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Nabu-Energieexperte: Netzausbau nicht den Netzbetreibern überlassen

Die Umweltverbände sind für einen Ausbau der Stromnetze, um erneuerbare Energien besser integrieren zu können, betont Carsten Wachholz vom Naturschutzbund Deutschland. Ein Beschleunigungsgesetz jedoch schränke die Klage- und Beteiligungsrechte noch weiter ein.

Carsten Wachholz im Gespräch mit Britta Fecke | 23.03.2011
    Britta Fecke: Die Katastrophe von Fukushima hat direkte Auswirkungen auf die Atomdebatte in Deutschland. Nicht nur, dass alte Meiler zeitweise vom Netz genommen wurden, auch der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen soll nun beschleunigt werden. Ob es zu einer tatsächlichen Wende in der Energiepolitik kommt, bleibt die eine oder andere Wahl abzuwarten, aber es gibt schon konkrete Konzepte, um den Bau neuer Stromleitungen zu beschleunigen. Dieser Ausbau der Netze ist eine der Voraussetzungen, um den steigenden Anteil an Strom aus Windkraft von der Küste nach Süddeutschland zu transportieren. Ich bin jetzt verbunden mit Carsten Wachholz, Energieexperte beim Naturschutzbund Deutschland. Herr Wachholz, auch die Umweltverbände haben einen höheren Anteil bei der Stromproduktion aus der erneuerbaren Energie immer gefordert. Für die stärkere Nutzung der erneuerbaren Energien bedürfte es aber eines raschen Ausbaus der Hochspannungsnetze. Warum sind Sie aber gegen das Konzept der Regierung und gegen das sogenannte Netzausbau-Beschleunigungsgesetz?

    Carsten Wachholz: Guten Tag, Frau Fecke! Ja, die Umweltverbände sind ganz klar auch für einen Netzausbau zur besseren Integration der erneuerbaren Energien. Allerdings wird die Debatte immer sehr verkürzt geführt auf der Höchstspannungsebene, wie schaffen wir es, den Offshore-Wind in den Süden der Republik zu schaffen. Es ist eigentlich wesentlich komplizierter, weil ein Großteil der erneuerbaren Energien auf der regionalen Ebene, zum Beispiel durch Fotovoltaik- oder Biomasse-Anlagen, in die Verteilernetze eingespeist werden. Dafür hat die Bundesregierung bis heute kein Konzept, die stärker auf einen dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energien setzt. Wir fragen aber, also wir stellen nicht den Netzausbau an sich in Frage, sondern wir stellen die Frage, brauchen wir dafür ein Beschleunigungsgesetz, denn die Klage- und Beteiligungsrechte gerade auch der Umweltverbände sind seit den 90er-Jahren in diesen Verfahren immer weiter eingeschränkt worden, zuletzt erst durch das Energieleitungs-Ausbaugesetz 2009, und trotzdem kann man festhalten, obwohl der politische Wille da war, sind kaum neue Leitungen gebaut worden, und dort wehren wir uns sozusagen, dass einerseits Akzeptanz gefordert wird, andererseits eben sozusagen die Verfahren noch intransparenter und verkürzter geführt werden.

    Fecke: Sie sagten gerade, es wird ja auch sehr viel regional Strom produziert. Dennoch die Frage: Wenn jetzt tatsächlich sehr viele Kraftwerke, Atomkraftwerke vom Netz gehen würden, bräuchten wir doch einen Ausbau von Offshore-Parks, das heißt es müssten mehr Netze zur Verfügung gestellt werden. Jetzt ist es immer so ein scheinbarer Widerspruch, dass die Umweltverbände den Ausbau der Erneuerbaren fordern, auch im großen Maße, aber es kommt dann zu Sperrungen oder zu Protesten beim Ausbau dieser Überlandleitungen. Können Sie mir diesen Widerspruch ein bisschen auflösen?

    Wachholz: Der Protest richtet sich ja nicht spezifisch gegen neue Stromleitungen, sondern eigentlich generell gegen neue Infrastrukturmaßnahmen. Das können Industrieanlagen sein, neue Kohlekraftwerke, Stuttgart 21, aber eben auch Biogasanlagen oder Stromnetze. Der Widerstand wird in der Regel durch Bürgerinitiativen vor Ort getragen, die sich natürlich umschauen, welche rechtlichen Instrumente haben sie denn. Und die schärfsten Schwerter sind dort der Emissionsschutz und der Naturschutz. Und damit kommen natürlich auch die Umweltverbände ein wenig in die Zwickmühle, weil sie gucken müssen aus Umweltsicht, wie sind denn die kumulativen, also wenn man alle Wirkungen quasi zusammenführt, eigentlich zu bewerten. Und natürlich haben wir schon bereits durch den Straßenverkehr und andere Dinge mit einer Zerschneidung unserer Landschaft, mit einer Überprägung mit technischen Bauwerken zu tun, dadurch werden Lebensräume zerschnitten oder gehen komplett verloren, bedrohte Arten sind betroffen. Also man kann die Probleme nicht wegreden. Worum sich die Politik aber drückt ist, sozusagen eine solide Planungsgrundlage überhaupt erst mal zu schaffen, um den Bedarf für den Ausbau wo es geht zu reduzieren, wo es geht eben vorhandene Trassen zu erweitern und zu nutzen, und halt Alternativen bei den Technologien zu prüfen. All das wird im Moment alleine den Netzbetreibern überlassen. Das halten wir für keine demokratisch legitimierte Planungs- und Vorgehensweise.

    Fecke: Die Netzbetreiber sind ja relativ still im Moment, habe ich das Gefühl. Wie kommt das?

    Wachholz: Die Netzbetreiber gehören ja immer noch zu den großen Energiekonzernen, auch wenn sie organisatorisch jetzt eigenständige Gesellschaften sind. Das heißt, die Situation ist im Moment so, dass wenn zu viel Wind weht, sage ich jetzt mal plakativ, der Strom in die Netze nicht mehr aufgenommen werden kann, man die Windräder einfach aus dem Wind dreht. Das heißt, im Netz bleibt der vorhandene Atom- und Kohlestrom, den die großen Energiekonzerne dann vermarkten können. Wenn wir wirklich erfolgreich wären mit einem Netzausbau, würde der Vorrang der erneuerbaren Energien greifen. Das heißt, es gibt eine Abnahmegarantie für Strom aus Sonne, Wind und Biomasse. Das heißt, automatisch würden die Einnahmen der Energiekonzerne im Stromverkauf zurückgehen. Das ist für uns aus unserer Sicht der wesentliche Treiber, warum die Netzbetreiber eben diese Investitionen, die mit hohen Kosten verbunden sind, bisher nicht wirklich vorangetrieben haben.

    Fecke: Vielen Dank für diese Einschätzungen. Carsten Wachholz war das, Energieexperte beim Naturschutzbund Deutschland.