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Landwirte in Deutschland
Das Sterben der Höfe

Hohe Investitionen, geringe Erzeugerpreise: Landwirte müssen häufig ums Überleben kämpfen. Viele werfen das Handtuch, weil sie sich von der EU-Agrarpolitik nicht ausreichend unterstützt fühlen. Betriebe ab 200 Hektar aufwärts profitieren, Ökobauern dagegen haben es in Deutschland schwer.

Von Jantje Hannover |
An einem Traktor spiegelt sich in einer Pfütze ein Transparent mit der Aufschrift: "#Buurn out Syndrom".
Ein schleichender Konzentrationsprozess findet statt: weniger Betriebe, die mehr Land besitzen. Das ist zu einem gewissen Grad politisch erwünscht. (dpa / Guido Kirchner)
"Wir haben hier zwei Sorten, die Jelly, eine gelbschalige und die Rosara, mit roter Schale. Und damit die Bauerngärtner das gut unterscheiden können, auch zwei Sorten mit unterschiedlicher Schalenfarbe."
Anja Wünsch hockt auf der Ladefläche eines Lieferwagens, hinter ihr türmt sich ein Stapel Jutesäcke, gefüllt mit Kartoffeln. Sie greift sich den nächsten Sack, schneidet ihn auf, kippt den Inhalt in eine stabile Holzkiste.
"Also wir füllen die jetzt quasi nicht zu dicht in diese Vorkeimkisten, und dann werden die zu zehn Stück Kistentürmen gestapelt und von allen Seiten beleuchtet."
Mietgartenprinzip mitten in Berlin
Wenn die Temperatur mitspielt, es also nicht zu früh warm wird, bilden die rundum beleuchteten Kartoffeln jetzt stabile kurze Keime aus. Werden die Knollen dann in die Erde gesetzt, stoßen die Kartoffelkeime zwei Wochen früher durch die Erdoberfläche. Das ist gerade im Ökolandbau wichtig, um sich einen Vorsprung vor der Kraut- und Knollenfäule zu verschaffen. Die Hof Wendelin GmbH, zu der der Bauerngarten gehört, ist kein typischer landwirtschaftlicher Betrieb. Er arbeitet mit einer Fläche von nur zehn Hektar innerhalb der Stadtgrenzen von Berlin. Ganz überwiegend liegen die Äcker im botanischen Volkspark Pankow und sind für jeden öffentlich zugänglich, erklärt der studierte Landwirt Phillip Brändle:
"Das Besondere ist, dass wir dieses Mietgartenprinzip haben, das heißt wir machen die Grundbodenbearbeitung im Frühjahr und machen die Bepflanzung von Gemüseparzellen und dann verpachten wir diese Parzellen an engagierte Städterinnen und Städter und führen sozusagen durchs landwirtschaftliche Gartenjahr mit Workshops und so weiter."
Mit diesem Betriebskonzept schafft es der Bauerngarten, viereinhalb Arbeitsplätze aus eigener Kraft zu finanzieren. Gezahlt wird nicht nur Mindestlohn, sondern nach Tarif:
"Das ist ein sehr gut funktionierendes Konzept, und kann für kleine landwirtschaftliche Betriebe durchaus lukrativ sein, gerade für Existenzgründer und Existenzgründerinnen, die nicht total viel Eigenkapital mitbringen, eine Möglichkeit sein, Stadt nah in die Landwirtschaft einzusteigen."
Mehr als jeder dritte Bauernhof hat aufgegeben
Die Katze sitzt auf dem Fensterbrett in der Küche
Viele Höfe geben auf - nicht nur aus Altersgründen (Foto: Matteo Cocco )
Hier ist die Lokalpolitik gefragt, junge Existenzgründerinnen bei der Suche nach kleinen Flächen in Stadtnähe zu unterstützen. Denn Städter, die sich für biologischen Gemüseanbau begeistern oder gerne welches aus der unmittelbaren Nachbarschaft kaufen wollen, gibt es überall in Deutschland genug. Mit neuen Konzepten kann also auch heute noch der Einstieg in die Landwirtschaft gelingen. Ansonsten zeigt der Trend aber in die entgegengesetzte Richtung: seit 1999 ist die Anzahl der Betriebe um 42 Prozent zurückgegangen. Deutlich mehr als jeder dritte Bauernhof hat aufgegeben. Besonders hart hat es die Bauern in Bayern und Rheinland-Pfalz getroffen. In den Dörfern ist dieser Aderlass zu spüren:
"Die Landwirtsfamilien sind ja über Jahrhunderte mit ihren Dörfern verwachsen und sind Träger vielen sozialen Lebens."
Sagt Brigitte Scherb, die selbst einen Hof mit 130 Hektar Land in Niedersachsen bewirtschaftet. Als Präsidentin des Landfrauenverbands vertritt sie ehrenamtlich eine halbe Million Frauen, die auf dem Land leben.
"Die Landwirtschaft ist in der Feuerwehr, sie ist in den Vereinen präsent, wenn die Kirchengemeinde ein Sommerfest macht, ja wer kommt denn dann? Mit Equipment, mit Einsatz, mit Engagement? Es sind ganz, ganz oft die Landwirtsfamilien. Egal was es ist, Landwirtschaft hat neben der Bewirtschaftung der Flächen und der Ernährung der Bevölkerung für die Dörfer einen ganz hohen sozialen Wert."
"Heuschrecken" kaufen Ackerland als Anlage
Inzwischen gibt es aber immer mehr Dörfer, in denen kein aktiver Landwirt mehr lebt. Lediglich die Äcker und Weiden des scheidenden Bauern oder seiner Erben werden weiter bewirtschaftet. Entweder pachtet der nächstgrößere Betrieb aus der Nachbarschaft die Flächen, oder sie werden verkauft.
"Flächen werden häufig frei, wenn Verpächter versterben und die Erbengemeinschaft nicht weiter interessiert ist an der Landwirtschaft und – ich sage jetzt einfach so – die Dollarzeichen in den Augen haben."
Karin Beuster ist Geschäftsführerin der Luch-Agrar GmbH in Brandenburg. Ackerland gilt als gute Anlagemöglichkeit und in den letzten Jahren sind die Preise extrem gestiegen:
"Und kaufen tun solche Flächen in meinen Augen – ich sage zu denen immer "die Heuschrecken". Also die, die ihr Geld überhaupt nicht in der Landwirtschaft verdienen müssen und aus ganz anderen Bereichen kommen."
Luftaufnahme einer monotonen Feldlandschaft in Nordholland
Höfe ab 300 Hektar profitieren stärker von Subventionen (picture alliance / Blickwinkel)
Mehr Betriebe ab 200 Hektar aufwärts
Und bei den so genannten "Share Deals", bei denen Investoren Anteile an einer GmbH erwerben, sparen sie sogar noch die Grunderwerbssteuer für den Boden ein. Insgesamt 28.500 Hektar Land wechselten zwischen 2007 und 2017 als "Share Deal" den Besitzer. Auch der Flächenverlust an Straßen- und Siedlungsbau - Tag für Tag sind das 62 Hektar - macht Druck und hält die Preise für Ackerland hoch. Ein schleichender Konzentrationsprozess findet statt: weniger Betriebe, die mehr Land besitzen. Seit dem Jahr 2000 wuchs die durchschnittliche Flächenausstattung in Deutschland um deutlich mehr als die Hälfte, lediglich die Betriebe ab 200 Hektar aufwärts sind mehr geworden. Ein Landwirt ernährt heute viel mehr Menschen als noch vor 50 Jahren, erinnert Brigitte Scherb:
"Überlegen sie mal, die Generation unserer Großeltern, wie viele Stunden die arbeiten mussten, um sich einen Laib Brot zu kaufen? Nur weil ich für meine Ernährung nicht mehr das ausgeben muss wie früher, habe ich doch heute Möglichkeit es für Auto, für Bildung, für Urlaub, für alles Mögliche was mir lieb und teuer ist, auszugeben."
Dass immer weniger Menschen von der Landwirtschaft leben können, ist also bis zu einem gewissen Grad politisch erwünscht. Denn Lebensmittel werden dadurch günstiger, und die freiwerdenden Mittel kurbeln dann das Wirtschaftswachstum an. Gleichzeitig macht der Strukturwandel Agrarprodukte auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig, sie können besser exportiert werden. Landwirte in Deutschland und Europa erhalten Fördermittel aus Brüssel. Die Gelder für die so genannte Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union sind immer noch der größte Einzelposten im EU-Haushalt. 2018 waren es über 55 Milliarden Euro.
Gemeinsame Agrarpolitik umstritten
Die Gemeinsame Agrarpolitik gibt es seit 1962. Damals gehörten nur Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg zur EWG, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik, auch GAP oder 'Ge-A-Pe' genannt, war seinerzeit, die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, den Handel zu stärken und die Einkommen der Bauern zu sichern. Der Hunger aus den Nachkriegsjahren war noch nicht vergessen. Heute profitieren 28 Mitgliedsländer von den Zahlungen aus der GAP, um die es auch auf der Agrarministerkonferenz vom 10. bis 12. April in Landau geht. Die Ziele der GAP haben sich inzwischen verändert:
"Das wichtigste Ziel ist, dass sie ländliche Räume stabilisiert, ländliche Räume lebenswert hält, dass sie eine wirtschaftlich stabile und auch eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft unterstützt, und dass natürlich auch etwas für das Thema Umwelt, Biodiversität und Klimaschutz getan wird."
Sagt Bernd Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands.
Europaflaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel | picture alliance / dpa | Verwendung weltweit
Viele Akteure beeinflussen agrarpolitische Diskussionen bei der EU-Kommission in Brüssel (dpa)
"Wir haben ja in agrarpolitischen Diskussionen eine ganze Reihe von Akteuren, die der jetzigen GAP das Zeugnis ausstellen, dass sie überhaupt nichts taugt, und dass sie komplett geändert werden muss. Und dem widersprechen wir natürlich. Es gibt sicher Handlungsbedarf, Anpassungsbedarf. Wir müssen die GAP weniger bürokratisch umsetzen, wir müssen sicherlich auch mehr Zielorientierung haben."
Große Flächen werden bevorzugt subventioniert
Mit Zielorientierung ist vor allem eine Koppelung der Zahlung an Leistungen der Bauern im Bereich Umwelt und Biodiversität gemeint.
"Aber dass wir jetzt sozusagen komplett aus dem Thema landwirtschaftliche Einkommenssicherung und Schaffung einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft aussteigen, das halten wir für nicht vorstellbar."
Seit 2003 wird über die GAP nicht mehr der Liter Milch oder die Tonne Weizen gefördert, wie das zuvor der Fall war, sondern die Größe der Fläche Land, die ein Betrieb bewirtschaftet. Dieses Umschwenken wirkte gegen Butterberge und Milchseen. Die europäische Landwirtschaft wurde wettbewerbsfähiger. In Deutschland erhält jeder Betrieb heute rund 250 Euro im Jahr pro Hektar. So sind aber auch neue Ungerechtigkeiten entstanden:
"Je mehr Fläche ich bewirtschafte, desto mehr Geld bekomme ich. Das ist so das Motto: Wer viel hat, dem wird viel gegeben."
Kritisiert Phillip Brändle vom Bauerngarten, der im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft sitzt. In Deutschland zum Beispiel geht inzwischen ein Fünftel der Agrargelder an nur ein Prozent der Betriebe. In Europa wird sogar die Hälfte des beackerbaren Landes von nur 3,1 Prozent der Betriebe bewirtschaftet. Diese Höfe, zum Beispiel in Osteuropa, erhalten Beihilfen in Millionenhöhe. Ohne die Gemeinsame Agrarpolitik GAP würde es die Betriebe in dieser Form wahrscheinlich gar nicht geben.
Förder-Schieflage bei umweltgerechter Bewirtschaftung
Die EU-Kommission hat wiederholt versucht, gegen diese Schieflage anzusteuern. Im Moment laufen die Planungen für die Förderperiode ab 2021. Auch diesmal ist eine verbindliche Kappung der Zahlungen ab einer Fördersumme von 100.000 Euro im Gespräch. Allein dieses Ansinnen wird regelmäßig von einzelnen Mitgliedsländern ausgebremst, zum Beispiel von Deutschland.
"Also mit Kappung und Degression löst man die Herausforderungen, denen die Betriebe gegenüberstehen, nicht. Wir halten das für kein geeignetes Instrument."
Sagt Bernd Krüsken vom Deutschen Bauernverband.
"Man hat natürlich, wenn man mehrere Hektare hat, einen Kostenvorteil, allein schon aufgrund des Einkaufs oder der Rationalisierungsmöglichkeiten."
Julia Klöckner (CDU), Bundeslandwirtschaftsministerin besichtigt auf der Internationalen Grünen Woche die Halle des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft mit einem Hightech-Stall mit Drohnenüberwachung.
Internationale Grüne Woche 2019 (Wolfgang Kumm/dpa)
Ergänzt die zuständige Agrarministerin, Julia Klöckner von der CDU:
"Aber am Ende ist auch wichtig, keine Kappung obligatorisch vorzunehmen. Denn wenn wir wollen, dass jeder Hektar umwelt- und ressourcengerecht bewirtschaftet wird, dann hat das nichts mit der Anzahl der Hektare zu tun, sondern ob jeder einzelne so bewirtschaftet wird."
Umverteilungsprämie schützt vor allem Großbetriebe
Julia Klöckner möchte Umweltbelange stärker in den Zahlungen der GAP berücksichtigt wissen. Konkret möchte sie sich dafür einsetzen, dass jeder Landwirt Flächen aus der Produktion nehmen muss, damit hier Vögel, Insekten und Feldhasen Nahrung finden.
"In Deutschland haben wir ja sehr unterschiedliche Betriebsstrukturen, im Süden ganz andere - allein schon wegen der Geografie - als im Osten oder im Norden Deutschlands. Sie sollen vor allem familiengeführt und bäuerlich auch sein. Uns hilft die Umverteilungsprämie, das ist ein gutes Instrument, mit dem wir kleinere und mittlere Betriebe gezielt fördern können."
Um kleineren Betrieben zu helfen, werden in Deutschland die ersten 46 Hektar eines Betriebs stärker gefördert als die folgenden. Und zwar mit insgesamt ungefähr 2.000 Euro zusätzlich, die so genannte Umverteilungsprämie. Das ist allerdings ein großes Wort für eine Summe, die viel zu niedrig ist, um auch nur einen Arbeitsplatz zu erhalten. Deutschland könnte hier mehr tun; die EU-Regeln erlauben, bis zu 30 Prozent der Direktzahlungen an kleinere Betriebe umzuverteilen. Tatsächlich sind es nur sieben. Außerdem schützt Deutschland mit dieser Prämie auch seine Großbetriebe. Denn auf der Agrarministerkonferenz in Brüssel wurde gerade erst diese Woche beschlossen, dass jeder Mitgliedsstaat, der etwas Geld für die ersten Hektar umverteilt, keine Kappung bei Zahlungen ab 100.000 Euro zu befürchten hat.
Ständig neue Auflagen, besonders für Tierhalter
Dabei benachteiligt die pauschale Flächenprämie nicht nur die kleineren Höfe, sondern auch die mit einer hohen Produktivität pro Hektar. Betroffen sind Wein- oder Gartenbauer, Schweine- und Geflügelhalter. Die meisten Bauern, die es zurzeit aus dem Markt drängt, sind Tierhalter. Ihre Investitionskosten sind extrem hoch und ständig müssen neue Auflagen – ganz aktuell zur Tierwohlinitiative - gestemmt werden. Dazu zählen auch die Milchbauern. Wer Agrarprodukte veredelt und dabei Arbeitsplätze schafft, wird kaum gefördert, sagt Karin Beuster von der Luch-Agrar-GmbH in Brandenburg:
"Bei uns im Ort gibt es zwei Landwirtschaftsbetriebe. Wir machen die Milchproduktion mit zweihundert Kühen und 570 Hektar und haben wie gesagt sieben Leute, insgesamt mit den Teilzeit-Beschäftigten sind es zehn. Der Andere hat nicht ganz so viel Fläche, macht das alleine, den Marktfruchtbetrieb, und kriegt die gleiche Förderung. Es wird also in keiner Weise irgendwo honoriert, dass wir Arbeitsplätze schaffen, dass wir auch in der Region aktiver sein können, und dass wir Veredelung machen. Man muss sich eigentlich an den Kopf fassen und fragen, warum macht man das ganze Spiel?"
Vor der Milchkrise in den Jahren 2015 und 2016 war die Luch-Agrar-GmbH noch ein gesunder Betrieb.
"Wir haben gute Reserven gehabt, wie man so schön sagt: eine Ernte auf dem Dach, eine Ernte auf dem Halm, und eine Ernte auf der Bank. Das hatten wir alles, aber das ist mit der letzten Krise alles verbraucht worden. Ich sehe nicht ein, dass wir dafür uns noch Geld holen müssen, um diese Arbeit am Laufen zu halten."
Viele Milchviehbetriebe müssen aufgeben
Ein Bauer treibt eine Kuh über eine Weide.
Viele Milchbauern haben in den vergangenen Jahren aufgegeben. (dpa / Oliver Berg)
Karin Beuster hat die Reißleine gezogen und beschlossen die Milchproduktion aufzugeben. Erschöpft sitzt sie am Schreibtisch in ihrem kleinen Büro. Heute Morgen wurden die ersten 50 Kühe abgeholt, weitere sollen am Nachmittag folgen. Ein anderer Milchviehbetrieb aus der Region übernimmt die Tiere. Beuster ist froh, dass sie nicht geschlachtet werden müssen. Die Geschäftsführerin will den Hof nicht aufgeben, aber künftig will sie nur noch mästen und das Fleisch dann ökologisch vermarkten. Dafür muss sie Leute entlassen, darunter einen langjährigen Kollegen, der im selben Dorf lebt.
"Ich halte die Zahl der Arbeitskräfte, die mit einzuberechnen, für nicht sehr zielführend, denn am Ende ist es unglaublich bürokratisch."
Sagt die zuständige Agrarministerin Julia Klöckner:
"Und vor allem kann man da auch tricksen und insofern hätte man da mit Zitronen gehandelt."
Immer höhere Auflagen, immer geringere Erlöse
Einen Bonus für Arbeitskräfte hat dagegen die 'Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft', kurz AbL, in ihrem Vorschlag für eine neue GAP vorgesehen. Der wird aber derzeit auf EU-Ebene nicht ernsthaft diskutiert. Die AbL vertritt die kleinen und mittleren Bauern in Deutschland, hat aber deutlich weniger Mitglieder als der Deutsche Bauernverband. Die Leistungen der Landwirte beispielsweise - wie viele verschiedene Kulturen jemand anbaut -, aber auch die Größe der Fläche, will die AbL mit einem Punktesystem bewerten und so mehr Gerechtigkeit schaffen:
"Wenn man sich jetzt hinsetzt und sagt, was sind die großen Herausforderungen in der Landwirtschaft, oder wo muss die Landwirtschaft einen gesellschaftlichen Beitrag leisten, dann kommt man an den Punkt, dass man sagt: wir haben Probleme mit dem Klimaschutz, wir haben Probleme beim Tierwohl. Also die Gesellschaft verlangt nach Kühen auf der Weide, nach Schweinen auf Stroh mit Auslauf, nach Hühnern, die in der Erde picken. Das sind enorme Investitionskosten, die da auf die Bäuerinnen und Bauern zukommen. Die müssen ihre Ställe umbauen. Auch da helfen uns die pauschalen Flächenzahlungen nicht weiter."
"Landwirtschaft in Deutschland zu machen wird immer schwieriger, die Auflagen werden immer höher, und die Erlöse werden immer geringer."
Betriebsmittel viel höher, Pachten extrem gestiegen
Ergänzt Brigitte Scherb von den Landfrauen, die ihre politische Heimat eher beim deutschen Bauernverband verortet. Eine gute Förderung kann helfen, aber den meisten Bauern drückt der Schuh ganz woanders, sagt die Landwirtin:
"Die neuen Aufschläge, die beim Düngerecht und Ähnlichem gemacht worden sind, die Zuckermarktordnung ist weggefallen, Viehhaltung ist problematisch geworden, die Beizmittel, Neonicotinoide und andere Dinge, die sichere Ernten uns garantiert haben, sind weggenommen; wir müssen ausweichen. Die Betriebsmittel als solche sind extrem viel höher geworden, Pachten sind extrem nach oben gegangen. Das macht die wirtschaftliche Situation auf den Höfen schwierig. Und es ist nicht nur so, dass die kleinen Höfe Schwierigkeiten haben, auch große Betriebe, zum Beispiel in den neuen Bundesländern."
Bei den größeren Höfen ist es oft der Kapitaldienst auf getätigte Investitionen, der die Bauern belastet. Die meisten Betriebe werden aber aufgegeben, weil die Bauern alt geworden sind und sich zurückziehen wollen. Jetzt gilt es, trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten einen Nachfolger zu finden. Brigitte Scherb empfiehlt, das Thema pragmatisch anzugehen:
"Da muss man eben wirklich mal sich als Familie offen hinsetzen und sagen: wo sind unsere Perspektiven, wie sehen unsere Konten aus, müssen wir neu investieren? Können wir davon leben, mit auch gesteigerten Ansprüchen?"
Hohe Investitionskosten vs. schlechte Erzeugerpreise
21.07.2018, Brandenburg, Worin: Ein Mähdrescher erntet Winterroggen auf einem Feld des Präsidenten des Landesbauernverbandes Brandenburg, Wendorff (Luftaufnahme mit einer Drohne). Brandenburgs Landwirte haben sich nach der wochenlangen Hitze und der andauernden Trockenheit erste Überblicke über Ernteschäden verschafft. «Unsere Befürchtungen haben sich bestätigt», sagte Wendorff. Stellenweise liege der Ertrag bei nur noch 50 Prozent eines normalen Jahres. Die Verluste auf den Äckern in der «märkischen Streusandbüchse» mit humusarmen sandigen Böden seien nach ersten Befragungen immens.
Große Herausforderungen für Bauern: Finanzierung, Auflagen, Bürokratie und am Ende des Tages wenig Erträge (dpa / Patrick Pleul)
Die Landfrauenverbandspräsidentin konnte mit ihrer Familie diese Fragen insgesamt positiv beantworten: ihr Sohn hat den Betrieb bereits übernommen. Aber das klappt längst nicht überall, denn häufig interessieren sich die Kinder gar nicht für Landwirtschaft und wollen lieber in der Stadt leben. Manchmal läuft es aber auch genau anders herum:
"Ich bin sozusagen durch Zufall auf die Landwirtschaft gestoßen und hängengeblieben und liebe die Landwirtschaft sehr."
Sagt zum Beispiel Phillip Brändle von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin will er jetzt einen Hof in Brandenburg erwerben, mit eigenem Land, den nötigen Maschinen und 30 Kühen. 1,5 Millionen Euro soll das alles kosten. Seinen Business Plan hat der 34-Jährige bei der Bank eingereicht. Jetzt heißt es hoffen und warten:
"Das Startkapital, das man braucht, ist natürlich sehr, sehr, sehr hoch. Um es jetzt mal mit einem einfachen Vergleich zu machen: Wenn ich eine App programmieren will, dann brauche ich einen Computer, und wenn ich einen Hektar Land bestellen will, dann brauche ich einen Hektar Land und einen Traktor, Kartoffelpflanzgut und Bodenbearbeitungsmaschinen, und ich brauche einen Hof und brauche eine Lagerhalle und ich brauche eine Vermarktung. Also die Investitionskosten sind sehr hoch, und die Erzeugerpreise sind oftmals entsprechend schlecht."
EU müsste Arbeitsplatzanzahl besser honorieren
Einen besseren Preis für ihre Milch. Das war auch der größte Wunsch von Karin Beuster von der Luch Agrar-GmbH. Jetzt hat sie die Milchwirtschaft aufgegeben und wird Ökobäuerin. Gerade steht sie im Kuhstall bei den Tieren, die noch da sind:
"Das ist die Nachzucht für die Milchproduktion. Das sind praktisch alles Jungrinder. Hier drüben im hinteren Bereich, das sind praktisch Mastrinder, die wir letztes Jahr im November gekauft haben. Das ist praktisch der Start für den Betrieb nach der Milchproduktion."
An der Landwirtschaft verdienen die Düngemittel- und Saatguthersteller, die Landmaschinenproduzenten, die Molkereien, die Ernährungsindustrie und der Lebensmitteleinzelhandel. Nur die Landwirte selbst müssen häufig ums Überleben kämpfen. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU könnte hier gegensteuern, wenn sie die Anzahl der Arbeitsplätze eines Betriebs besser honorieren würde.