Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Lange (SPD) zur WTO-Blockade
"USA wollen Konflikte durch das Recht des Stärkeren lösen"

Die USA haben das Instrument zur Streitschlichtung in der Welthandelsorganisation lahmgelegt. Der Handelsausschuss-Vorsitzende im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), räumte im Dlf ein, dass es Reformbedarf gebe. Er vermute aber, dass die USA in Handelsfragen einfach keine Gerichtsbarkeit mehr wollten.

Bernd Lange im Gespräch mit Dirk Müller | 11.12.2019
Logo der Welthandelsorganisation WTO am Eingang zum WTO-Gebäude in Genf, im Vordergrund eine Ampel
Logo der Welthandelsorganisation WTO am Eingang zum WTO-Gebäude in Genf (imago/Xinhua)
Dirk Müller: Die WTO ist in Teilen jedenfalls, in großen Teilen lahmgelegt. Donald Trump ist schuld! Das sagen jedenfalls die Beobachter. Viele Wirtschaftsexperten und Wirtschaftspolitiker sind entsetzt. Dabei hat die WTO in den vergangenen Jahren ohnehin nicht mehr effektiv funktioniert, sagen viele Kritiker.
Bei uns am Telefon ist nun der SPD-Politiker Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im Europäischen Parlament. Guten Tag!
Bernd Lange: Guten Tag, Herr Müller.
Müller: Alles halb so schlimm?
Lange: Nein, das ist nicht schlimm, nicht halb schlimm.
In der Vergangenheit vernünftige Handelsbeziehungen möglich
Müller: Also ganz schlimm?
Lange: Das ist schlimm, weil in der Tat mit dem Unterlaufen des Berufungsgerichts die Kronjuwelen der ganzen Operation in Frage gestellt werden. Und wir haben ja in der Vergangenheit viele Urteile erzielt, die vernünftige Handelsbeziehungen möglich gemacht haben. Wir haben auch mal verloren in der Frage der Subventionierung von Airbus, aber letztendlich ist durch diese Möglichkeiten der zweistufigen Gerichtsbarkeit letztendlich es hinbekommen, dass es eine Stabilität in den Handelsbeziehungen gibt, und das ist sowohl für den Export entscheidend, aber auch für den Import und die Arbeitsplätze zuhause.
Müller: Sie sagen, wir haben verloren. Wer hat verloren am Beispiel Airbus? Sie meinen sich und die Europäische Union?
Lange: In der Tat! Wir haben natürlich auch innerhalb der Europäischen Union Handelspraktiken an den Tag gelegt, die nicht immer hundertprozentig mit den Regeln der WTO in Übereinstimmung gebracht worden sind, und das muss man auch anerkennen. Deswegen unterwerfen wir uns ja auch dieser Gerichtsbarkeit.
"Wir müssen das Regelheft modernisieren"
Müller: Es hat, wenn wir das richtig gelesen haben, elf Jahre lang gedauert, bis die WTO eine Entscheidung getroffen hat. Was haben wir denn davon?
Lange: Natürlich gibt es auch Reformnotwendigkeit, und das kam in dem Beitrag ja auch hervor. Wir müssen das Regelheft modernisieren. Vor 1994 gab es noch keine digitalen Handelsmöglichkeiten. Die Frage des E-Commerce, des digitalen Handels muss da rein, die Frage des Schutzes des geistigen Eigentums muss da rein, und auch Prozessdauer müssen reduziert werden und mehr Transparenz rein. Das will ich ja alles nicht in Abrede stellen. Aber darüber muss man verhandeln und das anpacken.
Lange: Vereinigte Staaten blockierten Vorschläge
Müller: Das haben Sie aber auch schon vor fünf Jahren gesagt. Viele wundert das ja jetzt, dass da immer noch nichts passiert ist.
Lange: Das stimmt nicht, dass da nichts passiert ist. Wir haben als quasi Unterhändler den Botschafter Neuseelands gefunden, Herrn Walker. Der hat die ganzen Kritikpunkte dort aufgelistet und einen Vorschlag gemacht, um die Situation zu verändern, und auch diesen Vorschlag haben die Vereinigten Staaten blockiert – und das kam in dem Beitrag ja auch.
Ich glaube, sie wollen einfach nicht mehr eine Gerichtsbarkeit. Sie wollen in der Tat Konflikte durch das Recht des Stärkeren lösen, und das widerspricht in der Tat dem bisherigen Ansatz der Welthandelsorganisation.
Welthandelsorganisation - US-Blockade setzt WTO-Streitschlichtung außer Kraft
Schon seit Jahren verhindern die USA, dass in der Welthandelsorganisation neue Richter für die Streitschlichtung ernannt werden können. Das hat nun Konsequenzen. Das Gremium wird handlungsunfähig. Die EU kritisiert die Blockade der USA. Eine Lösung ist bislang nicht in Sicht.
"Die USA profitieren ungemein"
Müller: Jetzt ist ja, Herr Lange, in amerikanischen Zeitungen zu lesen, dass es nicht nur Donald Trump ist, der immer wieder die WTO kritisiert hat. Er lässt sie jetzt auflaufen, aber auch seine Vorgänger, nicht zuletzt auch Barack Obama hat immer wieder gesagt, dass da nicht alles mit rechten Dingen zugeht, weil die Chinesen aus amerikanischer Sicht in der Handelspolitik, bei den Zöllen betrogen haben, getrickst haben, wie auch immer. Und die Europäer sollen das auch getan haben aus amerikanischer Sicht. Ist das so – und Sie haben jetzt auch ein bisschen Abstand zu dieser WTO-Politik gewonnen -, dass die Amerikaner unter diesem WTO-Regime ins Hintertreffen geraten sind?
Lange: Nein, das ist absolut nicht der Fall. Sehen Sie, im WTO-Bereich geht es um Güter und Zölle, aber es geht auch um geistiges Eigentum, um Dienstleistungen, um Transfer, und dadurch profitieren die USA ungemein. Das war schon bei den Verhandlungen zur Einrichtung der WTO 1994 das Hauptinteresse der Vereinigten Staaten.
Wenn man sich die Urteile anguckt, die in Verfahren, in denen die USA beteiligt waren, gefällt worden sind, dann kann man sagen: Ein Großteil der Urteile sind im Interesse der Vereinigten Staaten getroffen worden. Insofern leiden da, glaube ich, die USA wirklich nicht darunter.
"Die USA haben da eine andere Strategie"
Müller: Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Die Chinesen haben sich nicht wirklich darum geschert. Die haben doch gemacht was sie wollen. Sie haben kopiert, sie haben Eigentum immer weitergetragen und im Grunde eingepreist, ohne dafür zu bezahlen.
Lange: Dann müssen wir in der Tat auch zum einen die Regeln modernisieren, zum zweiten aber auch die Prozesse führen. Wir haben auch einen Prozess, die Europäische Union gegen China, hinsichtlich des illegalen Kopierens von Autoersatzteilen geführt und auch gewonnen, und dann hat China entsprechend die Gesetzgebung auch geändert. Das kann man in der Tat mit dem Instrument machen, aber das ist überhaupt nicht eine Legitimierung, das Instrument in Frage zu stellen, weil damit werden genau solche Fragen, wie Produkte in anderen Ländern hergestellt werden, ausgehebelt und auch zusätzlich neue Barrieren für den Export etabliert, und das trifft die Europäische Union massiv.
Die USA haben da eine andere Strategie. Die haben eindeutig die Strategie, Wertschöpfungsketten zu durchbrechen und Investitionen wieder zurück in die USA zu holen, quasi autark zu werden und aus den USA heraus zu exportieren. Da braucht man vielleicht gar nicht dieses Instrument eines internationalen Handelsrechts. Ich glaube, das ist heutzutage eine falsche Strategie, aber das ist die Strategie, die die USA zurzeit verfolgen.
Bernd Lange ist SPD-Europaabgeordneter und Mitglied im Ausschuss für internationalen Handel
Bernd Lange ist SPD-Europaabgeordneter und Mitglied im Ausschuss für internationalen Handel (imago/Reiner Zensen)
"Man muss die Geschichte modernisieren und nicht unterlaufen"
Müller: Das ist ja auch in den USA äußerst umstritten, aber nahezu Konsens. Ich behaupte das jetzt einmal; stimmt nicht ganz. Aber 60, 70 Prozent so gefühlt der Stimmen, die man in den USA lesen kann, die sind sich ja schon einig, zumindest in der Analyse und der Interpretation, dass seit der WTO – wir haben das ja eben schon mal besprochen; Sie haben gesagt, nein – vor allem gegen die USA geurteilt wurde. Die Frage des Vorteils und des Nachteils ist ja nun sehr umstritten, weil die WTO nichts gegen China und nichts gegen Europa in der Handelspolitik unternommen hat.
Lange: Das stimmt aber objektiv nicht. Die hatten 120 Verfahren und die haben einen Großteil der Verfahren gewonnen. Das letzte Verfahren war ja auch das Verfahren gegen die Subventionierung von Airbus und dort haben sie in diesem Fall legaler Weise das Recht bekommen, zum Schadensausgleich Zölle zu erheben. Die anderen Zölle, die sie gemacht haben, waren ja auch schon illegal, aber das ist ein Resultat der Gerichtsbarkeit der WTO. Von daher gibt es keine objektive Schädigung.
Man kann ja in der Tat mit ein paar Prozessen und Prinzipien unzufrieden sein, aber dann muss man auch reingehen und versuchen, die Geschichte zu modernisieren und nicht zu unterlaufen.
"Es geht auch um Dienstleistungen, Gewinntransfers"
Müller: Aber es gibt ja gerade die Auseinandersetzung USA und Europa. Da geht es um Zölle, da geht es um Automobilindustrie, da geht es um Zulieferindustrie. Dann haben ja viele Experten auch auf europäischer Seite festgestellt, dass die Amerikaner höhere Zölle bezahlen müssen als umgekehrt die Europäer, und genau darum geht es ja.
Lange: Aber auch da geht es ums Detail. In der Tat sind die Außenzölle 1995 bei der WTO hinterlegt worden – aus dem eigenen Antrieb. Die USA haben gesagt, wir erheben auf Pkw 2,5 Prozent, und die Europäer haben gesagt, wir erheben auf Pkw zehn Prozent, und das ist von allen Partnern der WTO 1994 akzeptiert worden.
Zur Wahrheit gehört auch, dass die USA auf Pickups und auf Kleinbusse wie dem VW-Transporter 25 Prozent Zoll erheben. Das sind übrigens in den USA die meistverkauften Autos.
Man muss, glaube ich, wirklich den Hintergrund im Detail sich angucken. Und noch mal: Das Hauptinteresse der USA 1994 war nicht die Frage der Zölle. Die Frage des Zugangs zu Dienstleistungen und die Frage des Schutzes geistigen Eigentums und die Möglichkeiten, Gewinne zu transferieren, und da haben die Vereinigten Staaten ihr hauptsächliches Verhandlungsgeschick hineingelegt. Deswegen: Bei der Situation der Vereinigten Staaten darf man nicht wie Herr Trump nur auf die Güter gucken. Es geht auch um die Frage der Dienstleistungen, des Gewinntransfers. Facebook und Google, die fallen ja in diesem Konflikt überhaupt nicht ins Gewicht, und wenn man das gegeneinander rechnet, dann ist die Bilanz fast ausgeglichen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten.
Müller: Aber nur fast?
Lange: Aber nur fast. Das wechselt manchmal in die eine Richtung, manchmal in die andere Richtung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.