Ob eine Weile als regelmäßige Gesprächspartnerin in Deutschlandfunk Kultur, als Kolumnistin für den „Spiegel“ oder aktuell noch den RBB: Ferda Ataman ist eine meinungsstarke Autorin. Mit ihren Gedanken rund um Fragen zu Migration und Diversität bringt sie sich regelmäßig in Debatten ein – oder stößt sie selbst an, beispielsweise 2000, als sie im „Spiegel“ den Begriff „Kartoffel“ für Deutsche ohne Migrationshintergrund verwendete. Und auch auf Twitter findet Ataman mit mehr als 32.000 Followerinnen und Followern viel Gehör.
Entsprechend groß war von Anfang die Aufmerksamkeit, nachdem das Bundeskabinett öffentlich machte, Ataman zur Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes machen zu wollen. Etwa bei Jan Fleischhauer, selbst früher „Spiegel“- und inzwischen „Focus“-Kolumnist, der kurz nach Bekanntgabe des Vorschlags im Profil Atamans in dem Kurznachrichtendienst feststellte: Von vormals mehr als 10.000 Tweets sind dort nur noch wenige übriggeblieben, offenbar gelöscht von der Publizistin selbst.
„Auch Unabhängigkeit erfordert manchmal offenbar etwas Nachbearbeitung“, stellte Fleischhauer deshalb fest, ebenfalls auf Twitter.
Ataman: Tweets „aus Neutralitätsgründen gelöscht“
Die Kritik an dem von Grünen und SPD unterstützen Personalvorschlag ist seitdem nicht abgerissen. Mit der dritten regierenden Partei, der FDP, traf sich Ataman deshalb eine Woche nach Bekanntwerden der Pläne. Auch einige Liberale hatten angekündigt, sie nicht unterstützen zu wollen.
Aber warum hat Ataman ihr Twitter-Profil überhaupt geändert? Sie selbst sagte dazu der dpa, dass sie private Tweets „aus Neutralitätsgründen von ihrem Account gelöscht“ habe. Sie seien im Internet, genau wie ihre restlichen Veröffentlichungen, weiterhin abrufbar.
Social-Media-Berater Beilharz: „Nicht die allerbeste Strategie“
Für Social-Media-Berater Felix Beilharz ist das dennoch „in der Regel nicht die allerbeste Strategie“. Wer Nachrichten lösche, erwecke damit den Eindruck, nicht mehr hinter den Inhalten zu stehen, sagte er dem Deutschlandfunk. „Als Nutzer frage ich mich: Warum hat jemand das gemacht? Das muss ja einen Grund haben.“
Einzelne Tweets zu löschen, sei in Ordnung, findet Beilharz – aber wenn, dann transparent, nicht heimlich. „Es kann ja sein, dass man sich für die Vergangenheit schämt oder man seine Meinung geändert hat – dazu muss man dann aber auch stehen.“ Emotional könne er Atamans Schritt verstehen, auch vor dem Hintergrund der Art und Weise, wie vor allem Frauen im Internet immer wieder attackiert würden. „Er birgt aber viele Risiken und bietet Potenzial für Zündstoff, wie man an diesem Fall sieht.“
Medienpsychologe Dienlin: Recht auf Vergessen vs. Nichts zu verbergen
„Ob das jetzt nun die richtige Entscheidung war oder nicht, das kann man natürlich nicht allgemein formulieren, das ist eine individuelle Entscheidung“, betont gegenüber dem Deutschlandfunk Tobias Dienlin, der in Wien als Medienpsychologe zu Interaktiver Kommunikation forscht. Grundsätzlich gebe es ein Recht auf Vergessen im Internet. Dem gegenüber stehe aber auch das "Nichts-zu-verbergen-Argument", so Dienlin.
Aus wissenschaftlicher Sicht gebe es außerdem die "Privatsphäre-Abwägung". Im Fall von in der Öffentlichkeit stehenden Personen könne das eben bedeuten, „dass die Nachteile der Kommunikation so stark sind, dass es sich dann lohnt, Kommunikation wieder zurückzunehmen“. So könnte dann verhindert werden, dass Inhalte eine „Re-Kontextualisierung“ erfahren würden, erklärt der Wissenschaftler.
In sozialen Netzwerken sei Kommunikation häufig sehr umgangssprachlich und unmittelbar, so dass man potentiell nicht den richtigen Ton treffe. "Was einem im Nachhinein anders oder negativ ausgelegt werden kann." Die Entscheidung Atamans sei deshalb grundsätzlich "absolut zulässig".
Digital-Experte Hurtz: "Streisand-Effekt unterschätzt"
Das Internet vergesse nichts, wiederholte Simon Hurtz, Digital-Experte bei der "Süddeutschen Zeitung", im Deutschlandfunk die altbekannte Weisheit im aktuellen Kontext. So gebe es technische Möglichkeiten, wenn auch „mit sehr viel Fleißarbeit“, alte Tweets zu finden. Die Initiative Politwoops bietet beispielsweise ein Archiv von gelöschten Politiker-Tweets an. Auch andere Nachrichten lassen sich zum Teil mit Tricks wiederfinden, die tagesschau.de vor Kurzem beschrieben hat.
Mit dem Löschen ihrer Tweets habe Ataman – wie schon andere vor ihr – den „Streisand-Effekt“ unterschätzt, „wenn man etwas tut, um Aufmerksamkeit zu vermeiden, man diese aber so erst recht weckt“.
Andererseits verstehe er aber auch ihre Entscheidung, so Hurtz. Zuletzt habe die Diskussion über alte Wortmeldungen auf Twitter „zum Teil absurde Züge“ angenommen. Auch er habe dort, so der Journalist, mit Anfang 20 Sachen geschrieben, „die ich heute vielleicht nicht mehr schreiben würde“. So gehe es wohl auch vielen anderen Menschen.
Expertin in taz-Interview: "Orchestrierte Kampagne"
Ataman ist nicht die erste öffentliche Person, die ihre eigene, bisherige Twitter-Biographie aufgeräumt hat: Auch „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt hatte fast alle Nachrichten gelöscht, nachdem er im Februar wegen eines Kommentars in seiner Zeitung in die Kritik geraten war. ZDF-Satiriker Jan Böhmermann machte 2020 Tabula rasa, weil er seine bisherigen Tweets in Buchform veröffentlichte.
Zur Debatte um Ferda Ataman sagte Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt im Interview mit der „taz“, zu beobachten sei eine „orchestrierte Kampagne durch rechte Filterblasen“. Diese folgen längst eingeübten Muster: "Follower*innen, Fake-Accounts und Troll-Armeen spitzen die Botschaft zu, verkürzen, ergänzen Falschbehauptungen, bis nur noch gefährlicher Hass und Hetze übrig sind und die Person, um die es geht, nachhaltig beschädigt ist."
Kritik kommt allerdings auch von Medien, die Kleffner in dem Interview nicht erwähnt ("Welt" und "Bild"). So bezieht sich etwa in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ein aktueller Kommentar auf "etliche gelöschte" Tweets, die Atamans Ruf untermauern könnten.