Freitag, 19. April 2024

Ärger beim "Canard enchaîné"
Zu viel Enthüllung für ein Enthüllungsblatt

Der "Canard enchaîné" berichtet immer wieder über Korruption oder anderes Fehlverhalten. Jetzt steht die Zeitung selbst im Mittelpunkt eines Skandals, aufgedeckt vom eigenen Mitarbeiter.

Christiane Kaess im Gespräch mit Antje Allroggen | 09.05.2023
Parlamentsabgeordnete in Frankreich liest die Investigativ-Zeitung "Le Canard enchainé"
Eine Parlamentsabgeordnete in Frankreich liest die Investigativ-Zeitung "Le Canard enchainé" (imago / Le Pictorium / Julien Mattia)
Der "Canard enchaîné" ist eine Institution in Frankreich. Seit mehr als 100 Jahren berichtet die Zeitung über Missstände und das Fehlverhalten von Mächtigen - sei es in der Wirtschaft oder in der Politik.
Mal prangerte das Investigativblatt Diamanten-Geschenke an den Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing an, mal deckte die Redaktion auf, dass sie vom Inlandsgeheimdienst abgehört werden sollte. Es zeigte sich immer wieder, dass man den "Canard enchaîné" (auf Deutsch: "Die angekettete Ente") nicht an die Kette legen konnte.
Zuletzt hatte vor wenigen Jahren der Fall des Präsidentschaftskandidaten François Fillon Schlagzeilen gemacht, auch über die Grenzen Frankreichs hinaus. Fillon hatte seine Frau und seine beiden Kinder als Parlamentsberater bezahlt, obwohl sie dafür keine entsprechende Arbeit leisteten. Auf diese Weise sollen rund 900.000 Euro an öffentlichem Geld veruntreut worden sein. Schließlich dürfte auch dieser Skandal dazu beigetragen haben, dass der konservative Bewerber Fillon bei der darauffolgenden Wahl mit 20 Prozent abgestraft wurde und es nicht in die Stichwahl gegen den späteren Präsidenten Emmanuel Macron schaffte.

Mutmaßlich fiktive Beschäftigung

Es war nicht der einzige, aber sicher einer der prominentesten Fälle von Vetternwirtschaft, über den die Journalistinnen und Journalisten des "Canard" berichteten. Und so scheint es vielen Beobachtern wie eine Ironie der Geschichte, dass nun das Blatt selbst wegen einer Geschichte über Vetternwirtschaft im Fokus steht. Und wie beim Fillon-Skandal war es auch jetzt der Investigativreporter Christophe Nobili, der den Stein ins Rollen brachte.
Vor genau einem Jahr hatte Nobili, der seit 2005 als Journalist für den "Canard" tätig ist, Anzeige erstattet wegen Missbrauchs von Gesellschaftsvermögen und Anstiftung zum Missbrauch von Gesellschaftsvermögen. Grund dafür war der Verdacht, dass die Ehefrau von André Escaro, einem langjährigen bekannten Zeichner der Zeitung, über viele Jahre hinweg für eine fiktive Beschäftigung bezahlt wurde. Herausgeber Michel Gaillard und Chefredakteur Nicolas Brimo sollen den mutmaßlichen Betrug gedeckt haben.

Verlagsleitung spricht von Verleumdung

Nobili sei eher zufällig auf die Information über Scheinbeschäftigung im Verlag gestoßen, erklärt Dlf-Frankreich-Korrespondentin Christiane Kaess. "Er hat erst einmal letztes Frühjahr die Leitung der Zeitung mit diesem Vorwurf konfrontiert. Doch deren Reaktion war, dass sie Nobili Verleumdung vorgeworfen hat."
Seine Enthüllung und die Recherchen beschrieb Nobili schließlich in seinem Buch "Cher Canard", das Anfang März erschienen ist. Daraufhin wurde er suspendiert, sein Gehalt nicht weiter ausgezahlt.
Wie die Zeitung "Le Monde" berichtet, sei das Vorgehen eine direkte Reaktion auf die Veröffentlichung des Buches und die zahlreichen Äußerungen Nobilis in den Medien. In einer E-Mail an die Belegschaft sei erklärt worden, dass das Verhalten Nobilis "sowohl gegen den Tarifvertrag für Journalisten als auch gegen die Ethik-Charta des Canard" verstoße.

Beschuldigte sehen kein Fehlverhalten

Eigenes Fehlverhalten stritt die Leitung des "Canard enchaîné" unterdessen ab. In einem Leitartikel habe sie die Zahlungen an die Ehefrau des Zeichners verteidigt, so Christiane Kaess. Außerdem habe sie erklärt, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abwarten zu wollen.
Der Journalist Christophe Nobili sagte vor einigen Tagen, er sei sehr stolz gewesen beim "Canard" zu arbeiten, nun sei er enttäuscht und geschockt.