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Landesinitiative Baden-Württemberg
Aus für Orchideenfächer verhindern

Als im Februar 2015 IS-Kämpfer assyrische Kulturgüter zerstörten, waren vor allem Assyriologen und Papyrologen wichtige Informationsquellen. Damit diese Disziplinen - sogenannte "kleine Fächer" - an den Unis weiterhin überleben können, hat Baden-Württemberg nun eine Landesinitiative gestartet.

Von Michael Brandt | 27.04.2015
    Eine Studentin der Schulpädagogik schreibt am 17.10.2012 während einer Vorlesung in einem vollen Hörsaal in der Universität in Tübingen (Baden-Württemberg) mit.
    Allein an der Tübinger Universität gibt es über 25 Fächer, die die Kriterien für ein kleines Fach erfüllen: weniger als drei Professuren, aber dennoch einen größer werdenden Forschungsbereich. (picture alliance / dpa - Jan-Philipp Strobel)
    Lisa Riesner studiert in Tübingen Allgemeine Rhetorik:
    "Ich komme aus Stuttgart und wollte ganz weit weg, nach Berlin, dann hab ich Rhetorik im Internet gefunden, und hab gedacht: Das ist es. Mit Latein, dieser antike Zugang auch, das war meins!"
    Das Seminar für Allgemeine Rhetorik an der Tübinger Uni liegt ganz oben, im 5. Stock des Neuphilologikums und ein bisschen exklusiv ist es schon. Erstens weil das Seminar für und von Walter Jens gegründet wurde. Und zweitens, weil es ziemlich einzigartig ist in Deutschland, ein sogenanntes kleines Fach. Klein zunächst wegen der Zahl der Professuren, so Privatdozent Olaf Kramer:
    "Sehr klein sind wir, wenn wir aufs Personal sehen. Es gibt zwei Professoren nur, die die Rhetorik vertreten, insofern ist die Personaldecke relativ dünn."
    Orchideenfächer: Ägyptologie, Biblische Archäologie, Islamwissenschaft
    Allgemeine Rhetorik, Ägyptologie, Biblische Archäologie, Islamwissenschaft, Empirische Kulturwissenschaften, allein an der Tübinger Universität gibt es über 25 Fächer, die die Kriterien für ein kleines Fach erfüllen: weniger als drei Professuren, aber dennoch ein Forschungsbereich, der eher größer als kleiner wird.
    In Heidelberg zum Beispiel gibt es die Papyrologie mit nur einer Professur. Ein Fach, das in Vergessenheit zu geraten drohte, bis dann im Februar IS Kämpfer wichtige assyrische Kulturgüter zerstörten. Dann plötzlich stürzten sich unter anderem die Medien auf Assyriologie, Archäologen und Papyrologen.
    Das Beispiel von Heidelberg zeigt, wie wichtig kleine Fächer sein können. Um in Zeiten knapper Kassen aber genauer einen Überblick über die kleinen Fächer zu bekommen und deren Leistungsstärken, hat Baden-Württemberg eine Landesinitiative gestartet und eine Expertenkommission beauftragt.
    Neue Strukturen für kleine Fächer schaffen
    Die hat getagt, sie hat ein Symposium einberufen und sie hat am Ende eine Liste mit Vorschlägen vorgelegt, wie es mit den kleinen Fächern weitergehen soll. Dabei geht es nicht um Entscheidungen von oben, was aus dem ein oder anderen Fach werden soll, sondern vielmehr sollen Strukturen geschaffen werden, die die Fächer nachhaltig besser aufstellen sollen, so die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer:
    "Erstens werden wir einen Strukturfond für kleine Fächer einrichten, der innovative Konzepte unterstützen soll. Diese werden zu entwickeln sein von den Experten vor Ort."
    Der Fond ist mit einer Million Euro pro Jahr zwar nicht üppig ausgestattet, aber doch so, dass er die Unis und die Fächer unterstützen kann, wenn Bedarf ist.
    Zweitens soll es an einer Landesuniversität einen Zukunftsrat für die kleinen Fächer geben. Der soll zum einen die Interessen der kleinen Fächer moderieren, koordinieren und auf Landesebene vertreten. Und bei Bedarf, wenn beispielsweise ein Fach an zwei Universitäten vorhanden ist, aber jeweils zu klein, um zu überleben, bei einer möglichen Zusammenlegung helfen. Drittens, so Theresia Bauer:
    "Wir werden eine Forschungsstelle einrichten, die die Arbeit an den gewonnen Daten weiter entwickeln und aufbereiten soll."
    Viertens und fünften sollen der Transfer des Wissens aus kleinen Fächern in die Gesellschaft unterstützt werden, sowie die Aktivitäten in Baden-Württemberg über die Landesgrenzen hinweg vernetzt werden.
    "Kleine Fächer gehören zu großer Uni"
    "Dass man über die Grenzen hinweg schaut, wie hält man so was wie kritische Masse zusammen. Deshalb ist es wichtig, dass wir da auch in andere Länder und auch zum Bund schauen."
    In Baden-Württemberg gibt es beispielsweise nur noch an einer Landesuniversität, nämlich in Freiburg, eine Professur für mittellateinische Philologie. Die entsprechenden Lehrstühle in Tübingen und Heidelberg wurden geschlossen. Aus Perspektive des Landes hat das Fach dennoch eine große Bedeutung, denn im Landesbesitz sind erhebliche Mengen mittelalterliche Bücher und Handschriften.
    In diesem Fall war es also Glücksache, dass nicht auch Freiburg beschlossen hat, dass es keinen Mittellateiner mehr braucht. Und das Ziel der Landesinitiative ist, dass hier künftig kein Glück mehr nötig ist, weil es eine strukturierte Planung gibt.
    Der Tübinger Rhetoriker Olaf Kramer jedenfalls begrüßt die Initiative ausdrücklich. Für ihn gehören kleine Fächer zu einer großen Uni:
    "Insofern finde ich eine solche Initiative sehr gut und hoffe, dass sich daraus jetzt auch eine ganze Menge ergeben wird, um die kleinen Fächer ins Bewusstsein zu holen, denn sie gehören eben irgendwie zu einer bunten Universitätslandschaft dazu."