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Mit Technik zum Wunschkind

Die Freiburger haben ein Experiment gewagt: das Theater als Gehäuse für eine Art öffentlichen Kongress über ein politisch relevantes Thema, die Technisierung der menschlichen Fortpflanzung. Das Potenzial der Kunstform Theater blieb dabei leider ungenutzt.

Von Cornelie Ueding |
    Das Herzstück des Theaters, große Bühne und Zuschauerraum, blieben leer bei diesem "Diskursprojekt" über "Wunschkinder" im Freiburger Theater. Man musste sich zu Nebenschauplätzen, Spiel- und Werkräumen durchfragen, zu Diskussionen, Vorträgen, Performances, Filmen und auch ein paar theatralischen Einlagen: Drei Tage Crash-Kurs zum Thema "Wunschkinder" und "Technisierung der menschlichen Fortpflanzung". Es ging um Lebensentwürfe, Familienplanungsstrategien, Menschenbilder zwischen Wunschträumen und Manipulation, Kommerzialisierung und Perfektionierungswahn.

    Wen wundert's, dass, wenn alles andere inklusive des abendländischen Bildes vom Individuum ins Rutschen kommt, auch die altehrwürdige Institution des Theaters in Bewegung gerät, sich als gesellschaftlichen Hohlspiegel begreift und zum Forum der Reflexion werden will - mit dem Know-how einer ganzen Universität im Gepäck: Ethik, Biologie, Medizin, Jurisprudenz und Philosophie, alles hochkarätig versammelt, angereichert mit renommierten Gastrednerinnen vor allem aus den angelsächsischen Ländern. Je mehr man hörte, umso deutlicher wurde, dass die Problematik der mittlerweile möglichen und nicht nur in den muslimischen Gesellschaften ebenso wie in China längst praktizierten Eingriffe in die menschliche Fortpflanzung in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und uns alle betrifft.

    Denn es geht um nichts Geringeres als eine Neudefinition all dessen, was bislang eindeutig erschien: die Vater- und Mutterrolle, Familie, Kinderwunsch und Kinderlosigkeit, das Alter "junger" Eltern, Verwandtschaftsbeziehungen, Zusammengehörigkeit und Erbrecht. Das fängt bei Fragen der Samenspende und eingefrorener Eizellen an und endet noch lange nicht bei Leihmüttern und der pränatalen Implantations-Diagnostik. Clon-Schaf oder Wunschkind, Traum oder Albtraum eines synthetisch generierten Serienmenschen von der Stange perfektionistischer - oder modisch oder ideologisch angesagter - Wünsche.

    Denn wessen Wünsche sind das? Der Eltern, der Gesellschaft? Und noch etwas wurde klar: sprachlich und philosophisch, ethisch und kulturell sind wir diesem Potenzial der ja zum Teil erst schlummernden technologischen und medizinischen Möglichkeiten bei weitem noch nicht gewachsen. Dies war gelegentlich bis in die Wortwahl der vielen Fachleute spürbar, wenn man etwa den Begriff des "Schicksals" gleichermaßen bereits mied und doch benutzte.

    Denn noch weiß keiner, ob da etwas Monströses im Entstehen ist - also umkreisen wir mit Gedanken, die (noch) nicht weit genug reichen, und einer ebenso unzureichenden Sprache ein Versprechen der Machbarkeit. Ganz sicher ist nur eines: Die Sache ist außerordentlich lukrativ, der Geschäftstrieb wird auch den revolutionären Umbau des Menschen glänzend überstehen. Und so läuft das Geschäft mit unseren vermuteten Sehnsüchten und Wünschen in den USA und China, in Israel und allen muslimischen Ländern, in denen - ehelich geborene - Kinder Pflicht sind, bereits auf Hochtouren: Wer Geld hat, keine Kinder bekommen kann oder auch nur die Strapazen einer Schwangerschaft unzumutbar findet, lässt aufgetaute Eizellen in den Körper indischer Leihmütter pflanzen. Und schon führt man Erbschaftsprozesse gegen genetische Väter und ergoogelt sich für 10.000 Dollar geeignete Eizellen.

    Zugegeben: Ein interessantes Experiment, das Theater als Gehäuse für so etwas wie öffentliche Kongresse über politisch relevante Themen zu begreifen. Doch noch blieb das alles in Freiburg trotz Parcours und Installationen eher abstrakt und gewollt untheatralisch. Wie Menschen fühlen, ob sie sich etwa ein Kind mit 50 wünschen und "Fruchtbarkeitsreserven" speichern möchten oder doch lieber nicht, und wie schwer Kinderlosigkeit zu verkraften ist - das kam neben dieser vom Hörsaal ins Theater verlegten Art eines Studium generale fast nur in ein paar eher gut gemeinten Laien-Performances vor.

    Dabei zeigte allein eine von Boris Nikitin zusammen mit drei Schauspielern erarbeitete theatralische Miniatur darüber, wie sich das Lebensgefühl trotz aller Krisen und herkömmlichen Unperfektheiten entwickelt, welches Potenzial des Theaters bei dem Projekt leider ungenutzt blieb. Denn gerade das Theater kann wie keine zweite Kunst-Art die Emotionen der Menschen erreichen, kann die Theorien, die Ideen und Argumente in Figuren, Situationen und Gefühle rückübersetzen, das Meinungsbild mit Lebensbildern überblenden, und so die intendierte politische Diskussion wirklich beleben.