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Künstliche Intelligenz im Unterricht
Testphase soll Einsatzmöglichkeiten aufzeigen

Kann Künstliche Intelligenz den Unterricht bereichern und Lehrer aktiv unterstützen? Das soll ein Test mit einer in Dänemark entwickelten Software an sächsischen Schulen ermitteln. Das Programm unterstützt Schüler individuell und passt sich ihrem Niveau an. Doch es zeigen sich auch Defizite.

Von Claudia Euen | 21.07.2021
Mehrere Schüler lernen während des Unterrichts im Fach Geschichte am Alten Gymnasium Oldenburg (AGO) mit einem iPad (Aufnahme mit Fisheye-Objektiv).
In Zukunft soll eine Eins-zu-Eins-Betreuung mittels KI möglich sein - ohne dass Lehrkräfte noch eingreifen müssen (picture alliance / Hauke-Christian Dittrich)
Mathematikunterricht am Gerda-Taro-Gymnasium in Leipzig. Schüler der 10. Klasse bearbeiten ihre Schulaufgaben am Computer. Seit ein paar Wochen testen die Schüler das neue Programm Area9, in dem Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt.
"Was ist der Unterschied zwischen Median und dem arithmetischen Mittel?", fragt die Computerstimme von Area9. Nachdem die Schüler die Aufgabe gelöst haben, schätzen sie ihr Ergebnis selbst ein, erklärt Mathe-Lehrerin Sabine Baumbach:
"Das Neue daran, sage ich als Schüler: Ich bin mir sicher oder ich hab keine Ahnung. Ich sag jetzt mal: ich habe keine Ahnung. Und dann wird das ganze ausgewertet und ich kann mir die Lösung anzeigen lassen. Und dann können wir im Auswertungstool sehen, wie viele Schüler in welchem Bereich sind."
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Algorithmus auf das Lernniveau der Schüler abgestimmt

Die Schülerinnen und Schüler können also anklicken, wie sicher sie sich sind, dass ihr Ergebnis auch stimmt. Im Hintergrund des Programms läuft ein Algorithmus, der speziell auf das Lernen einer 10. Klasse abgestimmt wurde. Laut der Entwicklerfirma passt das Programm das Niveau der Aufgaben für jede Schülerin und jeden Schüler individuell an, in Echtzeit. Es merkt sich den Lernweg, erkennt selbstständig, wann der Schüler einen Lernbereich verstanden hat und generiert danach die nächsten Aufgaben. So soll in Zukunft, mittels Künstlicher Intelligenz, eine Eins-zu-Eins-Betreuung möglich sein - ohne dass Lehrkräfte wie Sabine Baumbach noch eingreifen müssen. Über das Auswertungstool erfahren sie, wo die Schüler mit ihrem Wissen genau stehen.
Seit mehreren Wochen ist das neue Programm mit zwei unterschiedlichen Modulen im Test.
"Wir haben zwei Module bekommen: einmal "das globale Dorf", das ist ein Gesamtüberblick über Geografie und Mathematik. Und ein Tool nur zur Wahrscheinlichkeitsrechnung. Und dann ist für die Lehrkraft das Neue, dass man nicht nur sieht: Okay, 20 Schüler haben das richtig beantwortet. Sondern 20 Schüler haben das richtig beantwortet und sind sich auch sicher, dass sie es richtig beantwortet haben."

Künstliche Intelligenz kann "nicht erklären"

Die KI-Module sollen zwei Dinge schaffen: Erstens der Lehrerin schnell einen Überblick über den Leistungsstand ihrer Klasse verschaffen. Zudem bekommen die Schüler nach und nach Aufgaben, die genau ihrem Leistungsniveau entsprechen. Leander, 16 Jahre, testet mit.
"Ich habe das globale Dorf im Anfängermodus gemacht. Und da wird sehr viel erklärt, von Grundinhalten bis zu den Inhalten der Fragen. Und dann hab ich das Mathe-Modul in Experte gemacht und da wird man direkt in die Fragen geworfen. An sich finde ich die Inhalte gut erklärt. Aber wenn man Fragen hat, dann fehlt halt dieser direkte Ansprechpartner, der einem das noch einmal erklärt. Weil das kann halt diese Künstliche Intelligenz nicht."
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Doch genau dahin soll es Zukunft gehen. Noch steckt die ursprünglich in Dänemark entwickelte Software allerdings in den Kinderschuhen, zumindest in Deutschland. Der jetzige Testlauf in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen soll erst einmal klären, in welchem Umfang künstliche Intelligenz den Unterricht bereichern und Lehrer aktiv unterstützen kann. Und ob das nur in naturwissenschaftlichen Fächern funktioniert oder auch in geisteswissenschaftlichen.

Lehrkräfte entlasten – aber nicht ersetzen

Die Testphase läuft noch bis Ende dieses Monats in sechs sächsischen Schulen, dann erfolgt laut Herbert Wolff, Staatssekretär im sächsischen Kultusministerium, die Auswertung mit einer Empfehlung an die Kultusminister aller Bundesländer.
"Hintergrund war: Man wollte sowohl in Zeiten des Präsenzunterricht wie auch in Zeiten, in denen man nur auf Distanz unterrichten kann, die Sicherstellung des Unterrichts insgesamt gewährleisten und den Schülern Anregungen und Hilfestellungen geben. Die Kultusminister der Länder haben gesagt: Wir wollen zunächst einmal eine Markterforschung machen. Wir wollen natürlich den Lehrer entlasten, wir wollen ihnen Hilfestellungen geben, wo Schwächen eines Schülers sind oder wo Stärken sind. Es soll ihn aber niemals ersetzen."
Mathe-Lehrerin Sabine Baumbach freut beides.
"Ich glaube, wir stehen hier noch ganz, ganz am Anfang und ich glaube nicht, dass das in den nächsten drei, vier Monaten eingesetzt werden kann. Und wenn sowas eingeführt wird, muss es für die Lehrer einfach zu bedienen sein und schnell für den Unterricht einsetzbar sein. Und wir müssen schnell erfassen können, wo ist der Mehrwert im Vergleich zu anderen Tools, die jetzt nur mit den Ergebnissen arbeiten , ne. Aber soweit sind wir noch nicht."