Christine Heuer: Ich möchte das Thema jetzt vertiefen im Gespräch mit Friedrich Ostendorff. Er ist (*) agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag und übrigens selbst Betreiber eines Biohofs in Bergkamen in Nordrhein-Westfalen. Guten Tag, Herr Ostendorff.
Friedrich Ostendorff: Guten Tag, Frau Heuer.
Heuer: Das Tierwohl-Siegel kommt. Wird jetzt alles gut?
Ostendorff: Das Tierwohl-Siegel ist schon lange angekündigt, muss eigentlich schon lange da sein. Der wissenschaftliche Beirat hat es in seinem Gutachten gefordert. Minister Schmidt hat sich bisher verweigert. Er kündigt heute, so wie es uns zugänglich ist, nur sehr allgemein gehaltene Sätze an. Alles das, was Klaus Müller im Interview gerade gesagt hat, was erforderlich ist, was wir alles teilen, dazu wird der Minister heute keine Antworten geben, sondern er wird es der Branche wieder überlassen, hier die Regelungen zu finden, und die Branche hat sich mehrfach getroffen, sowohl die Erzeugerseite als auch die Handelsseite und die Schlachtseite, und ist zu keinen Einigungen gekommen. Da erwarten wir leider auch wieder nicht viel. Es sind überhaupt keine Festlegungen da, die Politik versagt sich weiterhin unter Herrn Schmidt der Deutungsmacht. Die Politik muss vorgeben, wo die Reise hingeht, und das macht Minister Schmidt nicht.
Heuer: Sie halten dieses Siegel für eine komplette Mogelpackung?
Ostendorff: Eine Luftnummer, ja.
"Die neuen Ställe werden heute von den Bauämtern nicht genehmigt"
Heuer: Eine Luftnummer.
Ostendorff: Es muss kommen! Es muss kommen, aber sehr konkret, und konkret heißt, dass zum Beispiel die Frage beantwortet wird, diese neuen Ställe, wie soll die Landwirtschaft, die Bauern und Bäuerinnen, die bereit sind, diesen Umbau zu machen, diesen Neubau zu machen, Tiere anders zu halten, wie soll das finanziert werden. Die Bauern und Bäuerinnen stehen heute vor der Schwierigkeit, dass Ställe, wie Elke Röder im Interview vorher gesagt hat, wo die Tiere im Stroh stehen, auf der Weide sind, dass Ställe, die das fördern, heute nicht genehmigt werden von den Bauämtern, weil es keine Bauvorschriften dafür gibt. Es wird von ihm nicht aufgezeigt, wie das viele Geld, was für den Umbau und Neubau notwendig ist, wie hier den Bauern und Bäuerinnen geholfen wird.
Heuer: Herr Ostendorff, über die Finanzierung - die betrifft dann ja auch die Verbraucher im Zweifel -, da sprechen wir gleich noch. Minister Schmidt sagt ja, mit den gesetzlichen Regelungen, das ist so unheimlich schwierig, weil wir im europäischen Binnenmarkt sind. Da hat er doch recht!
Ostendorff: Nein. Natürlich müssen wir vieles europäisch regeln, aber Politik hat erst mal die Aufgabe, national das, was seine Bürger im Land verlangen, die Bürgerinnen und Bürger verlangen eine andere Tierhaltung und sie wollen das nicht mehr hinnehmen, dass wir so mit den Tieren umgehen, mit den vielen hundert Millionen Tieren -, das hat er national zu regeln, wenn es der deutsche Ansatz ist, zum Beispiel durch eine neue nationale Nutztier-Strategie. Auch das steht ja noch aus. Hier hat er sich noch nicht erklärt zu sagen, wie soll es in Deutschland gehen. Das ist deutsches Recht.
"Billigproduktion können andere immer billiger"
Heuer: Aber das würde doch heißen, dass zum Beispiel deutschen Bauern vorgeschrieben würde, die brauchen zum Beispiel viel mehr Platz für die Tiere in den Ställen. Aber in Belgien und in den Niederlanden ist das nicht so. Das heißt, die produzieren einfach günstiger. Das ist ein Wettbewerbsnachteil für die Deutschen, oder?
Ostendorff: Wir sollten natürlich schauen, dass wir mit den wichtigen Nachbarländern, die auch zum Beispiel Schweinemast sehr stark betreiben, Belgien, Holland, Dänemark, dass wir hier gemeinsam handeln. Ich glaube, wir glauben, dass die Bereitschaft nach unseren Gesprächen mit den Akteuren in den Ländern sehr hoch ist, hier gemeinsam zu handeln, weil auch in Holland ein ähnliches Verständnis zur Tierhaltung da ist, in Belgien und in Dänemark. Schweden hat das schon alles. Schweden hat das schon vor Jahren gemacht. Schweden hat diesen Standard schon sehr weit erreicht, der im Vorbeitrag beschrieben wurde als Anspruch. Da sind die Tiere anders gehalten und das zeigt, dass natürlich die wichtigen Erzeugerländer sehr wohl in der Lage sind, das für sich umzusetzen.
Heuer: Sie sind dafür, dass einige Staaten schon mal als Vorreiter vorangehen, und da soll Deutschland dabei sein.
Ostendorff: Ja. Das tun wir ja in vielen anderen Bereichen auch. Wir nehmen ja auch in der industriellen Produktion für uns in Anspruch, weltweit die Technologieführerschaft zu haben, und das ist unser Anspruch. Wir sagen ja, Billigproduktion können andere immer billiger, aber wir sind die Technologieführer und das zeichnet deutsche Produkte aus.
"Bei den Eiern zeigt das Kaufverhalten, wohin die Reise geht"
Heuer: Herr Ostendorff, jetzt haben Sie schon gesagt, die deutschen Bürger, die Verbraucher, die wollen bessere Tierschutzstandards in der Lebensmittelproduktion. Das stimmt, Umfragen belegen das. Umfragen belegen aber auch, dass die Deutschen überhaupt nicht bereit sind, deshalb mehr Geld dafür auszugeben.
Ostendorff: Die deutschen Verbraucher haben heute gar keine Möglichkeit, diese Entscheidung zu treffen. Ich halte das für eine abstrakte Diskussion. Ich denke, dass wir genau wie bei den Eiern - da zeigt das Kaufverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher, wohin die Reise geht. Bei den Eiern haben wir als einziges Produkt eine klare Haltungskennzeichnung mit der null, eins, zwei, drei. Verbraucherinnen und Verbraucher erkennen an der Ladentheke, was sie hier kaufen und was was kostet, und es zeigt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher mitgegangen sind. Käfigeier sind im Markt verschwunden. Auch deswegen eine klare Haltungskennzeichnung. Das ist die Vorbedingung, damit Verbraucher eine bewusste Entscheidung treffen können. Erst wenn sie erkennen können, waren die Tiere denn wirklich im Stroh, waren sie auf der Weide, haben sie biologisches Futter bekommen oder wie sind sie gefüttert worden, erst dann können Verbraucher ja eine Kaufentscheidung bewusst treffen. Heute sehen Verbraucherinnen und Verbraucher irgendein Fleisch mit wunderschönen Fachwerkhöfen verpackt. Diese Fachwerkhöfe heißen dann noch nach Eichen, haben wunderschöne Namen, und wenn man sucht, wo sind diese Höfe, dann gibt es die gar nicht, Fantasieprodukte. Hier wird Verbrauchertäuschung gemacht. Die Schweine haben einen Ringelschwanz, die Schweine stehen im Stroh, wenn Sie im Laden sind und sich das ansehen, und sie wissen ganz genau, dass 98 Prozent der Schweine jenseits dieser Bilder produziert worden sind, weit, weit schlechter als das, was auf diesen Bildern suggeriert wird. Wir wollen endlich, dass der Verbraucher, die Verbraucherin endlich das Gefühl bekommen, dass sie hier nicht hinter die Fichte geführt werden, sondern eine ehrliche Kaufentscheidung treffen und sehen, welches Produkt sie hier mit ihrer Kaufentscheidung honorieren.
"Wie beim Bio-Sechseck, so stellen wir uns das vor"
Heuer: Nun ist das für Verbraucher in der Tat ziemlich verwirrend, denn es gibt ja schon eine ganze Reihe von Siegeln und keiner kann so richtig nachvollziehen, was steckt jetzt eigentlich genau dahinter. Dieses Tierwohl-Siegel von Christian Schmidt fänden sie in der Sache, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Ostendorff, wenn es gesetzlich flankiert würde, aber gut, weil es ein übersichtliches, verlässliches Siegel sein könnte. Ist das so?
Ostendorff: Ja. Wir haben unter der Ministerschaft von Frau Künast, der grünen Ministerin bis 2005, das Biosiegel geschaffen. Dieses Siegel ist heute für jede Verbraucherin und für jeden Verbraucher erkennbar. Auf jeder Packung, die Bio ist, muss das Bio-Sechseck auftauchen. Sonst ist es nicht Bio, sonst ist es Verbrauchertäuschung. Und so stellen wir uns das vor!
Heuer: Genau da wollte ich hin, Herr Ostendorff. Aber warum brauchen wir dann noch eins?
Ostendorff: Damit wir endlich auch beim Fleisch, da wo die Baustelle ist - die Tierhaltung ist in der Debatte. Wie sollen wir da rauskommen, wenn wir jetzt nicht endlich eine ehrliche Kennzeichnung herbeiführen, dass die Menschen sehen, jawohl, dieses Fleisch hat das Tierwohl-Label, dieses Fleisch ist unter akzeptablen Haltungsbedingungen, so wie wir sie erwarten, erzeugt worden. Damit hat der Verbraucher ein nationales Siegel, wo er sagen kann, das ist nicht gesteuert von irgendeinem Handelskonzern, von irgendeinem Schlachtkonzern, sondern es ist staatlich besiegelt, es ist staatlich überwacht, es sind Kriterien formuliert, die vom Staat überwacht werden mit seinen Überwachungsorganen. Damit kann er seine Entscheidung treffen und auch sicher sein, dass das, was versprochen ist, drin ist.
"98 Prozent der Schweine werden konventionell gehalten"
Heuer: Tierwohl ist teuer, wie Bioprodukte insgesamt ja auch teuer sind.
Ostendorff: Wir reden hier ja nicht über Bio automatisch, sondern ich sage ja, die Kaufentscheidung. Bio könnte der höchste Standard sein in der Tat. Es können aber auch konventionell natürlich - und darum geht es ja. 95, 98 Prozent der Schweine werden ja konventionell gehalten, um zum Beispiel bei den Schweinen zu bleiben. Wir könnten es für Geflügel genauso sagen. …, dass auch diese konventionellen endlich Haltungsbedingungen haben, die ihrer artgerechten Erwartung entsprechen, die endlich so gehalten werden, wie Verbraucherinnen und Verbraucher denken, dass Tiere gehalten werden sollten.
Heuer: Ich glaube, das haben wir so verstanden. Biosiegel bürgen schon für Qualität. Ich glaube, darauf verlassen sich die Verbraucher auch. Und das Tierwohl-Siegel könnte das auch für die Tierproduktion in der konventionellen Landwirtschaft garantieren.
Ostendorff: Da reden wir dann über die 98 Prozent.
"Geld muss rüber in die Tierhaltung"
Heuer: Jetzt komme ich trotzdem noch mal ganz zum Schluss auf meine Frage nach dem Geld, Herr Ostendorff. Das Tierwohl kostet Geld. Glauben Sie wirklich, dass die Verbraucher bereit sind, das zu bezahlen, und wie viel mehr müssten die denn einrechnen im Schnitt?
Ostendorff: Ja. Es wäre eine Möglichkeit, natürlich über eine Erhöhung der Preise das zu finanzieren. Ich sage auch, das muss ein Baustein sein. Fleisch ist viel zu billig, in der Tat viel zu billig. Aber die anderen Finanzierungsinstrumente, alle Finanzierungsinstrumente sind aufgezeigt worden in dem sehr viel Aufmerksamkeit erzeugenden Gutachten des wissenschaftlichen Beirats. Dort steht drin, der Umbau der Tierhaltung gesellschaftsverträglich kostet drei bis fünf Milliarden. Das wird aufgezeigt. Natürlich muss das viele Staatsgeld, das Steuergeld, was heute ausgeschenkt wird auf die Fläche der Landwirte - wir haben heute eine Flächensubventionierung von 300 Euro -, dieses Geld muss rüber in die Tierhaltung.
Heuer: Herr Ostendorff, wunderbar! Sie haben den Schlusspunkt gefunden. Der grüne Agrarpolitiker Friedrich Ostendorff. Danke fürs Gespräch.
(*Im Live-Interview und in einer früheren Version der Transkription wurde Friedrich Ostendorff versehentlich als stellvertretender agrarpolitischer Sprecher der Grünen vorgestellt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.)
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.