Dienstag, 19. März 2024

Militärputsch
Was hinter dem Umsturz im Sudan steckt

Nach wochenlangen Spannungen hat das Militär im Sudan geputscht und die bis dahin eingesetzte Übergangsregierung entmachtet. Damit schwindet die Hoffnung auf freie Wahlen und Demokratie im Land. Wie kam es zum Umsturz, wie reagiert die internationale Gemeinschaft und welche Perspektiven hat der Sudan? Ein Überblick.

27.10.2021
    General Abdel Fattah al-Burhan am 12.12.2019 in Khartum
    Sudans oberster General Abdel Fattah al-Burhan hat am 25.10.2021 den Ausnahmezustand im Land verhängt (Archivbild) (imago / Mohamed Khidir)
    Was ist im Sudan passiert?
    Nach wochenlangen Spannungen haben haben sudanesische Militärs am 25.10.2021 zivile politische Führer festgenommen und ihre Entmachtung verkündet. Sudans oberster General Abdel Fattah al-Burhan verhängte einen Ausnahmezustand in dem ostafrikanischen Land mit rund 44 Millionen Einwohnern.
    Im Staatsfernsehen erklärte der General die Übergangsregierung sowie den Souveränen Übergangsrat für aufgelöst. Burhan kündigte zudem die Bildung einer neuen Regierung mit "kompetenten Personen" an. Mit den Maßnahmen wolle er "den Kurs der Revolution korrigieren", so Burhan in seiner Ansprache. Nächstes Jahr wolle er Wahlen stattfinden lassen.
    Der bisherige Regierungschef Abdalla Hamdok und andere zivile Mitglieder seiner Regierung sollen zeitweise in der Residenz Al-Burhans festgehalten worden sein. Mittlerweile seien er und seine Frau in ihr Haus zurückgebracht worden, gab das Büro Hamdoks in einer Mitteilung auf Facebook bekannt. Das Haus werde streng bewacht. Unklar blieb, ob er sich frei bewegen darf oder unter Arrest steht.
    Sudans Ministerpräsident Abdalla Hamdok
    Nach dem Putsch von 2019 wurde Abdalla Hamdok Ministerpräsident der Übergangsregierung im Sudan (IMAGO / Xinhua / Mohamed Khidir)
    Es war bereits der zweite, nun erfolgreiche, Putschversuch in dem nordostafrikanischen Land innerhalb weniger Wochen.
    Wie ist es zum erneuten Putsch gekommen?
    2019 war es im Sudan schon einmal zum Putsch gekommen. Im Irak, Libanon, Algerien und im Sudan waren zuvor Hunderttausende junge Menschen für Freiheit und Demokratie auf die Straßen gegangen. Medien berichteten über einen neuen arabischen Frühling – eine "Arabellion 2.0".
    Nach der Revolution und der Absetzung des Langzeitherrschers Omar al-Baschir im April 2019 war eine Übergangsregierung aus Zivilisten und Militärs eingesetzt worden. Am 21. August 2019 wurde Abdalla Hamdok Premierminister des Sudans.
    Der sudanesische Präsident Omar al-Baschir
    Unter Präsident Omar al-Baschir waren viele Freiheiten wie die Presse- und Religionsfreiheit im Sudan eingeschränkt (IMAGO / Xinhua )
    Nach der Revolution galt der Sudan als große Hoffnung der Demokratiebewegungen im Nahen und Mittleren Osten der arabischen Welt: Die Scharia wurde abgeschafft, Religionsfreiheit gewährt, es gab freie Medien, Gewerkschaften, die Rolle der Frauen wurde gestärkt. Seit dem Sturz von al-Bashir waren sich zivile Führer und ihre militärischen Kollegen jedoch immer wieder uneins. Es sei von Anfang an eine Koalition der Unwilligen gewesen, die 2019 zustande gekommen sei, so der UN-Sondergesandte für den Sudan Volker Perthes im Dlf. Die Zusammenarbeit zwischen Militärs und Zivilisten hätte zwei Jahre mehr oder weniger gut oder schlecht geklappt. In den letzten Wochen hätten die Spannungen dann zugenommen und seien schließlich eskaliert.
    Als Grund für den jüngsten Putsch nannte General al-Burhan nun auch politische Machtkämpfe und die Sorge vor chaotischen Zuständen. Es gehe darum, die Errungenschaften der Revolution und die Stabilität des Landes zu sichern.
    Die Argumentation von al-Burhan weise Parallelen zum Militärputsch 2013 in Kairo auf, meint ARD-Korrespondent Martin Durm. Und wie schon dort gehe es in Wahrheit darum, Macht und Privilegien zu sichern. Sudans marode Wirtschaft - Ölförderung, Getreidemühlen, Bauunternehmen, Mobilfunk, der Import von Elektronik – würden über die sogenannte Military Industry Corporation verwaltet und der Profit in die Taschen der militärischen Elite geschleust. Das sei bedroht gewesen, hätte es 2022 freie Wahlen und 2023 dann eine rein zivile Regierung gegeben. Deshalb hätten die Generäle geputscht.
    Menschen tragen einen Verletzten über eine Straße.
    Zurück in dunkle Zeiten
    Nach der Revolution 2019 war der Sudan auf einem guten Weg, was Menschenrechte und Pressefreiheit angeht. "Man hat die Freiheit gespürt, die Journalisten und Bloggern gegeben war", sagt Korrespondent Martin Durm. Durch den aktuellen Militärputsch drohe der Sudan in dunkle Zeiten zurückzufallen.
    Wie reagiert die Zivilgesellschaft?
    Nach der Machtübernahme des Militärs kam es in der sudanesischen Hauptstadt Kahrtum zu Protesten.
    Der UN-Sondergesandte für den Sudan, Volker Perthes, hat die Demonstrationen beobachtet. Junge Leute von den sogenannten Widerstandskomitees hätten die Straßen gesperrt und es habe viel Rauch über der Stadt gegeben, weil Barrikaden aus Reifen angezündet worden seien, sagte Perthes am 27.10.2021 im Dlf . Schließlich hätten das Militär oder die paramilitärischen Eingreiftruppen, die sogenannten Rapid Support Forces (RSF) unter Leitung von General Mohamed "Hermeti" Dagalo, angefangen, zu schießen, sodass es am Morgen des 26. Oktobers sieben Tote und über 100 Verletzte gegeben habe.
    Auch in verschiedenen Medienberichten war von mehreren Toten gesprochen worden. Die sudanesische Ärztegewerkschaft schrieben auf Facebook, die tödlichen Schüsse seien außerhalb des Militärgeländes in Khartum gefallen.
    Wie reagiert die Internationale Gemeinschaft?
    International stößt der Putsch auf große Besorgnis und wird scharf verurteilt.
    Bundesaußenminister Heiko Maas sprach in einer Mitteilung des Auswärtigen Amtes von einer "katastrophalen Entwicklung" und forderte die sofortige Wiedereinsetzung der zivilen Übergangsregierung. Der SPD-Politiker warnte die neuen Machthaber, Deutschland werde seine Unterstützung für den Sudan unter den gegenwärtigen Bedingungen "nicht fortsetzen".
    Auch die Europäische Union drohte mit dem Entzug von Finanzhilfen. Der Versuch, den Übergangsprozess im Sudan zu untergraben, sei "inakzeptabel", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell im Namen der 27 Mitgliedstaaten. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron forderte eine friedliche Lösung des Konflikts.
    Die USA setzten bereits am 25.10.2021 Hilfen in Höhe von 700 Millionen US-Dollar (603 Millionen Euro) aus, mit denen ein demokratischer Prozess in dem nordostafrikanischen Land unterstützt werden sollte. US-Außenminister Anthony Blinken hat nach Angaben seines Ministeriums in Washington außerdem den Kontakt mit dem geputschten Präsidenten Hamdok aufgenommen.
    Noch würden sich die USA jedoch ein Fenster offen lassen, sagte der UN-Sondergesandte Perthes im Dlf: "Sie erklärten beispielsweise bisher nicht, dass es sich im Sudan bei den Bewegungen der letzten Tage um einen Militärputsch handele, weil wenn sie das erklären würden, dann haben sie eine interne Gesetzgebung vom Kongress, wonach sie dann alle Entwicklungshilfen tatsächlich stoppen müssten – nicht nur pausieren oder suspendieren."
    In New York beschäftigte sich der UN-Sicherheitsrat in einer Dringlichkeitssitzung am 26.10.2021 mit der Lage im Sudan, konnte sich aber zunächst nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme verständigen. "Alle Staaten haben bestimmte Interessen und bestimmte Vorstellungen, was den Sudan angeht. Die sind in den letzten zwei Jahren nah beieinander gewesen. Gestern (26.10.) haben wir allerdings gesehen, dass die Analyse etwa Russlands auf der einen Seite und der USA und der westlichen Staaten auf der anderen Seite doch weit auseinanderfallen", sagte Perthes.
    Porträt des Direktors der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes
    Volker Perthes ist seit 2021 Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs für den Sudan (picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Welche Perspektiven hat der Sudan jetzt?
    Der UN-Sondergesandte für den Sudan, Volker Perthes, will nun in den Dialog mit dem Militär im Sudan treten, dazu gebe es keine konstruktive Alternative. General al-Burhan habe angekündigt, eine zivile Regierung einzusetzen, und sich dazu bekannt, auf der Grundlage des Verfassungsdokuments und der geltenden Friedensabkommen die politische Transition Richtung Frieden und Demokratie fortzusetzen. Das gelte es nun in den nächsten Monaten zu beweisen.
    "Wir als Vereinte Nationen stehen bereit und wir werden auch schon aufgefordert von verschiedenen Seiten, bei diesem Dialog zu helfen, ihn zu unterstützen oder ihn auf den Weg zu bringen", sagte Perthes im Dlf. Wichtige unmittelbare Forderungen seien zunächst nach der Freilassung der verhafteten Politiker und Journalisten, dass die Sicherheitskräfte auch im Umgang mit den Bürgern größtmögliche Zurückhaltung wahrten und dass sie das Recht der Bürger auf freie Meinungsäußerung respektierten.
    Perthes betonte außerdem die Notwendigkeit weiterer Wirtschaftshilfen. Der Sudan sei hier im großen Maße abhängig: "Wir haben mehr als 50 Prozent der Bevölkerung, die in der einen oder anderen Form auf Nahrungsmittelhilfe oder andere Unterstützung angewiesen sind. Da können wir uns einfach nicht leisten, dies durch politische Aktionen zu verspielen." Die Frage aus den USA und anderen Geberländern sei aber, ob weiterhin eine Zusammenarbeit mit dem Sudan möglich sei.
    ARD-Korrespondent Björn Blaschke geht am 27.10.2021 davon aus , dass das Militär im Sudan eine Herrschaft etablieren wird, die sich am Ende nicht sehr von der unterscheide, die 2019 geputscht wurde. Ähnlich sei es auch in anderen Ländern der Region wie Ägypten, Syrien oder im Bahrain geschehen – also die Länder die 2011, durch die Arabellion erfasst worden waren und die letztlich zu dem wieder zurückgekehrt seien, was es vor 2011 gegeben hatte. Auch im Sudan werde sich nun wie in Ägypten wahrscheinlich eine Führung etablieren, die einen zivilen Anstrich habe, de facto aber werde die Macht beim Militär liegen.
    Anti-Mubarak-Protestierende auf dem Tahir-Platz in Kairo in Ägypten - eine Frau steht auf einem Auto, sie hält eine ägyptische Flagge in der Hand und ruft in die Menschenmenge, aufgenommen am 11. Februar 2011
    10 Jahre Revolution in Ägypten
    Am 25. Januar 2011 begannen Massenproteste in Ägypten. Sie lösten den Sturz von Langzeitherrscher Mubarak aus. Zehn Jahre später sitzen viele Menschenrechtler, Aktivisten und Journalisten in Haft. Das Sisi-Regime sei schlimmer, so Beobachter.
    Die positiven Entwicklung der letzten zwei Jahre nach der Revolution im Sudan könnten dadurch, wieder zunichte gemacht werden, meint auch ARD-Korrespondent Martin Durm im Dlf. Es drohe nun der Rücksturz in finstere Zeiten. In Khartums Regierungspalast kehre die alte Garde zurück: eine korrupte, skrupellose Clique von Generälen, die vor der Revolution 2019, dem gestürzten Diktator Baschir zu Diensten waren. Sie hätten schier endlose Kriege im Südsudan und in Darfur geführt, Menschenrechte mit Füßen getreten und würden es auch jetzt wieder tun.
    Das im Nachbarland Ägypten Präsident Abdel Fatah al-Sisi nur wenige Stunden nach dem Putsch im Sudan der viereinhalbjährige Ausnahmezustand im eigenen Land beendete, sei ein seltsamer Zufall. Für Ägyptens Regime jedenfalls sei der Putsch eine gute Nachricht: Denn nichts wäre den Machthabern am unteren Nil so bedrohlich gewesen wie eine erfolgreiche Revolution am oberen Nil. Die Sudanesen hätten den Ägypter nämlich vor Augen geführt, dass sich die Verhältnisse eben doch ändern lassen in der arabischen Welt.
    Abdel-Fattah Al-Burhan spricht während der Zeremonie zur Unterzeichnung der der politischen und verfassungsrechtlichen Erklärung für den Sudan 2019
    Kommentar: Die alte skrupellose Garde ist zurück im Regierungspalast
    Die Generäle im Sudan haben nicht geputscht, um die Nation zu retten, sondern die eigenen Pfründe, kommentiert Martin Durm. Einigen Staaten komme der Putsch entgegen.

    Quellen: Björn Blaschke, Martin Durm, dpa, epd, ikl