In den Nullerjahren wandte sich der Gefäßspezialist Mark Post an der Universität Maastricht einem neuen Ziel zu: Mit seiner Expertise – der Zellzucht – wollte er im Labor umweltfreundliches Rindfleisch herstellen.
Es ist absurd, ein ganzes Hühnchen zu mästen, nur um die Brust oder den Schlegel zu essen. Wir werden diese Einzelteile jeweils in einem passenden Medium heranzüchten.
Winston Churchill 1931
Damals benötigte der Wissenschaftler anderthalb Jahre für die Forschung. Und dann noch mal drei Monate, um zwei Hamburger zu produzieren - aus gezüchteten Muskelzellen, Roter Beete für die Farbe, Gewürzen und Semmelbröseln. Am 5. August 2013 war es dann soweit. Zum ersten Mal wurde eine Bulette aus gezüchtetem Fleisch gebraten und verzehrt. Das Fazit der Verkoster damals: Das Laborfleisch habe Biss, eine gute Konsistenz, aber einen etwas anderen Geschmack als gewöhnlich. Der Laborburger machte aber allein wegen des irren Preises Schlagzeilen. Jeder kostete um die 250.000 Euro.
Die Kosten sind deutlich gesunken. Aber was hat sich seither tatsächlich geändert für Schlachtvieh, Küche und Klima?
Wie entstehen Laborfleisch und -fisch?
In den zehn Jahren hat sich viel getan. Um die 150 Firmen setzen auf den neuen Markt. Es gibt Konferenzen und optimistische Wirtschaftsprognosen, Lobby-Organisationen und - in Singapur - eine erste Zulassung für kultivierte Hühnchennuggets.
Eines der Start-ups in dem neuen Markt ist Bluu Seafood aus Lübeck. Gegründet hat das Unternehmen der Meeresbiologe Sebastian Rakers. Gründe dafür gab es genug: Die natürlichen Bestände sind bereits überfischt, die Nachfrage wächst, schon heute wird Lachs per Flugzeug aus Chile nach Europa geflogen. Dem wollte Rakers seine Bioreaktoren entgegensetzen. Die Entdeckung von Stammzellen in den Muskeln von Lachs, Forelle und Karpfen brachten dabei den Durchbruch.
Der Biologe und sein Team stellen aus den Stammzellen Zelllinien her. Die hätten den Vorteil, dass sie immortal seien, also unsterblich und quasi permanent weiter wachsen könnten, sagt Rakers.
Erst wachsen die Zellen in Kulturflaschen, dann werden sie in ein Drei-Liter-Glasgefäß umgesetzt, einen Bioreaktor. Zuleitungen versorgen sie mit Zucker, Aminosäuren und Fettsäuren, aber auch mit Vitaminen und Mineralstoffen. Und die Zellen wachsen und wachsen - reine Muskelzellen, ohne Gräten oder Schuppen.
Inzwischen können viele Unternehmen Zellmasse im Bioreaktor herstellen. Neben Bluu produzieren etwa Finnless Foods, Wildtype oder BlueNalu Fischzellen. Zellen von Rind oder Huhn stellen Firmen wie Mosa Meat, Aleph Farms oder Good Meat her.
Beim In-vitro-Fleisch ist aktuell Hack der Standard. Zum Teil werden aber auch komplexere Gerichte aufwendig von Hand oder im 3-D-Drucker hergestellt, etwa künstliche Thunfischstücke für Sushi. Steaks für den Massenmarkt benötigen eine Hochdurchsatztechnologie, wie etwa den Siebdruck.
Am Institut für Drucktechnik der TU-Darmstadt experimentiert Andreas Blaeser schon länger mit Biotinte, also einem Substrat, das lebende Zellen enthält. Noch werden in seiner Druckstraße nur Testläufe gefahren. Später sollen viele Schichten übereinander gedruckt werden. Vielleicht sogar in verschiedenen Umrissen, damit die In-vitro-Variante nicht so aussieht, wie Fleisch von der Stange. Die gedruckte Zellkultur habe die Form eines Stück Fleisches, hier sieht sich Blaeser auf einem sehr guten Weg. Von richtigen Muskelfasern sei man aber noch ein ganzes Stück entfernt.
Wie schmeckt Laborfleisch?
Aber auch Muskelfasern sind noch kein Muskelfleisch, so Mark Post, der inzwischen mit dem Unternehmen Mosa Meat einer der Marktführer ist. Um das volle Fleischgefühl zu bekommen, brauche man Fett - wichtig für Geschmack, Kochverhalten und Mundgefühl.
Mosa Meat und viele andere Hersteller können inzwischen Millimeter-große Stückchen Muskel oder Fettgewebe erzeugen. Kein Steak, aber ein passendes Ausgangsmaterial für die Lebensmittelindustrie. Die kann daraus Hamburger, Fischbällchen oder Hühnchennuggets formen.
"Wir haben kürzlich mit einem Sterne-Koch gesprochen. Er war sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Aber um ehrlich zu sein: Im direkten Vergleich mit einem normalen Hamburger sieht man den Unterschied. Aber was den Geschmack betrifft, können wir das besser als der Durchschnittsburger", meint Mark Post, denn beim Laborfleisch könne beeinflusst werden, wie Fett und Muskeln aussehen, sich anfühlen, schmecken. Einen Burger aus dem Sternerestaurant wird er kaum übertreffen, aber vielleicht den vom Discounter.
Wie gesund ist Laborfleisch?
Gesundheitlich gelten die Zellkulturen als unbedenklich, vergleichbar mit Fleisch aus dem Stall. Bakterielle Kontaminationen sind sogar weniger wahrscheinlich. Die Zellen sind nicht gentechnisch verändert, sie werden auch ohne Antibiotika gezüchtet. Sebastian Rakers von Laborfisch-Start-up Bluu glaubt, dass in vitro in Zukunft sogar gesünder sein kann als das Original. Denn seinen Zellen kann er über das Nährmedium wertvolle Omega-3-Fettsäuren zufüttern und "nach Bedarf maßschneidern".
Kürzlich hat das australische Cultured Meat Unternehmen Vow einen „Mammoth Meatball“ vorgestellt. Ein Mammut-Fleischbällchen, oder eher ein Fleischbällchen mit einigen Mammut-Genen. Ein PR-Gag, der aber zeigt, dass der Fantasie kaum Grenzen gesetzt sind.
Wie teuer ist Laborfleisch?
Der erste Burger von Mark Post hat noch Hunderttausende gekostet. Inzwischen ist die Produktion von kultiviertem Fleisch billiger geworden und gleichzeitig tierfreundlicher: Wurden die Zellen früher meist mit Serum aus ungeborenen Kälbern gefüttert, gibt es heute gentechnisch maßgeschneiderte Wachstumsfaktoren.
Und mittlerweile beginnen sich auch die Großen der Branche für den neuen Markt zu interessieren. Auch wegen der Liefermengen kostet der Liter Nährmedium nicht mehr um die Hundert, sondern nur noch einen Euro. Ein Unternehmen wie Good Meat, das seit 2020 in Singapur kultivierte Hühnchennuggets verkaufen darf, sollte also durchstarten können. Und auch in den USA haben die ersten Produkte die Zulassung geschafft.
Ist Laborfleisch massentauglich?
Der Schritt vom Labor in die Pilotanlage ist schon schwierig - noch mehr Hürden gibt es beim Übergang in die Großproduktion. Vor allem fehlt es weltweit noch an Bioreaktoren. Hier müsste die Kapazität verdoppelt, sprich stark investiert werden, so Mark Post von Mosa Meat.
Dabei könnten Landwirte helfen. Sie haben Erfahrung mit Hygiene, sie halten Tiere, um ab und zu für Stammzellnachschub zu sorgen, sind Experten für Lebensmittel und verfügen dank Biogas auch über eigene Energie. Doch nur eine Minderheit sieht hier bislang ein neues Geschäftsfeld.
Was bedeutet Laborfleisch für Klima und Tierwohl?
Weniger Treibhausgase, weniger Landverbrauch, weniger Wassernutzung - das klingt gut und es gibt auch eine ganze Reihe Studien, die den Hersteller von Fleischalternativen eine gute Umweltbilanz bescheinigen.
Mark Post fokussieren mit dem Unternehmen Mosa Meat bewusst auf Muskelzellen vom Rind. Denn Rinder brauchen viel Futter, also große Weiden oder große Sojafelder. Vor allem produzieren sie Methan, ein potentes Treibhausgas.
Der ökologische Fußabdruck von Schweinen oder Hühnern ist deutlich kleiner. Entsprechend geringer sind dann auch die Vorteile von kultivierten Schweineburgern oder Chickennuggets.
Aus ökologischer Sicht ist die beste Lösung, generell weniger Fleisch zu essen, heißt es indes vonseiten des Umweltbundesamtes. Mark Post kennt diese Analysen. Aber auf vegetarische Gerichte umzuschwenken, sagt er, sei eben nicht für jeden eine Option.
Ob kultiviertes Fleisch ein relevanter Teil der Lösung unserer Umweltprobleme darstellen kann, bleibt offen, solange es noch keine großen Fabriken für Muskelzellen gibt.
Kann man Laborfleisch in Europa kaufen?
Ob kultiviertes Fleisch einmal einen relevanten Marktanteil erzielen und der In-vitro-Burger in jedem Supermarkt zu finden sein wird, ist noch offen.
Nach Protesten von Bauern hat Italiens Regierung einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der Herstellung und Vertrieb von kultiviertem Fleisch verbietet. Eigentlich zuständig ist die EU-Kommission und die steht In-vitro-Fleisch zumindest deutlich aufgeschlossener gegenüber.
In Frankreich wird unterdessen an In-vitro Gänsestopfleber geforscht. Aus Tierschutzsicht wäre das sicher ein Fortschritt. Aber darf sie auch „Foie gras“ genannt werden? Ähnliche Probleme wird wohl das Wagyu-Steak aus dem 3-D-Drucker bekommen.
Vorlkart Wildermuth, ikl