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Betrug mit Schockanrufen
Wie Kriminelle ihren Opfern Angst einjagen und abkassieren

Polizei und Opferhilfevereine warnen vor sogenannten Schockanrufen: Vor allem älteren Menschen wird am Telefon zum Beispiel vorgegaukelt, Sohn oder Tochter hätten einen schweren Unfall verursacht und nun müsse eine horrende Kaution gezahlt werden. Die Strafverfolgung ist schwierig, Prävention umso wichtiger.

Von Peggy Fiebig | 02.08.2022
Die Hand eines älteren Menschen hält ein Telefon in der Hand. Vor allem Seniorinnen und Senioren werden Opfer von Telefonbetrug
Vor allem Seniorinnen und Senioren werden Opfer von Telefonbetrug, etwa durch den sogenannten Enkeltrick oder durch Schockanrufe (imago images/Fotostand/K.Schmitt)
Folgendes Telefonat hat das Berliner Landeskriminalamt erst vor wenigen Wochen mitgeschnitten:
„Hallo Mama, ich hatte einen ganz schrecklichen Autounfall...ich hab eine Frau überfahren...und die ist jetzt tot. Ich sitz bei der Polizei, ich kann nicht mehr, ihr müsst mit der Polizei sprechen. Ihr müsst mir helfen.“
Das Schluchzen dauert noch etwas an, dann wird der Hörer weitergereicht. „Hallo, grüß Sie, Schreiber von der Kriminalpolizei. Mit wem spreche ich?“
Die freundliche Stimme erfragt den vollen Namen und die genaue Adresse. Und sie weist darauf hin, dass nun eine Schweigepflicht besteht. „Also heißt das, bei Ihnen gilt Schweigepflicht. Sie dürfen es keiner dritten Person sagen, was heute geschehen ist.“
Ihre Tochter habe eine rote Ampel missachtet und eine Frau überfahren, eine zweifache Mutter, die in der Folge verstorben sei. Der Tochter werde fahrlässige Tötung vorgeworfen, erklärt die vermeintliche Polizistin, und deshalb drohe eine Untersuchungshaft von drei bis sechs Monaten. Die könne aber mit der Zahlung einer Kaution von 15.000 Euro vermieden werden. Hier wird die Angerufene skeptisch und fragt nach, offenbar etwas zu kritisch und zu viel. Denn wenige Augenblicke später bricht die Aufzeichnung des Gesprächs ab: Die Anrufer haben aufgegeben.

Schockanruf - eine Variante des Enkeltricks

Die Polizei bezeichnet diese Betrugsmasche als Schockanrufe. „Der Schockanruf ist eine Variante des Enkeltricks“, erläutert der Berliner Kriminalbeamte Lothar Spielmann. Während aber beim klassischen Enkeltrick jemand anruft, sich als Enkel ausgibt und dann eine "einmalige Gelegenheit" zum Kauf beispielsweise einer Immobilie oder eines Autos anbietet, wird das Opfer beim Schockanruf durch eine schlechte Nachricht, meist einen Verkehrsunfall, in Panik versetzt. Und in dieser Situation glauben viele der meist älteren Angerufenen, dass sie am anderen Ende der Leitung tatsächlich den eigenen Sohn oder die eigene Tochter hören.
Themenbild - Enkeltrick, Neffentrick, Telefontrick, Telefonbetrug. Eine ältere Frau telefoniert mit ihrem Telefon
Opfer von Betrügern, die mit dem Enkeltrick, Neffentrick oder mit Schockanrufen arbeiten, sind meist ältere Menschen (picture alliance / Eibner-Pressefoto)
Noch seriöser soll das Ganze dadurch wirken, dass sich zusätzlich ein vermeintlicher "Rechtsanwalt" oder ein "Staatsanwalt" einschaltet, manchmal sogar ein "Richter". Im Wesentlichen laufe das immer nach demselben Muster ab, erklärt Lothar Spielmann: „Sie bekommen einen Anruf. Überwiegend eine Frau gibt sich völlig aufgelöst hilflos, weinend, am Telefon als Angehörige aus, lässt sich als Angehörige erraten und sagt Mutti, ich habe einen Verkehrsunfall gehabt, und ich habe jemanden getötet oder schwer verletzt. Aber, und dann kommt jetzt gleich die Rettung: Ich habe hier einen Polizeibeamten oder Staatsanwalt und die wollen mir helfen und den gebe ich Dir jetzt mal.“

Viele fallen auf den Trick rein

Dann übernehme dieser weitere Gesprächspartner das Telefonat – mit dem Angebot: Gegen Kaution kommt die Person frei, muss nicht in Untersuchungshaft. „Und in dieser Situation, dieser Schocksituation, deshalb auch Schockanruf, sind die Personen, die angerufen werden, auch wirklich geschockt. Und deshalb kommt es dann leider auch dazu, dass viele auf diesen Trick reinfallen.“
Die Masche funktioniert: Fast jede Woche geht mindestens ein entsprechender Fall durch die Medien.
  • "Betrüger stehlen 81-jähriger Seniorin aus Schönebeck Geld"
  • "Pforzheim: Unbekannte erbeuten mehrere Tausend Euro"
  • "Schockanruf in Bühl – Telefonbetrüger erbeuten 50.000 Euro"
Auch Familie Sträter aus Bonn bekam vor einigen Wochen einen solchen Anruf. "Fast ähnlich, die Grundstruktur war die gleiche", erzählt Burkhard Sträter. Der 72-jährige Rechtsanwalt hatte das Telefonat entgegengenommen, ihm wurde erzählt, seine Tochter habe einen Unfall verursacht und dabei sei ein Kind zu Tode gekommen. Auch er hörte eine aufgelöste, weinende Frau am Telefon.

Das Gefühl mit der eigenen Tochter zu sprechen

„Und man hatte das Gefühl mit der eigenen Tochter zu sprechen. Das ist ja so eine Mischung: Einmal die Schocksituation, die Wahrnehmung ist getrübt. In dem Zustand hat man dann Mühe zwischen Fake und Realität zu unterscheiden.“
„Du kommst ja nicht darauf, sofort zu sagen, bei so einem Anruf: Hören Sie, das ist ein Fake, jetzt lassen Sie mich mal in Ruhe. Sondern, weil das so glaubhaft und authentisch rüberkommt, dann denkst Du: Ja klar, kann ja auch passieren. Es ist ja nicht so, dass das nicht passieren kann“, sagt Ehefrau Friederike Sträter.
Auch den Sträters wurde nun also angeboten, die drohende Haft der Tochter abzuwenden - durch die Zahlung einer Kaution von 60.000 Euro. Weil so viel Bargeld aber nicht im Haus war, schlug Burkhard Sträter eine Blitzüberweisung vor. Darauf aber wollten sich die Anrufer nicht einlassen.

Bei einer Kaution in Goldbarren war Schluss

„Nein, nein, also, wenn Sie das Geld nicht haben, können Sie auch Goldbarren oder Schmuck. Das war also der Moment, wo bei mir also der Groschen fiel. Also eine Kaution ans Gericht über Goldbarren, jetzt ist aber Schluss hier. Da hatte ich mich dann wieder auch gefangen und dann haben wir den Spuk beendet, indem ich dann meine Tochter angerufen habe und sie tatsächlich an der Strippe hatte.“
Eine über 90-jährigen Dame zählt mehrere hundert Euro in Geldscheinen in einer kleinen Schatztruhe ab
Betrüger fordern oft Bargeld (picture alliance / Matthias Balk)
Dieser Fall ist gut ausgegangen, aber spurenlos geblieben ist er nicht, sagt der Jurist. „Wie tief der Schock sitzt, sieht man ja daran, ich habe ja versucht, das zu erzählen, da ist mir ja wieder die Spucke weggeblieben. Also ich bin Anwalt und gewohnt zu plädieren, aber das zeigt, wie einem das unter die Haut geht.“
Anzeige haben die Sträters nicht erstattet – auch, weil sie sich davon nichts erhoffen. Aber sie erzählen in ihrem Bekannten- und Freundeskreis, was ihnen passiert ist und dass sie den Betrügern fast auf den Leim gegangen wären. Sie wollen aufmerksam machen und warnen, damit auch andere nicht auf den Trick hereinfallen.

Viele Opfer verheimlichen den Vorfall

Viele Opfer hingegen versuchten, solche Vorfälle zu verheimlichen, erzählt Ingo Sorgatz vom Weißen Ring. Bei dem Opferhilfeverein beobachtet man seit einigen Monaten eine Zunahme der sogenannten Schockanrufe. Die Opfer fühlten sich oft in einer doppelt schwierigen Lage, erläutert Sorgatz: „Sie haben ja, wenn sie geschädigt sind durch solch ein Delikt, haben ja vielleicht ihr ganzes Erspartes vor die Haustür gelegt, die Münzsammlung oder was auch immer ist weg. Und zum anderen ist es Ihnen auch viel zu peinlich, sich zu öffnen und es überhaupt der nahen Verwandtschaft zu erzählen.“
Manche der Betrogenen hätten Angst, dass die Täter wiederkommen könnten, berichtet Ingo Sorgatz. Gerade, wenn sich die Opfer an die Polizei gewandt und Anzeige erstattet hatten, aber die Täter nicht gefasst wurden. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Weißen Rings stellt sich dann die Frage: „Wie nehmen wir den Leuten die Angst. Diese Ängste mögen im konkreten Fall unbegründet sein, weil man es sicherlich kein zweites Mal versuchen wird, aber es ist ja subjektiv empfunden. Und der Stachel sitzt so tief, dass die Leute sehr verschüchtert sind.“

Genaue Zahlen liegen nicht vor

Schockieren, einschüchtern, abkassieren: Das ist die Masche. Wie oft es solche Schockanrufe in Deutschland gibt und wie oft die Betrüger damit ans Ziel kommen, das ist allerdings schwer zu sagen. Zum einen wird das Phänomen in den Bundesländern ganz unterschiedlich registriert, mal als Sonderform des Enkeltricks, mal ganz allgemein als Betrugsdelikt. Der Stadtstaat Hamburg macht es anders: Hier wird auch die Art des Betrugs erfasst. Dieser Statistik zufolge wurden allein im ersten Halbjahr 2022 in der Hansestadt 665 Fälle von Schockanrufen gezählt, in 26 Fällen waren die Täter erfolgreich. Sie erbeuteten insgesamt mehr als eine Million Euro.
Es sei wichtig, auch fehlgeschlagene Betrugsversuche bei der Polizei zu melden, sagt Kriminaldirektor Lothar Spielmann. Denn die Anzeigen bildeten den Ausgangspunkt für polizeiliche Ermittlungen. „Die Verbindungsaufnahme erfolgt ja telefonisch, und damit sind für uns bestimmte Standardmaßnahmen, die ich jetzt hier nicht weiter darstellen möchte, einfach erstmal angesagt. Und dann versuchen wir aus den Erkenntnissen heraus, weitere Ermittlungsmöglichkeiten zu generieren.“

Drahtzieher agieren überwiegend von Polen aus

Den bisherigen Ermittlungen des Berliner Landeskriminalamtes zufolge agieren die Drahtzieher überwiegend von Polen aus. „Das ist ein „Familiengeschäft“, in Anführungsstrichen! Innerhalb der Familie guckt man sich halt denjenigen aus, der verbal am geschicktesten agiert, der verbal am besten in der Lage ist, mit den Opfern zu sprechen und in diesem Mischmasch aus Mitfühlen und Einfühlen aber auch Drohen und unter Druck setzen dann tatsächlich situativ auf die angerufene Person so eingeht, dass sie am Ende das machen, was sie machen wollen.“
Die betrügerischen Anrufer werden bei der Polizei als Keiler bezeichnet, daneben gibt es die sogenannten Logistiker, die die Übergabe von Geld oder Wertgegenständen koordinieren, und letztlich die Abholer. „Und das können Sie aus einer relativ großen Familienstruktur heraus problemlos bewerkstelligen. Da brauchen Sie keine große Logistik im Hintergrund. Ein paar Prepaid Handys und im Prinzip einen Zettel und einen Bleistift.“

Telefonbucheintrag besser löschen

Die Täter suchen ihre potenziellen Opfer im Telefonbuch, dort halten sie Ausschau nach Vornamen, die auf ein höheres Alter schließen lassen. Jüngere Leute stünden ohnehin meist gar nicht mehr im Telefonbuch, gibt der Kriminaldirektor zu Bedenken und rät älteren Bürgern deshalb sogar, ihren Eintrag löschen zu lassen.
Sollten die Täter bei ihrer Recherche mal danebenliegen und der oder die Angerufene ist vielleicht doch jünger oder hat gar keine Kinder, dann wird eben aufgelegt und die nächste Nummer gewählt. Weitere Details über mutmaßliche Täter, ihre Vorgehensweise, Vernetzung und wie die Ermittlungen derzeit laufen, darüber muss der Polizeibeamte schweigen: „Ich kann aus ermittlungstaktischen Gründen dazu jetzt nichts sagen, wir sind hier ganz eng mit unseren polnischen Kolleginnen und Kollegen in den Ermittlungen und da sehr engagiert. Und da wollen wir erstmal in Ruhe weiter ermitteln.“

Deutsch-polnische Ermittlergruppe

Die Zusammenarbeit zwischen den Berliner und polnischen Ermittlern läuft bei der Aufklärung von Schockanrufen über ein so genanntes JIT – ein Joint Investigation Team – also eine gemeinsame Ermittlungsgruppe.
„Das sieht also so aus, dass die beiden Staatsanwaltschaften als die Hauptakteure einen Vertrag schließen und es damit vereinfacht gesagt möglich ist, dass beide Seiten direkt und unmittelbar zusammenarbeiten. Und nicht über den Weg der internationalen Rechtshilfe, der ja doch sehr zeitaufwändig und schwierig und langwierig ist. Und im Ergebnis können wir jetzt auf direktem Weg mit unseren polnischen Kolleginnen und Kollegen kommunizieren, uns absprechen. Wir treffen uns vor Ort, sprechen die weitere Vorgehensweise ab.“

Bande ausgehoben

Ende Mai konnte das Team einen bedeutsamen Erfolg verkünden. Gemeinsam mit Europol sowie der Polizei und den Staatsanwaltschaften aus Hamburg, Köln und Osnabrück konnten die Ermittler insgesamt 20 Tatverdächtige festnehmen. Der geschätzte verhinderte Schaden beläuft sich auf 3,4 Millionen Euro. Allein in Berlin gingen den Ermittlern sechs mutmaßliche Abholer im Alter zwischen 19 und 53 Jahren ins Netz.
„Und während wir uns hier um die Abholer Seite gekümmert haben, haben die polnischen Kolleginnen und Kollegen das Callcenter sozusagen gestürmt und die Anrufer da und die Logistiker festgenommen und da sind dann auch entsprechende Folgemaßnahmen durchgeführt worden.“

Logistiker und Abholer

Die Beamten beschlagnahmten Bargeld, aber auch Beweismaterial wie Mobiltelefone und Laptops. Deren Auswertung und auch weitere umfangreiche Ermittlungen dauern noch an. In Berlin wurden schon wenige Wochen nach den Festnahmen zwei Abholer angeklagt. Staatsanwältin Miriam Starke warf dem Mann und der Frau banden- und gewerbsmäßigen Betrug vor, was mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Die Justiz war in diesem Fall schnell: Nur knapp einen Monat nach den Verhaftungen kam das Urteil, berichtet Miriam Starke.
„Das war ein Kurierfahrer und eine Abholerin, die Abholerin ist zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung und der Kurierfahrer ist zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten ohne Bewährung verurteilt worden.“

Schwierige Beweislage für die Polizei

Das Urteil fiel deutlich milder aus, als Miriam Starke gehofft hatte. Das Gericht war nicht überzeugt, dass die beiden gewerbsmäßig handelten, also die Absicht hatten, sich durch ihre Straftaten eine dauerhafte Einnahmequelle zu verschaffen. Deshalb wurden sie nur wegen bandenmäßigen Betrugs verurteilt.
„Es ist natürlich häufig so, dass wir Abholerinnen und Abholer, wenn wir sie festnehmen können, auf frischer Tat betreffen. Das bedeutet, wir haben dann diese eine Tat, die wir nachweisen können. Und häufig bleibt es dann auch bei dieser einen Tat. Dann stellt sich natürlich auch die Schwierigkeit, wenn ein Tatbeteiligter, wie der Kurierfahrer oder die Kurierfahrerin im Auto sitzen bleibt, der Nachweis, was wussten die Täter oder Täterinnen, inwieweit waren sie in diese Bandenstruktur eingebunden.“
Ein schnelles Urteil – das wertet die Staatsanwältin als Erfolg. Eine Seltenheit – im Vergleich zu den vielen Fällen, die sie nicht abschließen kann: „Was frustet, ist, dass wir viele Unbekannt-Verfahren haben und eben nicht dazu kommen, jemanden namhaft zu machen.“

Viele Verfahren laufen noch

Allein bei der Staatsanwaltschaft Berlin liegen noch mehr als 500 Verfahren, bei denen die Täter bisher noch nicht ermittelt werden konnten. Die Strafverfolgung ist das eine – mindestens ebenso wichtig ist aber wohl die Prävention, die Aufklärung, die Stärkung der potentiellen Opfer. Wer sich darüber im Klaren ist, dass es solche Betrugsmaschen gibt und wie man darauf reagieren kann, ist von vorneherein besser geschützt. Michael Kühl ist beim Landeskriminalamt Berlin einer von zwei Ansprechpartnern für die Seniorensicherheit.
„Kriminalprävention für Senioren, das heißt im Grunde: Tricktaten, Trickbetrüger, die es auf das Geld, auf das Vermögen von Senioren abgesehen haben – das ist unser Hauptthema. Da informieren wir Senioren, was gerade für Taten aktuell sind und wie man sich davor schützen kann."
In der monatlich stattfindenden Bürgerberatung geht es beispielsweise um den klassischen Enkeltrick, aber auch um Variationen davon. Denn die Betrüger lassen sich immer wieder etwas Neues einfallen, seien es Anrufe von vermeintlichen Polizisten vom Bundeskriminalamt oder von Europol, die wegen behaupteter Einbrüche in der Nachbarschaft Schmuck und Wertsachen in Sicherheit bringen wollen. Oder von angeblichen Verwandten, die vorgeben, sich mit Corona angesteckt zu haben und nun für ein Medikament mehrere tausend Euro borgen wollen. Seit gut einem halben Jahr berät Michael Kühl die Senioren auch zu den Schockanrufen.

Kriminalprävention für Senioren

“Wir treten auch mit ganz vielen Kommunen in Verbindung. Kirchengemeinden treten mit uns in Verbindung, die laden dann ihre Kirchenmitglieder ein zu Veranstaltungen, wo wir dann auch referieren. Wohnungsbaugesellschaften laden uns ganz häufig ein.“
Die Präventionsstelle informiert etwa auch Taxiunternehmen, damit die Fahrer mal nachfragen, wenn sich ein älterer Gast nervös zur nächsten Bank bringen lässt. Auch Bankangestellte bittet Kühl um Vorsicht. „Banken sind ganz wichtig, weil, wenn eine ältere Dame, ein älterer Herr, Geld abhebt – außergewöhnlich hohe Summen – sollte der Bankangestellte natürlich aufmerksam werden. Die wissen auch um das Thema und die werden auch regelmäßig immer wieder von uns, von der Prävention, aber auch vom Fachkommissariat, die das bearbeitet, informiert.“
Wenn ältere Bankkunden ungewöhnlich viel Geld abheben wollen und dabei aufgeregt wirken, vielleicht noch parallel am Handy sprechen, sollten die Bankmitarbeiter sie in ein Gespräch verwickeln, um Details zu den Gründen der Auszahlung zu erfahren. Die Berliner Polizei hat dazu eine Art Leitfaden entwickelt.

Große Geldsummen im Spiel

Auch Pflegedienste werden "beschult", wie es Hauptkommissar Michael Kühl nennt. Die Reaktionen auf die Beratungsangebote seien recht unterschiedlich. „Es kommt natürlich immer darauf an, wie bringt man das rüber. Und wenn man denjenigen zu fassen kriegt, emotional, dann sind die wirklich erschrocken. Wie diese Täter vorgehen und wie die Senioren darunter leiden. Und oft können sich die Menschen auch nicht vorstellen, um welche Geldsummen es geht. Und dass diese Täter keinerlei Empathie empfinden und einem Senioren alles nehmen, was er hat. Und da sind viele dann doch sehr erschrocken.“
Mit einem Flyer warnt das Polizeipräsidium Freiburg (Baden-Württemberg) vor Telefonbetrug. Vor allem Senioren werden mit dem sogenannten "Enkeltrick" über Telefonanruf um höhere Geldbeträge betrogen. Bild vom 16.06.2018. Foto: Rolf Haid
Ein Polizei-Flyer warnt vor Telefonbetrug. Vor allem Senioren werden mit dem sogenannten "Enkeltrick" um höhere Geldbeträge betrogen (picture alliance / Rolf Haid)
Viele Senioren, die er berät, seien fest davon überzeugt, ihnen könne so etwas nicht passieren, sie fielen nicht auf solche Tricks herein. „Und das ärgert mich schon. Grundsätzlich: es kann eigentlich jeder darauf hereinfallen. Man muss halt nur eine schlechte, schwache Minute gehabt haben, der Täter erwischt einen gerade in diesem Augenblick, man fällt darauf rein. Das schöne ist halt bei diesen Auge-in-Auge-Vorträgen, dass ich das sehe, wenn da jemand zweifelt. Und da kann ich natürlich ganz persönlich darauf eingehen, und ich glaube, es gelingt mir fast immer, dass auch die, die sagen, mir wird so was niemals passieren, erkennen, ‚Oh, ich werde vielleicht doch älter, vielleicht irgendwann höre oder sehe ich nicht mehr so gut, kann nicht mehr mit dem Stress so gut umgehen, und dann könnte mir das doch passieren.“

Die beste Reaktion: Auflegen!

Was also tun, wenn sich ein zweifelhafter Anrufer meldet? Als erstes: Ruhig bleiben, sagt Michael Kühl. „Das wird schwer sein, weil ja Emotionen im Spiel sind, aber, wenn man vorher drüber nachgedacht hat, dann funktioniert das wahrscheinlich eher.“
Und dann sei es wichtig, die Vorschläge der Anrufer zu hinterfragen – die seien nämlich meistens völlig unrealistisch: „Die Polizei ruft einen nicht an, es gibt auch keine Kautionsstellung. Aber das muss ich mir vorher klarmachen.“ Deshalb sei die beste Reaktion: Auflegen! Dann gegebenenfalls die Person anrufen, die den Unfall gehabt haben soll. Und wenn sie nicht abhebt: „Dann rufe ich die Polizei an, dann rufe ich die 110 an.“