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Mißfelder: Türkei noch weit entfernt von Vollmitgliedschaft

Der außenpolitische Kurs der Türkei, etwa gegenüber Israel, lasse daran zweifeln, ob das Land als Teil der europäischen Wertegemeinschaft überhaupt in Frage komme, sagt der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, Philipp Mißfelder. Als Partner sei das Land aber wichtig, daher müsse man überlegen, "was wir der Türkei über die privilegierte Partnerschaft hinaus anbieten können".

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Peter Kapern | 20.09.2011
    Peter Kapern: So richtig rund läuft die Sache nicht beim Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Abdullah Gül in Deutschland. Erst attestiert er seinen Gastgebern, mit dem Gesetz über den Nachzug von Ehepartnern gegen die Menschenrechte zu verstoßen, dann wird sein Plan, an der Humboldt-Universität eine Rede über Deutschland, die Türkei und Europa zu halten, von einer Bombendrohung durchkreuzt. Die Polizei lässt den Saal räumen, Gül redet trotzdem, später, woanders und vor handverlesenem Publikum. In der Rede unterstreicht er die Absicht seines Landes, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Und am Telefon bei uns ist jetzt Philipp Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Mißfelder!

    Philipp Mißfelder: Guten Morgen.

    Kapern: Wie nah ist die Türkei dieser Vollmitgliedschaft jetzt?

    Mißfelder: Sie ist noch weit entfernt, weil viele offene Fragen eben immer noch nicht abgehandelt werden konnten. Wir sehen ja gerade auch in der Türkei selber, auch in aktuellen politischen Fragen, aber auch in Grundsatzfragen, dass es große Schwierigkeiten gibt, für die Situation christlicher Minderheiten zum Beispiel. Aber eben auch der außenpolitische Kurs der Türkei lässt große Zweifel eben aufkommen, ob die Türkei als Teil der europäischen Wertegemeinschaft überhaupt in Frage kommt, und da mache ich ein großes Fragezeichen.

    Kapern: Aber wenn diese Schwierigkeiten behoben sind, die Fragen geklärt sind, dann stimmt auch Philipp Mißfelder für die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union?

    Mißfelder: Das ist eine Frage, die ja schon vor vielen Jahrzehnten Vorgänger von uns, von der heutigen Politikergeneration, auf die Schiene gesetzt haben, denn es ist tatsächlich so: Man hat der Türkei eine Vollmitgliedschaft der Europäischen Gemeinschaft beziehungsweise später der Europäischen Union in Aussicht gestellt und hat immer gesagt, irgendwann wird es dann schon so weit sein, in der klammheimlichen Hoffnung, dass es vielleicht gar nicht so weit kommen wird. Nun haben wir natürlich die aktuelle Situation, dass es viele Leute gibt, wie ich zum Beispiel auch, die sagen, grundsätzlich habe ich Probleme mit einer Vollmitgliedschaft der Türkei bei der Europäischen Union, weil ich glaube, dass Europa etwas anderes ist, gerade die Europäische Union etwas anderes ist als ein reiner Verbund wie in einer Freihandelszone oder in einer reinen Rechtsgemeinschaft.

    Kapern: Das heißt aber, Sie werden jetzt zu Ihrer Bundeskanzlerin hingehen, zu Angela Merkel, und sie auffordern, die Beitrittsverhandlungen in Brüssel zu stoppen?

    Mißfelder: Nein, das werde ich nicht tun. Dazu gibt es auch gerade aktuell keinen Anlass. Es gibt immer wieder Fragen, die bei der Türkei eine große Rolle spielen. Generell muss man schon sagen, Europa braucht die Türkei, Deutschland braucht die Türkei, und umgekehrt übrigens auch.

    Kapern: Ja aber wenn Sie doch den Beitritt der Türkei zur EU nicht wollen, warum wollen Sie denn dann weiterverhandeln?

    Mißfelder: Ich habe dieses Rechtsabkommen nicht getroffen. Allerdings steht auch dieser Bundestag und diese Bundesregierung in einer Rechtsfolge von Entscheidungen, die vor längerer Zeit eingeleitet worden ist. Sehen Sie, man kann nicht einfach so eine Beitrittsverhandlung abbrechen, sondern es ist so - und das ist ja auch die gemeinsame Vereinbarung, aufbauend auf der Vorgängerregierung und auf der Regierung davor -, dass man sagt, ergebnisoffene Verhandlungen. Dass die CDU dort und gerade auch einzelne Parlamentarier der CDU dort eine andere Position vertreten, das liegt ja in der Natur der Sache, nur man muss ...

    Kapern: Aber auch die Bundesregierung, Herr Mißfelder, heißt es doch, auch die Bundesregierung hält dann einfach daran fest, dass weiter verhandelt wird, weiter zugesagt wird und doch irgendwie klammheimlich darauf setzt, dass das Ganze dann vor den Baum fährt.

    Mißfelder: Ja. Das ist das, was wir vermeiden müssen, dass dieser Status zwischen den beiden Staaten und der Europäischen Union und der Türkei dann ein Dauerzustand wird, denn tatsächlich kommen wir ja nicht substanziell voran. Wir sind ja mit Kroatien heute schon wesentlich weiter als mit der Türkei, und das hat ja auch seine Gründe. Deshalb war ja der Vorschlag auch von Wolfgang Schäuble vor einigen Jahren richtig, eine sogenannte privilegierte Partnerschaft zu etablieren, um einen Ausweg aus dieser verzwickten Situation aufzuzeigen.

    Kapern: Die will Abdullah Gül aber nicht, hat er gestern gesagt.

    Mißfelder: Das ist mir bekannt. Ich habe von vielen türkischen Politikern die ablehnende Haltung der privilegierten Partnerschaft schon oft persönlich vorgetragen bekommen, und vor dem Hintergrund ist auch für uns, glaube ich, ein Denkprozess notwendig, was wir der Türkei über die privilegierte Partnerschaft hinaus anbieten können, um sie als Partner nicht zu verlieren.

    Kapern: Was wäre denn über die privilegierte Partnerschaft hinaus noch möglich, was keine Mitgliedschaft in der EU ist?

    Mißfelder: Ich glaube, man muss realistisch sondieren, was wir aus diesem leeren Begriff privilegierte Partnerschaft - und die Türken verstehen das als Angriff auf ihre Position - ihnen anbieten können, beispielsweise Eintritt in eine Freihandelszone, engere Kooperation im wirtschaftlichen Bereich. Eine Euro-Mitgliedschaft ist ja, glaube ich, für die Türkei momentan nicht erstrebenswert. Aber vor dem Hintergrund müssen wir natürlich schauen, was wir der Türkei überhaupt realistisch anbieten können, damit die Brückenfunktion nicht außer Acht gelassen wird.

    Kapern: Wer hätte das gedacht, dass der Euro jemals zum Ladenhüter wird. Herr Mißfelder, Sie haben eben angesprochen die Probleme, die die türkische Außenpolitik bereitet. Da hat nun die Republik Zypern Konzessionen für Erdgasbohrungen an eine US-Firma abgegeben. Die Türkei, die den Nordteil der Insel besetzt hält, sträubt sich gegen diese Erdgasbohrungen. Ministerpräsident Erdogan hat nun gestern sogar angekündigt, das betreffende Seegebiet von der türkischen Marine kontrollieren zu lassen. Ist das so was wie eine militärische Drohung gegen einen EU-Mitgliedsstaat?

    Mißfelder: Das ist es hoffentlich nicht. Und wir haben es ja bei Erdogan das eine oder andere Mal schon erlebt, dass rhetorische Drohungen nicht unbedingt Handlungen nach sich ziehen. Nur wenn ich diese ganzen einzelnen Punkte, das Beispiel, was Sie genannt haben, aber auch seine Äußerungen gegenüber Israel oder gegenüber einer weiter anstehenden Gaza-Flottillen-Aktion, also Hilfsgüter nach Gaza zu bringen und damit auch gegen die Interessen Israels zu verstoßen, wenn ich diese einzelnen Äußerungen untereinanderschreibe - und da hat Herr Erdogan ja angekündigt, militärischen Geleitschutz auch zu offerieren -, dann mache ich mir über den Kurs der Türkei sehr große Sorgen. Das bedeutet allerdings nicht Abbruch von Beziehungen, sondern das bedeutet Intensivierung von Beratung, weil das ist nicht im gegenseitigen Interesse, was sich gerade dort vollzieht.

    Kapern: Der Abbruch der Beziehungen könnte ja von einer anderen Seite kommen. 2012 übernimmt Zypern die Ratspräsidentschaft der EU und die Türkei droht, die Beziehungen zur gesamten EU dann auf Eis zu legen.

    Mißfelder: Ja. Das ist auch etwas, was natürlich nicht akzeptabel ist. Ich verstehe den türkischen Präsidenten an dieser Stelle auch nicht, unseren Gast, dass er einerseits Mitglied dieser Gemeinschaft werden will, aber die Türkei bislang nicht in der Lage ist, ihr Verhältnis zu Zypern zu klären, und das ist ja nun einmal Voraussetzung, dass man mit allen Mitgliedern der Europäischen Union vernünftig zurecht kommt, freundschaftlich, partnerschaftlich Kontakt pflegt. Ansonsten würde es ja überhaupt keinen Sinn machen, in eine solche Gemeinschaft eintreten zu wollen.

    Kapern: Philipp Mißfelder war das, der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Herr Mißfelder, danke und auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.