Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Moskau
Kremlgegnern droht jahrelange Haft

Heute wird das Urteil gegen acht Teilnehmer der Großdemo vom 6. Mai 2012, dem Vorabend von Putins Amtseinführung, gesprochen. Die Anklage spricht von Massenunruhen und fordert zwischen fünf und sechs Jahren Haft. Menschenrechtler befürchten, dass ein Exempel statuiert werden soll.

Von Gesine Dornblüth | 21.02.2014
    Sie skandierten "Putin ist ein Dieb" und riefen nach Freiheit. Es war eine genehmigte Demonstration an jenem 6. Mai 2012. Und es kamen Zigtausende, weit mehr als geplant. Am Ende flogen Steine, Rauchbomben. Demonstranten durchbrachen eine Polizeikette. Die Beamten nahmen mehrere hundert Demonstranten teils willkürlich fest. Mehr als zwei Dutzend gerieten ins Visier der Justiz. Die meisten wurden wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und der Teilnahme an Massenunruhen angeklagt. Die Justiz hat die Verfahren gegen zwölf von ihnen in einem Prozess zusammengefasst. Vier dieser Angeklagten kamen im Rahmen einer Amnestie frei, heute fällt das Urteil gegen die verbliebenen acht. Dutzende Zeugen wurden gehört, darunter diverse Polizisten. Viele verstrickten sich vor Gericht in Widersprüche. Der Angeklagte Stepan Zimin, 22 Jahre und Student, gab in seinem letzten Wort ein Beispiel.
    "Ich soll ein Stück Asphalt auf den Polizeisergeanten Kuvatov geworfen haben und ihm damit Schmerzen zugefügt haben. Kuvatov wurde mehrfach verhört und hat jedes Mal etwas anderes gesagt. Am Ende hat er erklärt, dass der Wurf mit dem Asphaltstück ihm den Finger gebrochen habe. Das widerspricht dem ärztlichen Gutachten, das besagt, sein Finger sei verdreht worden."
    Nun soll Zimin fünfeinhalb Jahre in Haft. Anderthalb Jahre sitzt er bereits in Untersuchungshaft. Er beteuert, er sei unschuldig. Auch für die anderen Angeklagten fordert die Staatsanwaltschaft zwischen fünf und sechs Jahren Haft. Die Verteidigung verlangt Freisprüche. Ihr Hauptargument: Es gab gar keine Massenunruhen. Diese lägen vor, wenn zum Beispiel Autos umgeworfen oder Geschäfte in Brand gesetzt würden. Am 6. Mai aber sei nichts dergleichen geschehen.
    Russische Menschenrechtler haben die Vorkommnisse untersucht und hunderte Zeugenaussagen und Videos analysiert. Auch sie sagen: Von Massenunruhen könne keine Rede sein. Zudem sei die Gewalt von der Polizei provoziert worden. Sie habe den Demonstranten damals entgegen allen Absprachen den Weg zur Abschlusskundgebung versperrt. Dadurch seien ein Gedränge und dann die Zusammenstöße entstanden. Regierungsgegner gehen noch weiter: Sie sagen, die Polizei habe die Menge damals bewusst provoziert, um die bis dahin friedliche Protestbewegung zu diskreditieren.
    Präsident Putin hat das Vorgehen der Justiz verteidigt.
    "Wenn Menschen sich so benehmen und bei Demonstrationen die Rechte anderer verletzen, muss der Staat reagieren. Man darf nicht zu Gewalt gegen die Polizei aufrufen, Schulterstücke abreißen. Sie wissen, wozu das führen kann. So etwas muss man in Übereinstimmung mit dem Gesetz unterbinden. Und das müssen alle begreifen."
    Beobachter befürchten, dass an den Angeklagten des 6. Mai ein Exempel statuiert werden soll. Der scheidende Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin sagte dem Deutschlandradio:
    "Es ist schlecht, dass es die Zusammenstöße am 6. Mai 2012 gab. Aber es war das einzige Mal innerhalb der Serie von Massendemonstrationen, dass es zu Gewalt kam. Es war eine Ausnahme. In Anbetracht dessen würde ich Milde walten lassen. Zumal es Massenunruhen und grobe Verstöße, wie sie im Gesetz definiert sind, dort nicht gab. Ich bin dafür, das alles zu berücksichtigen, möglichst milde Urteile zu sprechen oder diejenigen, deren Schuld nicht ausreichend bewiesen ist, freizusprechen."
    Beobachtern rechnen jedoch eher mit harten Urteilen - auch vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Ukraine. Ein Reporter des omnipräsenten russischen Staatsfernsehens sagte in diesen Tagen ganz deutlich: Die Bilder aus Kiew würden zeigen, was die Angeklagten in Moskau veranstaltet hätten, wenn die russische Polizei nicht durchgegriffen hätte. Zudem enden in Russland weniger als ein Prozent aller Verfahren mit einem Freispruch.