete werden direkt festgenommen und in Abschiebehaft genommen. Ziel ist hierbei eine schnelle Abschiebung in die Herkunfts- bzw. Abreiseländer. Es soll sogar Angebote an die Geflüchteten geben: fünf Jahre Haft oder freiwillige Rückkehr. Dabei ist teilweise unklar, woher die Menschen kommen.
    Außerdem soll die griechische Marine ihre Präsenz im Mittelmeer verstärken. Ziel ist, Boote mit Geflüchteten frühzeitig abzufangen. Dafür will Griechenland etwa Kriegsschiffe außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer stationieren, um die libyschen Behörden darüber zu informieren, wenn sich Geflüchtete auf die Überfahrt begeben.

    Wie wird das Vorgehen Griechenlands beurteilt?

    Das Vorgehen der Regierung des rechtskonservativen Premierministers Kyriakos Mitsotakis gegen Geflüchtete wird von Juristen und Menschenrechtsorganisationen kritisiert. So sagt der griechische Jurist und Ombudsmann Andreas Pottakis, dass das pauschale Aussetzen des Asylrechts gegen die griechische Verfassung verstößt. Pottakis sieht ebenfalls Verstöße gegen internationale Übereinkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention oder die Menschenrechtskonvention der Europäischen Union.
    Auch der Kommissar für Menschenrechte des Europarats, Michael O’Flaherty, hat im Juli die Mitglieder des griechischen Parlaments aufgerufen, gegen die Aussetzung des Asylrechts zu stimmen. Damit würde gegen Verpflichtungen aus verschiedenen Menschenrechtskonventionen verstoßen, so O’Flaherty in einer Stellungnahme. In dieser wies er darauf hin, dass „die humanitäre Lage beherrschbar wäre, wenn die Behörden rechtzeitig auf die mangelnden Aufnahmekapazitäten reagiert hätten“.
    Daniel Thym, Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz, stellt fest: „Eigentlich darf Griechenland das nicht.“ Jede Person, die an der EU-Außengrenze – wie etwa Kreta – einen Asylantrag stelle, müsse den Asylbehörden übergeben werden, die dann den Schutzbedarf prüften, so der Direktor des Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht. Die geplante Rückführung ohne Prüfung birgt die Gefahr, das Refoulement-Verbot zu verletzen, also Menschen in Situationen zurückzuschicken, in denen ihnen Verfolgung droht.
    Die Juristin Katerina Drakopoulou verweist auf einen weiteren Aspekt. Die Regierung versuche, ein rechts Wählerspektrum zu gewinnen und zugleich von anderen politischen Themen abzulenken, so die Anwältin, die sich im Greek Council for Refugees engagiert. Die NGO setzt sich für die Rechte von Geflüchteten in Griechenland ein und vertritt sie auch in Prozessen. Unter anderem solle mit dem polarisierenden Thema Migration ein großer Wirtschaftsskandal aus der Öffentlichkeit verdrängt werden. Bei diesem gehe es um hunderte Millionen Euro aus EU-Agrarfördermitteln, die veruntreut worden sein sollen. Im Fokus steht dabei: Kreta.

    rzr