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Kupferwalzwerk Hettstedt
Hightech aus der Provinz

Das Mansfelder Land in Sachsen-Anhalt gilt als abgehängte Region, aus der wenig positive Nachrichten kommen. Doch hier produziert das Kupferwalzwerk Hettstedt, das zu DDR-Zeiten zum Mansfeld-Kombinat gehörte, heute Hightech-Produkte - auch für das Ground Zero Memorial in New York.

Von Sabine Adler | 12.08.2019
Frisch gewalztes Kuperblech im Kupferwalzwerk Hettstedt
Frisch gewalztes Kuperblech im Kupferwalzwerk Hettstedt (Sabine Adler / Deutschlandfunk)
Manch anderer würde auf den Putz hauen, dass Messingplatten aus Hettstedt in Sachsen-Anhalt zum Ground-Zero-Mahnmal nach New York gekommen sind, genau dorthin, wo bis 2001 das World Trade Center stand. Aber Swen Fischer bleibt auf dem Boden, wenn er über die fast 400 Gedenktafeln redet. Nur als er über die diversen Eigentümerwechsel spricht, die das Walzwerk seit der Wende erlebt hat, und bei der Treuhand-Anstalt wird er emotional. An diese Zeit vor knapp 30 Jahren hat der 48-jährige Walzwerker keine guten Erinnerungen, wie er in dem Besprechungsraum an der Werkhalle erzählt.
"Ich habe hier gelernt, 1987, Berufsausbildung mit Abitur, dann 1990 mit Pauken und Trompeten entlassen mit der Begründung: Du bist jung, du kannst im Westen arbeiten. Wie eine Massenhinrichtung war das. Und damit war ich raus. "
Später kehrte er zurück, ist heute Produktionsleiter für 60 Beschäftigte in der Kupferblechfertigung. Wer die sehen will, braucht Helm, Schutzbrille, Arbeitsschuhe. Bevor es in der Halle laut wird, erzählt er die Vorgeschichte des Auftrags für Ground Zero.
- "Zum einen hatten wir eine sehr gute Marktdurchdringung in den USA, das heißt, wir hatten schon einen Namen."
- "Was haben Sie genau geliefert?"
- "Wir haben zirca 125 bis 135 Tonnen Messingbleche geliefert. Die Belegschaft hat bis auf wenige nicht gewusst, was sie dort machen, weil in den USA ist man vor nichts sicher."
- "Und dann, als es raus war?"
- "Es ist natürlich eine ganze Menge Stolz dabei. Ein paar von den Leuten haben es auch schon live dort gesehen, haben sich das angeschaut. Ja, es schwingt Stolz mit, wenn man davorsteht und man sieht das."
- "Angucken?
- "Gucken wir es uns an."
Vier Meter breite Kupferbleche
Hohe Kräne rollen auf Schienen nahe der Decke vor und zurück, am Haken blanke Kupferbleche. Swen Fischer geht voran zum Schatz des Walzwerkes: eine historische Umkehrwalze, die Bleche nicht nur vorwärts- und rückwärts durch die Mangel nimmt, sondern mit fast vier Metern Breite eine Größe anfertigen kann, wie nirgendwo sonst auf der Welt.
Ausgerechnet das Museumsstück bearbeitet reinstes Kupfer für High-Tech-Produkte: Computer, Windkrafträder, Meerentsalzungsanlagen, Gebäudeverkleidungen, U-Boote. Nach Japan, Deutschland, Kuweit, Russland, Amerika, in alle Welt.
- "Ist das das gute Stück?"
- "Das ist das gute Stück. Erstinbetriebnahme 2. Januar 1910. Die schwierigste Arbeit ist für den Ersten Walzer, der dann am heißen Blech die Blechdicke bestimmen muss."
- "Jetzt geht es los. Jetzt geht das Tor auf, man sieht jetzt den heißen Ofen. Darf ich hier drauf?"
- "Ja."
- "Jetzt wandert das Blech über die Rollen in Richtung Walze. Jetzt müssen wir uns beeilen. Schon passiert! Und schon ist es durch, durch die alte Walze."
- "Genau! Das Material hat schon an Temperatur verloren. Als erstes wird die Breite angewalzt. Wenn die in Ordnung ist, wird das Blech gedreht.
- "Das wird ja richtig ordentlich durchgewalkt, dieses Blech."
- "Genau."
- "Das biegt sich und sieht gar nicht schick und plan aus."
- "Nein, das machen wir hinterher schick und plan."
- "Und der Witz an dieser historischen Walze ist, dass sie so riesig breit ist?"
- "Das ist der Hauptvorteil, dass sie so breit ist. Wir können Bleche machen, die kein anderer kann auf der Welt."
Durch diese Walze sind tausende Platten gegangen – auch die für das Mahnmal mit den Opfernamen in New York. Produktionsleiter Swen Fischer spricht am Ofen mit einem Kollegen, der gerade per Fernsteuerung die Tür öffnet, die Kammer glüht innen hellrot. Mehrere hundert Grad.
- "Hier haben Sie es ja schön kuschelig."
- "Auf jeden Fall!"
- "Ertragen Sie es gut?"
- "Über die Jahre lernt man das."
- "Richtig viel Handarbeit machen sie nicht mehr hier?"
- "Ja, viel geht maschinell heute, mit dem Kran."
Treuhand stufte das Werk zunächst als nicht sanierungsfähig ein
Die Treuhand stufte das Werk Anfang der 1990er-Jahre als nicht sanierungsfähig ein, stellte dann aber doch 100 Millionen D-Mark für die Modernisierung bereit. Die belgische Firma Lamitref versprach die meisten Arbeitspläne und Investitionen, hielt auch ihr Versprechen. Für Ärger in der Belegschaft sorgt, dass Anlagen der Lackdraht-Herstellung in den Westen gingen und dort munter weiter produzierten. In Hettstedt fühlten sie sich ausgeraubt. Von 8.000 Beschäftigten sind heute nur noch 1.200 dabei. Die Kränkungen sitzen tief und sind für die AfD eine Wunde, in der sie bohrt.
- "Eine Zahl müssen wir unbedingt noch besprechen: 19,3 Prozent AfD bei der Kommunalwahl, die zusammen mit der Europawahl war. Wie fühlt sich das für Sie an?"
- "Ich glaube, man muss AfD und Unzufriedenheit bisschen strikt auseinanderhalten. Das, was ich aus dem persönlichen Umfeld kenne, niemand will irgendwas Rechtsradikales zurück. Man fühlt sich einfach bei den anderen Parteien nicht aufgehoben. Und die einzige Möglichkeit, einen Protest zu machen, ist im Moment links oder rechts. Und ich glaube, die Politik, wenn die anfängt, richtig Politik zu machen, hat sich die AfD überholt. Aber aktuelles Beispiel: Frau Kramp-Karrenbauer wird Verteidigungsministerin, da fühle ich mich als Wähler verarscht. Weil die andere es nicht gebracht hat, schieben wir sie nach Brüssel ab. Die Leute haben ein feines Gespür für diese Ungerechtigkeit, die hatten wir von der Treuhand, die ist übergeblieben. Und wir haben bestimmte Gesetze. Wenn wir die einhalten würden und die für jeden zählen, dann kommt ein ganzes Stück Vertrauen zurück."
Heute auf der Suche nach Nachwuchs
Wer heute im Kupferwalzwerk Hettstedt ausgebildet wird - und das sind pro Jahr 30 junge Leute -, wird übernommen, anders als in Swen Fischers Zeit. Nachwuchs zu finden, wird sogar immer schwieriger.
- "Noch ein Thema, was mich bewegt, wenn ich hier in einem so hochspezialisierten Betrieb wie ihrem stehe. Können Sie mit zugewanderten Fachkräften viel anfangen?"
- "Viele Tätigkeiten hier, die kann man erlernen. Wir haben hier Kollegen, die haben hier schon gearbeitet, die sind mit ihren Leuten auch klargekommen, das funktioniert. Die größten Barrieren sind Sprachbarrieren."
Und wie fällt sie aus, die Bilanz für den Walzwerker Swen Fischer?
- "Dass ich zum Schluss doch wieder hier angekommen bin – ja, das ist schön. Man ist zu Hause geblieben, das war was Gutes und zum anderen macht das ja auch Spaß."
- "Würden Sie sagen, so gesehen war die Wende eine Chance für Sie?"
- "Auf jeden Fall. Man guckt über den Tellerrand hinaus. Wir haben zirka 60 bis 70 Prozent Export. Das heißt, sie haben auch eine Möglichkeit, im Ausland Kunden zu besuchen und dort Freunde zu finden. Das wäre früher nur in Richtung Osten gegangen und so gut war mein Russisch nicht."