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Nach Wahl der SPD-Spitze
Laschet spricht sich für Fortbestand der GroKo aus

Nach der Wahl des Duos Norbert Walter-Borjans/Saskia Esken als designierte SPD-Parteivorsitzende sieht Armin Laschet (CDU) keinen Grund, an der Großen Koalition in Berlin zu rütteln. "Für die SPD wäre es nicht klug, in neue Sondierungsgespräche zu gehen", sagte der NRW-Ministerpräsident im Dlf.

Armin Laschet im Gespräch mit Moritz Küpper |
Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, spricht auf einer Pressekonferenz
Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, spricht auf einer Pressekonferenz (dpa/Fabian Strauch)
Im Interview der Woche des Deutschlandfunks blickte Armin Laschet zunächst auf den aktuellen Mitgliederentscheid für den SPD-Parteivorsitz, bei der sich das Duo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken durchsetzte.
Im ersten Moment habe ihn das Wahlergebnis überrascht. "Wenn man sich aber im Land Nordrhein-Westfalen umgehört hat, wo die meisten SPD-Mitglieder leben, dann konnte man nicht so überrascht sein." In Berlin habe es als Reaktion das glatte Gegenteil gegeben. "Das zeigt, wie weit weg die Wahrnehmung ist, was an der Basis passiert", meinte Laschet. Er habe Walter-Borjans als Menschen immer geschätzt, so der NRW-Ministerpräsident.
Mit Walter-Borjans viel gestritten
Mit Walter-Borjans als NRW-Finanzminister habe sich Laschet viel auseinandergesetzt. Walter-Borjans habe mit dem Ankauf von Steuer-CDs etliche Steuersünder überführt und daraus ein publizistisches Geschäftsmodell gemacht. Dass Walter-Borjans dabei der Einzige gewesen sei, "ist eine Legende", so Laschet. Auf jeden Fall habe der SPD-Politiker damit den Nerv der Basis getroffen.
Es müsse zudem viel Frust im Spiel gewesen sein, dass die SPD-Mitglieder auf das Duo Walter-Borjans/Esken setzten. Sie seien schließlich vehemente Kritiker der Großen Koaltiton. An die desgignierte SPD-Spitze appellierte Lascht, die Große Koalition fortzusetzen. Es mache keinen Sinn, am Koaltionsvertrag Änderungen vorzunehmen. "Für die SPD wäre es nicht klug, in neue Sondierungs- und Koalitionsgespräche zu gehen", sagte Laschet.
"Kohlekompromiss eins zu eins umsetzen"
Der CDU-Politiker versicherte, dass der Kohlekompromiss eins zu eins umgesetzt werde. Es müsse eine faire Ausstiegsaufteilung zwischen Lausitz und dem rheinischen Revier geben. In NRW werde der Braunkohle-Ausstieg ab 2021 vorangetrieben, so Laschet. "Irgendwann muss es dann auch im Osten beginnen", sagte Laschet.
Auf die Frage, ob die schwarzgelbe Koalition, die einzig verbleibene in Deutschland, ein Auslaufmodell sei, verneinte der Ministerpräsident. "Wir haben in Deutschland auch kaum mehr eine rot-grüne Koalition. Es gibt eine Kenia-Koalition und eine Jamaika-Koaltion. Jetzt kommen in Sachsen und Brandenburg noch einmal neue Bündnisse hinzu. Das macht es in Deutschland kompliziert. Ich finde, die Zusammenarbeit angenehm. Wir haben in vielen Fragen Grundübereinstimmung. Deswegen kann man viel anpacken", sagte Laschet. In zweieinhalb Jahren habe sich viel in NRW verändert.

Das Interview in voller Länge:
Moritz Küpper: Herr Ministerpräsident, guten Morgen. Und vielen Dank, dass Sie sich an diesem 1. Advent Zeit für uns nehmen, für das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute live aus Aachen. Wir wollen über die Situation in Nordrhein-Westfalen sprechen – es ist Halbzeit in der Legislaturperiode hier. Darüber, über die Bundespolitik, über Europa, Ihre Partei, die CDU, aber natürlich – das ist, glaube ich, das Thema dieses Wochenendes, das Thema dieses Morgens, über den Koalitionspartner in der Großen Koalition, über die SPD. Seit gestern, kurz nach 18 Uhr, wissen wir, wen die Sozialdemokraten wohl auf dem Parteitag kommende Woche wählen wollen, wählen sollen. Das Duo aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hat die Mehrheit bekommen. Herr Laschet, was war Ihr erster Gedanke, als Sie davon gehört haben?
Armin Laschet: Ja, das war, ich war auf der Silberhochzeit meines Bruders, und da war das natürlich sofort das Thema aller, als man das dann erkennen konnte. Ich war dann doch in dem Moment überrascht. Obwohl, wenn man sich im Land Nordrhein-Westfalen umgehört hat – wo die meisten SPD-Mitglieder leben –, dann konnte man nicht so überrascht sein, denn das war in vielen Gesprächen schon im Vorfeld zu spüren. Und immer, wenn ich nach Berlin kam, hörte ich glatt das Gegenteil. Also, in Berlin hat, glaube ich, von den Akteuren dort, den politischen Akteuren, auch den Journalisten, kaum jemand das für möglich gehalten. Das zeigt mir manchmal, wie weit die Wahrnehmung doch weg ist von dem, was an der Basis passiert.
Küpper: Sie haben es gesagt, Sie haben hier in Nordrhein-Westfalen, dem – ja – vermeintlichen Stammland der Sozialdemokratie, anderes gehört. Sie kennen Norbert Walter-Borjans als ehemaligen Finanzminister auch von hier. Wie würden Sie ihn charakterisieren? Oder anders, in die Zukunft gefragt: Was ist jetzt von ihm zu erwarten?
Laschet: Das sind wahrscheinlich sehr unterschiedliche Rollen. Als Mensch habe ich ihn immer geschätzt. Er war Staatssekretär in der Vorgängerregierung, vor 2005, in Düsseldorf. Er war dann nachher, als wir Opposition waren, Finanzminister, da haben wir viele Kämpfe mit ihm ausgetragen. Er hat quasi in einem Fall sogar deutsche Rechtsgeschichte geschrieben, denn sein allererster Haushalt hatte eine so gigantische Neuverschuldung, dass das Landesverfassungsgericht dem Landtag untersagt hat, in einer Einstweiligen Verfügung, diese Schulden aufzunehmen. Also, so etwas hat es noch nie gegeben, weil solche Urteile meistens Jahre später kommen. Das musste er dann korrigieren. Also, über die Finanzpolitik haben wir immer viel Streit gehabt – als Mensch war er immer ein angenehmer Gesprächspartner. Er lebt in Köln und das spricht schon für eine gewisse Gemütswärme, die er hat.
"Kampf gegen Steuerhinterziehung ist Pflicht für jeden Finanzminister"
Küpper: Aus seiner Zeit in Nordrhein-Westfalen als Finanzminister kommt auch sein Ruf – den die CDU übrigens geprägt hat – als Robin Hood. Er hat Steuer-CDs gekauft, Steuersünder gejagt, Millionen, Milliarden dadurch eingenommen. Ist das etwas, was jetzt für diesen Wahlkampf innerhalb der SPD, für diesen Kampf um die Spitze wohl das Prägendste war, das Entscheidende?
Laschet: Ich glaube, dass das viele Mitglieder positiv bewertet haben, ihn daher wahrscheinlich auch kannten. Nun muss man dazu sagen, auch das ist natürlich eine Legende. Die erste Steuer-CD hat gekauft der frühere Finanzminister Helmut Linssen, noch in der Regierungszeit von Jürgen Rüttgers. Dann hat Walter-Borjans auch ein paar gekauft. Und in der letzten Woche hat unser jetziger Finanzminister eine Steuer-CD gekauft. Das sind Vorgänge, die wenn sie angeboten werden, jeder Finanzminister machen würde. Aber er hat daraus ein publizistisches Geschäftsmodell gemacht und das hat ein wenig die anderen Fragen überdeckt. Der Kampf gegen Steuerhinterziehung ist Pflicht für jeden Finanzminister. Aber, ich glaube, Sie haben Recht, das hat den Nerv der SPD-Basis getroffen. Er hat ja auch ein Buch geschrieben, er hat Bücherreisen durch ganz Deutschland gemacht, genau über dieses Thema. Und – ja – irgendein Markenzeichen braucht man ja, wenn man als im Berliner Politbetrieb nicht Aktiver plötzlich gegen die Führung eine solche Wahl gewinnen will.
Küpper: Oder war es vielleicht genau das? Dass er eben jetzt bei der Stichwahl ... weil das andere Duo Geywitz/Scholz, Herr Scholz, der Finanzminister stand oder steht auch immer noch für die Große Koalition in Berlin und Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken eben dagegen, war es diese Entscheidung, die da jetzt gefällt wurde?
Laschet: Das kann auch sein, ja. Also, ich kann da schwer in das Denken von SPD-Mitgliedern mich hineinversetzen. Aber erstaunt hat es dann am Ende schon. Und da muss ein Stück auch Frust über Berlin mit drin gewesen sein. Denn Frau Esken ist Mitglied der Bundestagsfraktion, Sie ist in Berlin, aber Walter-Borjans war nie Abgeordneter, hat nie irgendeine Parteifunktion gehabt, sondern war jetzt die Figur, die gegen die Amtierenden stand. Und das hat sicher eine Rolle gespielt.
Küpper: In Ihrer Partei hieß es relativ direkt – Paul Ziemiak, der Generalsekretär hat das gesagt: ‚Es gibt jetzt eine Grundlage und das ist der Koalitionsvertrag, der wurde geschlossen, daran hat sich nichts geändert‘ – es hat sich ja schon was geändert.
Laschet: Na ja, nein, es hat sich nichts geändert. Der Koalitionsvertrag gilt. Und der Koalitionsvertrag beschreibt für eine Legislaturperiode, für vier Jahre, welche Themen man gemeinsam bearbeiten will, wo es Gemeinsamkeiten gibt. Und der ist verhandelt worden – ich war ja in Teilen mit dabei – in vielen Tag und Nächten, wo viele, viele Kompromisse gemacht wurden, sodass am Ende ein gutes Werk auf dem Tisch lag. Und das ist in jeder Regierung in ganz Deutschland, der gilt bis zum Ende der Periode. Und man kann jetzt nicht nur, weil Parteivorsitzende wechseln, den Koalitionsvertrag neu machen. Übrigens, der Parteivorsitzende, der ihn ausgehandelt hat, war Martin Schulz. Also, danach kam ja schon einmal eine neue Parteivorsitzende mit Andrea Nahles, und auch da hat man nicht alles neu ausgehandelt. Und natürlich wird jetzt auch nichts neu ausgehandelt, das ist völlig klar.
Die designierten SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.
Mit Walter-Borjans und Esken - Muss die SPD jetzt aus der GroKo aussteigen?
Bundeskanzlerin Merkel hat die Sozialdemokraten zum Weitermachen aufgefordert. Doch nach dem Mitgliederentscheid für die Regierungskritiker Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans steht das Bündnis mit der Union auf der Kippe. Ist der Koalitionsbruch nun vorprogrammiert?
Küpper: Na ja, ich kann Ihnen das ja mal kurz sozusagen vorlesen. Also: Klimapaket aufschnüren, Schwarze Null vergessen, Mindestlohn auf 12 Euro, Flächentarifvertrag für alle, Kindergrundsicherung jetzt schon anpacken, die Vermögenssteuer vielleicht sogar sofort einführen. All das sind Forderungen, mit denen das Duo Walter-Borjans/Esken – ja – diese Wahl jetzt gewonnen hat.
Laschet: Na ja – nichts davon gibt es. Das Klimapaket hat gerade der Bundesrat am Freitag beschlossen. Das geht jetzt nochmal in einen Vermittlungsausschuss. Die SPD-regierten Länder haben gesagt, möglichst wenig daran verändern, denn es ist ein guter Kompromiss‘, und ich kann mir nicht vorstellen, dass jetzt auch die SPD-Führung in Berlin, die Abgeordneten in Berlin Lust haben, jetzt mit Walter-Borjans und Frau Esken noch mal neu die Klimapolitik zu diskutieren – also, wenn ich das jetzt mal als ein Beispiel da herausnehmen will. Und zu vielen anderen Themen, die Sie gerade vorgelesen haben, gibt es klare Aussagen im Koalitionsvertrag.
Küpper: Das heißt aber – ich verstehe Sie richtig –, in solchem Koalitionsvertrag – darauf bestehen Sie, darauf besteht die Union –, eine Kündigungsfristmöglichkeit gibt es darin nicht?
Laschet: Nein.
Küpper: Insofern, obwohl die Große Koalition jetzt kein – ja – gutes Image in Deutschland hat, obwohl man jetzt, es wurde dann immer auf die Landtagswahlen im Osten der Republik geschoben, auf Ihrem Parteitag, auf dem jetzt kommenden Parteitag der SPD, kommt man da ja scheinbar nicht aus der Defensive sozusagen raus?
Laschet: Na ja, man kommt aus der Defensive in Berlin, wenn man gute Arbeit leistet, wenn man ein paar Dinge bewegt, die für die Bürger wichtig sind. Ich denke, wenn dieses Klimapaket jetzt beschlossen wird, wird man erkennen, dass das seine Wirkung erzielt. Wir haben viele andere Themen, die jetzt gerade in Berlin erörtert werden. Wir haben das Thema der Grundrente gehabt, das gelöst worden ist. Also, ich glaube, wenn man Probleme löst, steigen Umfragen. Und wenn man streitet und wenn man jetzt tatsächlich beginnen würde Koalitionsverträge wieder neu zu verhandeln, ich glaube, dann wird die Wahrnehmung der Großen Koalition noch schlechter.
Küpper: Aber Sie sind ein erfahrener Politiker und auch Sie wissen, dass das Duo mit diesen Forderungen, mit diesen Bedingungen, im Grund genommen jetzt Erwartungen geschürt hat, denen sie nachkommen muss?
Laschet: Ja, aber das ist dann das Problem des Duos.
"Erst mal muss der Parteitag die Beiden ja noch wählen"
Küpper: Nicht das Problem der CDU, weil man dann vielleicht ja in die Defensive rückt? Weil ganz Deutschland weiß ja um die Situation und dass es da Partner gibt – drei, um genau zu sein: CSU, CDU und SPD –, die sich – zumindest von Seiten der SPD – ein Stück weit jetzt weiter entfernen von den anderen.
Laschet: Ja, aber das wird man doch abwarten müssen, wenn dann der erste Koalitionsausschuss ist. Erst mal muss der Parteitag die Beiden ja noch wählen – das liegt ja noch vor uns. Der Parteitag wird dann ja nochmal – der SPD-Parteitag – eine Richtung geben, will man denn überhaupt regieren oder will man nicht regieren. Und ich finde, wenn man ständig regiert und ausstrahlt: ‚Eigentlich habe ich keine Lust dazu und eigentlich will raus‘, ...
Küpper: Sie beschreiben die Situation?
Laschet: Ja. ... dann steigt das Vertrauen der Bürger nicht. Also, ich sage mal für uns in Nordrhein-Westfalen, wir wollen, dass alle gerne regieren. Bei der FDP und bei uns diskutiert nicht jede Woche einer: ‚Müssen wir jetzt den Koalitionsvertrag verändern, wie kommen wir da raus?‘ Selbst wenn Umfragen mal besser oder schlechter sind, man arbeitet an den Themen und das spüren Bürger. Und deshalb glaube ich, dass es für die SPD auch nicht klug wäre, jetzt quasi in neue Sondierungsverhandlungen und neue Koalitionsverhandlungen und alles was damit wieder an Diskussionen verbunden ist, einzutreten. Und da wird natürlich auch die Bundestagsfraktion nochmal ein wichtiges Wort der SPD mitreden.
Küpper: Sie haben es gerade beschrieben oder Ihre Wahrnehmung beschrieben, dass die Situation in Berlin unter den handelnden Akteuren da scheinbar eine andere war als – ja – im Land, in Nordrhein-Westfalen, aber auch anderswo. Ist das vielleicht nicht Teil des Problems?
Laschet: Ja, klar. Die ganzen Umstände dieser Großen Koalition sind uns ja allen bekannt. Jamaika ist gescheitert, der Bundespräsident hat dann an die staatspolitische Verantwortung appelliert. Dem sind die Sozialdemokraten nachgekommen. Und ich glaube, wenn sie das selbstbewusst gezeigt hätten, wenn sie auch gezeigt hätten, was sie erreicht haben in dieser Großen Koalition und nicht immer erklärt haben, was sie nicht erreicht haben, dann ...
Küpper: Würden Sie so weit geht und sagen, dass die SPD dieser Großen Koalition ihren Stempel aufgedrückt hat?
Laschet: Na ja. Die Union hat schon auch ihre Punkte gesetzt. Aber in der Union diskutieren viele, die SPD hat viel zu viele Punkte bekommen – so ist ja die Wahrnehmung in der CDU.
Küpper: Und jetzt will sie noch mehr.
Laschet: Die SPD hat tolle Projekte gehabt, aber sie steht nicht dazu, sondern jammert gleich über das nächste. Und, ich meine, das Grundproblem ist, sie distanziert sich auch von aller sozialdemokratischen Politik. Dieses Duo ist ja auch angetreten, quasi die gesamte Regierungszeit von Gerhard Schröder jetzt umzudrehen und alles zurückzudrehen. Und das spüren Menschen. Denn es gab ja auch mal Sozialdemokraten, die mit Freude Gerhard Schröder gewählt haben, und denen jetzt zu sagen, ‚das war alles falsch‘, macht es schwierig.
Küpper: Dann, wie lange hält dieses Große Koalition noch?
Laschet: Das weiß ich nicht. Meine Erwartung ist, auch als Ministerpräsident, dass sie ihre Arbeit macht und dass sie bis zum Ende der Wahlperiode das erledigt, was viele von ihr erwarten. Wir stehen mitten in dem Kohleausstieg. Die ersten Entwürfe sind da, es ist vom Kabinett noch nicht beschlossen, Bundestag und Bundesrat habe es noch gar nicht beschlossen. Tausende Beschäftigte erwarten hier eine klare Antwort, die Industrie braucht Investitionssicherheit. Und in so einer Phase, die unsere Volkswirtschaft unmittelbar betrifft, einfach Neuwahlen zu machen, ist unverantwortlich. Dann haben wir die deutsche Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020.
Küpper: In der Europäischen Union.
Laschet: Ja. Deutschland hat viele Ideen, wie man Europa weiter gestalten kann. Und insofern finde ich, das war auch Auftrag des Koalitionsvertrages, da ist noch einiges zu erledigen. Und ich erwarte, dass das auch die Regierung tut.
"Es muss jetzt auch zum Ende kommen"
Küpper: Sie hören das Interview der Woche. Zu Gast ist Armin Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und auch stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU. Herr Laschet, Sie haben gerade den Kohlekompromiss, den Kohleausstieg, die Situation dort angesprochen. Auch an diesem Wochenende gab es wieder viele Proteste in der Lausitz. Warum hakt das Ganze jetzt immer noch? Seit Januar liegt der Kohlekompromiss sozusagen vor.
Laschet: Ja, ich hätte mir auch gewünscht, dass das schneller verhandelt wird. Also die Kohlekommission aus Mitgliedern der Gewerkschaften, von Greenpeace und Umweltverbänden und der Wirtschaft, BDI, BDA und andere, waren schneller bei einem Ergebnis als am Ende die Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung. Das muss schneller gehen. Ich erwarte und hoffe, dass das im Dezember erledigt wird.
Küpper: Sie haben aber auch schon gesagt, Sie hoffen, dass es Ende November erledigt wird.
Laschet: Ja, da bin ich auch schon enttäuscht über diese betrübte Hoffnung. Aber es muss jetzt einfach passieren und das Kernproblem ist natürlich im Moment die Verhandlungen mit den beiden Unternehmen, die ja Rechtsansprüche haben, dass die Tagebaue weitergehen. Da geht es jetzt um Entschädigungen und da wird jetzt im Moment hart gefeilscht. Aber es muss jetzt auch zum Ende kommen.
Küpper: Dieser Kohlekompromiss wurde als historisch beschrieben. Jetzt gibt es aber von allen Seiten immer wieder neue Forderungen – Herr Haseloff beispielsweise, der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts – fordert jetzt schon einen neuen Kohlegipfel, weil es eben Stimmen gibt, die sagen: Datteln 4, das Kraftwerk, das bei Ihnen in Nordrhein-Westfalen steht, soll jetzt doch ans Netz gehen. Dafür müsste ein anderes runter und er hat Sorge, dass es bei ihm ist. Macht die Zeit, die haben Sie gerade beschrieben, es ist viel Zeit verstrichen, sorgt die jetzt für Fliehkräfte in diesem historischen Kompromiss?
Laschet: Also der Kompromiss steht und der muss eins zu eins umgesetzt werden. Und so sehr ich den Kollegen Haseloff schätze, aber da hat er zwei Dinge durcheinander geworfen. Es geht schlicht um Braunkohlekraftwerke und Braunkohletagebaue. Und da brauchen wir eine faire Aufteilung zwischen Ost und West, zwischen der Lausitz und dem rheinischen Revier. Wir werden vorgehen im rheinischen Revier, wir schalten die ersten Kraftwerke 2021/22/23 in den ersten Jahren…
Küpper: Also der Ausstieg beginnt im Westen?
Laschet: Ja, und sehr massiv beginnt er da, weil die Lausitz mehr Zeit braucht, auch für den Strukturwandel. Aber irgendwann muss auch im Osten abgeschaltet werden. Und das hat mit Datteln 4 nun überhaupt nichts zu tun, denn Datteln 4 ist das modernste Steinkohlekraftwerk der Welt und dafür werden dann Steinkohlekraftwerke abgeschaltet, und die sind in der Regel nicht in Osten. Also dieser Ost-West Gegensatz ist an dem Beispiel unpassend.
Eon-Kraftwerk Datteln 4 beim Dortmund-Ems-Kanal
Kohleausstieg bis 2038 - "Wir brauchen eine gute Energieinfrastruktur"
Eine Verteufelung der Industrie sei nicht zielführend, sagte Anja Weber, DGB-Vorsitzende in NRW, im Dlf. Denn diese sei "ein Teil der Lösung" beim Kohleausstieg. Soziale Gerechtigkeit, ökologische Vernunft und ökonomische Verantwortung müssten im Gleichklang vorangetrieben werden.
Küpper: Zeigt das nur die Nervosität, weil man wieder einmal in Berlin kein Handeln wahrnimmt?
Laschet: Nein, aber das zeigt die Nervosität, weil das, was unsere Länder – Nordrhein-Westfalen und die drei ostdeutschen Länder Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt – leisten, ja, eine riesige Kraftanstrengung ist. Wir sagen tausenden Arbeitern in dem Tagebau: "Ihr verliert eure Arbeit aufgrund eines politischen Beschlusses." Weil wir die Klimaziele erreichen wollen. So, und dass das Unruhe auslöst, dass sie im Osten in den Regionen hohe AfD Anteile inzwischen haben, zeigt, wir brauchen die Antwort, dass neue Arbeitsplätze da hinkommen, dass Strukturwandel gelingt und dass vor allem bald Klarheit ist.
Küpper: Aber zeigt das nicht auch, was alles auf dem Spiel steht für Nordrhein-Westfalen der Ausstieg ist das eine, die Subventionen dann das andere. Das ist aneinander gekoppelt. Aber es sollen in etwa 15 Milliarden Euro nach Nordrhein-Westfalen fließen, insgesamt liegt die Summe in etwa bei 40. Sollte die große Koalition jetzt platzen und Sie haben es gesagt, die Verhandlungen stocken zwischen dem Bund und den Betreibern, dann ist all das Makulatur?
Laschet: Ja, das ist ein gutes Beispiel, weshalb ich sage, die große Koalition muss jetzt ihre Arbeit zu Ende führen. Tausende Menschen hoffen, dass jetzt endlich Klarheit ist, und deshalb ist für solche parteipolitischen Spielchen oder Koalitionsverträge neu verhandeln oder ähnliches, keine Zeit. Es liegt so viel Arbeit auf dem Tisch, die man jetzt erst mal erledigen muss und danach kann man über anderes sprechen.
"Früher waren aber Zwei-Parteien-Konstellationen generell gängig"
Küpper: Wer ist denn jetzt eigentlich bei der CDU am Zug in dieser Frage? Die Parteivorsitzende oder wer muss sozusagen die Angriffe der SPD, die jetzt folgen werden, abwehren?
Laschet: Jetzt warten wir erst mal ab, was für Angriffe kommen und dann werden die Richtigen auch antworten.
Küpper: Es ist 11.22 Uhr, am Sonntagvormittag. Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit dem NRW Ministerpräsidenten Armin Laschet. Herr Laschet, Halbzeit hier in Nordrhein-Westfalen in dieser Legislaturperiode. Sie führen die einzige schwarz-gelbe Landesregierung in Deutschland. Ist das ein Auslaufmodell?
Laschet: Nein. Ich hoffe nicht. Es ist jedenfalls, wie ich finde…
Küpper: Früher war das gängiger.
Laschet: Ja, früher waren aber Zwei-Parteien-Konstellationen generell gängig. Wir haben ja in Deutschland auch kaum mehr eine rot-grüne Regierung. Sie haben ja inzwischen Kenia-Koalitionen, Jamaika-Koalitionen. Man lässt sich alle Länder der Erde einfallen, um die Farben einer Regierung in einem Land zu beschreiben. Jetzt kommen in Sachsen und Brandenburg noch mal besondere hinzu. Ich weiß zum Beispiel gar nicht, was die Farbe in Brandenburg ist, denn bei Kenia ist das Schwarz oben und dann kommen die anderen Farben. Jetzt ist das Rot oben und Grüne und CDU sind mit dabei. Also das macht es in Deutschland kompliziert, deshalb ist eine CDU-FDP Koalition etwas Seltenes. Ich finde die Zusammenarbeit besonders angenehm. Wir haben in vielen, 90 Prozent aller Fragen, eine Grundübereinstimmung und deshalb kannst du einfach Dinge anpacken und musst nicht jedes Mal große Kompromisse machen. Und das macht es, deshalb ist auch die Bilanz nach zweieinhalb Jahren so, dass sich wirklich etwas verändert hat in Nordrhein-Westfalen.
Küpper: Ihre Landesregierung hat Entfesselungspakete für die Wirtschaft verabschiedet, gilt als wirtschaftsfreundlich. Umweltverbände kritisieren das häufig. Ist das noch zeitgemäß?
Laschet: Ja, natürlich ist das zeitgemäß. Im ländlichen Raum, das war zum Beispiel der Landesentwicklungsplan, noch Entwicklung möglich zu machen. Unsere starken Unternehmen sitzen im ländlichen Raum. Da haben wir Vollbeschäftigung, keine Arbeitslosigkeit. Sauerland, Münsterland, Ostwestfalen. Und denen noch zu sagen: "Ja, bei euch kann auch noch mal ein Betrieb sich erweitern", war eine Grundfrage. Und Entfesselung, die Grünen werden auch noch beginnen, die Entfesselung zu lieben. Denn auch Radschnellwege haben zu lange Planverfahren. Wenn wir den Bahnverkehr schnell machen wollen, damit die Leute vom Fliegen auf die Bahn umsteigen, dann brauchen sie neue Trassen. Und wenn Sie die Trassen so bauen wie wir das in Deutschland immer machen, sind die in 30 Jahren noch nicht fertig. Also: Entfesselung heißt auch, Beschleunigung von Planverfahren, und die Energiewende wird nicht gelingen ohne schnellere Planverfahren.
Küpper: Sie haben gesagt, Sie wollen den Hambacher Forst, dieses umstrittene Waldstück hier in der Nähe, erhalten. Das war eine Kernforderung der Grünen, der Umweltverbände und anderer. Dennoch müssen Sie sich immer weiter Kritik anhören. Warum wertschätzen Sie diese Menschen nicht?
Laschet: Das weiß ich nicht, weil viele derer, die da Akteure sind, ideologisch und parteipolitisch motiviert sind. Dieser Hambacher Forst, das weiß doch nun inzwischen jeder, hatte mal 4.100 Hektar, 3.900 sind unter Rot-Grün abgeholzt worden, in der Zeit als Walter Borjans Minister war, zum Beispiel. Und jetzt sind not 200 Hektar übrig und wir tun im Moment alles, diese 200 Hektar zu erhalten. Das ist die Lage. Ich glaube, dass man sich davon auch nicht beirren lassen darf. Man muss das tun, was richtig ist, und wenn dann immer noch parteipolitisch da gespielt wird, dann lebe ich damit.
"Das ist eine Kernkompetenz der Länder"
Küpper: Ich möchte noch ein wenig auf die Situation des Föderalismus schauen in Deutschland, denn Bayern und Baden-Württemberg sind in dieser Woche aus dem nationalen Bildungsrat ausgestiegen. Es gab eine große Diskussion darum, dass Bayern angekündigt hat, einen Alleingang bei den Ferien zu machen. Sie haben vor einigen Monaten sich zusammen mit dem bayrischen Ministerpräsident eine Kabinettsklausur, Kabinettstagung abgehalten und dabei gesagt oder betont, der Bund besteht aus den Ländern und nicht umgekehrt. Bekommen wir jetzt immer mehr "Bundesland First" analog zu Trumps "America First"?
Kinder einer Grundschule schreiben das Wort Ferien an eine Tafel
Streit über die Sommerferien - Müller: "Wir wollen Abstimmungsprozesse zwischen den Ländern"
Es sei im Interesse der Schulkinder, Wirtschaft und Schulen, dass sich die Bundesländer in Sachen Sommerferienbeginn absprechen, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) im Dlf. Bayern und Baden-Württemberg könnten nicht "eine ständige Ausnahme" bilden. Föderalismus sei ein Geben und Nehmen.
Laschet: Nein, wir bekommen immer mehr echtes Grundgesetz. Denn im Grundgesetzt ist geregelt, dass die Bildung Sache der Länder ist. Und bei uns Ministerpräsidenten, die wir dieses Papier geschrieben haben, ist einfach die Grundüberzeugung da, wenn jetzt Berlin auch noch beginnt, Bildungspolitik zu machen, wird es im Zweifel nicht besser. Es wird mittelmäßig. Die Berliner Behörden haben überhaupt keinen Zugriff auf Schulämter, wissen gar nicht, was vor Ort los ist. Und deshalb brauchen wir mehr Vergleichbarkeit in Deutschland, bessere Bildungsstandards, aber nicht durch eine Bundesbildungsministerium, das dann jetzt zusätzlich da noch mitmischt. Das ist die Grundüberzeugung und ich glaube, Berlin hat genug Aufgaben, um die es sich kümmern kann. Das ist eine Kernkompetenz der Länder und da müssen wir einfach besser werden.
Küpper: Ich frage nur deshalb auch nach, weil der Koalitionsvertrag an diesem Wochenende immer sehr häufig betont wurde und dieser nationale Bildungsrat, dessen Aufbau, der wurde ja von Union und SPD eben im Koalitionsvertrag beschlossen. Und der ist ja relativ lebensnah, also Ferienzeitangleichung, damit keine Verkehrsprobleme entstehen, Vergleichbarkeit des Abiturs, Umzug von Schulkindern in andere Bundesländer. Also das sind ja alles a) lebensnahe Themen und b) im Koalitionsvertrag verankert.
Laschet: Ja, aber Ferienzeiten werden nun seit 50 Jahren verabredet von den Kultusministern und es hat ja bisher gut funktioniert. Und über die neue Regelung wird gerade gesprochen. Und die Möglichkeit, umzuziehen zwischen Ländern, da muss man besser werden. Ich finde, das muss jetzt die Kultusministerkonferenz leisten und zeigen, dass die Länder das selbst können. Aber die Kernfrage ist: warum wird das besser, wenn jetzt da Frau Karliczek plus 16 Kultusminister sitzen? Die 16 mit eigener Kompetenz können das auch alleine, und den Beweis müssen sie jetzt allerdings antreten.
Küpper: Allerdings waren die Töne ja schon sehr harsch zwischen Markus Söder und seinem Kollegen in Hamburg beispielsweise. Es gab in dieser letzten Zeit schon auch Streit zwischen Ihnen, Nordrhein-Westfalen, und beispielsweise Bayern und Baden-Württemberg. Da ging es um eine Batteriefabrik, die nun in Nordrhein-Westfalen, nahe Münster angesiedelt werden soll. Ist das nicht eine verschärfte Tonart in diesem Wettbewerb jetzt?
Laschet: Na ja, das würde ich nicht so sehen. Also die Batterieforschungsfabrik kommt da hin, wo die besten, exzellentesten Forscher sind, und die sind nun mal im MEET Zentrum in Münster. Da sitzt Professor Winter. Eine Kooperation gab es mit der RWTH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich. 65 Unternehmen haben gesagt, wir wollen mit diesem Projekt zusammenarbeiten. Und ich glaube, das war für Bayern und Baden-Württemberg eher ungewohnt, dass Nordrhein-Westfalen mal bei der Exzellenz besser war. Im persönlichen Verhältnis zu den beiden Kollegen, sowohl zu Winfried Kretschmann als auch zu Markus Söder, gibt es viel, viel Übereinstimmung und Bayern und Nordrhein-Westfalen werden in Zukunft auch noch eine Menge gemeinsam machen.
Küpper: Herr Ministerpräsident, der letzte Monat des Jahres 2019 ist angebrochen, die Adventszeit läuft. Welche Vorsätze haben Sie eigentlich für 2020 gefasst?
Laschet: Tja, ich habe noch gar nicht über den Jahreswechsel nachgedacht. Der Advent kommt immer so schnell. Ich denke, das Jahr 2020 wird für uns in Nordrhein-Westfalen wieder eines sein, wo weiter umgesetzt werden muss, das, was man sich langfristig vorgenommen hat. Die europäische Zusammenarbeit wird sicher noch mal wichtiger werden in diesem Jahr, wenn der Brexit dann vollzogen wird, davon auch viele Arbeitsplätze bei uns abhängen können. Und das Thema Zusammenhalt der Gesellschaft angesichts dieses gewaltvollen, auch zum Teil hasserfüllten Jahres, 2019, der bleibt auch 2020 auf der Tagesordnung.
Küpper: Und noch ganz kurz ein Punkt zum Abschluss: ein Kanzlerkandidat/in wird auch gekürt.
Laschet: Der wird auch gekürt.
Küpper: Aber das ist…
Laschet: Der oder die wird auch gekürt, und das wird zum Ende des Jahres der Fall sein.
Küpper: Und ist nicht Bestandteil Ihrer Vorsätze?
Laschet: Nein.
Küpper: Vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.