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Mythos Krim (1/5)
Ein Tataren-Bataillon in Wartestellung

Für die Krimtataren steht fest: Die Krim gehört zur Ukraine. Die Annexion durch Russland wollen sie nicht akzeptieren. Auf dem ukrainischen Festland unterhalten sie ein eigenes Bataillon, das sich für einen möglichen russischen Angriff rüstet.

Von Gesine Dornblüth | 27.11.2017
    Menschen halten eine Flagge der Krimtataren in Händen. Sie erinnern in Kiew an den 70. Jahrestag der Krim-tatarischen Deportation. (Archivbild 2014)
    Die Flagge der Krimtataren, in der Ecke das Siegel einer krimtatarischen Herrscherfamilie. ( ITAR-TASS / Zurab Dzhavakhadze)
    Abdurachman, Anfang 20, steigt die Holztreppe hinauf auf den Wachtturm. Er trägt ein T-Shirt vom "StrongmanRun" – ein Hindernislauf – in der Schweiz 2013. Er hat es geschenkt bekommen.
    "Das ist atmungsaktiv, aus gutem Material. Hier ist es mitunter sehr heiß."
    Durch ein Fernrohr ist eine Brücke zu sehen, darauf wehen die ukrainische und die russische Fahne. In der Mitte beginnt die Krim.
    "Die Brücke ist bis zur Hälfte unser Gebiet. Dahinter stehen schon die Besatzer mit ihrem ersten Kontrollposten. Dahinter kommt ihre Passkontrolle."
    Krimtataren wollen Mitsprache
    Abdurachman ist Freiwilliger im krimtatarischen Bataillon "Asker". Das Lager – ein paar Armeezelte, der Wachturm – liegt direkt an der Straße, die von der Ukraine zur Brücke auf die Krim führt. Wer von dieser Seite kommt, hat bereits einen Checkpoint der ukrainischen Armee mit Schützengräben und einem Panzer passiert. Das Bataillon gehört aber nicht zur ukrainischen Armee, sondern wird von einem krimtatarischen Unternehmer aus Kiew unterhalten. Dessen Radiosender ATR dudelt in krimtatarischer Sprache aus einem Transistorradio.
    Eine Brücke quert einen Flussder die Krim und die Ukraine trennt.
    In der Mitte der Brücke beginnt die Krim. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    Die Krimtataren sind Muslime und herrschten jahrhundertelang über die Halbinsel. 1783 eroberte das Russische Kaiserreich die Krim, später wurde sie Teil der Sowjetunion. Bis heute betrachten sich die Krimtataren als angestammtes Volk und beanspruchen Mitsprache, wenn es um die staatliche Zugehörigkeit der Krim geht. Sie wollen eine Autonomie der Halbinsel innerhalb des ukrainischen Staates. So wie es vom Ende der Sowjetunion an bis zum Frühjahr 2014 war – als Russland die Krim annektierte. Und sie sind diejenigen in der Ukraine, die am aktivsten daran arbeiten, die Krim zurückzugewinnen.
    Von der Chorleiterin zur Kämpferin
    Ein Jeep fährt vor. Eine Frau in schwarzer Uniform steigt aus. Sie trägt einen Aufnäher mit dem Namen "Asker" und das blau-gelbe Abzeichen der Ukraine auf der Schulter. Ihr langes Haar steckt unter einer Schirmmütze. Ihre Augen sind geschminkt, die Brauen gezupft. Ewelina Arifowa ist 33 Jahre alt.
    "Jetzt ist eine Zeit, da zeigen sogar muslimische Frauen Stärke. Wir müssen kämpfen."
    Ewelina Arifowa war Chorleiterin und Webdesignerin. Das war vor der Annexion der Krim. Dann wurde sie politisch aktiv. Sie gehörte zu den Tataren, die 2015 die Stromleitung vom ukrainischen Festland auf die Krim kappten. Tagelang fiel daraufhin auf der Halbinsel der Strom aus.
    "Das war an meinem Geburtstag. Es war mein schönstes Geschenk."
    Ewelina Arifowa setzt sich an einen langen Tisch in einem Unterstand, gießt sich Tee ein. An der Wand steht "Fuck Russia".
    "Die Bewohner der Krim selbst haben uns gebeten, das Wasser, den Strom zu blockieren. Sie haben gesagt: Die Krim kehrt zurück in die Ukraine, wenn wir kein Wasser, keinen Strom, keine Lebensmittel mehr bekommen."
    Eine ältere Frau hält ein Poster in den ukrainischen Nationalfarben blau und gelb hoch, auf dem steht: "Krim - Ukraine".
    Eine ältere Frau demonstriert für die Einheit der Ukraine mit den Worten "Krim - Ukraine" (picture alliance / dpa / Artur Shvarts)
    Eine Fehleinschätzung. Ewelina Arifowa glaubt, dass die Lage schon bald weiter eskaliert. Sie, die Krimtataren, stünden dann bereit, einen Angriff der Russen abzuwehren.
    "Die Russen werden versuchen, einen Landweg auf die Krim zu erobern. Jetzt fängt der Winter an mit seinen Stürmen auf dem Meer. Dann fährt die Fähre nicht. Sie werden die Krim nicht versorgen können. Daher wird der russische Geheimdienst versuchen, hier Provokationen anzuzetteln und einen zweiten 'russischen Frühling' hervorzurufen."
    "Im Donbass ist Krieg. Er kann auch hier anfangen."
    Bislang deutet nichts darauf hin. Im Lager ist es ruhig. Der Tag vergeht mit Alltagsarbeiten. Abdurachman geht die Hühner füttern. Hinter den Zelten liegt Schrott. Etwas weiter sind Schützengräben ausgehoben.
    "Im Donbass ist Krieg. Er kann auch hier anfangen."
    Auf einer Leine hängen vier Garnituren Unterwäsche. Wie viel Mann das Bataillon zählt, will hier niemand verraten.
    In einem Verschlag flattern ein paar Hühner umher, die Schafe drängen sich gegen die Bretterwand. Abdurachman zeigt auf ein Plakat. Darauf ein Porträt in schwarz-weiß. Der Mann trägt einen Schnauzer und die Fellmütze der Krimtataren. Es ist Noman Celebicihan. 1917 gründete er die krimtatarische Republik.
    "Er war der erste krimtatarische Mufti. Vor hundert Jahren hat auch er hier ein Bataillon gegründet."
    Die Republik der Krimtataren war nicht von Dauer. Nach einem Monat marschierten die Sowjets auf der Krim ein. Celebicihan wurde verhaftet, in Sewastopol ins Gefängnis gesteckt und fünf Jahre später hingerichtet. 1944 ließ Stalin die Krimtataren von der Krim nach Zentralasien deportieren: Zigtausende kamen dabei ums Leben. Erst Ende der 80er Jahre durften die Krimtataren in ihre Heimat zurückkehren. In der Ukraine waren ihre Rechte geschützt. Deswegen kämpft Abdurachman dafür, dass die Halbinsel wieder zur Ukraine gehört:
    "Unsere Vorfahren haben schon immer um unser Land gekämpft. In mir fließt das gleiche Blut. Ich möchte Rache nehmen für meine Großväter und Großmütter, die deportiert wurden. Für meine Väter, die in der Fremde aufwuchsen."