Freitag, 29. März 2024

Archiv

McAllister (CDU) zum Sieg Johnsons
"Der Slogan 'Get Brexit Done' hat einen Nerv getroffen"

Nach dem Erfolg von Boris Johnson bei den Unterhauswahlen in Großbritannien führt kein Weg mehr am Brexit vorbei. Der CDU-Politiker David McAllister sagte im Dlf, Johnson habe die Empörung der Bevölkerung über die Handlungsunfähigkeit der Politik geschickt zu seinen Gunsten genutzt.

David McAllister im Gespräch mit Christoph Heinemann | 13.12.2019
David McAllister, CDU
David McAllister, CDU (dpa/Mohssen Assanimoghaddam)
Christoph Heinemann: Am Telefon ist der CDU-Politiker McAllister. Er ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments. Und je nachdem, in welcher Heimat er sich gerade aufhält, wird er entweder David oder David gerufen, denn er besitzt den deutschen und den britischen Pass. Guten Morgen!
David McAllister: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Wie blicken Sie auf dieses Wahlergebnis?
McAllister: Ich habe die ganze Nacht die Wahlkreis-Bekanntgaben verfolgt und das Ergebnis ist ganz eindeutig. Die Konservativen haben eine absolute Mehrheit und ich teile die Einschätzung von Friedbert Meurer: Der Brexit wird jetzt sehr, sehr wahrscheinlich zum 31. Januar über die Bühne gehen.
Heinemann: Wenigstens Klarheit. Ist das gut?
McAllister: Ja, wir haben Klarheit. Aber gleichwohl mache ich aus meiner persönlichen Meinung keinen Hehl. Ich halte den Brexit für einen historischen Fehler. Am Brexit ist gar nichts gut. Aber diese Wahl hat jetzt entschieden, dass das Vereinigte Königreich am 1. Februar nicht mehr Mitglied der Europäischen Union sein wird.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Heinemann: Warum sieht das die Mehrheit der Britinnen und Briten anders?
McAllister: Der Brexit war das ganz klar beherrschende Thema in diesem Wahlkampf und Boris Johnson hat eines geschafft: Er hat nicht nur die ohnehin überzeugten Brexit-Befürworter für die Konservativen gewinnen können, sondern er hat auch die Situation ausgenutzt, dass die Brexit-Müdigkeit im Land groß ist, und das dieses Versprechen von Boris Johnson, das jahrelange Gezerre zu beenden und das Land endlich aus der Europäischen Union zu führen, das hat offensichtlich die Stimmung in Teilen der Bevölkerung getroffen. Der Slogan "Get Brexit Done" hat einen Nerv getroffen.
"Unerwartete Mehrheit für die Konservativen"
Heinemann: Mit welchen Mitteln, wollte ich Sie gerade fragen, hat er diesen Wahlsieg erzielt?
McAllister: Wenn Sie sich die Wahlkreis-Geographie Großbritanniens anschauen, sieht man ja bemerkenswerte Veränderungen bei dieser Wahl. Die Konservativen haben einige Wahlkreise im Großraum London, der traditionell proeuropäisch ist, zwar verloren, aber man ist ja massiv eingebrochen in Regionen, wo normalerweise für die Konservativen nichts zu holen ist. Im Norden, in den Midlands, sogar in Wales hat man der Labour Party Wahlkreise abgejagt, und das hat letztlich dazu geführt, dass es diese, in dieser Höhe unerwartete Mehrheit für die Konservativen gibt.
Heinemann: Nationalismus ist schick! – Was heißt das für die CDU?
McAllister: Die CDU ist eine alles andere als nationalistische Partei. Das waren wir nicht, das werden wir auch nicht sein. Die Christlich-Demokratische Union in Deutschland ist proeuropäisch und wir wollen jetzt, dass die Europäische Union mit 27 Staaten erfolgreich weitermacht.
Heinemann: Wieso ist Populismus erfolgreich?
McAllister: Das ist eine gute Frage. Der Populismus hat die Gabe, politisch komplizierte Sachverhalte sehr einfach zu beantworten, zu einfach. Demokratie ist komplex und man muss immer wieder den Menschen in einer Demokratie deutlich machen, dass es oft nicht nur ein einfaches Ja oder Nein auf eine Frage geben kann in einer Demokratie. Was ich den Populisten im Vereinigten Königreich nach wie vor vorwerfe ist, dass die ganze Kampagne für den Brexit auf falsche Tatsachen aufgebaut wurde. Man hat den Menschen Halbwahrheiten und Dreiviertel-Lügen aufgetischt. Aber so sehr wir den Brexit bedauern, wir müssen jetzt diese Entscheidung akzeptieren.
"Empörung über verantwortliche Politiker"
Heinemann: Herr McAllister, wer Boris Johnson gewählt hat, der wusste, was sie oder er bekommen würde. War die Brexit-Abstimmung 2016 so gesehen doch kein Betriebsunfall?
McAllister: Die Menschen im Vereinigten Königreich haben 2016 demokratisch entschieden. Es gab damals eine knappe Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union, auch wenn die Kampagne für britische Verhältnisse ungewöhnlich polarisierend geführt wurde und, wie ich eben betont habe, auch wirklich mit falschen Fakten gearbeitet hat. Aber seit 2016 führt dieses Land eine leidenschaftliche Debatte über die Umsetzung des Brexits. Das britische Unterhaus war über mehrere Monate nicht handlungsfähig. Es gab eine Mehrheit bei der Abstimmung 2016 in der Bevölkerung für den Brexit. Das Parlament hat es nicht umgesetzt. Eine Müdigkeit hat sich breitgemacht, zum Teil auch eine Empörung über verantwortliche Politiker in London, und das hat Boris Johnson mit einer zugegebenermaßen geschickten Kampagne für sich ausnutzen können. Und im Übrigen hat er auch die eigentliche Brexit-Party von Herrn Farage komplett marginalisiert in dieser Wahl.
Heinemann: Was folgt aus der Art der Debatte und der Auseinandersetzung für künftige Wahlkämpfe zum Beispiel auch in Deutschland?
McAllister: Wahlen in Deutschland folgen nach anderen Prinzipien. Wir haben das Verhältniswahlrecht. Insofern gibt es nicht diese Zuspitzung auf die einzelnen Wahlkreise. Was wir aus Großbritannien nicht lernen sollten ist, dass die Sprache in der Politik so aggressiv geworden ist, dass die Spaltungen tiefer geworden sind. Wir sind alle klug beraten, in Deutschland einen Beitrag dazu zu leisten, dass der politische Diskurs bei uns kompromiss- und konsensorientiert bleibt, dass wir uns gegenseitig respektieren und dass es nicht zu einer weiteren Verrohung der Sprache in der politischen Auseinandersetzung kommt.
"Die schottischen Nationalisten haben abgeräumt"
Heinemann: Was folgt Ihrer Meinung nach aus dem Wahlsieg der schottischen Nationalisten für die Einheit des Landes?
McAllister: So sehr sich die Farbe der Wahlkreise im Vereinigten Königreich in England blau gefärbt hat in weiten Teilen, so sehr haben die schottischen Nationalisten in Schottland abgeräumt, nahezu alle Wahlkreise gewonnen. Im Wahlkampf in Schottland spielte wie überall im Land weniger das Thema schottische Unabhängigkeit eine Rolle, sondern es ging schon um das Thema Brexit, um Gesundheitspolitik und andere Fragen. Aber natürlich wird die schottische SNP-Regierung in Edinburgh jetzt dieses Wahlergebnis dazu nutzen, das als Forderung und Unterstützung für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum in Schottland einzusetzen. Ein zweites Referendum in Schottland kann es nur geben, wenn es eine einvernehmliche Regelung gibt zwischen London und Edinburgh, und die britischen Konservativen haben ein zweites schottisches Unabhängigkeitsreferendum ausgeschlossen.
Heinemann: Herr McAllister, schauen wir noch mal auf den Brexit-Fahrplan. Am 1. Februar würde das Vereinigte Königreich die EU planmäßig verlassen. Wenn es denn so kommt, dann blieben die Insel und der Inselteil noch einige Monate im Binnenmarkt und in der Zollunion. Ende 2020 wäre dann endgültig Feierabend, sofern bis Oktober die künftigen Beziehungen geregelt und ein Freihandelsabkommen unter Dach und Fach gebracht werden könnte. – Lange Rede, kurze Frage: Reichen dafür neun Monate?
McAllister: Nahezu alle Experten sagen, dass das nicht möglich ist. Sie haben in der Tat recht: Am 1. Februar gehen wir in die nächste Runde. Dann beginnen die Verhandlungen über unsere künftigen Beziehungen, insbesondere über ein Freihandelsabkommen. Aber das in weniger als sieben, acht Monaten über die Bühne zu bringen, das ist extrem ambitioniert, meines Erachtens ausgeschlossen, denn erfahrungsgemäß dauern solche Verhandlungen mehrere Jahre. Die britische Regierung hat die Möglichkeit, die Frist für diese Phase, wo wir dieses neue Abkommen verhandeln, nochmals um bis zu zwei Jahre zu verlängern, aber dieser Antrag müsste bis spätestens 1. Juli gestellt werden, und bislang hat Boris Johnson das ja ausgeschlossen, dass er um eine Verlängerung der Übergangsperiode bitten würde. Aber vielleicht jetzt, wo die Wahllokale geschlossen sind, wird man noch mal in Ruhe in London über diese Position nachdenken.
Heinemann: Am Brexit gibt es keinen Zweifel?
McAllister: Leider nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.