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Mythos Krim (3/5)
Ungeliebtes Ukrainisch

Seit der Krim-Annexion 2014 haben die Ukrainer einen schweren Stand auf der Halbinsel. Sie werden diskriminiert, Ukrainisch hört man kaum noch. Aber manche setzen noch immer bewusst auf die ukrainische Kultur und Sprache – trotz großer Widerstände.

Von Gesine Dornblüth | 29.11.2017
    Studenten am Lehrstuhl für Ukrainistik der Universität von Simferopol
    Die Ukrainistik an der Universität in Simferopol wurde auf 15 Studienplätze verkleinert. Russisch studieren drei Mal so viele. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    Die Universität Simferopol. Ein Kurs für Erstsemester am Lehrstuhl für ukrainische Sprache und Literatur. 14 Mädchen und ein Junge sitzen an Zweiertischen und schreiben mit. Es geht um den Wortschatz der ukrainischen Sprache. Der Dozent spricht ukrainisch.
    In einer Ecke steht das Modell eines Ofens, weiß mit roten Verzierungen, neben der Tafel ein Spinnrad, auf den Fensterbänken leuchten Getreidegarben. Alles soll an die traditionelle Ukraine erinnern.
    Dschewair Bekirowa sitzt in der ersten Reihe. Sie ist Krimtatarin, 18 Jahre alt, wurde auf der Halbinsel geboren.
    "Ich mag die ukrainische Sprache sehr. Sie scheint mir weicher als die russische. Ich mag alles, was mit der Ukraine zusammenhängt. Ich gucke auch immer noch ukrainisches Fernsehen."
    Zu Hause wird noch Tatarisch gesprochen
    Mit ihren Eltern spricht sie Tatarisch – eine Turksprache, mit den Freunden Russisch.
    "Ich hatte in der Schule ab der ersten Klasse Ukrainisch. Wir haben ja in einer ukrainischen Gesellschaft gelebt. Aber 2014 war dann das Referendum, Russland kam auf die Krim, und von da an war der Ukrainisch-Unterricht nur noch freiwillig. In der 11. Klasse wurde er an meiner Schule gar nicht mehr angeboten. Aber ich kritisiere Russland nicht, nie."
    Das ist auch nicht ratsam. Mehrere Krim-Bewohner, die sich offen gegen die Annexion ihrer Heimat durch Russland gestellt haben, sind verschwunden oder in Haft. Viele Ukrainer haben die Halbinsel verlassen, dafür ziehen Russen nach. Sie stellen ohnehin seit Jahrzehnten die Mehrheit. Die Studentin Dschewair möchte trotzdem bleiben und Lehrerin oder Übersetzerin werden.
    "Meine Freunde haben mich für verrückt erklärt. Die haben gefragt: Was willst du denn später mit Ukrainisch anfangen? Ich hoffe, alles läuft gut, und die Lehrer mögen mich."
    Ukrainisch hört man kaum noch
    Immerhin ist Ukrainisch – neben Russisch und Krimtatarisch – offizielle Amtssprache auf der Halbinsel. Aber man hört die Sprache kaum noch. Nach der russischen Annexion 2014 wurde auch die Ukrainistik in Simferopol stark verkleinert auf 15 Studienplätze. Russisch studieren drei Mal so viele.
    Im Nachbarraum versammeln sich unterdessen Hochschullehrer und Studierende zu einem kleinen Festakt. Sie feiern den Geburtstag des längst verstorbenen Lehrstuhlgründers. Auch einige ukrainische Schriftsteller sind gekommen.
    Ein Mann Mitte 60 huscht hin und her, lächelt, schüttelt Hände. Wiktor Gumenjuk leitet den Ukrainisch-Lehrstuhl seit vielen Jahren. Ukrainische Literatur ist seine Leidenschaft. Er zeigt auf Schwarz-Weiß-Porträts von Gelehrten an den Wänden. Es sind Schriftsteller, die auf Ukrainisch über die Krim geschrieben und teils auch auf der Krim gelebt haben.
    "Hier ist zum Beispiel Iwan Karpenko-Karij, er hat ein Theaterstück über Sewastopol und viele weitere über die Krim geschrieben. Hier ist Mykola Serow, ein Dichter. Er gehörte zur Neoklassik der 1920er Jahre. Die Neoklassiker liebten die Antike, und deren Geist haben sie auf der Krim gespürt. Stepan Rudanskij, unser herausragender Dichter, er war Stadtarzt von Jalta und ist auch dort begraben."
    Als das Mikrophon ausgeschaltet ist, flüstert Gumenjuk: Bitte stellen Sie keine politischen Fragen.
    Ukrainier müssen sich anpassen
    Im Raum gegenüber sammeln sich unterdessen Politik-Studenten. Sie sprechen Russisch. In ihrem Seminar geht es um das Miteinander in multiethnischen Gesellschaften. Ein Beamer wirft das Thema des Tages an die Wand: "Der Genozid an den Juden auf der Krim im Zweiten Weltkrieg". Sergej Kondraschow trägt ein T-Shirt mit einem Wolfsgesicht darauf.
    "Heute wird auf der Krim niemand mehr unterdrückt, es ist absolut tolerant hier. Die jungen Ukrainer assimilieren sich sehr schnell."
    Sie müssten sich an Russland anpassen, meint Sergej. Sergej stammt aus dem russischen Samara. Er sei auf die Krim gekommen, erzählt er, weil es hier leichter sei, einen Studienplatz zu bekommen. Für die ukrainische Sprache, die auf demselben Flur unterrichtet wird, interessiert er sich nicht die Bohne.
    "Das ist eine Kunstsprache. Das Ukrainische hat der Menschheit nichts gebracht."
    Der Festakt für den Gründer des Ukrainisch-Lehrstuhls ist mittlerweile zu Ende, die Dozenten und ihre Gäste versammeln sich im Sekretariat. Ein Tisch ist gedeckt. Es gibt Butterbrote, Bonbons, Obst, Tee und Konjak. Die Ignoranz von Studenten wie Sergej gegenüber der ukrainischen Sprache sei typisch, sagt der Schriftsteller Wiktor Stus. Ganz vorsichtig äußert er seine Kritik.
    "Ukrainer können zwar Russisch, Russen können aber kein Ukrainisch. Dieses Problem gab es schon immer, und jetzt hat es sich verschärft. Wir haben aber offiziell drei Amtssprachen auf der Krim. Dann wäre es doch nur korrekt, wenn auch die Russen Ukrainisch könnten, so wie die Ukrainer Russisch können. Dann wäre alles in Ordnung."