Dienstag, 23. April 2024

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Nach den Wahlen in Ungarn
Ferber (CSU): Probleme in Osteuropa nicht nur auf Orbán projizieren

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber hat Victor Orbán gegen "Pauschalkritik" aus Europa verteidigt. Ungarn erfülle die Grundvoraussetzungen für einen demokratischen Rechtsstaat. Orbán sei mit einem fulminanten Ergebnis im Amt bestätigt worden - und man müsse auch in Zukunft mit ihm zusammenarbeiten.

Markus Ferber im Gespräch Dirk-Oliver Heckmann | 09.04.2018
    Orban steht im Dunkeln in Freien hinter zwei Mikrofonen und winkte mit erhobener Hand. Daneben zwei Frauen und drei Männer.
    Der ungarische Premierminister Victor Orban feiert am 8.4.2018 in Budapest mit politischen Weggefährten den Sieg seiner Fidesz-Partei bei der Parlamentswahl. (AFP / ATTILA KISBENEDEK)
    Dirk-Oliver Heckmann: Viktor Orbán hat es mal wieder geschafft. Zum vierten Mal wird der profilierte EU-Gegner Ministerpräsident Ungarns, denn die Ungarinnen und Ungarn machten seine Fidesz-Partei erneut zur stärksten Kraft, sogar deutlicher als erwartet. Mitgehört hat Markus Ferber von der CSU, langjähriger Vorsitzender der CSU-Gruppe im Europaparlament, nach wie vor Mitglied des Europaparlaments. Schönen guten Morgen. Herr Ferber, ist Viktor Orbán ein lupenreiner Demokrat?
    Markus Ferber: Ich weiß nicht, wie Sie auf diese Formulierung kommen. Die hat ein gewisser Gerhard Schröder von der SPD mal gegenüber einem Herrn Putin verwendet.
    Heckmann: Genauso ist es.
    Ferber: Ich benutze diesen Sprachgebrauch eigentlich nicht.
    Heckmann: Aber trotzdem: Was halten Sie von ihm und von seinem Kurs?
    Ferber: Viktor Orbán ist gestern wiedergewählt worden mit einem fulminanten Ergebnis. Er hat prozentual zulegen können, trotz höherer Wahlbeteiligung. Das wurde ja gerade in dem Bericht auch angesprochen. Von daher ist er der Wahlsieger und wird die nächsten vier Jahre in Ungarn regieren, und deswegen wird man mit ihm weiter zusammenarbeiten müssen. Er ist der demokratisch legitimierte Anführer Ungarns.
    Heckmann: … ist aber keine klare Antwort auf meine Frage.
    Ferber: Ich weiß nicht. Unterstellen Sie, dass Ungarn keine Demokratie ist?
    Heckmann: Die Frage, die stellt sich nicht nur mir und unseren Hörerinnen und Hörern, sondern auch der gesamten Europäischen Union.
    Ferber: Es hat bisher keiner infrage gestellt, dass in Ungarn demokratische Verhältnisse herrschen. Es hat keiner infrage gestellt, dass hier Ungarn die Grundvoraussetzungen eines demokratischen Rechtsstaats erfüllt. Darum bin ich etwas überrascht über diese Frage.
    "Komme mit Pauschalverurteilungen nicht weiter"
    Heckmann: Orbán höhlt die Gewaltenteilung aus, feiert die sogenannte illiberale Demokratie, gängelt die Medien, schwächt die Justiz. Das sind Beobachtungen, die nicht nur wir hier im Deutschlandfunk machen, sondern auch unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten. Und in Brüssel macht man sich erhebliche Sorgen und hat sogar Verfahren eingeleitet.
    Ferber: Verfahren hat man eingeleitet wegen Schwächung des Justizwesens in Polen und nicht in Ungarn. Verfahren hat man eingeleitet in Ungarn wegen Korruptionsfällen, auch Veruntreuung von EU-Geldern, und das ist ein ganz normaler Vorgang und das ist auch in Ordnung so, wenn hier Vorwürfe da sind. Aber diese Pauschalkritik kann ich so nicht ganz nachvollziehen. Das Justizwesens - da handelte es sich damals darum, dass bei Richtern, die noch unter der kommunistischen Ära in Amt und Würden gekommen waren, die Frage gestellt war, ob die im höchsten Gericht noch sitzen können, obwohl sie aus einem anderen System kommen. Sie müssen ja sehen, dass Ungarn eine andere Form der Befreiung vom Kommunismus hatte wie andere Länder. Damals wurde die ganze Nomenklatura in anderen Ländern weggewischt. In Ungarn war das nicht der Fall. Ich weiß nicht, ob die Ungarn besser gefahren wären, wenn im "höchsten Verfassungsgericht immer noch Personen der alten Nomenklatura weiter sitzen hätten dürfen. Bei dem Medienrecht will ich schon mal darauf hinweisen: Der "Blue Print", die Blaupause für das ungarische Mediengesetz ist das BBC-Mediengesetz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man den Briten unterstellt, dass die Pressefreiheit ausgehöhlt ist. Insofern sollten wir die Dinge immer etwas konkreter benennen. Mit diesen Pauschalverurteilungen komme ich wirklich nicht weiter.
    Der CSU-Politiker Markus Ferber 
    Der CSU-Politiker Markus Ferber (imago / reportandum)
    Heckmann: Das heißt, alles paletti in dem Bereich?
    Ferber: Das heißt nicht alles paletti, aber es muss schon mal konkret benannt werden. In Ungarn laufen nur Ermittlungsverfahren wegen Missbrauch von EU-Geldern, und das ist auch in Ordnung, dass das gemacht wird, weil wenn Geld missbraucht wird, dann muss dagegen vorgegangen werden.
    Heckmann: Viktor Orbán - das, denke ich, ist Konsens - fährt einen starken Anti-EU-Kurs. Er macht Stimmung gegen Muslime und Flüchtlinge, die er als Invasoren bezeichnet. Er will sich auch nicht an die beschlossene Verteilung von Flüchtlingen halten. Oder sehen Sie das auch anders?
    Ferber: Nein, das sehe ich nicht anders. Aber auch da ist er ja nicht allein in der Europäischen Union. Es ist ja nicht so, dass sein Nachbar in der Slowakei, ein Sozialdemokrat, Herr Fico, die Welt grundsätzlich anders sieht.
    "Probleme in Osteuropa auch geschaffen durch EU"
    Heckmann: Macht es das besser?
    Ferber: Nein! Ich will nur sagen, dass diese Solitärstellung, die da immer gemacht wird Richtung Orbán, nicht ausreichend ist. Ich glaube, wir müssen uns schon mal etwas tiefer mit den Problemen Mittelosteuropas beschäftigen und nicht immer vom hohen Ross herunter sagen, wir im Westen wissen alles besser. Wissen Sie, der Supereuropäer aus Paris, Emmanuel Macron, hat jetzt bei der sogenannten Entsenderichtlinie eine Abschottung Frankreichs vor ungarischen und anderen osteuropäischen Arbeitern durchgesetzt. Da sagt keiner, er wäre ein Antieuropäer, obwohl das nicht im europäischen Geist ist. Ich will einfach, dass wir ein bisschen solider mit den Dingen uns auseinandersetzen. Wir haben in Osteuropa eine Vielzahl von Problemen auch geschaffen durch die Europäische Union, die man nicht allein auf die Person Orbán projizieren kann, sondern die wir generell angehen müssen.
    Heckmann: Wer ist "wir"?
    Ferber: Ja, die Europäische Union. Indem man einfach damals in der Phase des Umbruchs die Mittelosteuropäer als verlängerte Werkbank identifiziert hat, wo man billig produzieren kann, aber sich nie darum gekümmert hat, vernünftige Wertschöpfungsketten aufzubauen, wo man die gut ausgebildeten jungen Menschen als billiges Reservoir für Führungsaufgaben auch außerhalb der jeweiligen Länder gesehen hat. Wir haben einen wahnsinnigen Brain-Drain aus allen Ländern Mittelosteuropas. Das sind die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, und da müssen wir vernünftig mit den Menschen dort reden, und dann wird sich auch in der Politik etwas ändern.
    Heckmann: Das sind alles wichtige Punkte, denke ich. Aber ich möchte noch mal darauf zurückkommen auf die Argumentationsfiguren, die Viktor Orbán so bemüht hat jetzt auch im Wahlkampf. Er hat zum Beispiel George Soros - das ist ein aus Ungarn stammender Holocaust-Überlebender -, immer wieder hat er behauptet, dass er die angebliche Massenzuwanderung von Muslimen nach Europa steuere und sein angebliches Ziel sei, die Völker ihrer christlichen und nationalen Identität zu berauben. Klingt das nicht auch für Sie nach jüdischer Weltverschwörung?
    Ferber: Zunächst mal ist Herr Soros kein Heiliger. Er hat sein Geld damit verdient in den 90er-Jahren, dass er gegen das europäische Währungssystem gewettet hat. Auch die deutsche Bundesbank hat viel Geld wegen Herrn Soros verloren.
    "EU will keine ungezügelte Zuwanderung"
    Heckmann: Aber das ist ja ein anderer Punkt jetzt.
    Ferber: Ja, gut. Aber das sollte man auch mal sagen. Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass Herr Soros hier zum Heiligen erklärt wird. Das ist er nicht. Aber auch die Vorwürfe von Herrn Orbán sind nicht stichhaltig. Er hat nie einen Beleg dafür geben können, wie Herr Soros das machen würde, und ich halte diese Diskussion auch für völlig falsch. Die EU ist keine Institution, die eine ungezügelte Zuwanderung in die Europäische Union machen will. Da liegt Herr Orbán wirklich falsch.
    Heckmann: Ist das falsch oder schlägt er antisemitische Töne an, wie die UNO-Menschenrechtskommission sagt?
    Ferber: Ich mache mir da auch große Sorgen und ich bin auch in Kontakten mit der jüdischen Gemeinde in Ungarn, weil genau das ein Thema ist, das mir ganz große Sorgen macht. Es gab ja auch eine Vielzahl von Demonstrationen vor ein paar Jahren vor der großen Synagoge in Budapest. All das sind Dinge, die wirklich besorgniserregend sind, und diese antisemitischen Einschläge, die gefallen mir genauso nicht.
    Heckmann: Haben Sie das denn Ihren Fidesz-Kollegen in der Fraktion auch mal gesagt?
    Ferber: Ja, natürlich reden wir da sehr offen miteinander drüber. Und ich bin auch selber persönlich in Kontakt mit der jüdischen Gemeinde in Ungarn, weil mir das große Sorgen macht.
    Heckmann: Was haben Sie den Kollegen denn gesagt und wie haben sie reagiert?
    Ferber: Ach wissen Sie, Herr Heckmann, man redet sehr offen in einer Fraktion miteinander und sagt auch: Liebe Freunde, das sind Punkte, wo ihr wirklich aufpassen müsst, ihr bewegt euch da außerhalb auch der Wertegemeinschaft der EU, ihr bewegt euch außerhalb der Wertegemeinscaft der gemeinsamen Fraktion.
    "Mir macht Polen am meisten Sorge"
    Heckmann: Und trotzdem bleibt die Fidesz Teil der EVP-Fraktion. Wird Ihnen da nicht manchmal mulmig, wenn Sie sich überlegen, mit wem Sie es da zu tun haben?
    Ferber: Ach, Herr Heckmann, wissen Sie, den Sozialdemokraten wird es nicht mulmig, mit den slowakischen und mit den rumänischen Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten.
    Heckmann: Jetzt reden wir aber über Sie.
    Ferber: Ja. Aber wissen Sie, ich habe immer das Gefühl, es gibt nur den Herrn Orbán und alles andere ist gut. Wir haben ein grundsätzliches Problem mit den Ländern Mittelosteuropas und wir können jetzt nicht alles auf Herrn Orbán projizieren.
    Heckmann: Das sagt ja keiner, Herr Ferber.
    Ferber: Mir macht Polen am meisten Sorge. Mir macht Rumänien am zweitmeisten Sorge. Und dann kommt erst Ungarn auf meiner Sorgenliste, neben der Slowakei und der Tschechischen Republik, die auch wirklich darbt, weil sie keine Regierung hat. Diese Probleme müssen wir grundsätzlich angehen. Dann wird auch ein Herr Orbán wieder sich in ganz normalen gemäßigten Wassern bewegen.
    EU-Mittel stärker konditionieren
    Heckmann: Kurz zum Schluss, Herr Ferber. Bis Anfang Juli soll ein Kompromiss in der umstrittenen Flüchtlingsfrage gefunden werden. Macht der Wahlsieg Orbáns eine Lösung schwerer oder leichter?
    Ferber: Das verändert die Situation überhaupt nicht. Die Visegrád-Staaten haben eine klare Position und durch den Wahlsieg Orbáns wird sich diese Position nicht ändern.
    Heckmann: Und sind Sie auch dafür, wie die Bundeskanzlerin es erwägt, die EU-Mittel danach zu verteilen, ob ein Land seiner Verantwortung nachkommt oder nicht?
    Ferber: Es geht darum, die EU-Mittel danach zu verteilen, wie EU-Spielregeln eingehalten werden, und das halte ich für grundsätzlich richtig.
    Heckmann: Also würden Sie das unterstützen, dass Ungarn weniger Geld bekommt, wenn keine Flüchtlinge aufgenommen werden?
    Ferber: Ich unterstütze das. Da gibt es auch klare Aussagen von meiner Seite. Das betrifft eben nicht nur Ungarn, sondern alle anderen mittelosteuropäischen Länder auch, dass wir das stärker konditionieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.