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Müntefering verteidigt SPD-Wahlprogramm

Der SPD-Vorsitzende Müntefering hat das Wahlmanifest seiner Partei gegen Kritik verteidigt. Die Partei habe den richtigen Weg für die kommenden Jahre eingeschlagen, sagte Müntefering. Er sei zuversichtlich, dass Deutschland damit in eine gute Zukunft gehen könne. Ziel sei, dass die Wirtschaft wieder erfolgreich laufe. Zudem betonte Müntefering, die Reformagenda 2010 sei richtig und werde ohne größere Korrekturen fortgesetzt.

Von Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Der Kanzler hat nicht mehr das Vertrauen des Bundestages, doch die SPD hat Vertrauen in Deutschland. So zumindest der Titel des SPD-Wahlmanifestes. Die Sozialdemokraten haben es eilig. Noch steht nicht fest, ob es überhaupt zu Neuwahlen kommen wird. Doch schwarz auf weiß ist seit Anfang der Woche nachzulesen, was die Genossen vorhaben, sollte es im Herbst noch einmal zu einem Wahlsieg reichen. Seltene Einstimmigkeit in der gesamten SPD-Spitze. Ein Kompromisspapier in schweren Zeiten als Grundlage für die politische Auseinandersetzung mit rechts und mit links. Der Schröder-Reformkurs wird ergänzt durch eine ganze Reihe sozialpolitischer Wohltaten, für die auch Parteichef Franz Müntefering verantwortlich ist. Ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Franz Müntefering: Guten Morgen Herr Heinlein!

    Heinlein: Herr Müntefering, 100 Prozent des kleinen Parteitages für das Wahlmanifest des Kanzlers. Hat Gerhard Schröder doch noch das Vertrauen von Partei und Fraktion?

    Müntefering: Wir wollen alle miteinander natürlich, dass Gerhard Schröder Bundeskanzler bleibt, und dieses Wahlmanifest, das wir jetzt miteinander beschlossen haben, einstimmig im Parteivorstand, soll die Grundlage sein für das Regieren in den nächsten vier Jahren.

    Heinlein: Also Vertrauen in den Kanzler ist etwas anderes als Vertrauen in das Wahlprogramm der SPD?

    Müntefering: Nein. Wir haben auch Vertrauen in das Wahlprogramm der SPD. Das ist doch klar. Aber wir haben auch Vertrauen in Deutschland. Es ist ja Mode geworden in Deutschland, an vielen Stellen das Land mies zu reden und über Deutschland zu reden, als ob das irgend etwas Krankes und Elendes wäre, aber wir sind in Deutschland insgesamt stark und wir sind ganz zuversichtlich, dass das Land in eine gute Zukunft gehen kann. Dazu wollen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten unseren Beitrag leisten.

    Heinlein: Herr Müntefering, Sie haben gestern erklärt, es sei anstrengend gewesen, alle Genossen für das Wahlmanifest unter einen Hut zu bekommen. In welchen Punkten gab es denn Schwierigkeiten? Warum war es so anstrengend?

    Müntefering: Weil das relativ zeitschnell geschehen musste. Das ist halt die Vorbereitung auf die mutmaßliche Wahl im Herbst dieses Jahres und das war eine große Anstrengung. Natürlich haben wir in der letzten Woche viele Stunden miteinander zusammen gesessen, im Präsidium, dann im Parteivorstand. Diskutiert haben wir natürlich über die Frage, was ist der richtige Weg in den nächsten Jahren, wohin kann es gehen, wohin muss es gehen, und wir haben glaube ich eine gute Antwort gefunden darauf, nämlich wir wollen wirtschaftliche Prosperität. Wir wollen, dass die Wirtschaft erfolgreich läuft, dass es brummt, aber wir wollen auch, dass es eine gerechte Teilhabe aller an diesem Wohlstand gibt. Diesen Weg versuchen wir im Einzelnen in diesem Programm zu beschreiben.

    Heinlein: Wie verliefen denn die Fronten in dieser stundenlangen Auseinandersetzung? Wollte die Parteilinke oder wollten andere Flügel der Partei mehr, als der Kanzler zu geben bereit war?

    Müntefering: Ich müsste Sie doch mal einladen in solche Veranstaltungen, damit man eine realistische Vorstellung bekommt über diese Sachen mit links und rechts. Da sitzen sich nicht Blöcke gegenüber, sondern da diskutiert man zum Beispiel um die Frage, wie kann man Wachstum bekommen, wie kann man Arbeit bekommen, indem wir den Wettbewerb anstacheln, indem wir die Wettbewerbsfähigkeit verbessern, aber vielleicht auch indem man am Binnenmarkt etwas macht. Also die gemeinsame Entscheidung nach einer ganzen Zeit von Diskussionen. Wir wollen dem Binnenmarkt dadurch auf die Beine helfen, dass wir Erhaltungsaufwände und Modernisierungsaufwände im privaten Bereich zum Teil von der Steuer absetzbar machen. Das heißt wer bis 3.000 Euro investiert, in seine Wohnung, in seinen Garten, in sein Anwesen insgesamt, der kann dann im Jahr bis zu 600 Euro von seiner Steuer absetzen, natürlich gegen Rechnung. Wir glauben, dass dieses ein Punkt ist, der für das Handwerk gut ist, und das wollen wir vergleichbar auch noch mal prüfen, wie das mit haushaltsnahen Dienstleistungen geht, ob nicht dort auch selbstverständliche bisherige Dienstleistungen im Haushalt als Arbeit, als normale Beschäftigung angesehen werden können. Über solche Dinge haben wir gesprochen und ich glaube wir haben dort passable Lösungen aufgeschrieben.

    Heinlein: Mit diesen und anderen Punkten, Herr Müntefering, liest sich das Programm wie ein "wünsch dir was"-Katalog. Für jeden, für alle ist etwas dabei. Ist das Wahlmanifest ein Kompromisspapier, um die Partei zu einen?

    Müntefering: Vielleicht können Sie doch einfach mal sagen, dass es gut ist. Wenn alle sagen, da ist etwas Vernünftiges drin, das könnte doch auch bedeuten, dass es eine wirklich gelungene Sache ist. Alle Beteiligten sehen, das wird anstrengend in den nächsten Jahren. Da gibt es viele Herausforderungen. Wir versprechen nicht Dinge, die wir nicht halten können. Wir sagen auch vor allen Dingen die Unternehmen müssen dafür sorgen, dass die Menschen Arbeit finden. Wir machen uns Gedanken um die Erziehung, die Bildung, insbesondere im vorschulischen Alter, um die Chancen, die sich zur Gleichstellung damit verbinden, um die Situation der Familien. Wenn man das alles in vernünftiger Weise in ein Gesamtkonzept bringt, dann müsste doch irgendeiner von ihnen auch mal den Mut haben zu sagen, das habt ihr gut gemacht.

    Heinlein: Nicht gut, Herr Müntefering, finden ihr Programm die Industrie und die Wirtschaftsverbände. Es gibt scharfe Kritik. Für die Mehrzahl fehlen in dem Manifest die Impulse für Wachstum und Arbeit. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?

    Müntefering: Ich habe das noch nicht spezifiziert gelesen. Ich bin gewohnt, dass einige der Herrschaften dort das einigermaßen pauschal machen. Ich nehme mal an, die hatten ihre Antwort schon fertig, bevor wir das Programm veröffentlicht haben. Aber sei es drum! Es gibt auch Unternehmer, es gibt auch Unternehmungen und es gibt auch Teile der Wirtschaft die wissen, dass wir zum Beispiel das, was ich eben beschrieben habe, sehr zum Nutzen auch der kleinen und mittleren Industrie machen. Wir haben aufgeschrieben zwei Milliarden zusätzlich für Investitionen im Verkehrsbereich. Wir haben ein CO2-Programm, das heißt die energetische Gebäudesanierung, wichtig für Umwelt, wichtig für Arbeit, mit aufgenommen. Wir haben das Gesetz für öffentliche private Partnerschaft noch einmal gefordert. Und wir haben auch die Reduktion beim Unternehmenssteuersatz noch einmal aufgeschrieben. Also eine ganze Palette von Dingen! Wenn da einige im Unternehmerlager allerdings glauben, jetzt müsste man bitte schön die Arbeitnehmerrechte zerstören und zerschlagen, die Tarifautonomie wegnehmen und das Betriebsverfassungsgesetz schleifen, dann sage ich nein. Die soziale Marktwirtschaft – und das ist vielleicht die Differenz, die es im Moment in Deutschland gibt -, die eben auch die soziale Komponente des ganzen sieht, die ist wettbewerbsfähig, die ist konkurrenzfähig bei uns in Deutschland, in Europa und auch weltweit. Die werden wir uns auch nicht zerschlagen lassen von den Westerwelles und den Merzens und den Merkels.

    Heinlein: Aber auch die Gewerkschaften, Herr Müntefering, kritisieren, dass da manches nicht zusammen passt. Fortsetzung der Reformen und Korrekturen bei Hartz IV, Entlastung der Unternehmen, aber gleichzeitig Reichensteuer. Wollen Sie es tatsächlich jedem recht machen und öffnen damit der Kritik Tür und Tor?

    Müntefering: Nein. Wir haben klar gesagt, dass die Agenda 2010 richtig ist, dass sie bleibt, dass wir den Weg weitergehen und dass es auch bei Hartz IV keine weiteren Korrekturen gibt neben den beiden, die wir gemacht haben. Wir haben nämlich die Zuverdienstmöglichkeit für die untersten Minijobs erhöht und dann auch entschieden, dass das Arbeitslosengeld II für Ost erhöht wird auf West, das heißt 345 Euro dort gezahlt werden. Das sind zwei Entscheidungen zu Hartz IV. Sonst bleibt das wie es ist und das ist auch richtig, dass wir zum Beispiel die, die in der Sozialhilfe waren, rausgeholt haben, soweit sie erwerbsfähig sind, und an den Arbeitsmarkt wieder herangeführt haben. Das ist also ein Programm, was in sich durchaus anstrengend ist. Zum Beispiel die Formulierung, dass die Arbeit, die es in Deutschland gibt, auch von denen getan werden muss, die legal in Deutschland sind, bedeutet ja, dass nicht jeder den Job finden kann, den er sich wünscht, sondern dass es dabei auch eine gewisse Zumutung geben kann.

    Heinlein: Wie wollen Sie denn diese ganzen Wohltaten – einige Punkte haben Sie gerade genannt – finanzieren? Begeben Sie sich damit nicht in die Gefahr, mehr zu versprechen als sie am Ende letztendlich halten können angesichts dieser maroden Haushaltssituation?

    Müntefering: Nein. Genau das ist ja nicht der Fall, sondern wir haben das natürlich durchgerechnet. Nun ist das etwas, was im Verlauf einer Legislaturperiode passieren muss. Das was ich eben beschrieben habe für die steuerlichen Vergünstigungen beim Modernisierungsaufwand ist natürlich etwas, was sich selbst finanziert, weil es damit zusätzliche Arbeit gibt, weil es an der Stelle zusätzliche Steuern und auch Sozialversicherungsbeiträge gibt. Wir haben aber an einer Stelle ja sehr markant gesagt, da sollen die Höchstverdiener, die als Verheiratete mehr als 500.000 Euro im Jahr verdienen, zusätzliche Lohnsteuer zahlen und da nehmen wir eine gute Milliarde ein, um die einzusetzen für Betreuung, für die Kleinen, für Bildungsfragen. Das ist also auch ein wichtiger Punkt dabei!


    Heinlein: Warum kommen Sie denn jetzt erst auf diese Idee der Reichensteuer? Sie hatten doch sieben Jahre Zeit gehabt, diese Forderung der Linken umzusetzen?

    Müntefering: Dieses Wort Reichensteuer stammt von Ihnen, aber sei es drum. Wir wollten den Spitzensteuersatz auf 45 Prozent senken. Da haben CDU/CSU es im Vermittlungsausschuss durchgedrückt, sie auf 42 Prozent zu setzen. Auf den waren wir ja immer angewiesen. Jetzt im Augenblick sind wir dabei, ihn auf 36 Prozent zu senken. Das heißt nach all dem, was Sie jetzt im Moment fragen, bin ich ganz gespannt, was es nächste Woche dann bei dem CDU-Programm gibt, die die Mehrwertsteuer erhöhen, die den Spitzensteuersatz weiter senken, die dafür aber die Steuerfreiheit für die Nachts-, Feiertags- und Sonntagszuschläge wegnehmen wollen, die also den Busfahrer und die Krankenschwester in besonderer Weise belangen wollen. Ich glaube, dass unser Programm schlichtweg gerechter ist. Wenn man gerecht versteht als den Versuch, es allen recht zu machen, sage ich ja. Das ist genau so gemeint.

    Heinlein: Ist die SPD, Herr Müntefering, mit diesem Manifest noch die Partei der neuen Mitte, oder nun die Partei der linken Mitte, wie man zuletzt ja immer häufiger hört?

    Müntefering: Na gut, das sind so Fragen von Definitionen. Ich weiß nicht, darüber kann man sich lange streiten. Jedenfalls schwenken wir weder in die Ecke der sozialen Kälte, die rechts außen sich in diesem Lande aufmacht, der totalen Ökonomisierung, die ich bei Westerwelle, Merz und Merkel sehe, aber wir gehen auch nicht in die Ecke der populistischen Demagogen, wie Lafontaine und Gysi es sind, die Sachen versprechen, die man nicht machen kann. Wir machen einen Weg der Vernunft und vielleicht ist die Vernunft in der Mitte. Es kann schon sein, dass man das so beschreiben kann. Das ist etwas, was anstrengender ist, was weniger spektakulär ist, als die Extremen in der Politik es beschreiben, aber es ist ein Weg, der gut ist für das Land, der richtig ist für das Land. Wir versuchen, nicht Politik zu machen nach dem Motto wie hätten sie es gern oder wie stellen sich Wirtschaftsweise das vor, sondern wir wollen es so machen, dass wir das Land erfolgreich gestalten in der Wirtschaft, dass die Menschen aber alle auch davon etwas in gerechter Weise abbekommen. Das ist die Messlatte für den Erfolg unserer Politik für uns.

    Heinlein: Aber eine Frage bleibt, Herr Müntefering. Wie wollen Sie denn Ihr Reformprogramm umsetzen nach einem möglichen Wahlsieg, denn die satte Mehrheit der Union im Bundesrat bleibt ja bestehen?

    Müntefering: Ja, aber wenn wir in diesem Herbst gewinnen. Und die Chance ist da. Im Moment liegen wir zurück. Das wissen wir. Wir kämpfen aber und ich sage Ihnen, wenn wir die Wahl für uns entscheiden, für diese rot/grüne Koalition entscheiden, die dann fortgesetzt werden kann, dann wird es ganz sicher so sein, dass sich einiges in der politischen Landschaft in Deutschland verändert. Da werden die smarten Ministerpräsidenten von CDU/CSU im Bundesrat ganz sicher nicht vier Jahre darauf warten, dass Frau Merkel ihnen sagt, was sie zu tun haben. Die Länder, die Bundesländer sind zu siebt jenseits eines verfassungsgemäßen Haushalts. Bald werden es elf sein. Die wissen auch, dass bestimmte Dinge passieren müssen, um neue Stabilität in die Politik zu bekommen. Ich bin ganz sicher: Im Bundesrat kann man vielleicht ein Jahr lang vor der Bundestagswahl, so wie es im Augenblick passiert, die Dinge verschieben, aber das wird nicht vier Jahre so sein. Ich bin deshalb sicher: Ein Wahlsieg bedeutet für uns auch, dass sich dort etwas tut. Hinzu kommt, dass wir in Sachen Föderalismus auf gutem Wege waren und das müssen wir auch weiter machen. Wir müssen unsere Demokratie neu organisieren, sie transparenter machen. Der, der bei der Bundestagswahl gewinnt, der demokratisch legitimiert die politische Macht hat, der muss auch regieren können. Das darf nicht so sein wie heute, dass in der dunklen Kammer dann des Vermittlungsausschusses die Sachen verschoben werden.

    Heinlein: Kurz noch zum Schluss: Oder bleibt eine große Koalition der Notausgang, um die angestrebten Reformen umzusetzen?

    Müntefering: Wir zielen auf unsere eigene Stärke. Wir haben eine klare Präferenz, diese Koalition fortzusetzen. Das wird dann allerdings ein hartes Verhandeln miteinander werden über den richtigen Weg. Alles andere überlassen wir den Wählerinnen und Wählern.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der SPD-Partei- und –Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Müntefering: Ja, auf Wiederhören!
    Bundeskanzler Gerhard Schröder und der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering zu Beginn des Treffens des erweiterten Parteivorstandes im Willy-Brandt-Haus in Berlin
    "Vertrauen in Deutschland" heißt das Wahlmanifest der SPD. (AP)