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Nach dem Atomabkommen
"Es gibt keine Sicherheitsarchitektur"

Ein Atomabkommen setzt dem Iran Grenzen, sagte der Politikwissenschaftler Volker Perthes im DLF. Der arabischen Welt aber bereitet etwas ganz anderes Sorge: Dass der Iran seine politische Macht in der Region ausbaut.

04.04.2015
    Volker Perthes sitzt bei einer Rede hinter einem Schild mit seinem Namen
    Der Politikwissenschaftler Volker Perthes. (imago/eventfotografen.de)
    Saudi-Arabien und die anderen arabischen Staaten hätten die Befürchtung, so der Direktor der "Stiftung Wissenschaft und Politik", dass sich das iranisch-amerikanische Verhältnis ebenso wie das iranisch-europäische Verhältnis nach der Vereinbarung von Lausanne weiter verbessern könnten. Dass der Iran aus der Isolation herausfinde und noch mehr Einfluss im Irak, in Syrien und im Jemen geltend machen könnte.
    Perthes hob hervor, dass es zwischen den wesentlichen Antagonisten in der Region - darunter der Iran, Israel und Saudi-Arabien - bis heute keine nennenwerte Sicherheitsarchitektur gebe. Es fehle an vertrauensbildenden Maßnahmen und an Austausch, gerade was die Themen Rüstung/Abrüstung angehe. Ein Beispiel sei etwa die Regelung der Schifffahrt im Persischen Golf. Es gehe darum, so Perthes, dass sich die Staaten in der Region untereinander besser verständigten.
    Auf die Frage, ob das Atomabkommen das Überleben Israels gefährde, entgegnete Perthes, dass es sich dabei um einen Glaubenssatz von Israels Ministerpräsident Netanjahu handle. Diese Überzeugung teilten Generäle und Chefs der Geheimdienste eher nicht. Auch ignoriere eine solche Haltung, dass das Abkommen dem Iran Grenzen setze. Ohne Abkommen, unterstrich Perthes, hätte der Iran überhaupt keine Grenzen für den Ausbau seines Atomprogramms.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Die Einigung im Atomstreit wirkt noch nach – in jeder Beziehung. In den Vereinigten Staaten gibt es die Republikaner zu überzeugen, in Israel gibt es Widerstände, und ansonsten in der Welt, nun ja, gibt es auch Jubelszenen, zum Beispiel in Teheran. Über all das wollen wir reden und vor allen Dingen natürlich fragen, was hat das für Auswirkungen in der Region selbst und was können wir noch erwarten. Das alles wollen wir tun und durchmessen mit Volker Perthes, dem Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, den ich zunächst einmal herzlich begrüße. Guten Morgen, Herr Perthes!
    Volker Perthes: Ja, schönen guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Perthes, zunächst einmal, im Lichte der jetzt, und ich sage bewusst, der jetzt im Moment vorliegenden Ergebnisse – sind ja noch nicht ganz die endgültigen Details – sagt Israels Premierminister Netanjahu, unsere Sicherheit ist gefährdet. Sehen Sie das auch so?
    Perthes: Ich hab zunehmend das Gefühl, dass das ein Glaubenssatz von Premierminister Netanjahu ist, der auch von seinen Generälen, von ehemaligen Geheimdienstchefs, also von wirklichen Sicherheitsfachleuten in Israel nicht geteilt wird. Er ignoriert vollständig, dass das Abkommen, wie immer die Details aussehen werden, die nuklearen Fähigkeiten einschränkt, die nuklearen Fähigkeiten Irans einschränkt, dass es Grenzen setzt, denn ohne ein Abkommen hätte eben Iran keine Grenzen für den Ausbau seines Nuklearprogramms.
    Zurheide: Jetzt ist das möglicherweise der Sonderfall Israel, aber das ist ja, in Anführungsstrichen, ohne das jetzt allzu sehr zu werten, "nur ein Fall" im Nahen Osten. Es gibt ja eine ganze Menge von Dingen, die wir berühren müssen. Da ist das Verhältnis USA–Iran, da gibt es tendenziell eine Annäherung. Dann gibt es auf der anderen Seite das Verhältnis der USA zu Saudi-Arabien und anderen bisherigen Verbündeten, da könnte es zu einer Entfernung kommen, denn auch da gibt es kritische Stimmen. Sind das wirklich kommunizierende Röhren oder ist dieser ganze Denkansatz falsch aus Ihrer Sicht?
    Perthes: Na ja, die kommunizieren, aber sie kommunizieren nicht unbedingt symmetrisch. Ich glaube, Sie haben schon das Richtige angesprochen: Es gibt Verbündete der USA im Nahen Osten, insbesondere Saudi-Arabien und andere arabische Staaten, die nicht so sehr über das Nuklearprogramm Irans besorgt sind – die sehen durchaus, dass das Abkommen den Iran dazu verpflichtet, weniger Zentrifugen laufen zu lassen und so weiter –, sondern die einfach über die Verbesserung, die vermutete Verbesserung des iranisch-amerikanischen und iranisch-europäischen Verhältnisses besorgt sind und das Gefühl haben, dass Iran sich jetzt zur dominanten Macht am Persischen Golf entwickeln würde. Dafür braucht Iran keine Atombombe, aber wenn es raus ist aus der Isolation, wenn es keine Sanktionen mehr gibt, wenn die iranische Wirtschaft aufblüht, wenn Iran möglicherweise auch seine konventionelle Stärke ausspielt, mehr Einfluss nimmt im Irak, in Syrien, im Jemen, das ist, was die Saudis zum Beispiel oder die Emiratis tief besorgt.
    "Wir sollten vorsichtig mit dem Begriff des Stellvertreterkrieges sein"
    Zurheide: Jetzt haben Sie den Jemen gerade schon gesprochen, diese Art von Stellvertreterkriegen, wird das eher beflügelt oder wird das behindert dadurch, dass es eine Annäherung gibt. Also in welche Richtung, glauben Sie, wird das laufen? Und es ist ja die Frage, ob immer dann nur der Iran der Hauptakteur ist oder ob nicht andere auch ein Stück weit zündeln.
    Perthes: Erstens sollten wir vorsichtig sein mit dem Begriff des Stellvertreterkrieges. Zunächst einmal ist im Jemen dies ein Krieg von Jemeniten gegen Jemeniten, wo unterschiedliche Fraktionen sich zu unterschiedlichen Zeiten Unterstützung aus Saudi-Arabien, aus Iran, aus anderen Ländern besorgt haben. Aber zweitens, wir wissen es einfach nicht, beides ist tatsächlich möglich. Man kann sagen, wenn der Iran – das ist sicherlich der Wunsch von Präsident Rohani –, wenn der Iran jetzt sein Verhältnis zum Westen verbessert, wird er auch die Chance nutzen, sein Verhältnis zur regionalen Umwelt zu verbessern, wird auf andere zugehen und könnte ein konstruktiverer Partner werden – im Irak, in Syrien, im Jemen und in anderen Konfliktgebieten. Und das andere Szenario, das gegenteilige Szenario, ist eben auch möglich, dass im Iran jetzt die Nationalisten Oberwasser bekommen und sagen, endlich hat der Westen anerkannt, dass wir die stärkste aller Parteien am Golf sind, und das zeigen wir jetzt auch mal unseren arabischen Nachbarn.
    Zurheide: Kommen wir mal zu der vielleicht allerwichtigsten Frage: Wie müsste denn überhaupt eine Sicherheitsarchitektur in der Region aussehen, gibt es die überhaupt, dass es Fortschritte gibt? Ich meine, in Europa haben wir es zumindest im Westen einigermaßen geschafft – Stichwort Ukraine lässt wieder zweifeln, wie weit das dann trägt –, aber gibt es eine Sicherheitsarchitektur für den Nahen Osten, von der Sie sagen, wenn wir das und das berücksichtigen, können wir einige Konflikte mindestens eindämmen?
    Perthes: Nein, es gibt bislang keine Sicherheitsarchitektur. Die Saudis versuchen gerade, so etwas wie eine arabische Allianz aufzubauen, das ist nicht das erste Mal, dass das in der arabischen Welt versucht wird, aber es gibt eben keine Sicherheitsarchitektur, die die Antagonisten irgendwie zusammenbringt – weder Araber und Israelis noch, was heute vielleicht der wichtigere Konflikt ist, Araber und Iraner. Da gibt es fast keine vertrauensbildenden Maßnahmen. Man hat so ein paar kleine Ansätze, etwa Abkommen über Frischwasserzufuhr von Iran nach Kuwait, aber in den harten sicherheitspolitischen Fragen, also wie regeln wir etwa die Schifffahrt im Persischen Golf, die sichere Zufuhr von Öl durch die Meerengen und so etwas, reden wir gemeinsam über Rüstung und Abrüstung, da gibt es noch gar nichts. Und wie müsste es aussehen? Es müsste vor allem getragen werden von den beiden derzeit stärksten Mächten am Persischen Golf und im Mittleren Osten, das ist Saudi-Arabien und Iran, die müssten vom Antagonisten zum Protagonisten, eine Art Östlichen-Mächte-Konzert werden.
    Perthes: Arabische Staaten haben ihre Kritik nach dem Abkommen zurückgeschraubt
    Zurheide: Wenn US-Präsident Obama jetzt zumindest die Golfstaaten nach Camp David einlädt, wird es vor allen Dingen darum gehen, das zu machen, was Sie gerade zum Schluss gesagt haben?
    Perthes: Ja, ich glaube, es ist vor allem ganz richtig, jetzt nicht nur für die Amerikaner, auch für die Europäer, dass wir mit unseren Freunden, unseren arabischen Freunden am Persischen Golf reden und sagen, es geht hier nicht um ein großes 'renversement des alliances', also es geht nicht darum, dass der Westen jetzt mit dem Iran eine Allianz aufbaut, sondern wir wollen mit allen regionalen Staaten gute Beziehungen haben, und dazu wäre es auch hilfreich, wenn ihr, die regionalen Staaten, untereinander ernsthafte, gute Sicherheitsbeziehungen miteinander aufbaut.
    Zurheide: Sehen Sie eine Chance dafür, dass es in diese Richtung sich entwickeln kann? Ist das Verständnis in der Region weit genug?
    Perthes: Es gibt einige Stimmen, zumindest aus Saudi-Arabien und den Emiraten, die, nachdem wir jetzt das Rahmenabkommen haben, ihre Kritik runtergeschraubt haben, die vorher sehr stark getönt haben, die hörten sich sehr ähnlich an wie der israelische Ministerpräsident, und die jetzt sagen, na ja, eigentlich ist das kein schlechtes Abkommen, wir müssen jetzt mit der Realität leben, und das heißt, wir müssen auch mit unseren Nachbarn leben. Die USA, wir verlassen uns nicht darauf, dass die ewig am Golf sind, aber der Iran wird auf ewig unser Nachbar bleiben, und damit müssen wir umgehen.
    Zurheide: Volker Perthes war das zu der neuen Lage im Nahen und Mittleren Osten. Herr Perthes, ich bedanke mich heute Morgen für dieses Gespräch, danke schön!
    Perthes: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.