Wuppertal-Elberfeld, ein heißer Junitag kündigt sich an. Safeta Obhodjas wählt einen Tisch vor einem Eiscafé – direkt neben einer Kirche, in der sie vor kurzem eine Lesung organisiert hat, aus Solidarität mit Raif Badawi, der seit drei Jahren inhaftiert ist - wegen Beleidigung des Islams. Safeta Obhodjas bestellt Kaffee und stilles Wasser und sagt:
"Ich weiß, wie Mütter ihre Söhne erziehen zu Paschas und ihre Töchter, gehorsam zu sein. Und das wollte ich auch thematisieren in meiner ersten Geschichte in Deutschland. Und ich muss sagen, ich hatte kaum Erfolg damit. Das wollte Multi-Kulti-Klientel gar nicht hören."
Safeta Obhodjas ist vor über 20 Jahren nach Wuppertal gekommen. 1992 im Balkan-Krieg ist die Muslimin mit ihrer Familie aus Bosnien geflohen. Schon dort hatte sie sich als Schriftstellerin für Frauen stark gemacht. Heute ist sie 65 Jahre alt und sieht muslimische Frauen in der Verantwortung – auch für Übergriffe von Männern, wie etwa in der Silvesternacht in Köln:
"Diese jungen Männer erfahren von ihren Müttern und Großmüttern, dass Frauen, die keine Kopftücher tragen, die sich nicht anständig anziehen, dass sie Freiwild sind."
Enttäuscht von muslimischen Männern
Die muslimischen Frauen erziehen ihre Söhne und Töchter, sagt Safeta Obhodjas. Sie hat selbst zwei erwachsene Kinder. Eine Tochter lebt inzwischen in den USA, aber für die Schriftstellerin ist Wuppertal zur neuen Heimat geworden, hier engagiert sie sich. Von den meisten muslimischen Männern ist sie enttäuscht.
"Wo sind Männer? Entweder in der Moschee, oder in einer Spielhalle oder in einer Kneipe, wo sie Shisha und Drogen und weiß ich nicht."
Die Tische im Eiscafé füllen sich nach und nach, aber Safeta Obhodjas scheint es nicht zu stören, wenn die Cappuccino-trinkenden Senioren mithören können. Viele Muslime – Männer, aber auch Frauen und Kinder – sind in den vergangenen Jahren nach Deutschland geflüchtet. Sie bringen ihre Rollenbilder mit, ist sich die Schriftstellerin sicher.
"Sehen Sie sich um! Alle sind Kopftuchträgerinnen, alle haben drei, vier, fünf Kinder. Erwarten wir von diesen Frauen, dass sie sich um Kinder kümmern können und gleichzeitig sich integrieren?"
Wie diese Frauen ist Safeta Obhodjas selbst als Muslimin mit Kindern nach Deutschland geflohen. Als Bosnierin sei die Situation für sie allerdings anders gewesen:
"Wir konnten uns doch frei von Islam entwickeln, was in der arabischen Welt, teilweise auch in der türkischen Welt, nicht möglich war."
Kritik an islamkonformer Mode
Dabei sind wichtige Themen für Safeta Obhodjas: das Kopftuch und der Schleier. Sie selbst trägt – wenig überraschend – nichts dergleichen. Sondern sie kritisiert muslimische Frauen, die sich für das Kopftuch aussprechen – und große Modekonzerne, die sogenannte islamkonforme Mode für sich entdeckt haben.
"Jetzt auf einmal machen sie große Umsätze, schlagen viel Kapital aus Frauenmode und damit betonieren sie praktisch Frauen in diese Rolle ein. Niemand soll mir sagen, dass Frauen das freiwillig tun."
Zwischendurch nippt Safeta Obhodjas immer wieder vorsichtig an ihrem Wasserglas. Sie kritisiert Deutsche, kritisiert Muslime, kritisiert deutsche Muslime. Das macht sie schon sehr lange, nur sehr lange habe ihr auch kaum jemand zuhören wollen.
"Sobald ich Medien angesprochen haben oder diese Multi-Kulti-Institutionen besonders, wurde ich immer abgelehnt. Diese Erfahrungen wie ich haben viele engagierte Musliminnen kennengelernt."
Ein Lektor wollte ein Buch bei ihr bestellen, erzählt Safeta Obhodjas. Die Geschichte: Ein christlicher Serbe und eine muslimische Bosnierin verlieben sich, gegen alle Widerstände. Aber so eine "Multi-Kulti-Romanze" wollte die Autorin nicht schreiben. Sie arbeitete lieber weiter als Putzfrau.
"Viele, die links oder grün orientiert waren, sie dachten Ex-Jugoslawien wäre ein Konglomerat der Religionen und Kulturen, wir hatten uns alle lieb. Die wollten mich nicht mehr einladen, weil ich eine andere Geschichte erzählt habe, eine ganz andere Geschichte, die sie nicht kannten und nicht kennenlernen wollten."
"Die Generation über 40 ist verloren"
Eine Geschichte davon, wie schwer es viele muslimische Frauen haben. Inzwischen unterstützen einige kleine Verlage die Schriftstellerin. Ihr Roman "Die Bauchtänzerin" ist als E-Book erschienen, nach der Sommerpause wird in Wuppertal ein Theaterstück von ihr uraufgeführt: "Funken aus dem toten Meer." Die Autorin freut das, aber sie bezweifelt dennoch, gesellschaftlich etwas bewegen zu können.
"Für die ältere Generation, für meine Generation, die ist so verkrustet, und sogar alles über 40, das ist schon verloren. Aber ich versuche, den Jüngeren ein bisschen Mut zu machen. Es lohnt sich, zu kämpfen."
Deshalb geht Safeta Obhodjas in Schulen, erzählt dort ihre Geschichte und ihre Geschichten. Sie macht mit bei Theater- und Integrationsprojekten – und hat dabei besonders junge Muslime im Blick.
"Wie können wir eine neue Generation erziehen, die bereit ist, in ihrer sozialen Umgebung zu agieren und ihren Müttern und ihren Vätern zu widersprechen und gleichzeitig einen Platz in der deutschen Gesellschaft zu suchen? Das ist sehr, sehr komplex."
Bei dieser schwierigen Aufgabe hofft die 65-Jährige auf gesellschaftliche Unterstützung. Die bekommt sie von einigen Privatpersonen, inzwischen auch von einer Künstlerorganisation und einer Stiftung.
"Die Gesellschaft muss auch bereit sein, diejenigen, die sich wirklich – ich will nicht sagen integrieren – sondern die bereit sind, auf beiden Seiten zu leben und zwischen diesen beiden Seiten zu vermitteln, sie zu unterstützen, wenn sie sich auch kritisch äußern."
Die Schriftstellerin verbirgt nicht, dass sie sich viel mehr Unterstützung für sich und ihre Anliegen gewünscht hätte – besonders von Frauen.
"Ich habe bis jetzt nie erlebt, dass eine Kosmopolitin oder eine Feministin mich unterstützt hat. Deutsche Frauen, wenn sie dich nicht gerade exotisch sehen, dann sehen sie dich als Konkurrenz. Dann bist Du erledigt."
Safeta Obhodjas pendelt zwischen Energie und Entmutigung. Sie klopft kämpferisch auf den Plastiktisch, im nächsten Moment winkt sie mit beiden Armen heftig ab – als würde sie die Dauerdebatten – Islam, Integration, Frauen – von sich schieben, sich von der Last befreien.
"Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, aber ich glaube auch nicht, dass wir in absehbarer Zeit etwas da ändern können."