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Morddrohungen gegen liberale Muslima
Vogelfrei in der Moschee

Die Debatte um einen europäischen, deutschen oder liberalen Islam wird wieder intensiv geführt, nachdem in Berlin vor drei Wochen die Ibn Rushd-Goethe-Moschee eröffnete. Ihre Gründerin, bislang bekannt durch ihre Kritik an den Islamverbänden, wird seitdem mit dem Tode bedroht.

Von Kemal Hür | 05.07.2017
    Seyran Ates
    Steht unter Polizeischutz: Die Anwältin und Menschenrechtlerin Seyran Ateş. Einige konservative Muslime trachten ihr nach dem Leben. (picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    "Darf ich jetzt Cem begrüßen? Cem, großartig, vielen Dank. Herzlich willkommen."
    "Ich habe ja versprochen, dass ich komme."
    In der Ibn Rush-Goethe-Moschee sind wieder einmal sehr viele Medienvertreter versammelt. Grünen-Chef Cem Özdemir besucht Seyran Ateş, um sich mit ihr zu solidarisieren.
    "Du stirbst bald!"
    Ateş bekommt seit der Gründung der Moschee vor drei Wochen Anfeindungen und Todesdrohungen – nicht nur in sozialen Netzwerken:
    "Auf der Straße bin ich von drei Männern – einer war aktiv, die anderen haben zugeschaut – angegriffen worden. Er sagte am Ende: Du stirbst bald. Es hat jemand bei mir angerufen, mich beschimpft und hat gesagt: Du stirbst bald. Es gibt Nachrichten, wo zum Beispiel jemand eine Pistole abgebildet hat und darunter geschrieben hat: Bald! Dann in türkischer und deutscher Sprache: Du verbrennst in der Hölle, jemand soll ihren Kopf gegen die Wand schlagen."
    Cem Özdemir: "Mich interessiert eines: Hier in der Bundesrepublik Deutschland müssen alle, egal welcher Religion sie sich zugehörig fühlen, oder ob sie sich keiner Religion zugehörig fühlen, egal wie sie ihre Religion interpretieren – sie müssen sicher sein."
    Türkisches Religionsamt warf Ateş "Pervertierung des Islam" vor
    Özdemir fordert die politisch Verantwortlichen zur Wachsamkeit auf – besonders im Hinblick auf den Einfluss ausländischer Institutionen und Regierungen. Die höchste islamische Instanz, die ägyptische Fatwa-Behörde Al-Azhar, hatte in einem Rechtsgutachten das gemeinsame Beten von Männern und Frauen in der liberalen Berliner Moschee als "unislamisch" verurteilt. Das türkische Religionsamt in Ankara hatte Ateş und ihrer Moschee sogar vorgeworfen, den Islam zu pervertieren.
    Cem Özdemir: "Wenn der Koran auf dem Boden unserer Verfassung so oder so ausgelegt wird, dann entscheiden das Gläubige hier und müssen dafür weder in Kairo noch in Ankara, noch in Riad, Teheran oder sonst wo um Erlaubnis dafür fragen. Das muss man in Ankara vielleicht noch ein bisschen deutlich machen, dass wir andere Gesetze haben. Und die werden wir wegen dem Operettensultan vom Bosporus sicherlich nicht ändern."
    Ateş: "Nicht der IS-Staat... Das ist der Nullachtfünfzehn-Bürger"
    Der Dialog innerhalb der Muslime würde in Deutschland besser funktionieren, sagt Özdemir, wenn sich ausländische Regierungen oder deren Religionsbehörden nicht einmischen würden. Verbände wie die deutsche DITIB müssten sich von ihren Herkunftsländern lösen und zu Vertretern der Muslime in Deutschland werden. Der Einfluss aus dem Ausland sei zu stark. Er wirke bis in die einfache Bevölkerung hinein, sagt Seyran Ateş:
    "Das Traurige an dem, was wir hier sehen, ist: Es ist nicht der IS-Staat, es ist nicht Al-Kaida, es ist nicht Boko Haram, es ist auch nicht Taliban oder Hamas, auch nicht Salafisten, also Extremisten, die wir bekämpfen wollen, die uns Anfeindungen schicken. Schauen Sie bitte in die sozialen Medien. Das ist der Nullachtfünfzehn-Bürger. Es sind Leute, die uns bisher immer weißmachen wollten, sie sind die Liberalen."
    Auswärtiges Amt betont Recht auf Religionsfreiheit
    Solidaritätsbekundungen und Unterstützung bekommt Ateş nicht nur vom ebenso türkeistämmigen Cem Özdemir. Auch das Innen- und Außenministerium haben die Einmischung der türkischen Religionsbehörde mit ungewohnt deutlichen Worten verurteilt. Die Stellungnahme dieser Behörde habe das Auswärtige Amt überrascht und betroffen, sagte dessen Sprecher Martin Schäfer:
    "Deshalb möchte ich hier in aller Klarheit Äußerungen zurückweisen, die ganz offensichtlich darauf abzielen, Menschen in Deutschland das Recht zur freien Ausübung ihrer Religion abzusprechen und das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken. Wie, wo, wann und in welcher Weise Menschen ihre Religion pflegen und ausüben, ist keine Angelegenheit des Staates."
    "Hetzkampagne" türkischer Medien gegen liberale Moschee
    Die Anfeindungen, Drohungen und Beschimpfungen gehen in erster Linie an die Adresse der Moscheegründerin Ateş. Aber sie wirken sich auch auf das gesamte Gemeindeleben stark aus, sagt Ateş. Die Gemeinde sei zwar auf 30 Personen angewachsen. Viele kämen nicht zum Gebet, weil sie Angst hätten, vor allem in türkischen Medien diffamiert zu werden. Regierungsnahe türkische Medien führen seit der Gründung eine Hetzkampagne gegen die Ibn Ruhd-Goethe-Moschee. Ateş selbst wird nach den Todesdrohungen rund um die Uhr geschützt und fühlt sich sicher, sagt sie. Aber:
    "Ich traue mich nicht mehr allein aus dem Haus. Das mache ich nicht mehr."