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Landesentwicklung
Der lange Weg zur Metropolregion Berlin-Brandenburg

Der Wohnraum in der Hauptstadt ist knapp. Viele Berliner würden gerne nach Brandenburg ausweichen, auch die dortigen Gemeinden wollen wachsen. Doch die gemeinsame Siedlungspolitik von Berlin und Brandenburg will die Bautätigkeit steuern - das sorgt in vielen Orten für Unmut.

Von Sebastian Engelbrecht | 20.03.2019
Sonnenaufgang im Morgengrauen über dem Volkspark Friedrichshain am 16.05.2018 in Berlin.
Die Region um Berlin soll entlang der Bahnstrecken wachsen, die sternförmig ins Land führen - daran übt die Opposition Kritik (dpa / picture alliance / Robert Schlesinger)
Liebätz heißt das kleine Dörfchen im südlichen Brandenburg mit 75 Einwohnern. Kraniche sind hier zu hören, weiß gestrichene Häuser stehen im Halbkreis um eine Backsteinkirche. Liebätz gehört zur Gemeinde Nuthe-Urstromtal, 50 Kilometer südlich von Berlin. Dorf und Gemeinde sind gut angebunden – nicht per Bahn, aber an das Straßennetz. Seit Dezember ist die B 101 nach Berlin fertig, auf der es sich fährt wie auf einer Autobahn. In 45 Minuten ist das Berliner Zentrum zu erreichen. Bei Bürgermeister Stefan Scheddin häufen sich jetzt die Anfragen von Menschen, die hier wohnen wollen, in Liebätz oder einem anderen der 23 Ortsteile der Gemeinde. Aber Scheddin muss den Meisten absagen.
"Wir haben das Problem, dass viele junge Leute wieder zurückkommen wollen in unsere Gemeinde. Aber die wollen nicht in einen Vier-Seiten-Hof ziehen, die wir ja hier überall haben, sondern die wollen sich ihr eigenes Eigenheim schaffen: 800 Quadratmeter Bauland, ein kleines Häuschen drauf, und damit soll’s gewesen sein. Und diese Entwicklung wird uns versagt."
Umstrittene Pläne für Bebauung
Jahrzehntelang schrumpften die Dörfer in den Weiten Brandenburgs. Viele der typischen Bauernhöfe der Region, sogenannte Vier-Seiten-Höfe, verfielen. Jetzt wächst Berlin so schnell, dass selbst in entlegenen Orten wie Nuthe-Urstromtal die Nachfrage nach Bauland steigt. Seit 2011 wurde Berlin jährlich um durchschnittlich 50.000 Einwohner größer. Bis heute mangelt es an Wohnungen für die Einwanderer. Viele zieht es deshalb aufs Land. Aber hier darf nicht jeder bauen, wo er will.
Denn die Länder Berlin und Brandenburg haben im Januar einen gemeinsamen "Landesentwicklungsplan Hauptstadtregion" vorgelegt. Im Frühjahr sollen die Länderparlamente über den Plan abstimmen. Er legt fest, wo Verkehrsachsen neu gebaut oder verstärkt werden sollen, wo Zentren im Land entstehen sollen. Er bestimmt in Grundzügen, wo gebaut werden darf und wo nicht. Stefan Scheddin, der Bürgermeister der Landgemeinde, hält nichts von dem Plan.
"Mein Eindruck ist: Der Landesentwicklungsplan dient nur den Berliner Interessen und den Interessen des Speckgürtels um Berlin herum. Wir werden völlig abgehangen dadurch."
Eine Planung, die schon im Titel den Namen "Hauptstadt" trägt, stößt in Brandenburg auf Skepsis. Da werden Erinnerungen wach. Vor 25 Jahren, 1996, scheiterte die Fusion von Berlin und Brandenburg zu einem gemeinsamen Bundesland. Bei einem Volksentscheid 1996 votierten die Berliner für die Zusammenlegung, die Brandenburger dagegen. Der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe stellte fest:
"Das Zukunftsprojekt ist an Brandenburg gescheitert. Wir müssen leider feststellen, dass damit ein Rückschlag für viele Vorhaben, die wir gehabt haben, und viele Möglichkeiten, die wir gehabt haben, erwachsen. Aber der Wählerwille gilt."
Entlang der Eisenbahntrassen wachsen
Dennoch beschlossen Berlin und Brandenburg noch im selben Jahr eine "Gemeinsame Landesplanungsabteilung" in Potsdam zu gründen. In der Abteilung arbeiten Berliner und Brandenburger Beamte zusammen an der Raumordnung. Sie entwickeln Rahmenpläne für Verkehr, Bebauung, Erholungsgebiete und Infrastruktur in Stadt und Land. Leiter der Abteilung ist Jan Drews.
"In dem gleichen zeitlichen Zusammenhang ist dann aber trotzdem oder sozusagen als kleine Hochzeit, nachdem die große Hochzeit ja gescheitert war, die gemeinsame Landesplanung eingerichtet worden. Die gemeinsame Landesplanung ist tatsächlich etwas, was es so bundesweit noch nicht gegeben hat."
Ulrike Kessler und Jan Drews leiten die "Gemeinsame Landesplanungsabteilung Berlin Brandenburg" in Potsdam
Ulrike Kessler und Jan Drews sind vom Konzept "Siedlungsstern" überzeugt (Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht)
Trotz der Bedenken gegen die gemeinsame Planung: Jan Drews und die Landesplaner von Berlin und Brandenburg haben den Landesentwicklungsplan präsentiert. Und sie haben sich festgelegt: Die Hauptstadt soll entlang der Eisenbahntrassen wachsen. So war das Wachstum Berlins schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Karten der Planer Groß-Berlins angelegt. Bahnfreund Jens Wieseke, Pressesprecher des Berliner Fahrgastverbandes IGEB, begrüßt das Konzept.
"Die Berliner Schnellbahnsysteme sind im Kern für eine Einwohnerzahl von fünf Millionen Menschen konzipiert. Berlin hatte 1942 seine höchste Einwohnerzahl, das waren 4,3 Millionen. Und jetzt kommt natürlich eins dazu: dass der Ballungsraum stärker wird. Deshalb müssen wir wesentlich stärker auf die Vernetzungen zum Ballungsraum achten."
Siedlungsstern soll Bebauung steuern
Plant man die Zukunft der Hauptstadt und ihres Umlands auf der Grundlage des Bahnnetzes, dann bildet sich auf der Landkarte wie auf dem Satellitenbild ganz deutlich ein Bild heraus: der "Siedlungsstern". Gut sichtbar ist er auch beim nächtlichen Anflug auf einen der Berliner Flughäfen. Der Siedlungsstern, die Grundidee der Landesplanung, sei "ein Geschenk der Geschichte", meint Ulrike Kessler. Sie ist die stellvertretende Leiterin der gemeinsamen Landesplanung und vertritt die Interessen Berlins.
"Alle Planer haben sich darauf verständigt: Ja, wir haben dort eine Chance, eine Metropolregion zu entwickeln, die eben nicht wie viele andere europäische Regionen einen klassischen Siedlungsbrei im Speckgürtel hat mit gesichtslosen Vorstadtregionen, sondern wir können sozusagen strukturiert entlang von Verkehrsachsen Siedlungen organisieren, Mobilität organisieren, Flächenverbrauche sinnvoll steuern."
Berlin soll nicht zum Moloch werden, der wahllos mit der Zeit sein Umland auffrisst. Die Landesplaner wollen preußische Ordnung ins Wachstum bringen.
"Der Siedlungsstern ist sozusagen der Motor, mit dem wir Entwicklungen, natürlich von Berlin ausgehend, im Umland steuern können, aber wie wir auch Entwicklungschancen in die Weite Brandenburgs tragen können. Das sagt eigentlich schon der Name ‚Siedlungsstern‘ mit seinen Strahlen: Er strahlt einfach aus und bietet Chancen, Entwicklung hineinzutragen in die Tiefe des Raums."
Kessler und Drews, die Chefs der Landesplanung, sehen in der hundert Jahre alten Idee des Siedlungssterns ein ungebrochen aktuelles Konzept. In der neuesten Landesplanung kommen zu den bisher zehn "Strahlen" des Plans im Nordosten Berlins zwei weitere hinzu: ein Strahl in Richtung Wandlitz und einer nach Werneuchen. Das Konzept des Sterns soll Zersiedlung vermeiden, weniger Flächen verbrauchen, die landwirtschaftliche Nutzung des Bodens erhalten, die Verkehrsströme lenken und – heute besonders wichtig – den Ausstoß von Kohlendioxid verringern.
Jens Wieseke, der unabhängige Bahn-Experte, ist sonst ein kritischer Beobachter staatlicher Verkehrspolitik. Bei der Entwicklung der Hauptstadtregion stimmt er der staatlichen Planung ausnahmslos zu.
"Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Entwicklung von Berlin und Brandenburg entlang der großen Eisenbahnstrecken erfolgt, also die wir schon seit dem 19. Jahrhundert haben. Wir haben viele Städte in Brandenburg, die entwickelt werden können, wo Menschen hinziehen können, die Kapazitäten haben, und deshalb ist es wichtig, dass wir diese Trassen stärken und nicht das Land dazwischen zersiedeln."
Dringlich: Ausbau der Eisenbahnstrecken
Nur eins wirft Wieseke den Planern vor: dass sie in den drei Jahrzehnten seit der deutschen Vereinigung das Bahnnetz um Berlin so zögerlich wieder aufgebaut haben. Bis heute laboriere die Region an den Folgen des Zweiten Weltkriegs.
"Es ist beschämend, dass der deutsche Staat 75 Jahre nach Kriegsende die Kriegsfolgen in seiner eigenen Hauptstadt nicht beseitigt hat. Man darf sich wundern. Damit meine ich vor allem, dass im Sommer 1945 die sowjetische Besatzungsmacht in der Ostzone die zweiten Gleise demontierte, auch bei der Berliner S-Bahn. Und jeder, der mit der S-Bahn von Berlin nach Potsdam fährt, weiß: Dort ist nur ein Gleis. Da kann man nicht sagen: Das sind die bösen Russen gewesen, sondern das ist einfach eine verquälte Verkehrspolitik, die es seit 1990 nicht geschafft hat, das zweite Gleis dort wieder aufzubauen."
In vielen Außenbezirken kann die Berliner S-Bahn bis heute nur im 20-Minuten-Takt fahren, weil das zweite Gleis 1945 von den sowjetischen Truppen abgebaut wurde. Am dringendsten erscheint den Landesplanern aber der doppelgleisige Ausbau der Eisenbahnstrecke nach Stettin.
"Nun entwickelt sich aber natürlich die Europäische Union, und mancher merkt jetzt endlich auch auf Bundesebene, dass auch Polen ein wichtiger Partner ist, nicht nur Frankreich und die westlichen Nationen, sondern auch Polen. Und – ein schöner Gruß nach Hamburg – der nächste Überseehafen für die Bundeshauptstadt heißt Stettin, Szczecin. Und da müssen wir endlich gute Verbindungen bekommen."
Wohnhäuser des kleinen Dorfes Alwine an der Landstraße 65, welches zum Ortsteil Domsdorf der Stadt Uebigau-Wahrenbrück im Landkreis Elbe-Elster gehört. Das Dorf wurde vor einem Jahr versteigert.
Dörfer fürchten abseits der Bahntrassen ins Abseits zu geraten (picture alliance / Patrick Pleul)
Was aber geschieht jenseits der Bahnstrecken, die nach Berlin führen? Jenseits der Lebensadern, die Güter vom Hafen Stettin und auch Pendler aus Frankfurt an der Oder, Brandenburg und Cottbus täglich in die Hauptstadt bringen? Diese Zwischenräume sollen vom Siedlungsdruck verschont bleiben. Planerin Ulrike Kessler sieht in diesen Bereichen ...
" ... natürlich Achsenzwischenräume mit Naturräumen, die sehr stadtnah sind, so, dass wir quasi auch Grün vor der Haustür haben. Das kommt sowohl den Berlinern als auch den Brandenburgern im Umland zugute."
Orte außerhalb der Siedlungsachsen im Nachteil
In den Ohren gestresster Städter klingt das Konzept geradezu vorbildlich. Planungschef Jan Drews preist den ökologischen und ästhetischen Nutzen.
"Uns kommt es darauf an, dass man großräumig auch die Bio-Diversität sicherstellen kann, dass man zusammenhängend auch den Landschaftsraum erleben kann, ohne dass – wie man das in verdichteten Bereichen Westdeutschlands ja sehen kann – alle zwei, drei Kilometer eine Autobahn kommt oder eine Großmastanlage oder was auch immer – also dass man praktisch diese Einheit auch im Verbund entsprechend erleben kann."
Der negative Effekt des Beschlusses ist unübersehbar: Wer in den Räumen zwischen den Strahlen des Siedlungssterns bauen will, der bekommt keine Baugenehmigung. Das Prinzip der Unterscheidung zwischen Gebieten, die entwickelt werden und anderen, die Naturlandschaften bleiben sollen, gilt auch im ländlichen Raum, also jenseits des Speckgürtels. Zum Beispiel in der Gemeinde Nuthe-Urstromtal. An sogenannten "zentralen Orten" darf dort gebaut werden, in den Zwischenräumen ist das Bauen streng begrenzt, damit das Landschaftsbild und Erholungsräume erhalten bleiben. Hier legt der Landesentwicklungsplan eine eiserne Regel fest:
"Da haben wir eine Regel in dem Plan eingeführt, dass wir sagen: Es darf pro 1.000 Einwohner – es hängt ja von der Größe ab – ein Hektar entwickelt werden in zehn Jahren."
Für Nuthe-Urstromtal ist das die schlechteste Nachricht, die der Landesentwicklungsplan mit sich bringt. Die Gemeinde umfasst 338 Quadratkilometer und ist damit größer als München. Nuthe-Urstromtal ist die größte Landgemeinde Deutschlands. Da sie aber nur 6740 Einwohner hat, dürfen in den kommenden zehn Jahren nur sieben Hektar entwickelt, also bebaut werden.
Im Büro von Bürgermeister Stefan Scheddin landen all die Bauanfragen, die er meist mit einem Schulterzucken abweisen muss.
"Man kann nicht sagen wir geben pro 1.000 Einwohner ein Hektar Bauland verteilt auf 23 Ortschaften, weil wenn jemand im nördlichsten Bereich bauen möchte, nützt ihm das Bauland im südlichsten Teil nichts. Und wir als Gemeinde müssen jetzt rausfinden, wo brauchen wir denn das Bauland am nötigsten?"
Kritik am Plan wird zum Wahlkampfthema
Bei der Sieben-Hektar-Regelung endet die viel gepriesene "kommunale Planungshoheit", die offiziell auch in Brandenburg gilt. Unmut regt sich überall im ländlichen Raum, wo viele nach jahrzehntelanger Stagnation hoffen, vom Wachstum Berlins profitieren zu können. Ilse Wandel beschwert sich im Bürgerbüro der CDU in Treuenbrietzen, einer Kleinstadt nicht weit von der Grenze zu Sachsen-Anhalt, über die Ungerechtigkeiten in der Landesplanung.
"Ich denke, das darf eine Landesregierung eigentlich nicht so machen. Ihr Land, was sie eigentlich gleich behandeln sollen, die Flächen, unterschiedlich bewerten und unterschiedlich in ihrer … sagen wir mal: Diese Einteilung finde ich ein Paradoxon."
Dieser Kritik schließt sich auch Ingo Senftleben an, CDU-Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer im Landtag von Brandenburg. Er will sich am 1. September zum neuen Ministerpräsidenten wählen lassen. Die aus seiner Sicht verfehlte Landesplanung gehört zu seinen Wahlkampfthemen.
"Deswegen habe ich angekündigt, noch in der ersten Woche meiner Regierungszeit Berlin mitzuteilen, dass ich diesen Vertrag kündigen würde, aber natürlich auch anbieten würde, auf Augenhöhe neu zu verhandeln."
Sowohl der sozialdemokratische Ministerpräsident Woidke als auch der Berliner Regierende Bürgermeister und SPD-Mann Michael Müller verrieten jeweils ihr Bundesland, meint Senftleben.
"Dieser Entwicklungsplan bremst das Wachstum in Berlin und Brandenburg gleichermaßen. Dieser Plan ist ein Verhinderungsplan. Und allein bei der Frage der Nachfrage nach guten Wohnungen und Häusern werden wir mit diesem Plan die Nachfrage in Berlin und Brandenburg mit diesem Plan nicht bedienen können. Wir können einfach zu wenig wachsen, zu wenig bauen."
Tatsächlich sehen die Planer ein Potenzial von 515 000 Wohnungen, die innerhalb des "Siedlungssterns" gebaut werden könnten – ohne dass neue Wohngebiete auf der grünen Wiese Flächen verbrauchen müssten. Dem Brandenburger CDU-Fraktionschef Ingo Senftleben ist das zu wenig – und die Planung zu dogmatisch.
"Ich möchte vor allen Dingen nicht den Eindruck erwecken, dass Potsdam in einer Art Planwirtschaft mit klaren Vorgaben – nur so und so viel Häuser dürfen gebaut werden pro Jahr – in diesem Land agiert. Ich möchte etwas mehr mutig das Wachstum auch ermöglichen und voranschreiten, und deswegen ist aus meiner Sicht dieser Plan wirklich eine Ideologie von Rot-rot – insbesondere: Brandenburg darf nicht wachsen."
Der parteilose Bürgermeister von Nuthe-Urstromtal, Stefan Scheddin, stimmt Senftleben zu.
"Wir möchten, dass es uns möglich ist, in jedem Ortsteil Bauland zu schaffen. Und dass uns niemand daran hindert. Mit welchem Recht versagt man uns eine Baumöglichkeit?"
Nachfrage nach Bauland ist groß - auch in kleinen Orten
In Liebätz, diesem Ortsteil mit 75 Einwohnern in der Gemeinde Nuthe-Urstromtal, ist Bürgermeister Scheddin mit seinen jüngsten Bauvorhaben gescheitert. Er hatte vorgeschlagen, den Halbkreis um die Backsteinkirche von Liebätz zu schließen. Deutlich erkennbar hinter dem Ortseingangsschild wollte der Bürgermeister neue Häuser bauen lassen.
"Direkt straßenbegleitend würden wir gern drei Baufelder schaffen. Dieses wird uns versagt aus den widersinnigsten Gründen. Es heißt, die Ortsstruktur wäre dann nicht mehr gegeben."
Stefan Scheddin, Bürgermeister der Gemeinde Nuthe-Urstromtal, in Liebätz.
Stefan Scheddin sieht seine Gemeinde durch den Siedlungsplan benachteiligt (Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht)
In diesem Falle kam die Absage vom Landkreis Teltow-Fläming, nicht von der Landesplanung in Potsdam. Im Kern aber bleibt das Problem identisch: Die staatliche Planung hindert in bestimmten Bereichen den Bau von Wohnungen, obwohl die Nachfrage groß ist. Oppositionschef Ingo Senftleben will die Landesentwicklung als "Wachstumsbremse" abschaffen.
"Wir haben bereits heute einen riesigen Bedarf an Wohnungen, an gut bezahlbaren Wohnungen in Berlin und Brandenburg, und dieser Plan wird diese Tragödie noch weiter festschreiben. Und deswegen sind nicht nur Berlin und Brandenburg die Verlierer, sondern die Menschen in Berlin und Brandenburg sind die Verlierer."
Senftleben macht Druck. Er will die Dynamik, die in Berlin und im Speckgürtel der Stadt herrscht, ungebremst auf das ganze Land ausstrahlen lassen. Und er will Landesplanung neu definieren.
"Ich möchte, dass wir Mindeststandards festlegen, die überall in Brandenburg gelten, worauf sich ein Brandenburger verlassen kann bei der staatlichen Daseinsvorsorge, bei der Infrastruktur, bei der Anbindung mit Bus und Bahnen, bei der Versorgung mit Mobilfunk, mit Breitband, bei Schulangeboten. Es muss sich in Brandenburg jeder darauf verlassen können, dass er ein Mindestmaß an guten Wohnbedingungen vor Ort wiederfindet."
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke lässt die Kritik abprallen.
Noch kann der Plan gestoppt werden
"Ich glaube, dass die kritischen Stimmen, die man hört, die da fordern, wir sollten ganz auf Planung verzichten – da fragt man sich wirklich, aus welcher Welt wir denn kommen. Natürlich müssen wir gemeinsame Ziele definieren für uns im gemeinsamen Großraum Berlin-Brandenburg, um diese Herausforderungen der Zukunft überhaupt lösen zu können."
Und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller verteidigt den Landesentwicklungsplan gegen die Kritik der CDU, der Plan sei eine Wachstumsbremse.
"Die Entwicklung Berlin Brandenburg kann man nur zusammen denken und damit auch den Wohnungsbau zusammen denken und in diesem Zusammenhang haben wir uns eben auch entsprechend zu den großen Verkehrsachsen, Wohnungspotzentiale angeguckt. Jetzt geht, kann das nach unserem Beschluss heute in die weitere Umsetzung gehen."
Noch ist der Landesentwicklungsplan für die Hauptstadtregion nicht beschlossen. Obwohl er seit 2016 schon zwei Mal der Öffentlichkeit vorgelegt und überarbeitet wurde, hat die Opposition zumindest theoretisch die Chance, die Landesplanung im Parlament zu stoppen. Stefan Scheddin jedenfalls, der Bürgermeister von Nuthe-Urstromtal, hofft darauf.
"Ich wünsche mir als Erstes, dass man sich grundsätzlich nicht nur auf die Hauptstadtregion konzentriert, sondern den ländlichen Raum nicht vergisst. Und das ist der Fall."