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Mehr Bundesmittel für Flüchtlinge
Dreyer: Ein gutes Zeichen - aber nicht genug

Das jetzt von Bund und Ländern vereinbarte Maßnahmenpaket zur Bewältigung der steigenden Zahl von Flüchtlingen sei ein gutes Zeichen, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer im DLF. Es müsse aber noch mehr getan werden - die Aufnahmeverfahren dauerten noch viel zu lange.

Malu Dreyer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 18.06.2015
    Malu Dreyer, Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz.
    Malu Dreyer, Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz. (picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    Es sei sicher eine Erleichterung, dass die Kommunen noch in diesem Jahr zusätzliche 500 Millionen Euro für die Aufnahme der Flüchtlinge bekämen, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer im DLF. Es müsse aber noch mehr getan werden. So sollte der Bund auch die Kosten für die unbegleiteten Minderjährigen erstatten, schlug Dreyer vor. Die Verfahren bei der Aufnahme dauerten mit sechs bis sieben Monaten viel zu lange. Ziel seien drei Monate.Bei den abgelehnten Asylsuchenden setze sie auf eine freiwillige Rückkehr, das Dreyer. Das funktioniere bei der Mehrzahl auch gut.
    Innerhalb der EU sei bei der Aufnahme der Flüchtlinge eine Quotenregelung mit neuen Regeln notwendig. Nur so bleibe die Akzeptanz in den Länder erhalten, sagte Dreyer. In Europa müsse weiter gelten, dass Menschen in Not aufgenommen werden. Für Flüchtlinge aus Krisengebieten müsse es die Möglichkeit geben, sicher nach Europa zu kommen. Derzeit sei die Situation "nicht erträglich". Europa dürfe nicht mit ansehen, wie Menschen ertrinken.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Mehr Menschen kosten mehr Geld, kurzfristig, denn wenn die Integration gelingt, dann könnten die vielen, die sich auch Richtung Deutschland auf den Weg machen, für dieses Land viel leisten und erwirtschaften. Die Ministerpräsidenten der Länder sprechen heute mit der Bundeskanzlerin, unter anderem über die Finanzierung der Migration. Bisher standen die Städte und Gemeinden im Regen. Jetzt hat der Bund Großzügigkeit signalisiert beziehungsweise will etwas mehr Geld zur Verfügung stellen.
    Vor 20 Minuten haben wir Malu Dreyer (SPD) erreicht, am Flughafen, kurz vor dem Einstieg in die Maschine. Ich habe die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz gefragt, ob jetzt, wo der Bund mehr zahlen will, alles gut ist.
    Malu Dreyer: Nein. Es ist natürlich schön, dass der Bund jetzt diese 500 Millionen vorzieht. Aber man darf sich auch nichts vormachen. Es ist kein neues Geld. Das sind die 500 Millionen, die bereits zugesagt worden sind. Es ist eine Erleichterung, dass wir sie bereits 2015 erhalten. Allerdings, wenn ich in meinem Bundesland schaue: Wir haben unseren Kommunen dieses Geld, diese Vorfinanzierung schon ermöglicht. Insofern: Es ist ein gutes Zeichen, aber natürlich brauchen wir eine viel umfassendere finanzielle Beteiligung des Bundes.
    Heinemann: Nämlich? Was fehlt?
    Dreyer: Eine strukturelle Beteiligung. Darauf wird man sich heute verständigen, dass die im Jahr 2016 kommen soll. Das wird wichtig heute, dass wir uns dann wirklich sehr, sehr klar verabreden, dass das nicht eine Vertröstung ist, sondern dass wir wirklich 2016 eine gute Regelung zu einer strukturellen finanziellen Beteiligung haben. Ich hätte mir gewünscht, ich bringe es heute auch nochmals ein, dass bei der Soforthilfe heute, 500 Millionen vorziehen, wir auch noch einen anderen Posten erstattet bekommen vom Bund, nämlich die unbegleiteten Minderjährigen, die sehr viel Geld kosten. Inwieweit sich das realisieren lässt, ist allerdings offen. Im Moment stehen die Zeichen nicht dafür besonders gut.
    Heinemann: Klingt alles ein bisschen nach Nothilfe. War der Bedarf nicht absehbar?
    "Wir müssen unbedingt schneller werden"
    Dreyer: Der Bedarf war natürlich absehbar. Trotzdem muss man sagen, die Flüchtlingszahlen sind schon sehr, sehr hoch. Der Bund hat sich ja anfangs sehr schwer getan zu sagen, ja, wir haben eine gesamtstaatliche Verantwortung. Deshalb begrüße ich, dass Bund und Länder jetzt zusammensitzen und hier gemeinsam wirklich ein gutes Maßnahmenpaket verabschieden werden. Über die Frage der finanziellen Beteiligung wird man weiter ringen müssen. Da ist es ein Fortschritt, dass wir zum 1. 1. 2016 eine strukturelle Hilfe bekommen werden. Dennoch, glaube ich, wird man an dieser Frage weiter arbeiten müssen.
    Heinemann: Geld ist das eine. Außerdem werden schnellere Asylverfahren angestrebt. Gilt damit künftig Schnelligkeit vor Gründlichkeit?
    Dreyer: Das kann man nicht sagen. Die Verfahren dauern zurzeit viel zu lange. Das ist eine der schwierigsten Ausgangslagen, die wir im Moment haben. Wenn Asylverfahren sechs, sieben Monate dauern und davon 50 Prozent der Menschen am Ende gar nicht in Deutschland bleiben können, dann ist das ein Problem. Und es ist auch für die ein Problem, die bleiben dürfen, weil sie nicht in die Öffnung kommen, was Integrationskurse betrifft, was die Ausbildung betrifft, das Bleiberecht betrifft. Wir müssen unbedingt schneller werden. Das Ziel der Koalition war ja drei Monate und ich hoffe, dass wir dieses Ziel jetzt alsbald auch erreichen werden. Dann werden wir viele Probleme gelöst bekommen.
    Heinemann: Warum hat das so lang gedauert bisher? Haben die Behörden getrödelt?
    "Wir setzen auf freiwillige Rückkehr"
    Dreyer: Die Behörden haben nicht getrödelt, aber die Vielzahl der Flüchtlinge hat schlicht und ergreifend dazu geführt, dass die Behörden auch überfordert waren. Das heißt, die Zusage des Bundes, die heute festgemacht wird, im Jahr 2015 tausend Stellen einzusetzen, zusätzliche Stellen, und im Jahr 2016 noch einmal bis zu tausend Stellen, das ist der richtige Weg. Das ist auch überfällig und ich bin sehr froh, dass dieser Schritt jetzt endlich gemacht wird.
    Heinemann: Nur wenn jetzt noch viel mehr Flüchtlinge kommen und es schneller gehen soll, dann kann das doch nur auf Kosten der Gründlichkeit gehen.
    Dreyer: Jeder Flüchtling, der zu uns kommt, hat Anspruch auf ein ganz reguläres Rechtsverfahren, auf ein Asylverfahren.
    Heinemann: Soweit die Theorie!
    Dreyer: Und ich bin ganz sicher, dass das auch eingehalten wird. Wenn wir einfach zu viele Flüchtlinge pro Mitarbeiter haben, dann kann man einfach nicht schneller arbeiten und auch nicht gründlich arbeiten. Insofern finde ich es richtig, erstens, dass der Bund jetzt vor hat, mit uns zu vereinbaren, dass man Schwerpunkte, Cluster-Verfahren einsetzt - das bedeutet, dort wo Menschen aus bestimmten Herkunftsländern kommen, auch bestimmte Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen daran arbeiten, an diesen Asylverfahren, und damit mit Knowhow und Wissen wirklich diese Fälle bearbeiten -, und andererseits einfach die Mitarbeiter erhöht werden.
    Heinemann: Was passiert mit Bewerbern, die abgelehnt werden?
    Dreyer: Da passiert genau dasselbe wie heute auch. Wenn sie rechtskräftig abgelehnt sind, dann müssen sie zurückgeführt werden. Freiwillige Rückkehr, darauf setzen wir. Das funktioniert auch sehr, sehr gut. Wenn sie nicht freiwillig zurückkehren, müssen sie natürlich abgeschoben werden. Das Ziel vom Bund ist, das würden wir auch begrüßen, die Verfahren innerhalb von drei Monaten abzuschließen. Dann können die Menschen theoretisch auch schon bei den Erstaufnahmeeinrichtungen zur Rückführung beraten werden und die Rückführung durchgeführt werden. Das machen wir zurzeit zum Beispiel bei den Kosovaren. Das funktioniert auch gut und das ist ein erstrebenswertes Ziel, dass wir das in Zukunft auch schaffen.
    Heinemann: Abschiebung gilt auch für Familien mit Kindern? Damit können Sie leben?
    Dreyer: Abschiebung gilt immer dann, wenn ein Asylverfahren negativ beschieden wird. Bei uns setzen wir einfach auf die freiwillige Rückkehr und das funktioniert gut, ich betone das noch einmal. Die Mehrheit der Menschen bei uns kehren freiwillig zurück. Und wenn sie nicht freiwillig zurückkehren, dann müssen wir sie im Zweifel auch abschieben. Natürlich wird man immer auch darauf achten, ist das humanitär vertretbar, aber das ist die Rechtslage in Deutschland. Insofern ändern wir nichts an der Rechtslage. Wir werden nur die Verfahren zügiger gestalten und das nutzt den Menschen.
    "Damit Raum ist für Menschen, die bleiben sollen und dürfen"
    Heinemann: Die Europäische Union denkt laut darüber nach, Flüchtlinge in Zukunft per Quote in der EU zu verteilen. Wie sinnvoll ist es, einen französisch sprechenden Migranten nach Deutschland oder in den europäischen Osten zu schicken?
    Dreyer: Na ja. Dass wir eine neue Regelung in der EU brauchen, das ist vollkommen klar. Ich halte viel von einer Quotenregelung. Die gerechte Verteilung ist heute schon sehr, sehr schwierig und sie wird auch in Zukunft nicht leicht werden. Aber dass es nicht sein kann, dass ein paar Länder die Mehrheit der Flüchtlinge aufnehmen und andere nicht aufnehmen, das bleibt einfach zu schwierig von der Ausgangslage her. Deshalb muss es neue Regelungen geben innerhalb der EU, auch um die Akzeptanz in den aufnehmenden Ländern in Zukunft zu bewahren.
    Heinemann: Ist das Dublin-Konzept, Asylantrag dort stellen, wo der Fuß erstmals europäischen Boden betreten hat, mit dieser Quotenregelung gescheitert oder zu Ende?
    Dreyer: Das ist ja nicht das Bestreben. Allerdings muss die EU, wenn sie jetzt ein Quotensystem einführt, natürlich dann genau auch nochmals entscheiden, wie die Verteilung erfolgen wird. Wie die Regelungen dann im Detail aussehen, das wird man sehen. Das kann man heute nicht sagen, weil die EU sich insgesamt ja sehr schwertut, sich auf neue Regelungen einzulassen, wenngleich der Innenminister ja jetzt verkündet hat, dass es erste Bewegung in diesem Bereich gibt.
    Heinemann: Frau Dreyer, sollte Europa Flüchtlinge weiterhin möglichst fernhalten?
    Dreyer: Nein, das ist nicht meine Einstellung. Selbstverständlich muss Europa immer deutlich machen, dass Menschen, die in einer humanitären Not sind, dass die auch in Europa aufgenommen werden und dass wir ihnen wirklich auch dann einfache Hilfe geben, indem sie gut integriert werden. Auch das ist unsere Herausforderung, die wir zurzeit zu bewältigen haben. Wir müssen aber genauso darauf achten, dass Menschen, die kein Bleiberecht nach dem Asylrecht haben, dass wir sie ebenfalls gut behandeln, aber die Verfahren wirklich auch schnell abschließen und damit Klarheit schaffen dafür, dass sie nicht in unserem Land bleiben können, sondern zurückgeführt werden müssen und damit auch Raum ist für Menschen, die bleiben sollen und dürfen.
    "Wir müssen auch ein humanes Europa bleiben"
    Heinemann: Die Praxis der Wanderung von Süd nach Norden ist ja gegenwärtig ein makabres Roulette: Entweder die Flüchtlinge schaffen es oder sie ertrinken im Mittelmeer. Wenn man, so wie Sie sagen, bereit ist, diese Menschen aufzunehmen, muss man dann nicht auch einen sicheren Transport über das Meer gewährleisten?
    Dreyer: Was Europa im Moment zulässt, ist natürlich absolut inakzeptabel. Die ersten Maßnahmen jetzt im Mittelmeer, die sind auf jeden Fall richtig, dass man verstärkt Seenotrettung macht. Aber man muss natürlich wirklich auch schauen, wie man sicherstellt, dass die Flüchtlinge, die hierher fliehen wollen und auch einen Asylgrund haben, dass man ihnen auch eine Möglichkeit gibt, sicher nach Europa zu kommen. Ich halte es für nicht erträglich, die Situation, die zurzeit herrscht im Mittelmeer.
    Heinemann: Sollte man die Flüchtlinge mit Fähren abholen?
    Dreyer: Die Fragen im Detail zu beantworten, ist im Moment sehr schwierig. Der Innenminister und die Bundesregierung verhandeln ja auf der europäischen Ebene miteinander und man muss einfach versuchen, mit den Herkunftsländern, den Grenzländern zu überlegen, wie kann man Regelungen finden, dass die Flüchtlinge dann auch sicher hier herkommen können, wenn sie ganz offensichtlich aus Krisensituationen in der Welt kommen. Wir müssen auch ein humanes Europa bleiben und deshalb geht es gar nicht, dass wir ansehen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken.
    Heinemann: Malu Dreyer (SPD), die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Dreyer: Danke Ihnen auch, Herr Heinemann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.