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Mindestlohn
"Ausnahmen verstoßen gegen Diskriminierungsverbot"

Der stellvertretende Linken-Fraktionsvorsitzender, Dietmar Bartsch, dringt auf Nachbesserungen beim gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Angesichts der vielen Ausnahmen etwa für Praktikanten und Jugendliche in Ausbildung könne man von "flächendeckend" nicht mehr reden, sagte Bartsch im DLF.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Mario Dobovisek | 02.04.2014
    Mario Dobovisek: Wer in Deutschland arbeitet, soll mindestens 8,50 Euro in der Stunde verdienen. So sieht es der Gesetzentwurf zum Mindestlohn vor, den die Große Koalition heute im Kabinett verabschieden und im Anschluss auf seine parlamentarische Reise schicken will. Doch statt flächendeckend, wie die SPD es vollmundig versprochen hatte, wird der gesetzliche Mindestlohn mit Ausnahmen versehen sein.
    Am Telefon begrüße ich Dietmar Bartsch. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Bartsch!
    Dietmar Bartsch: Guten Morgen.
    Dobovisek: Langzeitarbeitslose werden also für ein halbes Jahr lang vom Mindestlohn ausgenommen, auch Arbeitnehmer unter 18, auch Azubis und Kurzzeitpraktikanten. Ausnahmen, mit denen Sie leben können?
    Bartsch: Sie haben ganz am Anfang die Frage gestellt, ob es sich um einen löchrigen Käse handelt, und ich will das ausdrücklich bestätigen. Es gibt so viele Ausnahmen, dass man von einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn kaum noch reden kann. Ich will trotzdem zunächst sagen, dass es zu begrüßen ist, dass endlich ein Mindestlohn überhaupt Realität wird. Da sind wir auch ein bisschen stolz als Linke, dass wir da einen erheblichen Beitrag geleistet haben. Aber das, was jetzt vorgelegt wird, was schon im Entwurf stand, dass die unter 18jährigen rausgenommen werden, die Auszubildenden, dass der Mindestlohn real erst 2017 kommt, denn diese Übergangsfristen werden ja dazu führen, dass flächendeckend Ausnahmen organisiert werden, und jetzt noch dazu, dass hier die Langzeitarbeitslosen generell ausgenommen werden, dass hier eine Niedriglohn-Reserve geschaffen wird, das alles heißt dann nicht mehr flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn, sondern löchriger gesetzlicher Mindestlohn.
    Dobovisek: Ohne die Zugeständnisse der SPD hätte es keinen Mindestlohn gegeben, Herr Bartsch. Die Union hat sich ja mit Händen und Füßen gewehrt. Besser ein löchriger Käse als gar keiner?
    "Hier ist mehr drin"
    Bartsch: Nein. Schauen Sie, wir haben einen Antrag im Deutschen Bundestag gestellt, als die Regierung noch gar nicht gebildet war, und ich will daran erinnern, dass es im Deutschen Bundestag aus SPD, Linken und Grünen eine Mehrheit gibt. Und wenn die SPD generell bei diesen Dingen so schnell einknickt, finde ich, ist das ein großes Problem. Sie hat doch ein Druckpotenzial und ich finde, bei dieser zentralen Frage, wo wir immer noch mal festhalten müssen, dass in über 20 europäischen Ländern ein Mindestlohn vorhanden ist, wo wir selbst mit dem Mindestlohn von 8,50 Euro ja nicht das schaffen, was notwendig ist, da dann immer weiter Löcher zuzulassen und einen Mindestlohn, der den Namen dann nur noch begrenzt verdient, das ist ein Problem. Und da ist die Aufgabe der Opposition, das ganz, ganz deutlich zu machen, dass hier mehr drin ist, dass vor allen Dingen auch notwendig ist eine Anpassung entsprechend des Lohnindexes, weil ansonsten hat dieser Mindestlohn den Namen nicht mehr verdient.
    Dobovisek: Auch in anderen Ländern, die Sie erwähnen, gibt es Ausnahmen vom Mindestlohn, gibt es auch Altersuntergrenzen, wie zum Beispiel in Frankreich, auch in den Niederlanden. Beispiel Langzeitarbeitslose: Sie sollen ein halbes Jahr lang in neuer Anstellung vom Mindestlohn ausgenommen werden. Diese Ausnahme soll Arbeitgebern Anreize schaffen, Langzeitarbeitslose einzustellen und anschließend voll zu bezahlen. Was ist daran falsch?
    Bartsch: Erstens glaube ich, dass das in Deutschland nicht dem Grundgesetz entspricht. Wir haben ja ein Diskriminierungsverbot, was das überhaupt nicht zulässt nach unserer Auffassung. Da werden wir auch schauen, inwieweit das wirklich grundgesetzfest ist.
    Dobovisek: Wollen Sie klagen?
    "Wir wollen soziale Gerechtigkeit"
    Bartsch: Das werden wir schauen. Ich bin nicht jemand, der als erstes sagt, wir müssen mal vors Bundesverfassungsgericht. Ich finde, wir überfordern das Bundesverfassungsgericht, wenn wir permanent dort vorstellig werden. Aber wenn es dann offensichtlich nach Einschätzung von Juristen rechtswidrig ist, dann, finde ich, muss man das überprüfen lassen. Das ist auch unsere Aufgabe. Aber das steht im Moment noch nicht auf dem Tableau, weil erst mal wird ein Gesetz eingebracht und es gilt der Grundsatz, kein Gesetz verlässt den Deutschen Bundestag so, wie es eingebracht wird. Und ich höre ja, dass aus der Union weiterhin Druck gemacht wird, dass man bestimmte Branchen und Ähnliches ausnehmen will. Da wird es darauf ankommen, und die Linke wird dafür stehen, dass diese Ausnahmen, insbesondere die Schaffung dieser Niedriglohnreserve, so nicht akzeptiert wird. Wir wollen soziale Gerechtigkeit und da gehört dazu, dass eine Untergrenze eingezogen wird, weil diese Hungerlöhne sind nicht zu akzeptieren. Natürlich müssen Langzeitarbeitslose auch wieder die Chance erhalten, aber das doch nicht über einen niedrigeren Mindestlohn, indem hier…
    Dobovisek: Arbeitsmarktexperten zum Beispiel, Herr Bartsch, sagen, ein Langzeitarbeitsloser könne nicht auf Anhieb die gleiche Leistung erbringen wie seine seit langem angestellten Kollegen. Brauchen Langzeitarbeitslose für die Anfangszeit eine Art Brücke?
    Bartsch: Langzeitarbeitslose brauchen unsere Unterstützung und unsere Hilfe.
    Dobovisek: Wie soll die aussehen?
    Bartsch: Da brauchen wir eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Die Bundesagentur hat dort viele Programme entwickelt, das muss ausgebaut werden. Da gibt es ja auch einzelne Erfolge. Aber da müssen wir ran. Wir müssen Arbeitsmarktpolitik gerade für die nicht mehr ganz so leichten Fälle oder für die Menschen, die in Schwierigkeiten gekommen sind, schaffen. Deswegen gibt es Arbeitsmarktpolitik. Das ist der Weg und nicht Niedriglohn.
    Dobovisek: Reden Sie von Lohnzuschüssen?
    Mindestlohn mit Löchern
    Bartsch: Selbst das ist möglich. Wir brauchen nach meiner festen Überzeugung – das sage ich als jemand, der aus den neuen Ländern kommt – für Unternehmen in den neuen Ländern Übergangsregelungen beim Mindestlohn. Aber die können nicht heißen, dass der Lohn nach unten geht, sondern das man organisiert, dass hier nicht Arbeitsplätze gefährdet werden. Das will niemand. Das ist aber möglich! Und ich sage, der falsche Weg ist, Deutschland wird niemals über Niedriglohn Konkurrenzfähigkeit herstellen, sondern wir schaffen das über hervorragend ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, über unsere Forschung und Technik, über Patente und Ähnliches, und nicht, indem wir im Wettstreit um niedrige Löhne konkurrieren. Das ist eine klare Position und die hat sich im Übrigen bewährt. Die ist ja erst durch die Hartz-IV-Gesetzgebung so nach unten geöffnet worden, und gerade deswegen, weil die SPD ja hier eine Korrektur vornehmen wollte, verstehe ich nicht, wie sie das zulässt, dass hier der Mindestlohn immer mehr Löcher bekommt und damit das vernünftige Anliegen letztlich konterkariert wird.
    Dobovisek: Sie haben, Herr Bartsch, das große Wort der Diskriminierung vor wenigen Minuten in den Mund genommen. Auch der Jugendschutz sieht Ausnahmen für Minderjährige vor. Warum also nicht das Arbeitsrecht?
    Bartsch: Hier geht es ja um die Langzeitarbeitslosen, und ich habe gesagt, nach meiner Auffassung ist das eine Diskriminierung, wenn man für gleiche Arbeit einen anderen Lohn erhält. Das ist nicht zu akzeptieren und deswegen finde ich das auch völlig falsch, dass hier sozusagen eine Tür aufgemacht wird. Und ich will ja gar nicht davon ausgehen, dass Unternehmen generell hier Missbrauch betreiben wollen. Aber es ist in Deutschland so: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist ein Prinzip, was wir durchhalten müssen, und da, finde ich, muss man sehr seriös prüfen, ob das hier wirklich Diskriminierung ist, ob das Diskriminierungsverbot verletzt wird. Und wenn ja, dann muss man letztlich auch das Bundesverfassungsgericht bemühen und dort nachfragen, ob sie das korrekt sehen.
    Dobovisek: Heißt das auch, Herr Bartsch, dass Sie mit der Altersuntergrenze von 18 Jahren einverstanden wären?
    Mit Altersgrenze nicht einverstanden
    Bartsch: Nein, wir sind nicht mit der Altersgrenze einverstanden. Das muss mir auch mal einer erklären. Auch dieses mehr oder weniger, wieso eigentlich nicht 19 oder 17. Ich finde und war selber mal in dem Alter, ist zwar einige Jahre her, aber wieso sollen diejenigen, die dann unter 18 Jahre sind, die sich in Ferien oder an ähnlichen Stellen etwas dazuverdienen wollen, wieso sollen die auch wiederum für gleiche Arbeit schlechter entlohnt werden. Das macht doch im Übrigen auch andere Arbeitsplätze eher kaputt, und das gilt ja meistens für Saisonarbeitsplätze, und da finde ich das völlig falsch, dass eine solche Altersgrenze eingezogen wird.
    Dobovisek: Die Altersgrenze soll ja vermeiden, dass Jugendliche keine reguläre Ausbildung beginnen, sondern dann direkt in einen mit dem Mindestlohn versehenen Arbeitsplatz hineingehen.
    Bartsch: Schauen Sie, es gibt so viele, die arbeiten, bevor sie studieren, bevor sie andere Dinge machen, die etwas für diesen Weg Geld sich organisieren wollen, damit sie das können. Das finde ich vernünftig. Und die sollen bestraft werden? Nein! Das muss überhaupt nicht sein. Warum soll auch nicht hier? – Ich bin ja sehr dafür, dass Menschen – und das erreichen wir doch, indem wir Attraktion bei Ausbildungsplätzen erzielen, das ist wichtig –, indem wir auch klar machen, eine gesellschaftliche Atmosphäre schaffen, dass das der richtige Weg ist, eben über Bildung. Wir brauchen ja die Bildungsrepublik Deutschland und das ist natürlich nicht mit einem Federstrich und auch nicht durch das Formulieren von Sätzen von Politikern schaffbar, aber bestimmt auch nicht, indem man immer mehr Türen aufmacht, dass der Niedriglohnbereich erhalten bleibt.
    Dobovisek: Der Linkspolitiker Dietmar Bartsch, stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion im Bundestag, im Deutschlandfunk-Interview zum geplanten Mindestlohn der Großen Koalition. Ich danke Ihnen!
    Bartsch: Herzlichen Dank auch an Sie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.