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Mord an Walter Lübcke
"Gibt auf jeden Fall eine Mitschuld der Neuen Rechten"

Zwischen dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke und dem Verhalten der AfD gebe es direkte Zusammenhänge, sagte der Terrorexperte Christian Fuchs im Dlf. Die Partei habe nie klare Kante gegen extremistische Äußerungen und direkte Morddrohungen gezeigt.

Christian Fuchs im Gespräch mit Dirk Müller |
Der Journalist und Autor Christian Fuchs, aufgenommen am 14.11.2013 nach einer Pressekonferenz in Hamburg mit seinem Buch "Geheimer Krieg".
Journalist und Autor Christian Fuchs (picture alliance / Marcus Brandt)
Dirk Müller: Geständnis im Mordfall von Walter Lübcke - das haben Sie eben gehört – durch den Verdächtigen Stephan E.; der Bundesgeneralanwalt hat das auch in Berlin bestätigt. Am Telefon ist nun Christian Fuchs, Publizist und Experte für Terror von rechts, unter anderem für den gesamten NSU-Komplex. Guten Tag!
Christian Fuchs: Ich grüße Sie, Herr Müller. – Hallo!
Müller: Herr Fuchs, das Geständnis drei Wochen nach dem Mord, ist das ein schneller Ermittlungserfolg?
Fuchs: Ich finde schon. Wenn man sieht, wie auch in anderen Terrorverfahren, wie lange dort überhaupt Verdächtige gesucht werden, finde ich, kann man hier in diesem Fall den Sicherheitsbehörden keine Vorwürfe machen. Sie haben professionell und sehr, sehr schnell gehandelt und ja auch den Täter schnell gefunden.
Müller: Den Täter gefunden – es ist ein Geständnis, wie auch immer. Es gibt ja immer noch Fragezeichen. Die Aufklärung geht weiter, haben wir gehört. Einzeltäter-These – das wird seit Tagen diskutiert, auch heute wieder mehrfach genannt. Wie wahrscheinlich ist das?
"Ein Täter ist nie im luftleeren Raum"
Fuchs: Ich glaube, bei dieser Bewertung des Einzeltäter-Aspektes muss man ein wenig differenzieren. Einzeltäter hat ja unterschiedliche Bedeutungen, einmal strafrechtlich und einmal gesellschaftlich. Strafrechtlich kann das natürlich stimmen, was Stephan E. da ausgesagt hat, dass er keine weiteren Unterstützer hatte und allein gehandelt hat und ein sogenannter "einsamer Wolf" war, wie man das in der Terrorforschung nennt. Das bedeutet, dass er nicht einem Kommando einer Terrororganisation gefolgt ist, die ihn losgeschickt hat.
Aber gesellschaftlich muss man das, glaube ich, anders bewerten. Da ist ein Täter nie im luftleeren Raum. Eine Radikalisierung findet nie alleine statt, sondern immer in Reaktion, zum Beispiel in virtuellen Gruppen im Internet, oder auch in physischen Gruppen, wo man sich trifft, oder über Messenger. Das hat man in letzter Zeit auch bei Rechtsextremen gesehen. So handelt ein rechtsextremer Täter auch immer nur im Kontext zu einer ideologischen Strömung, und das ist in dem Fall von Stephan E., was wir wissen, sicherlich auch der Fall gewesen.
Müller: Das ist auch wie bei Islamisten, über die wir häufig diskutieren, gerade auch nach Terroranschlägen oder auch nach Mordanschlägen in irgendeiner Form, wo es ja teilweise auch Einzeltäter gibt, strafrechtlich – das haben Sie gerade noch einmal beschrieben -, immer aber auch dann im gesellschaftlichen Kontext. Ist das nicht irgendwo auch ein Automatismus, also selbstverständlich?
"Wir haben fast 200 Tote rechtsextremer Gewalt seit 1990"
Fuchs: Ich glaube, es ist in der Gesellschaft noch nicht angekommen. Das sieht man ja auch, wie man islamistische Terroristen sieht und wie man über sie spricht und wie man über Rechtsextreme spricht, dass wir fast 200 Tote rechtsextremer Gewalt haben in Deutschland seit 1990, was eine viel größere Zahl ist als Menschen, die durch islamistische Gewalt gestorben sind in diesem Zeitraum. Aber der Fokus und die Angst – ich möchte jetzt nichts relativieren; das sind beides verurteilenswerte Formen von Gewalt und Terror -, aber gesellschaftlich hat man das Gefühl, es wird die Gefahr der einen Form des politischen Extremismus eher in den Fokus genommen als die andere.
Müller: Sie haben sich jahrelang ganz intensiv auch mit dem NSU-Komplex beschäftigt. Auch da ging es ja immer darum, wie groß ist diese Gruppe in ihrer Substanz, sind es zwei, sind es drei oder noch viele darüber hinaus. Ist die rechte Szene und die rechtsextreme Szene in ihrer Gewaltbereitschaft, wie auch jetzt hier bei Stephan E., mutmaßlich auch noch Menschen umzubringen, ist das größer geworden? Ist diese Bereitschaft gewachsen in den vergangenen Jahren?
Fuchs: Ich glaube nicht, dass die Bereitschaft gewachsen ist, auch wenn die Sicherheitsbehörden die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremen jedes Jahr nach oben korrigiert haben in den letzten Jahren. Aber der Hardcore-Kern einer kleinen Gruppe von gewaltbereiten Extremisten aus der rechten Szene, die auch bis zum letzten gehen würden und dann Taten statt Worte folgen, wie das der NSU selber genannt hat, die ist relativ gleich geblieben über all die Jahre. Nur was heute anders ist, dass das gesellschaftliche Klima sich verändert hat, dass Menschen wie Stephan E. sich durch eine Großwetterlage und bestimmte politische Strömungen – ich würde auch die AfD dazuzählen in Teilen – die gegen bestimmte Gruppen von Menschen hetzen, die diese Ungleichheit von Menschen immer wieder aufmachen, die rassistisch argumentieren, dass sie sich fühlen wie ein Soldat in einem Kampf, der gerade geführt wird, ein Kulturkampf. Da gibt es den bürgerlichen Arm, die stacheln das an, und dann muss es Leute geben, die das ausführen, und damit sind die politischen Entwicklungen der letzten fünf Jahre, die wir in Deutschland erleben, dieser Rechtsruck, diese Diskursverschiebung, wie ein Katalysator für diese Menschen, die jetzt auch schon Schläfer genannt werden, gewesen und die erwachen jetzt gerade.
Müller: Sie haben gerade auch das Stichwort AfD genannt, wird seit Tagen auch heftig diskutiert: Der Nährboden, der bereitet wurde oder der bereitet werden sollte von der AfD – eine große Diskussion darüber, ob das politisch im Kontext legitim ist, diesen Konnex zu ziehen. Das heißt, der Mordfall Walter Lübcke und die AfD. Ist das für Sie – Sie haben es ja gerade schon angedeutet - auch ganz klar zusammenhängend?
"Es wird so eine Grundstimmung, eine Verrohung der Sprache"
Fuchs: Ich sehe da direkte Zusammenhänge. Man kann das an dem Beispiel von Erika Steinbach erklären, eine ehemalige Politikerin der CDU, die jetzt die Vorsitzende der AfD-nahen Stiftung ist, die noch vor wenigen Monaten diese Verschwörungstheorie gegen Walter Lübcke verbreitet hat auf ihrem Twitter-Account. Unten drunter gab es direkte Morddrohungen: Der Typ gehört an den Galgen und so etwas. Es wurde ein Galgen auch abgebildet. Das wurde nicht gelöscht von der AfD, es wurde nicht dagegen klare Kante gezeigt, dass man sagt, das geht zu weit, das ist Extremismus. Auch wenn wir unterschiedliche politische Meinungen haben – bitte, liebe Anhänger und Anhängerinnen, wir sollten doch im Rahmen des demokratischen Diskurses bleiben. Die AfD ist da auch nicht im luftleeren Raum. Auch die wird ja sehr, sehr stark ideologisch und auch von dem Mitarbeiterstab her geprägt von der sogenannten Neuen Rechten, von dieser Strömung, die immer wieder auch aufrufen, die Protagonisten, auf Pegida-Demonstrationen zum Beispiel oder in ihren Theorietexten zum Widerstand, zum Systemumsturz. Das sind alles Dinge, die jetzt auch bei Stephan E., glaube ich, auf offene Ohren gestoßen sind.
Müller: Vielleicht für die Hörer, die diesen Tweet jetzt nicht genau im Kopf haben. In diesem Tweet von Erika Steinbach lag für Sie schon im Grunde eine Art Aufforderung auch implizit drin?
Fuchs: Es wird so eine Grundstimmung, eine Verrohung der Sprache, dass ein Mensch persönlich angegriffen wird, ein Politiker, ein CDU-Politiker, weil er einen Allgemeinplatz sagt, dass Menschen, die nicht auf den Werten dieser Demokratie stehen, hier in diesem Land nichts verloren haben. Dafür so angegriffen zu werden, …
Müller: Aber darauf darf man ja politisch reagieren.
"Er ist im Untergrund des bürgerlichen Lebens eingetaucht"
Fuchs: Darauf darf man politisch reagieren. Aber wenn dann die Anhängerinnen und Anhänger das noch überdrehen und weiter steigern und dann zum Mord aufrufen oder in neuen rechten Medien dann auch die Adresse von Walter Lübcke veröffentlicht wird und dem nicht Einhalt geboten wird und nicht gesagt wird, da ist eine Grenze, man muss sich doch politisch bekämpfen können, aber nicht mit physischer Gewalt, dann sehe ich da auf jeden Fall eine Mitschuld auch der sich bürgerlich gebenden Neuen Rechten.
Müller: Gehen wir, Herr Fuchs, einen Schritt weiter. Sie haben das gerade gesagt: Da wurden Adressen veröffentlicht und so weiter. Es hat diesen Internet-Verkehr gegeben. Hätten die Sicherheitsbehörden auf Stephan E. kommen müssen, früher kommen müssen, ihn beobachten müssen?
Fuchs: Ich glaube, diesen Vorwurf kann man den Sicherheitsbehörden nicht machen, weil wie alles scheint, hat Stephan E. nach einem Konzept gehandelt, was es schon seit den 90er-Jahren gibt, des führerlosen Widerstandes, im "Blood and Honour"-Manual beschrieben wurde. Es ist eigentlich eine Blaupause seines Vorgehens gewesen, die besagt, wenn man eine kleine autarke Zelle bildet und die Regierung und Migranten angreifen will, dann muss man sich vom politischen Arm der Bewegung abkoppeln - das hat er getan: 2004 ist er aus der NPD ausgetreten – und muss eine bürgerliche Fassade aufbauen. Das hat er auch getan: In der gleichen Zeit hat er eine Familie gegründet, zwei Kinder mit seiner Frau zusammen bekommen und sich in Vereinen engagiert, und ist öffentlich überhaupt nicht mehr in Erscheinung getreten in der rechtsextremen Szene, sondern das lief wohl alles bei seiner Radikalisierung, was wir bisher wissen, über das Internet. Da ist es sehr, sehr schwer für Sicherheitsbehörden, diese Menschen zu finden.
Müller: Aber das ist wieder das Argument: Geschickt in den Untergrund. Kann man das so sagen?
Fuchs: Ja.
Müller: Oder in den Hintergrund vielleicht sogar eher? Er ist ja nicht abgetaucht.
Fuchs: Ja! Er ist im Untergrund innerhalb des bürgerlichen Lebens eingetaucht. Aber es ist da auch wieder eine Parallele zum NSU zu sehen, die ja auch viele Jahre in Zwickau gelebt haben, mit Freunden, mit Nachbarn, ein normales Leben gelebt haben und parallel diese schrecklichen Morde verübt haben, die übrigens auch nach diesem "Blood and Honour"-Manual gehandelt haben, wie das jetzt auch bei Stephan E. so wirkt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.