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Maja Göpel
"Unsere Welt neu denken"

Wie können die Menschen auf der voller gewordenen Erde gut leben, ohne ihre Lebensgrundlage zu verzehren? Die Polit-Ökonomin Maja Göpel stellt unser auf ewiges Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem in Frage und sucht nach einem zukunftsfähigen Entwicklungsmodell.

Von Ralph Gerstenberg | 09.03.2020
Hintergrundbild: Die Ruhr Oel-Erdölraffinerien in Gelsenkirchen in den Abendstunden. Vordergrund: Buchcover
Permanentes Wachstum ist nicht die Lösung, sondern das Problem (imago stock&people /Ullstein Verlag)
Dies sei kein Klimabuch, betont Maja Göpel gleich zu Beginn ihres Buches. Und sie selbst sei keine Klimaforscherin, sondern Gesellschaftswissenschaftlerin. Ihr Hauptinteresse: die politische Ökonomie. Dabei geht es in ihrem Buch natürlich auch um den Klimawandel, um die Frage, warum sich ökonomische Ideen und Konzepte der letzten zweihundertfünfzig Jahre nicht mehr dazu eignen, konsistente Antworten auf die Probleme des 21. Jahrhunderts zu geben.
Unser Entwicklungsmodell, das davon ausgeht, dass es immer mehr für alle geben könne, habe lange Zeit gut funktioniert, meint die Autorin: "Es hat Bevölkerungswachstum in dem Ausmaß überhaupt erst möglich gemacht, weil eben viel mehr Menschen materiell versorgt werden konnten. Aber es hat eben auch dazu geführt, was wir Anthropozän nennen, dass die menschlichen Aktivitäten die Rückkopplungsschleifen unserer Ökosysteme in Frage stellen, weil wir zu stark intervenieren, zu viel rausnehmen, zu viel Müll reinstecken. Und da braucht es eben ein neues Begreifen davon, wie sich diese Realität verändert hat."
Drohnen statt Bienen
Vor allem ist es auf der Erde voller geworden. In den letzten fünfzig Jahren habe sich nicht nur die Weltbevölkerung verdoppelt, sie benötige zudem auch noch viel mehr Platz, schreibt Maja Göpel. In einer vollen Welt sei es fatal, wenn wir unser Wirtschaftssystem weiter nach den Bedürfnissen eines homo oeconomicus ausrichten, dem Menschenbild eines egoistischen Nutzenmaximierers.
Derzeit 7,7 Milliarden allein auf ihren Vorteil bedachte Erdenbürger würden die Ökosysteme des Planeten unweigerlich zum Kollabieren bringen. Zum Sinnbild für das absurde menschliche Streben wird für Maja Göpel ein Patent, das von der amerikanischen Einzelhandelskette Walmart beantragt wurde: eine Pflanzen bestäubende Drohne als technische Reaktion auf das Bienensterben.
Schlicht als Wahnsinn bezeichnet die Politökonomin die Idee eines allein von "menschengemachten mechanischen Abläufen und Energiequellen" abhängigen ökonomischen Systems.
Zitat: "Bereits heute geht es darum, den Energieverbrauch zu senken und damit den Klimawandel einzuhegen. Bienen erzeugen ihre eigene Energie aus ihrer Nahrung. Sie leben vom Blütenstaub der Pflanzen und ihrem selbst produzierten Honig. Die Pflanzen gewinnen ihre Energie aus Fotosynthese, was ganz ohne unser menschliches Zutun funktioniert und ganz ohne Schaden für die anderen Dienstleistungen der Ökosysteme [...]. Bereits heute können wir erkennen, mit welchen Anbau- und Pflanzmethoden wir die echten Bienen dezimieren. Welches wäre wohl die lebenserhaltende Innovationsagenda? Die Drohne oder die Umgestaltung von Anbaumethoden, Lieferketten und Landnutzungskonzepten?"
Menschliches Maß oder ewiges Wachstum
Cui bono – wem nützt es?, fragt Maja Göpel immer wieder und fordert neue, nicht systemimmanente Denkansätze, in denen Ökologie und Ökonomie nicht als Gegensatz betrachtet werden, sondern als Einheit, und permanentes Wachstum nicht als Lösung erscheint, sondern als Problem.
Maja Göpel: "Dass die Leute eigentlich mit dem, was sie schon haben, relativ gut klarkommen, das kommt in der Denke nicht vor. Und das ist ja das Wichtige, dass wir sagen: Welche Art, auf die Welt zu schauen, welche Art, auf die Menschen zu schauen, hilft uns denn dabei, diese neue Realität erfolgreich zu navigieren? Was ist denn das gute Leben? Wie können wir unsere ökonomischen Systeme umstellen, damit die Versorgung der Menschen in Einklang mit den natürlichen Lebensgrundlagen und ihrer Regeneration funktionieren kann, anstatt dass wir irgendwann sehr schockartig dann sowieso weniger haben werden?"
In ihrem Buch plädiert Maja Göpel für mehr Verteilungsgerechtigkeit und für eine Rückkehr zum menschlichen Maß. Das Narrativ vom ewigen Wachstum, von dem letztlich alle profitieren sollten, sei nicht aufgegangen, weder ökologisch noch sozial. Wirklich profitiert, im wahrsten Sinne des Wortes, haben nur wenige.
Bill Gates, einer der drei reichsten Menschen der Welt, verbrachte 2017 zirka 350 Stunden in der Luft und verbrauchte dabei das Kohlendioxid-Lebensbudget von 38 Menschen. Das heißt: Diejenigen, die es sich leisten können, seien in der Lage, ihre Umwelt zerstörende und Rohstoffe vernichtende Lebensweise uneingeschränkt fortzusetzen, resümiert die engagierte Wissenschaftlerin.
Zitat: "Es sind die gleichen finanziellen Mittel, mit denen sie dann etwas tun können werden, das die Menschen, deren Budget sie verflogen haben, ebenfalls nicht können – sich an den Klimawandel anpassen, dahin ziehen, wo es noch schön ist, die steigenden Preise für weniger Nahrungsmittel zahlen und die Zerstörung ihrer Häuser von Versicherungen übernehmen lassen. [...] Finden Sie das gerecht?"
Der Kapitalismus an seiner Grenze
Man könne die ökologische Frage nicht lösen, wenn man sie nicht auch als soziale Frage verstehe, schreibt Maja Göpel. Um der Mehrheit eine nachhaltigere Lebensweise zu ermöglichen, müssten hohe Einkommen massiver besteuert werden. Ebenso Unternehmen, die Infrastruktur und Ressourcen der Allgemeinheit nutzen, Gewinne privatisieren und die Umwelt belasten. Ja, es geht auch um Umverteilung, darum, dass sich die Menschheit wieder als solidarische Gemeinschaft versteht.
Bei der Lektüre stellt sich unweigerlich die Systemfrage. Der Kapitalismus, ein Wirtschaftssystem, das auf Profitmaximierung ausgerichtet ist, ist bei anhaltendem Bevölkerungswachstum, endlichen Ressourcen und voranschreitendem Klimawandel längst an seine Grenzen gestoßen. Wem nützt er?, fragt also Maja Göpel.
Ihr Befund ist präzise, ihr Buch kommt zur richtigen Zeit - einer Zeit, in der die Folgen des Klimawandels ebenso unübersehbar sind wie die Halbherzigkeiten der Politik. Es ist ein eindringlich vorgetragenes Plädoyer für ein zukunftsorientiertes Denken, "eine Einladung", von der man sich wünscht, dass sie von vielen angenommen wird.
Maja Göpel: "Unsere Welt neu denken. Eine Einladung",
Ullstein Verlag, 208 Seiten, 17,99 Euro.