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Mindestlohn
"Für strukturschwache Gebiete ein Riesenproblem"

Der gesetzlich fixierte, flächendeckende Mindestlohn sei ein Fehler, sagte der Bundestagsabgeordnete Andreas Lämmel (CDU) im Deutschlandfunk. Er werde unser Land verändern. Jetzt müsse diskutiert werden, wie der Wohlstand in Deutschland erhalten werden könne.

Andreas Lämmel imd Gespräch mit Martin Zagatta | 05.07.2014
    Der Gewerkschaftsbund demonstrierte am Dienstag für den Mindestlohn.
    Der Gewerkschaftsbund demonstrierte am Dienstag für den Mindestlohn. (dpa / picture-alliance / Bernd von Jutrczenka)
    Er sei nicht gewählt worden, um Löhne festzusetzen, auch nicht Mindestlöhne, sagte der Bundestagsabgeordnete Andreas Lämmel (CDU) im Deutschlandfunk. Er war einer von fünf Unionsabgeordneten, die gestern im Bundestag gegen den gesetzlichen Mindestlohn gestimmt hatten. Welche negativen Auswirkungen dieser haben könne, sei in Frankreich zu sehen, erklärte Lämmel.
    Dass vier von fünf Gegenstimmen in der Unionsfraktion von ostdeutschen Abgeordneten gekommen seien, erklärte Lämmel damit, dass der gesetzliche Mindestlohn in Ostdeutschland viel dramatischer seine Wirkung entfalten werde als in Baden-Württemberg oder Bayern. "Für die strukturschwachen Gebiete ist das ein Riesenproblem", sagte der Dresdner Abgeordnete. Leider werde in der ganzen Gesellschaft und in der CDU zu wenig über Wirtschaft diskutiert. Es gehe aber darum, wie wir unseren Wohlstand in den nächsten zehn bis 20 Jahren erhalten könnten. In der CDU müsse jetzt eine Agenda aufgestellt werden, wie die Wettbewerbsfähigkeit des Landes gesichert werden könne.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Die deutsche Wirtschaft befürchtet das Schlimmste und spricht schon von einer Gefahr für den Standort Deutschland - sie hält die abschlagsfreie Rente ab 63 für einen großen Fehler, und auch, was der Bundestag jetzt noch schnell vor der Sommerpause beschlossen hat, den flächendeckenden Mindestlohn, der auch aus den Reihen der Union heftig kritisiert worden ist. Jetzt haben aber doch 535 Bundestagsabgeordnete für das neue Gesetz gestimmt, nur fünf waren dagegen, ganze fünf, und alle fünf aus der Union. Einer von ihnen ist Andreas Lämmel aus Dresden, Obmann der Union auch im Wirtschaftsausschuss und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Lämmel!
    Andreas Lämmel: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Guten Morgen, Herr Lämmel! Warum sind Sie denn bei Ihrem Nein geblieben, wieso haben Sie mit Nein gestimmt?
    Lämmel: Na ja, wenn man von einer Sache überzeugt ist, dass sie nicht richtig ist, dann sollte man auch bei dieser Meinung bleiben.
    Zagatta: Können Sie uns das ganz kurz erklären, warum?
    Lämmel: Ich bin gewählt als Bundestagsabgeordneter hier in meinem Wahlkreis Dresden, aber nicht dazu, Löhne festzusetzen, auch keinen Mindestlohn festzusetzen, sondern ich bin dafür gewählt, gute Gesetze zu machen, über den Bundeshaushalt abzustimmen und dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen, jetzt ganz speziell auch im Bereich der Wirtschaft, so gestaltet werden, dass Deutschland auch weiterhin erfolgreich sein kann. Und ich habe den gesetzlich fixierten flächendeckenden Mindestlohn schon immer für einen großen Fehler gehalten. Und man braucht ja auch bloß mal einen Blick nach Frankreich zu werfen, um zu sehen, welche sehr negativen Auswirkungen das haben kann.
    Das geht weit über den Koalitionsvertrag hinaus
    Zagatta: Herr Lämmel, das, was Sie uns jetzt sagen, diese Bedenken, das haben uns sinngemäß, das haben wir sinngemäß in den letzten Wochen und Monaten von vielen Ihrer Kollegen aus der Union hier auch auf unserem Sender gehört. Die haben dann doch alle zugestimmt letztendlich. Haben Sie dafür eine Erklärung?
    Lämmel: Gewundert hat mich das bei manchen, bei manchen Aussagen dann letztendlich doch, aber ich kann natürlich jetzt - ich will mal so sagen, wir haben das jetzt noch nicht ausführlich ausdiskutiert, das Abstimmungsergebnis. Ich denke, das wird jetzt auch bei unserem nächsten Zusammentreffen, beim Parlamentskreis Mittelstand oder bei der Mittelstandsvereinigung noch mal Thema sein. Insofern kann ich jetzt erst mal nur für mich sprechen.
    Zagatta: Haben Sie sich da irgendwie über eine Fraktionsdisziplin hinweggesetzt? Gab es da eindeutige Anweisungen?
    Lämmel: Wir haben ja in der CDU/CSU-Fraktion eine Arbeitsordnung, das heißt also, wenn man abweichendes Stimmverhalten entsprechend der Arbeitsordnung anzeigt, ist das erst mal vom Verfahren her okay. Natürlich wird man in der Fraktionsspitze immer bedacht darauf sein, ein geschlossenes Bild abzugeben, aber - also ich persönlich kann sagen, auf mich ist da keinerlei Druck ausgeübt worden. Ich habe mein abweichendes Stimmverhalten entsprechend angezeigt, und damit war die Sache eigentlich klar.
    Zagatta: Sie wurden auch nicht heftig kritisiert in der Fraktion?
    Lämmel: Nein. Ich wurde nicht heftig kritisiert, zumal ich in der Fraktion ja auch schon mehrfach zu diesem Gesetz und zu diesem Sachverhalt gesprochen hatte. Na ja, natürlich wird immer wieder verwiesen, es gibt den Koalitionsvertrag, und der Koalitionsvertrag ist einzuhalten. Das mag schon so sein, aber das Gesetz geht weit über den Koalitionsvertrag hinaus, und insofern war für mich dann auch klar, gut, wenn man solche Gesetze macht - für mich ist das nicht zustimmungsfähig.
    Der gesetzliche Mindestlohn wird unser Land verändern
    Zagatta: Sie haben gesagt, man kann doch nicht, was man für eindeutig richtig hält, dann nicht vertreten. Was sagt das denn über Abgeordnete aus, also, wir haben das aus Ihrer Unionsfraktion von vielen gehört. Die halten eine Sache eindeutig für falsch und stimmen doch zu. Schadet das nicht auch dem Ansehen des Parlaments?
    Lämmel: Es kommt sicherlich immer darauf an, was der Abstimmungsgegenstand ist. Ich meine, ganz grundsätzlich, und da komme ich noch mal auf die Arbeitsordnung zurück, sagt die ja auch aus, dass praktisch die Minderheit sich der Mehrheit bei Abstimmungen anschließt. Sonst würden wir ja auch nie zu Ergebnissen kommen. Und dann gibt es die sogenannten Gewissensentscheidungen - nun kann man da sicherlich streiten, ob das Thema gesetzlicher Mindestlohn jetzt ein Gewissensthema war - aber hier kann natürlich jeder Abgeordnete selbst entscheiden. Und auch ich - und das will ich überhaupt nicht abstreiten – habe natürlich schon Dingen zugestimmt, wo ich innerlich eigentlich gesagt hab, das geht in die völlig falsche Richtung. Also, das muss man immer für sich einschätzen, wie schwerwiegend die Einwände sind, um dann zu entscheiden, wie das Abstimmungsverhalten ist.
    Zagatta: Und das war Ihnen bei diesem Thema so wichtig? Beim Thema Mindestlohn?
    Lämmel: Ja. Das war mir bei diesem Thema so wichtig, weil ich denke, dass der gesetzliche Mindestlohn, na ja, unser Land doch verändern wird.
    Zagatta: Herr Lämmel, vier von fünf Neinsagern, die da gegen das Gesetz gestimmt haben in der Union, die kommen aus Ostdeutschland. Ist man da in Ostdeutschland etwas mutiger oder hat man einfach weniger Ahnung von Wirtschaft als die große Mehrheit Ihrer Fraktion?
    Lämmel: Ich denke, dass der gesetzliche Mindestlohn in Ostdeutschland viel dramatischer auch seine Wirkung entfalten wird, als das vielleicht in Baden-Württemberg oder in Bayern stattfindet. Wobei man sagen muss, dieser flächendeckende gesetzliche Mindestlohn ist natürlich für die strukturschwachen Gebiete schon ein Riesenproblem.
    Zagatta: Jetzt sind aber laut Umfrage, also laut den jüngsten Umfragen, 88 Prozent der Bevölkerung dafür, diesen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, haben das gut gefunden, dass das passiert ist. Bekommen Sie das in Ihrem Wahlkreis nicht zu spüren?
    Lämmel: Na ja, doch, schon. Mir ist das schon völlig klar, dass das eine Riesenmehrheit auch in der Öffentlichkeit für diesen Mindestlohn gibt. Und ich muss es auch persönlich sagen, ich bin natürlich auch sehr dafür, dass Lohnuntergrenzen oder Mindestlöhne in den einzelnen Branchen bestehen. Ich bin auch sehr dagegen, gegen Lohndumping oder gegen eine zu schlechte Bezahlung der Beschäftigten. Aber der Weg, der jetzt gewählt worden ist über einen vom Gesetzgeber, also einen politisch festgelegten Mindestlohn, den halte ich für grundsätzlich falsch.
    Auch in der Öffentlichkeit wird nicht mehr über Wirtschaft diskutiert
    Zagatta: Deswegen ist auch die deutsche Wirtschaft im Moment besonders sauer, und auch auf die Union, das hört man in Äußerungen durch. Ist denn die Union jetzt keine Wirtschaftspartei mehr?
    Lämmel: Die Union war nie eine Wirtschaftspartei, sondern die Union ist eine große Volkspartei, hat damit natürlich alle Flügel. Wir haben zum Beispiel einen starken Arbeitnehmerflügel bei uns innerhalb der Fraktion, und wir haben auch einen nicht mehr ganz so starken Wirtschaftsflügel innerhalb der Union. Na ja, wissen Sie, die Frage, die stelle ich mir natürlich auch immer wieder, aber ich denke, das liegt so am allgemeinen Mainstream. Deutschland geht's gut, die Arbeitslosigkeit ist stark zurückgegangen, zum Glück, und da sind wir natürlich auch alle glücklich darüber, und die Einkommen sind in den letzten Jahren doch deutlich gestiegen, und da machen sich immer weniger Leute eigentlich Gedanken, dass auch das, was verteilt wird, immer erst erwirtschaftet werden muss. Also das Thema Wirtschaft spielt nicht nur in der Politik eine geringere Rolle, sondern auch in der gesamten Öffentlichkeit diskutiert man überhaupt nicht mehr darüber, was sind denn eigentlich die Voraussetzungen, damit wir auch in den nächsten zehn, zwanzig, fünfzig Jahren unseren Wohlstand weiterhin erhalten können. Das ist, glaube ich, ein ganz generelles Problem.
    Zagatta: Bedauern Sie, dass da der Wirtschaftsflügel vielleicht an Einfluss verliert? Oder anders gesagt, fehlt Ihnen eine Partei wie die FDP im Bundestag? Fehlen die?
    Lämmel: Mit der FDP - also ich hab ja nun, als ich in den Deutschen Bundestag kam, hatten wir die erste große Koalition. Da waren wir natürlich heilfroh, dass wir da wieder heraus kamen, denn das Ergebnis war ja eine starke FDP im Deutschen Bundestag. Und für mich persönlich war das natürlich dann schon die Hoffnung, jetzt endlich mal ein paar Dinge auch durchsetzen zu können, die wir eigentlich schon immer machen wollten. Und das hat sich aber dann über die vier Jahre doch teilweise als eine Illusion herausgestellt. Also auch in der FDP ist dieser Mainstream genauso eingezogen, wie das in den anderen Volksparteien ist. Und jetzt müssen wir uns innerhalb der CDU, aber auch mit den Unternehmern in unserem Lande wirklich noch mal zusammenraufen und müssen eine Agenda aufstellen, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit des Landes sichern. Und das muss einfach dazu führen, dass auch der Wirtschaftsflügel in der Union wieder mit einer Stimme spricht und sich auch energisch für diese Ziele einsetzt.
    AfD kein neuer Partner für die CDU
    Zagatta: Könnte Ihnen da in Zukunft zumindest vielleicht die AfD, die Alternative für Deutschland, die ja im Aufwind ist und solche Positionen vielleicht vertritt, könnte die da vielleicht eine Hilfe werden?
    Lämmel: Ich kann nicht erkennen, wo die AfD jetzt Positionen vertritt, die für wirtschaftliche Zukunft stehen. Das einzige Thema, was man bei der AfD wirklich erkennen kann, ist die Skepsis gegen Europa. Mehr Inhalt kann ich auch wirklich nicht sehen, und deswegen, solange in der AfD nicht klar ist, wohin die Reise geht und – wir werden ja sehen, dieses Jahr sind ja mehrere Landtagswahlen noch – wohin das geht, kann ich nicht sehen, dass das ein neuer Partner für uns würde.
    Zagatta: Der Dresdner CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Lämmel war das heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Lämmel, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
    Lämmel: Ja, schönes Wochenende, vielen Dank! Tschüs!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.