Freitag, 29. März 2024

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Mockumentary "Blacktape"
Heiliger Gral des deutschen Hip-Hop

Lange hat es gedauert, doch nach drei Jahrzehnten Rap in Deutschland war es schließlich an der Zeit, dem Hip-Hop seine eigene Mockumentary zu geben. Entstanden ist ein Who's Who der Szene. Der Unterhaltungswert entsteht aus der Diskrepanz zwischen Fakten und einer hanebüchenen, fiktionalen Geschichte.

Von Ralf Bei der Kellen | 05.12.2016
    Der Sänger und Musiker Max Herre singt am 10.09.2016 auf dem Lollapalooza Festival in Berlin
    Max Herre auf dem Festival Lollapalooza in Berlin 2016 (Sophia Kembowski/dpa )
    "Das war sie also, die letzte Klappe meines Films, der als Interviewreihe angefangen hatte, und der als Höllentrip enden sollte" sagt Sékou Neblett alias Sékou The Ambassador, ehemaliges Mitglied der Rap-Formation Freundeskreis, zu Beginn von "Blacktape".
    "Um das zu verstehen, muss ich früher anfangen - mit Hip-Hop."
    In den ersten 10 Minuten rollt zunächst eine kurze Geschichte des deutschen HipHop ab: MTV-Altstar Steve Blame tritt auf, Protagonisten des Genres wie Thomas D, Afrob, Max Herre, Eko Fresh oder Samy Deluxe verleihen der Geschichte eine realistischen Anstrich, eben "street credibility".
    "Irgendwann Mitte der 80er ist ein Typ bei einem Jam in den Barracks oder Hip-Hop-Konzert auf die Bühne. Vermummt. - Rappt auf Deutsch! - Aber so heftig, dass es Anarchie war. - Und der hat aber so krass geflowt und so 'ne miese Technik gehabt. - Und die konnten das nicht akzeptieren, dass ein Deutscher kam und ihre ureigene amerikanische Kultur komplett entwurzelt hat und denen vor die Füße geworfen hat."
    Und dann kippt der Film ins Fiktive - durch die Einführung eines mysteriösen Urvaters des deutschen HipHop.
    "Eine geheimnisvolle Nachricht, ein verschollenes Tape. Ein anonymer Oldschool-Rapper, vielleicht der erste überhaupt, der auf Deutsch gerappt hat. Wer ist Ti Gon? Ist er der Urknall des deutschen Hip-Hops? Ich muss rausfinden, was dahintersteckt", sagt Sékou Neblett im Film.
    Wurzeln des Hip Hop
    Es kommt, wie es kommen muss: In dem Moment, wo sich eine Bewegung ihrer Wurzeln bewusst wird, beginnt sie zu graben. Verschiedene Lager beanspruchen die Ursprünge für sich. In diesem Fall sind die Antagonisten in der epischen Schlacht zwischen Gut und Böse bzw. Indie und Major: Der Mitinitiator der Berliner Hip-Hop-Szene Marcus Staiger - "Geile Scheiße!" - und Neffi Temur, A&R beim Mediengiganten Universal Music. Diesen Konflikt machen sich Sékou Neblett und sein Co-Autor Falk Schacht zunutze. Falk Schacht:
    "Erzähl' Staiger, dass Neffi nach Tigon sucht. Dann dreht Staiger durch."
    Da kommt es sehr gelegen, dass Tigon plötzlich beginnt, Nachrichten an Staiger zu schicken. Das Filmteam folgt seinen Spuren.
    "Plötzlich geht’s ab!"
    Eine Station: das US-Konsulat. Dort berichtet man, dass in den USA Kinder mit deutschen Hip-Hop-Texten Deutsch lernen.
    "In America, they deal with the lyrics of Bushido?", fragt Staiger. "Well, I don't know about Bushido, but I know there in the schools the kids especially like the lyrics of the Fantastischen Vier", sagt die Frau aus dem Konulat. Falk: "But that's very oldschool."
    Wettrennen um den "Heiligen Gral"
    Die Jagd wird - befeuert von dem Wettrennen zwischen Staiger und Neffi Temur um den "Heiligen Gral des deutschen Hip-Hop" - immer bizarrer. Die Gemüter erhitzen sich. Und Selbstdarsteller Marcus Staiger entwickelt sich zum Zentrum des Films - für den Filmemacher Sékou Neblett ein echter Glücksgriff.
    "Hast Du ihm das gesagt?", fragt Steiger. Falk: "Was denn?" Staiger: "Dass wir hier sind wegen Tigon." Falk: "Alles gut bei dir?" Staiger: "Gib' mir mal dein Handy bitte. Gib' mir auch mal dein Handy. Wir legen das jetzt einfach hier in den Kühlschrank, ich hab' jetzt keinen Bock mehr." Staiger: "Ich möchte auf Nummer sicher gehen." Falk: "Es ist im Koffer." Staiger: "Ich weiß nicht, wo dein Koffer ist, Mann!"
    Als die Crew in dieser Stimmung in ein unterirdisches Labyrinth einsteigt, bekommt der Film sogar einen Anstrich von "Blair Witch Project". Andererseits entbehrt "Blacktape" auch nicht satirischer Selbstironie - zumindest als "Kleines Fernsehspiel" im ZDF:
    Staiger: "Träum’ weiter von deiner Anstellung bei ZDF Kultur als Hip-Hop-Attaché!" Falk: "Bist du jetzt endgültig durchgedreht, Staiger?" Staiger: "Nee, aber ich mein', was ist denn das?" Eko Fresh: "Ey, du bist so'n Sturkopf! (singt) Underground forever … Nein, 'rich forever' ist besser."
    Zum Showdown treten auf dem groß angekündigten Revival-Konzert die Protagonisten des deutschen Hip-Hops als Tigon verkleidet auf. Der Urvater bleibt ein Mysterium und die Anfänge des Genres im Dunklen.
    "Am Ende kamen für Tigon Freunde und Feinde zusammen. Und wir setzten dem deutschen Hip-Hop ein fettes Denkmal. Golden-Era-Style."
    Teils verworrener Plot
    Sékou Neblett hat extrem viel Aufwand betrieben, um "Blacktape" möglichst authentisch aussehen zu lassen. Und darin liegt schließlich der Unterhaltungswert solcher Mockumentarys: in der Diskrepanz zwischen einem historischen Subtext und einer fiktionalen und möglichst hanebüchenen Geschichte. An manchen Stellen erinnert "Blacktape" allerdings stark an die bekannteste Mockumentary der letzten 15 Jahre - die ARTE-Produktion "Kubrick, Nixon und der Mann im Mond", die ebenfalls zahm beginnt, um sich dann in einen zunehmend verworrenen Plot zu steigern. An manchen Stellen wird "Blacktape" allerdings nur noch von eingefleischten Hip-Hop-Fans verstanden. Dennoch: Hut ab vor soviel Einsatz!
    Falk: "Und warum ist mein Handy im Kühlschrank?" - "Ja, das finde ich auch."