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Liberalisierung
Wie viel Staat und wie viel Markt die Wirtschaft braucht

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will die stark regulierte Taxibranche reformieren. Der Telekommunikationssektor, der Strommarkt, die Post, der Fernbusmarkt: All diese Märkte wurden bereits für den Wettbewerb geöffnet. Was lässt sich aus dem Trend zur Liberalisierung lernen?

Von Katja Scherer | 13.10.2019
Taxi-Schlange am Flughafen Berlin-Tegel
Taxi-Fahrer genießen bislang Schutz vor zu viel Wettbewerb, doch nun droht das Privileg zu fallen - für neue Fahrdienste wie Uber sollen die Marktbeschränkungen gelockert werden (imago / Hohlfeld)
Hunderte Taxen rollten im April in einer langen Kolonne durch die Düsseldorfer Innenstadt; stundenlang demonstrierten sie so gegen neue Fahrdienste wie Uber – wie zuletzt auch in vielen anderen Städten: Die Branche stemmt sich gegen Pläne von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der die Marktbeschränkungen für neue Fahrdienste lockern will. Viele Taxi-Fahrer sehen darin eine Bedrohung, denn bisher ist ihre Branche streng reguliert. Wie viele Taxen durch eine Stadt kreuzen, regeln üblicherweise die zuständigen Kommunen. Sie berechnen, wie viele Taxibetriebe sich vor Ort lohnen und geben dann die entsprechende Anzahl an Konzessionen heraus, erklärt Michael Hoog vom Taxiverband NRW:
"Das ist nach Größe der Stadt völlig unterschiedlich. Hängt auch davon ab, wie die wirtschaftlichen Gegebenheiten sind, ob Flughäfen, Bahnhöfe, Messen vorhanden sind."
Der Grund dafür: Taxen zählen per Definition zum öffentlichen Nahverkehr und müssen viele Auflagen erfüllen. Sie müssen zum Beispiel jede Fahrt annehmen, egal wie kurz, und jederzeit verfügbar sein. Vereinfacht gesagt, schreibt der Staat ihnen also vor, auch wenig lohnende Dinge zu tun, und schützt sie im Gegenzug vor zu viel Wettbewerb. Eine Regel, die nun angetastet werde, erklärt Hoog:
"Es gibt Marktteilnehmer, die in dieses Segment Personenbeförderung eindringen wollen, denen ohnehin das deutsche System viel zu verkrustet ist. Und man meint halt, mit diesen amerikanischen Ideen, mit diesen rein marktwirtschaftlichen Ideen nach Europa kommen zu müssen und da die Märkte aufzubrechen."
Liberalisierung seit den 80er-Jahren
Die Frage, wie der Taxi-Markt zu regulieren ist, beschäftigt derzeit zahlreiche Experten. Es ist eine weitere Facette der wiederkehrenden, grundsätzlichen Debatte darüber, wie viel Staat und wie viel Markt die Wirtschaft braucht. In den vergangenen Jahrzehnten ging diese Abwägung oft zugunsten des Marktes aus. In vielen Branchen bekamen private Unternehmen mehr Freiheiten: in der Telekommunikation, bei der Post, in der Luftfahrt, im Fernbusmarkt. Liberalisierung nennen Ökonomen diesen Prozess. Doch was hat das gebracht? Führt der Markt tatsächlich zu besseren Ergebnissen? Und was lässt sich davon für das Taxi-Gewerbe lernen?

Erreicht hat der Trend zur Liberalisierung Deutschland in den 80er-Jahren. Damals wurden viele Infrastrukturaufgaben noch vom Staat ausgeführt. Für Post und Telekommunikation etwa gab es ein eigenes Bundesministerium, der Strom kam von Stadtwerken, die Lufthansa war Staatskonzern. Eine Struktur, die aber zunehmend als ineffizient betrachtet wurde, sagt Volkswirt Justus Haucap, der an der Universität Düsseldorf zu Wettbewerb forscht:
"Allgemein war es damals so eine Erkenntnis, dass man gesagt hat: Naja, diese staatlichen Monopolunternehmen, die werden doch sehr ineffizient. Das heißt also, die bieten eigentlich nicht unbedingt an, das was die Leute haben wollen, die bieten das zu teuer an, und die produzieren das auch zu hohen Kosten."
So kostete damals ein Ferngespräch schnell mehrere D-Mark; Fliegen war für viele gänzlich unerschwinglich. Vor allem während der Regierungszeit von Helmut Kohl wuchs die Skepsis gegenüber den unternehmerischen Fähigkeiten des Staates, wie exemplarisch ein Tagesschau-Bericht über Kohls Regierungserklärung von 1994 zeigt:
"Bundeskanzler Kohl hat heute die Vorhaben der Bonner Koalition für die nächsten vier Jahre umrissen. In seiner Regierungserklärung bezeichnete er einen Abbau der Bürokratie als unverzichtbar für die Zukunft Deutschlands. Der Staat, so Kohl, müsse sich auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren, jeder Einzelne dagegen mehr Verantwortung übernehmen."
Eine Teilnehmerin hält bei einer Kundgebung von Taxifahrern am Bundesverkehrsministerium ein Taxi-Dachschild in die Höhe. 
Protest von Taxifahrern in Berlin (picture alliance/Christoph Soeder/dpa)
Der ehemalige Bundeskanzler und Ehrenvorsitzende der CDU, Dr. Helmut Kohl, am 30.11.1999 bei einer Pressekonferenz in der Berliner CDU-Zentrale. In der Parteispendenaffäre der CDU räumte Kohl erstmals Fehler und mögliche Verstöße gegen das Parteiengesetz ein und übernahm dafür die volle Verantwortung. Es habe aus bestimmten Gründen bei der CDU getrennte Konten gegeben, sagte Kohl. Dies habe er damals für vertretbar gehalten. Er bedauere, wenn die Folge dieses Vorgehens mangelnde Transparenz sowie möglicherweise Verstöße gegen Bestimmungen des Parteiengesetzes sein sollten. Kohl erklärte: "Das habe ich nicht gewollt." Es gelte nun, Schaden von der Partei abzuwenden. Er wies Vorwürfe zurück, Entscheidungen der von ihm geführten früheren Bundesregierung seien käuflich gewesen. | Verwendung weltweit
1994 bezeichnete der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl einen Abbau der Bürokratie als unverzichtbar für die Zukunft Deutschlands. (dpa)
Vorbild USA und Großbritannien
Anstatt selbst als Unternehmer tätig zu sein, sollte der Staat künftig als Schiedsrichter für fairen Wettbewerb sorgen – alles andere sollte dem Markt überlassen bleiben. Die USA unter Ronald Reagan und Großbritannien unter Margaret Thatcher, wo Staatsunternehmen radikal privatisiert wurden, lieferten die Vorbilder.
"Der Vorsitzende der PDS-Bundestagsgruppe Gysi sagte in der Debatte: Das Wort vom ‚Schlanken Staat‘ laufe in Wirklichkeit darauf hinaus, den Staat aus seiner Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft zu entlassen."
Der Rückbau des Staates wurde in der Bundesrepublik nicht so stark vorangetrieben wie unter Thatcher und Reagan. Unter anderem aber setzte Kohl eine so genannte Deregulierungskommission ein, die zunächst das Bundesministerium für Post und Telekommunikation auflöste und in die Deutsche Post sowie die Deutsche Telekom überführte. Dann wurden diese Märkte für den Wettbewerb geöffnet – als Treiber für Effizienz und Innovationen, sagt Ökonom Achim Wambach, der als Chef der Monopolkommission die Bundesregierung berät:
"Man kann den Wettbewerb nie mit dem Tagesgeschäft begründen. Also wenn wir jetzt heute sagen würden, okay, jetzt hören wir mal auf mit dem Wettbewerb, dann würde die Welt morgen genauso aussehen. Aber in zehn Jahren sieht sie anders aus. Weil der Wille, besser zu sein als die Wettbewerber und dann auch neue Produkte zu entwickeln, das macht eigentlich die Stärke des Wettbewerbs aus."
Neuer Vorsitzender der Monopolkommission, Achim Wambach
Vorsitzender der Monopolkommission, Achim Wambach (Uwe Anspach/dpa )
Aus trägen Monopolen hocheffiziente Privatfirmen machen
Träge staatliche Monopole durch den Wettbewerb zwischen hocheffizienten Privatunternehmen zu ersetzen, das also ist die Kernidee der Liberalisierung. Teils werden dazu Staatsunternehmen verkauft, teils auch nur Marktbeschränkungen gelockert – wie nun in der Taxi-Branche. Eine der ersten Branchen, in der das getestet wurde, war die Telekommunikation.
"Guten Abend meine Damen und Herren. Mit Wirbel um neue Kosten hat der Wettbewerb auf dem deutschen Telefonmarkt begonnen."
Ab dem 1. Januar 1998 waren erstmals alternative Anbieter neben der Deutschen Telekom erlaubt – ein Schritt, gegen den sich der Monopolist mit allen Mitteln zur Wehr setzte:
"Die Telekom ist mit ihrer Absicht, für den dauerhaften Wechsel von Telefonkunden zu neuen Gesellschaften eine Gebühr zu erheben, auf Widerstand gestoßen."
Bis zu 95 Mark forderte der Monopolist damals als "Wechsel-Gebühr", wenn Kunden ihre Ferngespräche bei einem anderen Anbieter führen wollten. Offensichtlich ein Abschreckungsmanöver. Aber vergeblich: Schon Monate später sah sich die Telekom gezwungen, sich dem Wettbewerb zu stellen – etwa in einer Werbe-Schlacht mit der konkurrierenden Mobilcom AG:
"Man denkt, die ist von der Telekom und dann ist die gar nicht von der Telekom, sondern von der, äh, äh, … von der Mogelcom. Lassen Sie sich nicht verwirren: Das Telefonieren bei der Telekom ist gar nicht so teuer."
Bis heute seien die Vorteile des Wettbewerbs in der Branche offensichtlich, findet daher der Düsseldorfer Ökonom Justus Haucap. So könnten Verbraucher inzwischen aus einer Vielzahl von Tarifen wählen; die Preise seien gesunken, der Service gestiegen:
"Man kann‘s auch ganz gut daran zeigen: Früher stand auf den Telefonzellen immer so was wie ‚Fasse dich kurz‘. Und heute hat die Telekom dann irgendwann angefangen damit Werbung zu machen ‚Quatsch dich frei‘: Also man hat gesehen, sozusagen das Ganze war so günstig geworden, dass eigentlich das heute keine Rolle mehr spielt."
Gelungene Liberalisierung von Telekom und Flugsektor
Flugzeuge mit dem blaugelben Logo der Lufthansa stehen dicht gedrängt hintereinander. Im Hintergrund eine dörfliche Landschaft.
In den 90ern wurde der Staatskonzern Lufthansa privatisiert, Preis- und Streckenvorgaben abgeschafft, die Bedingungen für den Marktzugang europaweit angeglichen. (Imago / Sven Simon)
Für Haucap gilt die Telekommunikation daher als gelungenes Beispiel für die Liberalisierung eines Marktes. Genau wie die Luftfahrt. Dort wurden in den 90er-Jahren der Staatskonzern Lufthansa privatisiert, Preis- und Streckenvorgaben abgeschafft und die Bedingungen für den Marktzugang europaweit angeglichen. Seitdem überbieten sich Fluggesellschaften mit Billig-Angeboten:
"Lust auf eine Auszeit diesen Frühling? Wir bringen dich hin. Europa ab 39,99 Euro."
Doch hat es nicht auf allen Märkten mit dem segensreichen Wettbewerb genauso gut geklappt. Etwa bei der Deutschen Post. Die hat zwar im Paketbereich inzwischen Konkurrenz. Im Briefgeschäft aber ist sie nach wie vor Platzhirsch. Obwohl anfangs, als ab 2008 plötzlich jeder Briefe befördern durfte, durchaus Rivalen an den Start gingen, erzählt Walter Otremba, der mit dem Bundesverband Briefdienste die Post-Konkurrenten vertritt:
"Weil man dachte, jetzt könnte man in diesem Bereich, der ja durch hohe Gewinnmargen der Deutschen Post AG gekennzeichnet war, schnell Geld verdienen und sich von der Post unabhängiger machen."

Die Deutsche Post aber war vorbereitet. Wie die Telekom wehrte sie sich gegen den Wettbewerb – und das deutlich erfolgreicher. So gründete der Bonner Konzern damals einen Arbeitgeberverband und handelte mit der Bundesregierung einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn für Briefträger aus. Das Kalkül: Die Post als Monopolist konnte sich diesen Lohn locker leisten, für viele Konkurrenten aber wurde das Geschäft schlagartig unrentabel, erzählt Otremba:
"Es war schon klar ein Trick, dass man extra einen Arbeitgeberverband gegründet hat, der letztendlich nur aus der Deutschen Post AG bestand und einigen abhängigen Gesellschaften, um so einen Tarifvertrag zu schließen. Denn dafür gab es ja betriebswirtschaftlich aus der Sicht der Deutschen Post außer diesem Konkurrenzgedanken gar keinen Grund."
Blick auf das Schild mit dem Firmenschild vor dem Tower.
Die Deutschen Post hatte mit der Bundesregierung einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn für Briefträger ausgehandelt - für viele Konkurrenten wurde das Geschäft schlagartig unrentabel. (dpa)
Die Deutsche Post trickste gegen die Konkurrenz
Später wurde der Mindestlohn vom Bundesverwaltungsgericht für ungültig erklärt. Aber es war zu spät: Mehrere Wettbewerber waren bereits wieder verschwunden.
"Dadurch ist es jetzt im Prinzip ein Marktanteil von nur 16 Prozent entstanden, allerdings wachsend, der schwer erkämpft werden muss gegen Praktiken der Deutschen Post AG."
Im Falle der Post ist also zumindest im Briefbereich aus einem staatlichen ein privates Monopol geworden – mit Folgen für die Verbraucher. 2008 kostete der Versand eines Standardbriefes noch 55 Cent, inzwischen sind es 80. Auch weil der Bund, dem noch immer 21 Prozent der Post AG gehören, die Preise über die Bundesnetzagentur zu lax kontrolliere, sagt der Volkswirt Justus Haucap:
"Letztendlich ist auch die Portoaufsicht da wachsweich. Die Post darf sich da orientieren an den Preisen von anderen Postunternehmen in Europa. Das Dilemma ist nur: Die anderen Postunternehmen in Europa sind auch alles Monopole. Das heißt also, wenn zwei Monopolisten sich gegenseitig die Preise angucken, dann weiß man, wir vergleichen Monopolpreise mit Monopolpreisen. Das ist natürlich nicht besonders kundenfreundlich."
Der Bund plant daher nun eine Reform des Post-Rechts. Das Beispiel aber zeigt: Nicht automatisch führt die Liberalisierung eines Marktes zu mehr Wettbewerb. Und selbst wenn das der Fall ist, wie in der Telekommunikation, können Schieflagen bestehen bleiben – oder sich neue bilden. Denn auch funktionierende Märkte haben ihre Grenzen – dort, wo es zu wenig zahlende Kunden gibt.

"Wir haben teilweise Bürger, die anrufen und sagen, ich habe drei Kinder zu Hause, die müssen ihre Hausaufgaben teilweise übers Internet erledigen. Wir haben aber so wenig Bandbreite, dass immer nur einer sozusagen mit sehr viel zeitlichem Aufwand das bearbeiten kann."
Ein Kabelpflug steht auf einem Acker in Halsbach in Bayern
Schnelles Internet ist in vielen ländlichen Regionen Mangelware: Mit dem Kabelpflug wird ein Graben für die Glasfaserleitungen gezogen. (Deutschlandradio / Gottfried Schneiderbauer)
Neue Schieflagen auch durch die Privatisierung
Jan Christoph Dübner koordiniert den Ausbau des Internets im Landkreis Gütersloh – eine schwierige Aufgabe. Denn wie in vielen ländlichen Gegenden lohnt es sich für Telekommunikationsfirmen nicht, die Anschlüsse auszubauen, wenn viele Meter Kabel für wenige Haushalte verlegt werden müssen, sagt Dübner:
"Der eigenwirtschaftliche Ausbau hat sich natürlich auf die Bereiche fokussiert, die wirtschaftlich darstellbar waren. Und dann hat man im Grunde aufgrund dieser Eigenausbaumeldungen festgestellt, dass eben in den Außenbereichen, wo lange Zuleitungslängen für wenig Nutzer sozusagen gegraben werden müssen, eben kein Eigenausbau stattfindet."
Ökonom Achim Wambach von der Monopolkommission hält solche Situationen für normal und lösbar:
"Der Markt kann nur das bedienen, was er profitabel bewirtschaften kann, und wenn wir aus Gründen der Daseinsvorsorge sagen, wir brauchen aber eine Infrastruktur auch in den Dörfern, dann ist es sozusagen Aufgabe der öffentlichen Hand, das dann auch zu unterstützen, zur Verfügung zu stellen."
Für Wambach ist es Aufgabe des Staates, dort zur Stelle zu sein, wo der Markt nicht mehr weiterkommt beziehungsweise weiterwill. Dann könne der Staat etwa für den Internetausbau eine öffentliche Ausschreibung starten oder Subventionen bezahlen:
"Dass man sagt, das sehen wir ja im Festnetzbereich, wer hier Glasfaser auslegt, kriegt eine Unterstützung durch den Staat, also durch Subventionen, in den Regionen, wo es sich wirtschaftlich nicht lohnt.
Schnelles Internet: Der Staat, nicht der Markt hat versagt
Theoretisch also kein Problem. Praktisch aber gibt es trotzdem vielerorts kein schnelles Internet. Der Staat habe geschlafen, meint der Düsseldorfer Volkswirt Justus Haucap:
"Das Gefühl ist manchmal da, dass die Daseinsvorsorge nicht mehr funktioniert, weil man dann von staatlicher Seite nicht bereit ist, das Geld in die Hand zu nehmen, zu sagen, dann müssen wir das eben organisieren in gewisser Weise und diese Dienste bestellen."
Inzwischen haben Bund und Ländern Förderprogramme aufgelegt – wenn auch mit langen Vorlaufzeiten.
Der Gütersloher Breitband-Koordinator Jan Christoph Dübner erzählt:
"Einerseits muss man vieles natürlich auch kreisintern abstimmen, man muss die Kooperation auch rechtssicher regeln.

Volkswirte wie Haucap sagen daher: der Staat, nicht der Markt habe versagt. Doch klar ist: Die Daseinsvorsorge, also der gleiche und gerechte Zugang aller Bürger zu wichtigen Funktionen wie Mobilität, Gesundheitsversorgung und Kommunikation in liberalisierten Märkten, ist eine Herausforderung. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Folgen eine Marktöffnung für Beschäftigte hat. So wird seit der Liberalisierung des Fernbusmarktes im Jahr 2013 immer wieder über die Entlohnung der Fahrer debattiert. Rechtsanwalt Michael Hoog vom Taxiverband NRW befürchtet Ähnliches für die Taxifahrer:
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Seit der Liberalisierung des Fernbusmarktes 2013 wird immer wieder über die Entlohnung der Fahrer debattiert. (imago / Ralph Peters)
"Wir bewegen uns ja schon in einem Niedriglohn-Segment. Und wenn es da jetzt in diesem Niedriglohn-Segment noch zu einem weiteren Preiswettbewerb kommen wird, dann werden wir eine Entwicklung sehen wie in Amerika, dass sie da unter Druck gesetzte Fahrzeugführer haben, auf deren Rücken dann dieses System, diese Liberalisierung ausgetragen wird."
Starker Staat als Schiedsrichter
Denn mit dem Markt ist es eben so: Sind Fachkräfte knapp, müssen Unternehmen sie mit hohen Löhnen locken – die Mitarbeiter profitieren vom Wettbewerb. Gibt es dagegen mehr Bewerber als Arbeitsplätze, beginnt eine Lohn-Abwärts-Spirale. Das gibt auch Ökonom Achim Wambach zu:
"Das ist also ein Thema, wenn der Arbeitsmarkt nicht so gut läuft und wir haben das auch gesehen in einzelnen Regionen, wo es wenig Wettbewerb gibt, wenn die Leute dann nicht wegziehen können, dann sind die auch abhängig von diesen Unternehmen. Deswegen war damals der Mindestlohn und ist es immer noch ein gutes Instrument, um da sozusagen einen Strich einzuziehen und zu sagen, tiefer geht es dann nicht."
Auch dort also soll der Staat laut Wambach als Korrektiv wirken. Michael Hoog vom Taxi-Verband NRW ist allerdings skeptisch, was Praxis und Kontrolle angeht:
"Das funktioniert ja heute schon nicht. Also, wie sollte das dann unter anderen Wettbewerbsbedingungen funktionieren? Was die Möglichkeiten des Zolls und auch anderer Behörden betrifft, gerade was den Mindestlohnbereich betrifft. Jedenfalls was meinen Wissensstand betrifft, sind da auch die Möglichkeiten eingeschränkt."
"Nicht ein Monopol einfach privatisieren"
Das zeigt: Wie viele Gewinner und Verlierer die Liberalisierung eines Marktes hervorbringt, hängt stark davon ab, wie gut es gelingt, für Wettbewerb zu sorgen und mögliche Defizite des Marktes auszugleichen. Der Ökonom Justus Haucap:
"Also eine wichtige Lehre ist, man sollte nicht ein Monopol einfach privatisieren, sondern man muss dann auch dafür sorgen, dass Wettbewerb auf dem Markt da ist. Wettbewerb schafft man häufig, indem man klar definiert, wer was nutzen darf. Und drittens sollte man dafür sorgen, dass wenn man sagt, wir wollen aber, dass bestimmte Dienste erbracht werden, also gerade was so unter Daseinsvorsorge läuft, dann müssen wir uns vorher recht klar überlegen, wie wir das organisieren wollen."
Selbst bei einer Liberalisierung brauche es also nach wie vor einen starken Staat als Schiedsrichter, sagt Haucap – eine notwendige Bedingung, die in der Vergangenheit oft vernachlässigt worden sei:
"Das heißt, also eine Lehre ist schon: Häufig ist Liberalisierung nicht das gleiche wie Deregulierung, sondern eigentlich eine Re-Regulierung. Dass man sagt, die Regulierung muss sich ändern. Wir müssen andere Dinge regulieren, andere Instrumente nutzen, aber diese Vorstellung, die manchmal durch die Welt geistert, Liberalisierung bedeutet sozusagen ‚Zurück in den Wilden Westen‘, das ist eine völlige Fehlvorstellung."
Ein Ärzteteam setzt einem Patienten während einer Knie-Operation in der Sana Klinik (OCM - Orthopädische Chirurgie München) in einem Operationssaal eine Knietotalendoprothese (Knie-TEP) ein. 
Besonders im Gesundheitssektor, in Krankenhäusern, schreitet der Trend zur Privatisierung fort. (dpa / picture alliance / Sven Hoppe)
Trend zur Krankenhaus-Privatisierung schreitet fort
Der Sozialökonom Jens Libbe, der am Deutschen Institut für Urbanistik zu öffentlichen Infrastrukturen forscht, beobachtet sogar in einigen Bereichen eine Rückbesinnung auf den Staat. Vor allem seit der Finanzkrise:
"Also eine große Zäsur hat sicherlich die globale Finanzkrise im Jahr 2008 ausgelöst. Weil in Folge dieser Krise auch eine Rückbesinnung auf Staatlichkeit stattgefunden hat. Und das hat in vielen Infrastruktursektoren eben auch dazu geführt, verstärkt wieder darüber nachzudenken, ob nicht bei diesen Grunddienstleistungen die öffentliche Hand viel stärker aktiv sein sollte, als sie das in den Jahren davor war."
So gibt es auf EU-Ebene nun die Europäische Bankenaufsichtsbehörde als Regulator. In Deutschland gründen mehr Kommunen wieder Stadtwerke, und die Stadt Hamburg hat kürzlich ihr Fernwärmenetz zurückgekauft. Von einem einheitlichen Trend könne man dennoch nicht sprechen, sagt Libbe:
"Ich denke da insbesondere an den Gesundheitssektor, also die Krankenhäuser. Das ist für mich dann wieder so ein Sektor, wo ich sage, da schreitet im Grunde der Trend zur Privatisierung munter fort."
Dritte Tagung zu Reformen auf dem Taximarkt
Streikende Taxifahrer: Die Schilder tragen die Aufschrift "Unsere Taxis und unsere Jobs sind deine Mobilität! Scheuers Eckpunkte müssen weg."
Streikende Taxifahrer in Berlin: Die Schilder tragen die Aufschrift "Unsere Taxis und unsere Jobs sind deine Mobilität! Scheuers Eckpunkte müssen weg." (Imago / Christian Spicker)
Für die geplanten Reformen auf dem Taximarkt wird nun am 8. November zum dritten Mal eine Kommission für die Regulierung der Branche tagen. Michael Hoog vom Taxiverband NRW fände mehr Wettbewerb in seiner Branche prinzipiell gar nicht schlecht, sagt er. Aber:
"Der Ansatzpunkt, und das ist eigentlich das einzige, was wir kritisieren, der Ansatzpunkt, dass man aber jetzt einen Teil der Marktteilnehmer gegenüber einem anderen Teil der Marktteilnehmer massiv diskriminieren oder auch einschränken will, das ist der Punkt gegen den wir uns wehren."
Die ersten Pläne des Verkehrsministers Andreas Scheuer sahen nämlich vor, dass Fahrdienste wie Uber künftig direkt mit Taxen konkurrieren – ohne den besonderen Auflagen für Taxen Rechnung zu tragen. Ob das so bleibt, muss nun diskutiert werden. Denn eines zeigt die Vergangenheit klar: Eine gute Alternative kann die Liberalisierung überhaupt nur dann sein, wenn sie klar durchdacht und fair gestaltet wird.