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Krichbaum: Krise in Frankreich ist auch strukturell bedingt

Wenn Frankreich mehr Zeit zum Sparen bekomme, müsse man das anderen Staaten auch zugestehen, warnt der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum. Die EU müsse zudem kontrollieren, ob das Land den zusätzlichen Spielraum tatsächlich nutze.

Gunther Krichbaum im Gespräch mit Christiane Kaess | 07.05.2013
    Christiane Kaess: Erst am vergangenen Freitag hatte die EU-Kommission die Sparziele in Europa aufgeweicht: Frankreich und Spanien sollen mehr Zeit bekommen, um ihre Staatshaushalte zu sanieren und die Neuverschuldung unter die im Stabilitätspakt erlaubten drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken. Die übrigen EU-Länder müssen dieser Verlängerung noch zustimmen, den zeitlichen Spielraum sollten die betroffenen Länder für umfassende Reformen nutzen, so dachte man es sich zumindest bei der EU-Kommission. Am Wochenende freute man sich aber in Paris über das Ende des – so wörtlich – "Austeritäts-Dogmas" in der EU, also das Ende des Sparens, so nannte es Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici. Er, sein deutscher Amtskollege Wolfgang Schäuble und die Notenbankchefs beider Länder kommen heute in Berlin zum deutsch-französischen Finanzrat zusammen.

    Am Telefon ist jetzt Gunther Krichbaum von der CDU, er ist Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag. Guten Morgen!

    Gunther Krichbaum: Schönen guten Morgen!

    Kaess: Herr Krichbaum, was sollte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Ihrer Meinung nach seinem französischen Amtskollegen heute sagen?

    Krichbaum: Also ich gehe davon aus, dass die wahren Ratschläge hinter der verschlossenen Türe gegeben werden.

    Kaess: Deswegen sind sie ja besonders interessant.

    Krichbaum: Und das ist ja auch gut so zunächst, und ich widerspreche Bundesfinanzminister Schäuble auch nicht an der Stelle, dass es keinen Sinn macht, in eine konjunkturelle Krise hinein zu sparen. Allerdings muss man schon etwas den Finger in die Wunde legen und auch darauf hinweisen, dass die Krise in Frankreich keineswegs nur konjunkturell bedingt ist, sondern eben auch strukturell.

    Kaess: Wo sehen Sie da genau die Ursachen?

    Krichbaum: Ja, über die letzten Jahre sind natürlich gerade auch in Frankreich die Lohnstückkosten sehr nach oben gegangen, Frankreich hat insgesamt an Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten verloren – man nehme als Beispiel nur die Automobilindustrie, nehmen Sie als Beispiel PSA, also hier der Konzern Peugeot Citroën –, und deswegen muss man eben auch schauen, wo muss man hier genauer ansetzen. Dafür gibt es das sogenannte Europäische Semester mit seinen länderspezifischen Empfehlungen, das ist hier sehr viel "Technikkram", hat aber eben alles seinen tieferen Sinn, denn wir müssen eben schauen, dass die Länder sich insgesamt fit machen für den internationalen Wettbewerb. Da gibt es für Frankreich an der Stelle keine Ausnahme, und man muss eben immer auch darauf hinweisen: Das, was man jetzt Frankreich zugesteht oder anderen Ländern zugestehen will, das muss man eben auch allen zugestehen, und da erinnere ich nur etwas an die Geschichte, denn der Stabilitätspakt wurde seinerzeit 2003, 2004 aufgeweicht durch Schröder, durch Chirac, also sprich durch Deutschland und Frankreich, und andere Länder folgten dann diesem schlechten Beispiel.

    Kaess: Ja, aber Herr Krichbaum, wenn es so ist, wie Sie es gerade dargestellt haben, dass die Krise in Frankreich selbst verschuldet ist, dann sollte doch die Bundesregierung Frankreich nicht mehr Zeit zum Sparen geben, oder?

    Krichbaum: Also wir sollten hier differenzieren, das heißt, man kann mehr Zeit zum Sparen geben, aber die Frage ist ja dann, was passiert mit dieser Zeit, und vor allem, was passiert dann mit diesem Geld. Werden diese haushaltspolitischen Spielräume, die ja dann geschaffen werden, werden diese eben investiert oder wird hier konsumiert? Und das ist eben die spannende Frage. Hier muss dann an der Stelle die Kommission ganz genau draufschauen, und wie gesagt, bei allen Sonderwegen bin ich da sehr skeptisch, weil zunächst einmal dann auch geschaut werden muss, wie wird dann mit dem Geld und wie wird mit dem Spielraum umgegangen.

    Kaess: Aber genau um dieses Problem geht es ja, wenn EU-Finanzkommissar Olli Rehn am Freitag noch sagt, die verlängerte Frist für weitere Reformen … müssen für weitere Reformen genutzt werden, dieser weitere zeitliche Aufschub, und auf der anderen Seite steht die Aussage des französischen Finanzministers, der sich freut über ein Ende des Austeritäts-Dogmas in der EU, und spricht von einer Wende in der Geschichte des europäischen Projekts seit Einführung des Euro. Da passt doch was nicht zusammen, oder?

    Krichbaum: Also die letzteren Aussagen des französischen Finanzministers passen da ohnehin nicht herein. Bei der Europäischen Kommission wäre ich jetzt schon froh, wenn sie ihrer Linie mehr treu bleiben würde und man sich jetzt eben auch an die getroffenen Absprachen hält. Weil wir dürfen eben nie vergessen: Worin hatte die Krise ihren Ursprung? Gerade hier in Europa war es eine Vertrauenskrise. Die internationalen Finanzmärkte hatten ihre Zweifel daran, ob bestimmte Staaten ihren Rückzahlungsverpflichtungen würden nachkommen können. Und deswegen muss genau dort angesetzt werden, dieses verloren gegangene Vertrauen wieder zurückgewonnen werden. Das erringt man am besten dadurch, dass man glaubwürdige Haushalte aufstellt, dass man eben auch die Signale gibt. Deswegen, es wurde hier schon viel erreicht, das zeigen auch die Anleihezinsen gegenwärtig auf den Märkten, das ist gewissermaßen ein Vertrauensbarometer, und deswegen ist es jetzt besonders wichtig, natürlich auch dieses Vertrauen nicht zu verspielen.

    Kaess: Und wo sehen Sie denn Einsicht in Frankreich nach diesen Aussagen vom Wochenende? Das geht doch genau in die andere Richtung!

    Krichbaum: Ich sehe es ja im Gegenteil jetzt noch nicht, und deswegen muss man hier noch mal vielleicht auch im stillen Kämmerlein darauf hinwirken, dass hier keine Fehlinterpretationen stattfinden, sondern dass Frankreich sich selbst den größten Gefallen tut und seinen Bürgern, wenn die Reformen entschlossen angepackt werden, das sind Strukturreformen, man denke nur an die Sozialversicherungssysteme, an das Rentenversicherungssystem, das Renteneintrittsalter in Frankreich ist bedeutend geringer als in Deutschland, da könnte man eine ganze Liste jetzt aufzählen, darum geht es jetzt gar nicht.

    Kaess: Aber das weiß man ja in Frankreich, und das wird ja auch diskutiert. Passieren tut trotzdem nichts.

    Krichbaum: Sie sagen es, es wird da sehr viel diskutiert, aber jetzt ist natürlich auch Präsident Hollande darin gefordert, die Dinge auch umzusetzen.

    Kaess: Auf der anderen Seite, Herr Krichbaum, Frankreich, Spanien und die Niederlande verfehlen das Sparziel dieses Jahr, das sind drei der fünf größten europäischen Volkswirtschaften. Was bleibt denn eigentlich anderes übrig, als die Sparziele aufzuweichen, wenn es nicht einmal die schaffen?

    Krichbaum: Also zunächst ist wie gesagt der Ausgangspunkt nach wie vor der, dass wir eine konjunkturelle Krise haben in Europa. Allerdings, gerade wenn wir jetzt die Länder miteinander vergleichen, fällt schon auf, dass die Voraussetzungen da höchst unterschiedliche sind, gerade die Niederlande, weil Sie sie erwähnt haben, ist von den konjunkturellen Einbrüchen ganz besonders betroffen, weil es da um bestimmte Branchen geht. In Spanien haben wir natürlich nach wie vor die sehr belastende Immobilienkrise. Deswegen, die Banken sind hiervon sehr, sehr stark betroffen und damit mittelbar natürlich auch der Staat. Hier würde ich mich nicht von vornherein gegen eine Streckung der Ziele aussprechen, weil Spanien sich auch auf einem guten Weg befindet, so wie andere Länder auch, aber wir müssen eben auch diese Wege entschlossen weitergehen in den betreffenden Ländern, und noch einmal, wenn man eben hier jetzt einseitig für Spanien oder Frankreich die Sparziele verlängern möchte, muss man sich im selben Moment fragen, was geschieht dann eben hier mit einem Programmland wie Irland, mit einem Programmland wie Portugal oder anderen Ländern, die hier ihrerseits natürlich ihre Schwierigkeiten haben. Ich kann nicht dem einen etwas zugestehen, was ich dem anderen verweigere.

    Kaess: Steht Deutschland mit seinem strikten Sparkurs bald alleine da in Europa?

    Krichbaum: Das denke ich nicht, im Übrigen stand auch in der Vergangenheit Deutschland nie alleine da, gerade natürlich, weil sie die Niederlande eben erwähnt hatten, sind die Niederländer hier nicht von Deutschland entfernt. Sie wissen sehr, sehr gut um die Konsolidierungspolitik und die Notwendigkeit, Vertrauen zurückgewinnen zu müssen, das gleiche gilt aber auch für Finnland und viele andere Länder, nur Deutschland wird gewissermaßen wie ein Synonym dafür gesehen, aber es sind viele andere Länder innerhalb der Europäischen Union und vor allem der Eurozone, die das genau so sehen.

    Kaess: Die Einschätzung von Gunther Krichbaum von der CDU. Er ist Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Morgen!

    Krichbaum: Ich danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.