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Gründung vor 160 Jahren
Treffpunkt deutscher Eliten: die "Mittwochsgesellschaft"

Sie verstand sich als Nachfolgerin der Berliner Mittwochsgesellschaft, die bis 1798 aufklärerisches Gedankengut verbreitet hatte. Auch die am 19. Januar 1863 neu gegründete Gemeinschaft wollte wissenschaftliche Erkenntnisse fördern und verbreiten.

Von Regina Kusch | 19.01.2023
Der deutsche Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg
In der langen Geschichte der Mittwochsgesellschaft hielt auch der deutsche Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg dort einen Vortrag (picture-alliance / dpa / Roland Witschel)
„Unsere Gesellschaft … vereint Männer der verschiedensten … Weltanschauungen auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung ihres sittlichen Charakters und aufrichtiger Liebe zur Wahrheit.“ Am 19. Januar 1863 unterzeichneten in Berlin, im Haus des Juristen und ehemaligen Preußischen Kulturministers Moritz August von Bethmann-Hollweg, 15 renommierte Wissenschaftler und Vertreter des öffentlichen Lebens das Gründungsstatut der „Mittwochsgesellschaft“.
„Sie ist eine geistige Gemeinschaft, bei der es auch für entgegenstehende … Ansichten ein Gebiet gemeinsamer Überzeugung gibt, begründet zum Zwecke des freien Austausches wissenschaftlicher Gedanken über die mannigfachsten Gegenstände mit alleiniger Ausnahme der Tagespolitik.“

Abendessen und Gelehrtenaustausch

So beschrieb das langjährige Mitglied, der Geografieprofessor Albrecht Penck, die „Gesellschaft für wissenschaftliche Unterhaltung“, wie die Mittwochsgesellschaft offiziell hieß. Alle 14 Tage trafen sich Vertreter der geistigen Elite des Kaiserreichs im Haus eines Mitglieds zum Abendessen und Gelehrtenaustausch. Ganz in der Tradition der Aufklärung wollte man Bildung und Geselligkeit verbinden. Maximal 17 Mitglieder waren zugelassen.
Neuzugänge konnten sich nicht selbst einladen, so der Berliner Historiker Arnd Bauerkämper, sondern wurden in den illustren Kreis berufen. „Es sollte eine gewisse Breite der Kompetenzen gegeben sein. Das heißt, nicht nur Ärzte, nicht nur Militärs, nicht nur Gelehrte, nicht nur hohe Beamte, sondern es sollten verschiedene Perspektiven diskutiert werden können, und in den einzelnen Vorträgen, die ja getragen wurden von den Mitgliedern, sollte eben auch über ein bestimmtes Themengebiet jeweils unterschiedlich diskutiert werden. Und in der Diskussion sollten dann die verschiedenen Perspektiven der Teilnehmer einbezogen werden.“

Lob für die Vielfalt der Themen

In 80 Jahren fanden gut tausend Treffen der Mittwochsgesellschaft statt. Stets wurden Protokolle angefertigt, die später in 19 Bänden veröffentlicht wurden. Dort finden sich Exkursionsberichte des Ägyptologen Karl Richard Lepsius oder philosophische Abhandlungen Friedrich Adolf Trendelenburgs über Kant und Aristoteles aus dem
19. Jahrhundert, genauso wie Vorträge von Ferdinand Sauerbruch über moderne Chirurgie.
In den 1940er-Jahren informierte der Nobelpreisträger Werner Heisenberg die Gelehrtenrunde über den neuesten Forschungsstand in der Kernphysik. Der jüdische Kunsthistoriker Werner Weisbach, der bis 1935 Mitglied der Mittwochsgesellschaft war und nach einem Publikationsverbot durch die Nazis nach Basel emigrierte, lobte später nicht nur die Vielfalt der Themen.
„Wohltuend berührte auch eine humane Gesinnung, die in der Gesellschaft gepflegt wurde. War einmal jemand aufgenommen, so trat einer für den anderen ein, darin bekundete sich ein schönes Gemeinschaftsgefühl, das auf gegenseitiger Schätzung beruhte, und das habe ich auch, als unter dem Nationalsozialismus eine verzweifelte Lage für mich eintrat, zu spüren bekommen.“

Spaltung der Gesellschaft in der Nazizeit

Auch wenn sich die Gesellschaft lange um einen toleranten Diskurs bemühte, ließ sich das Prinzip einer wissenschaftlichen Diskussion über Parteigrenzen hinaus auf Dauer nicht mehr durchhalten. Dass zum Beispiel der nationalsozialistische Rassenhygieniker Eugen Fischer aufgenommen wurde, spaltete die Mittwochsgesellschaft.
„Mit der zunehmenden Radikalisierung der nationalsozialistischen Politik ab 1938 - Stichwort „Reichspogromnacht“ - und dann vor allem im Krieg 1939, und dann ab 1941 mit im Grunde dem Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion, wuchs natürlich diese Kluft enorm. Also dieses großgermanische Reich, das da geschaffen wurde, das war natürlich gerade für liberal konservative Kreise überhaupt nicht mehr vermittelbar, und es war denen völlig klar, dass es in die Katastrophe führen konnte.“
Aus Gewissensgründen beteiligten sich einige Mitglieder an dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Johannes Popitz, einst preußischer Finanzminister, der ehemalige Generalstabschef Ludwig Beck, der Nationalökonom Jens Jessen und der Diplomat Ulrich von Hassel wurden von den Nazis hingerichtet. Ferdinand Sauerbruch wurde mehrmals verhört und der Philosoph und Goetheforscher Eduard Spranger saß zweieinhalb Monate im Gefängnis der Gestapo. Die Mittwochsgesellschaft wurde sechs Tage nach dem missglückten Anschlag aufgelöst.