
„Wir haben jetzt vor uns ein ganz großes XXL-Lastenfahrrad, was einen Container hat, der abnehmbar ist, und in den ungefähr zwei Kubikmeter passen, bis zu 200 Kilogramm.“
Sagt Inga Töller vom Berliner Startup „Onomotion“, das die Ono zusammen mit Logistikdienstleistern entwickelt hat. Vollbeladen wiegt sie eine halbe Tonne, auf dem Radweg ist sie ein Schwergewicht – und sie könnte die Paketzustellung in den Städten revolutionieren.
„Damit können wir Radinfrastruktur nutzen, wir können durch Parks fahren, wir schauen sozusagen immer, dass der Vorteil ist, dass man am Stau vorbeikommt, aber nie zulasten von schwächeren Verkehrsteilnehmern.“
Radinfrastruktur muss ausgebaut werden
„Egal welches Lastenfahrrad man einsetzt, braucht man ein Umdenken in der Infrastruktur. Und in der Logistik für die Prozesse. Wir müssen davon ausgehen, dass wir die letzte Meile der Zustellung, also das ist die, die dann zum Kunden geht, dass wir dafür Mikrodepots brauchen oder Micro-Hubs.“
Lastenradzustellungen beschränken sich auf Gebiete im Umkreis von wenigen Kilometern um die Mikrodepots. Zu denen man zum Nachladen mal schnell zurückradeln kann.
Die Mikrodepots werden einmal täglich beliefert – idealerweise elektrisch. Die Container können vorgepackt angeliefert werden, so dass die Zusteller sie nur noch auf die Lastenräder schieben müssen – und ihre Tour sofort starten können.
Zugeparkte Rad- und Fußwege durch Lieferwagen
„Was entscheidend ist: dass sich in den Stadtverwaltungen jemand des Problems annimmt, des Problems der zugeparkten Radwege, der zugeparkten Fußwege, des enorm steigenden Verkehrsaufkommens durch die Zunahme an Online-Bestellungen, an Online-Lebensmittelbestellungen. Da muss sich jemand in der Stadtverwaltung bewusst sein, dass das ein Problem ist, und er muss dieses Problem lösen wollen.“
Zugeparkte Radwege, Busspuren und Fußwege. Um das zu vermeiden, könnten Lieferungen auch gebündelt werden – das heißt, ein sogenannter „White-Label“-Dienstleister bringt die Pakete aller Dienstleister. Jens Hilgenberg:
Lieferungen bündeln, Mikrodepots schaffen
„Das ist dann ein Ansatz, den wir beispielsweise in Düsseldorf sehen, wo eine ganze Einkaufsstraße sich zusammengeschlossen hat und alle Päckchen, die diese Läden im Laufe des Tages bekommen würden, werden an eine zentrale Adresse außerhalb der Stadt geliefert, und es gibt dann einen Dienstleister, der einmal am Tag reinfährt und alle Päckchen für alle Läden mitnimmt. So, das hat den Vorteil, dass die Läden nicht fünf Mal, sechs Mal am Tag Besuch von einem Dienstleister bekommen, der Pakete bringt und vor der Tür parkt, und es hat dann noch zusätzlich den Vorteil, dass die Läden entscheiden können, wann sie die Pakete bekommen.“
Ein ähnliches Konzept, aber für private Kunden, gibt es auch in Magdeburg: Das Mikrodepot im Stadtteil Stadtfeld füllt einen Parkplatz, mehr nicht. Ein blauer Container, in den die Biberpost, ein lokaler Zusteller, der zur Mediengruppe Magdeburg gehört, morgens früh Pakete einliefert. Das Besondere: Es werden Pakete aller Paketdienstleister eingeliefert und von hier aus per Lastenrad verteilt oder in die Abholfächer einsortiert – je nach Kundenwunsch.

Sagt Andreas Franke vom Magdeburger Unternehmen Fiapro, der die Paketstation in Kooperation mit der Biberpost und der Uni Magdeburg entwickelt hat.
Die Zustellung auf der letzten Meile, also vom Mikrodepot zur Haustür, übernimmt die Biberpost. Aber nur auf expliziten Wunsch des Empfängers – der für Bestellungen nicht seine Privatadresse angibt, sondern eine Stellvertreteradresse bei der Biberpost.
„Das heißt, wenn Sie bisher ganz normal an der Hauptstraße 3 Ihren Wohnsitz hatten, lassen Sie es jetzt in das Urban Hub liefern, das wäre hier in Magdeburg in der Bahnhofstraße, und dann, wenn Ihr Paket dort eintrifft, oder auch mehrere, über den Tag hinweg, bekommen Sie eine Info, dass diese vorliegen, und Sie können dann den Zustellweg wählen.“
Versuche mit Microhubs in Magdeburg
Tom Assmann und sein Institut beobachten, ob und wie das System angenommen wird. Parallel entwickelt Andreas Franke sein Mikrodepot weiter. Weil es nicht mehr als einen Parkplatz einnimmt, ist es, so Franke, für Stadtentwickler kein Fluch, und es könnte gar ein Segen sein. Magdeburg will bis 2035 klimaneutral sein – und das Projekt, das vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert wird, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin. Vier große Paketdienstleister, so Franke, haben bereits Interesse an seinen Mikrodepots signalisiert.
„Die klassische Außenhülle, wie Sie sie hier gesehen haben in Magdeburg aus entsprechenden Blechsandwichplatten kann entnommen werden und gegen begrünte Vertikalgärten ausgetauscht werden. Ebenso ist eine Dachbegrünung oder eine Dachsolaranlage möglich. Das macht es einfacher, das ganze auch in der Stadt aufzustellen, weil etwas Grünes, was genau auf einen Parkplatz draufpasst, ist für Stadtplaner und auch für die Anwohner natürlich leichter zu akzeptieren und umzusetzen.“
Die Mikrodepots aus Magdeburg sind dafür vorbereitet, dass sie auch von verschiedenen Paketdienstleistern direkt bestückt werden könnten. Auf der letzten Meile könnte dann ohne einen weiteren Zwischenumschlag ein einziger Dienstleister alle Pakete gebündelt zustellen, natürlich möglichst per Lastenrad.
Straßenbahn als Lieferfahrzeug
„Die Rampe hier, das haben wir uns selbst gebaut, das ist jetzt kein großer Aufwand in unserer Straßenbahnwerkstatt. Das ist jetzt die einfachste Variante, ein großes Behältnis, ganz normal in ein Straßenbahn-Linienfahrzeug reingeschoben, keine extra Fahrzeuge dafür konstruiert, keine großen Umbauten. Kann man natürlich, wenn man das im größeren Stil fahren will, auch anders machen. Dass man Fahrzeuge umbaut, dezidierte Gütertrams hat und so weiter und so fort.“
Sagt Michael Rüffer, technischer Geschäftsführer der Straßenbahn. Seit Jahren experimentiert die Verkehrsgesellschaft Frankfurt mit der Gütertram.
„Die Idee ist, dass die KEP-Dienstleister, also Kurier, Express, Pakete, hier in den Betriebshof kommen, hier ihre Pakete, die in der Stadt verteilt werden müssen, hier in so einen Güterhub, den wir hier aufbauen, abliefern können und wir die, in besonderen Containern umverpackt, zum Beispiel hier das VGF-Flex-Modell in die Trambahn reinschieben, in die Stadt reinliefern und wir diese Container wieder an Mikrodepots an Haltestellen in unserem Stadtgebiet ausladen.“

Ob die Paketcontainer aber gemeinsam mit Passagieren auf Reisen gehen können, ist fraglich – und möglicherweise rechtlich gar nicht möglich, das Personenbeförderungsgesetz sieht das nicht vor. Also müssten reine Güterstraßenbahnen die Mikrodepots beliefern. Und das wäre mit normalen Linienfahrzeugen zu bestimmten Zeiten auch möglich.
„Wenn Sie hier morgens um neun hinkommen, sind alle unsere Bahnen draußen. Da gibt es aber sogar schon die ersten, die zurückkommen aus der Spitze- und KEP-Dienstleister sagen uns: Naja, wir müssen eigentlich nicht vor zehn Uhr ausliefern. So, das ist ein perfektes Match. Wir können hier um neun eine Bahn, wenn wir jetzt wirklich eine Bahn – wenn wir jetzt wirklich beim Linienverkehr bleiben und das ein bisschen im kleinen Stil machen, können wir Bahnen aus dem Verkehr rausnehmen, die nur die Spitze fahren, können die vollladen und Mikrodepots beliefern, ohne dass wir neue Bahnen brauchen und ohne dass wir unser Netz überlasten. Und das ist eigentlich perfekt.“
Mehl, Kohle und Getreide: früher per Tram transportiert
„Unsere Idee ist, jetzt nicht zu sagen: Wir fangen nur an, wenn wir erstmal 20 Millionen für die Fahrzeuge kriegen und dann brauchen wir noch drei Millionen für den Infrastrukturumbau und dann brauchen wir nochmal zehn Millionen, um hier irgendwas schönzumachen, keine Ahnung. Ich mein, das kann jeder. Dann bauen wir uns ein Güterterminal und dann kommt irgendwann jemand und sagt: Und warum fahren wir es nicht mit dem Laster? Und deswegen haben wir gesagt: Andersrum. Einfach mit den Mitteln, die wir haben, und dann gucken, wie wir das steigern können.“
Dass Straßenbahnen auch Güter transportieren, war bis in die fünfziger Jahre selbstverständlich. Kohlen, Mehl, Getreide, Stückgut oder Getränke wurden auf den innerstädtischen Straßenbahnnetzen befördert. In Dresden wurde 2001 sogar die Güterstraßenbahn reaktiviert. Volkswagen lieferte mit eigens dafür gebauten Zügen Fahrzeugteile quer durch die Stadt in seine „Gläserne Manufaktur“. 2020 allerdings endete das Projekt, das Werk wird nun wieder mit Lastwagen bedient.
Nicht jedes Zustellgebiet für Lastenräder geeignet
In den urban-alternativen Milieus kommt das Lastenrad gut an. Gerd Seber, Nachhaltigkeitsbeauftragter des DPD-Konzerns, dämpft allerdings die Euphorie ein wenig. Das Lastenrad allein, sagt er, ist nicht die Lösung, dafür sei Logistik zu komplex und nicht jedes Zustellgebiet und auch nicht jede Lieferung für ein Lastenrad geeignet.
„Nicht die Einkaufsstraße. Und nicht das Kaufhaus. Und natürlich auch nicht das Industriegebiet. Also das wird mit dem Lastenrad sehr schwierig zu beliefern sein, das sind ganz andere Gewichte und Mengen, über die ich da rede. Aber diese Mischgebiete, wo sich so kleineres Gewerbe mit Wohnen mischt, die sind wirklich ideal, weil da in der Regel auch ein hoher Verkehrsdruck herrscht. Es gibt ja jetzt schon Straßen, gerade in Berlin, wo ich keine Chance habe, nicht gegen die StVo zu verstoßen, wenn ich dort liefern muss.“
Emissionsfrei zustellen für die Klimaziele

Neue Konzepte auch für ländliche Gebiete
„Es gibt auch eben diese Ansätze von mobilen Supermärkten, Fahrbibliotheken und ähnliches. Wieso muss ich das immer nur in dieser einen Funktion denken? Wieso kann ich nicht sagen: Eine Fahrbibliothek kann auch andere Güter mitnehmen, die zur Versorgung der Personen vor Ort da sind?“
Und so viel scheint sicher: Der Paketversand wird weiter rasant steigen, prognostiziert der Bundesverband Paket und Logistik: Von 2018 bis 2028 um das Neunfache.