Schmerzen kennt jeder. Zahnschmerzen, Hexenschuss, Wundschmerz. Die meisten davon gehen nach kurzer Zeit von alleine weg. Oder es gibt Medizin dagegen. Doch in den schlimmsten Fällen hilft all das nicht. Dann können nur Fachleute wie der Berliner Uwe Gutschmidt helfen. Er ist Palliativmediziner, also Facharzt für die Behandlung von Schmerzen und Mitglied im Fachverband Home Care. Die Patienten, die er betreut, leiden 24 Stunden am Tag unter Schmerzen. Monate lang, manche auch Jahre lang.
"Meine Patienten haben unterschiedlichste Schmerzen, das sind Schmerzen, die von inneren Organen ausgehen, wenn der Krebs entsprechende Organe befallen hat, Schmerzen, die durch Nervenläsionen hervorgerufen werden, Schmerzen, die durch Schäden im Zentralnervensystem hervorgerufen werden und natürlich alle Schmerzsyndrome, die man im Laufe seines Lebens akquirieren kann: Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen."
Ursache für die unerträglichen Schmerzen dieser Menschen sind meist Grunderkrankungen wie Krebs, ALS, Multiple Sklerose, Schlaganfälle, Herz- oder Lungenschäden. Bislang hat Gutschmidt ein großes Arsenal von morphinartigen Schmerzmitteln zur Auswahl. Sei als Tabletten, Tropfen, Infusionen oder Pflaster. Doch die Medikamente haben starke Nebenwirkungen. Verstopfung und Müdigkeit gehören zu den häufigsten, aber auch Übelkeit, Erbrechen, psychische Effekte und Sucht sind möglich. Für Gutschmidt ist es eine ständige Gratwanderung, die Schmerzbehandlung und die Nebenwirkungen gegeneinander abzuwägen.
Daher freut sich der Palliativmediziner über den Vorstoß der Bundesdrogenbeauftragten, den Einsatzbereich von Cannabis für Schmerzpatienten zu erweitern.
"Grundsätzlich befürworte ich diesen Vorschlag in jedem Fall, knüpft so ein bisschen an die Vorgänge an, die sich in den Vereinigten Staaten seit einiger Zeit abspielen, dass in einigen Bundesstaaten Cannabis für den medizinischen Gebrauch frei gegeben worden ist. Ich könnte mir vorstellen, dass es einen Teil unserer Schmerzpatienten gibt, die von einer erleichterten Verordnungsbarkeit von Cannabis durchaus profitieren würden."
Medizinischer Hanf per Gesetz
Was die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler vorhat, war gestern in der Zeitung "Die Welt" zu lesen. Demnach soll durch ein Gesetz neu geregelt werden, dass schwer kranke Schmerzpatienten Cannabis zur Linderung bekommen können. Das Gesetz soll 2016 in Kraft treten. Die Kosten für die Behandlung sollen die Krankenkassen übernehmen. Wie sich die CSU-Politikerin Marlene Mortler das im Einzelnen vorstellt, war gestern nicht zu erfahren. Sie gebe keine Interviews dazu, so ihr Pressesprecher.
Das ist ungewöhnlich. Denn Mortlers Vorstoß ist mutig. Jahrelang war die Aufweichung des Cannabisverbotes ein Tabuthema. Und obwohl der Vorschlag nur in einem kurzen Zeitungsartikel diskutiert wurde, fand er Zustimmung von den Fachpolitikern aus Regierung und Opposition. So sagte etwa Burkhard Blienert, drogenpolitischer Berichterstatter der SPD-Fraktion im Bundestag:
"Ich finde es einen notwendigen und sinnvollen Schritt, Cannabis als Medizin jetzt auch zu ermöglichen. Das gibt den Betroffenen jetzt endlich auch eine Sicherheit, es ist ein erster sinnvoller Schritt in die richtige Richtung."
Auch Frank Tempel, der Drogenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken begrüßt den Vorstoß, obwohl ihm Mortlers Gesetzesidee noch nicht weit genug geht.
"Die momentane Regelung grenzt für mich an unterlassene Hilfeleistung an Patienten. An schwerstkranken Patienten, aber auch an Patienten mit Schmerzsymptomen, mit Appetitlosigkeitssymptom – die Anwendung wäre sehr breit, da freut es mich jetzt schon, dass endlich zumindest in diesem Teilthema doch Bewegung reinkommt."
Marihuana-Wirkstoff wird schon eingesetzt – bei einer Krankheit
Einer der wenigen, die verhalten auf Mortlers kleine Cannabis-Liberalisierung reagieren, ist Christian Belgardt, der Präsident der Apothekerkammer Berlin. Vor allem mit Blick auf THC, den bekanntesten Inhaltsstoff von Cannabis, gibt er zu bedenken:
"Es ist nicht furchtbar neu und nicht furchtbar aufregend, denn es gibt heute schon Arzneimittel, die Tetrahydrocannabinol, sprich THC, enthalten, nur sind die nicht zugelassen für alle möglichen Indikationen, sondern nur für eine einzige, nämlich spastische Krämpfe bei Multipler Sklerose.
Diese Medikamente würden sogar von der Krankenkasse bezahlt, so Belgardt. Auch darüber hinaus finde sich Cannabis längst schon in den Apotheken.
"Man kann heute schon legal als Patient beantragen bei der Bundesopiumstelle, dass man ein anderes Cannabispräparat haben möchte, nämlich 'Cannabis flos', also die ganz normalen Blütenstände, die man theoretisch auch auf dem Schwarzmarkt kaufen kann, man kann sie eben auch legal als Patient kaufen. Dazu muss man eben diese Erlaubnis der Bundesopiumstelle haben, muss zur Apotheke seiner Wahl gehen und die kann das dann importieren von einem einzigen Lieferanten, der das wiederum aus Holland bekommt."
Vorsicht vor Selbstmedikation mit Straßendope
Bundesweit sollen heute nur wenige Hundert Schmerzpatienten eine Ausnahmegenehmigung von der Bundesopiumstelle haben, um Cannabisblüten in der Apotheke zu kaufen. Wie viele Patienten sich stattdessen im Ausland oder auf dem Schwarzmarkt Cannabis als Schmerzmittel besorgen, darüber kann nur spekuliert werden. Doch der Medizinhanf aus der Apotheke und das Cannabis vom Straßenhändler sind als Medikament, bei dem es ja auf die Dosierung ankommt, nicht zu vergleichen, erklärt Apotheker Belgardt. Ohne kontrollierten Anbau könne der Wirkstoffanteil beim Naturprodukt gewaltig schwanken.
"Deshalb ist es wichtig und richtig, Medizinalhanf zu nehmen, der standardisiert hergestellt wird, wo man auch standardisieren kann, wie viel Inhaltsstoff da drin ist, sodass der Patient weiß, wenn er da ein Gramm oder zwei Gramm nimmt, was dann passiert. Das weiß man auf dem Schwarzmarkt halt nur ungefähr."
Inwiefern Marlene Mortlers Vorstoß pro Cannabis im medizinischen Bereich die generelle Diskussion über die Entkriminalisierung vom Verkauf und Konsum von Cannabisverkauf entfachen wird, bleibt abzuwarten. Eine Türöffnerfunktion in diese Richtung dürfte sie sicher haben.
Wer tiefer in die Materie einsteigt wird ohnehin feststellen, dass die erweiterte Cannabisnutzung gar nicht so innovativ ist, wie sie jetzt wirkt, sondern auf ganz alte Erkenntnisse zurückgeht. Schon im 12. Jahrhundert setzte Hildegard von Bingen Hanf als Medizinpflanze ein. Und sogar im alten Ägypten wurde Cannabis schon als Medizin verwendet.