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Bildung von Fußballern
Abitur im Nachwuchsleistungszentrum?

Fußball schmückt sich heute mit seiner vermeintlichen Integrationskraft und umfassenden Ausbildung aller Schichten. Aber hat der Fußball diese Kraft wirklich? Schaffen es die Nachwuchsleistungszentren der Bundesligaklubs auch schulisch auszubilden?

Von Felix Lill |
Julian Eitschberger bei einem Fußballspiel am Ball
Julian Eitschberger gilt als eines der größten Fußballtalente Deutschlands (picture alliance / Pressefoto Baumann / Hansjürgen Britsch)
Wenn Julian Eitschberger nach der Schule gefragt wird, ist er erstmal verdutzt: "Dadurch, dass ich häufig beim Training bei den Profis bin oder bei der U23 hauptsächlich, bin ich selten da. Aber ich krieg das so geregelt, wie ich es mir wünsche."
Eitschberger ist es in letzter Zeit eher gewohnt, dass man ihn nach Fußball fragt. Immerhin gilt der U-18-Nationalspieler als eines der größten Talente Deutschlands. In dieser Saison hat er die A-Jugend übersprungen, seinen ersten Profivertrag bei Hertha BSC unterschrieben und ist auch schon in der Bundesliga zum Einsatz gekommen.
Die Schule schmeißen will Eitschberger aber nicht, sagt er: "Der Plan ist natürlich, dass ich auch das Abitur noch bestehe. Wie gesagt, es kann ja immer alles im Fußball passieren. Und dann bist du halt draußen. Ich möchte schon noch eine Sicherheit haben und deshalb möchte ich gern mein Abitur noch machen."

Schule und Training an einem Ort

Der Rechtsverteidiger Eitschberger ist ein typischer Jungprofi der heutigen Zeit: Seit einigen Jahren geht er auf demselben Gelände zur Schule, wo er auch wohnt und täglich trainiert. In einem Nachwuchsleistungszentrum, von denen seit rund zwei Jahrzehnten jeder Profiklub in Deutschland eines unterhalten muss.
In diesen Kaderschmieden sollen die Jugendlichen eben nicht nur zu Spitzensportlern ausgebildet werden, sondern auch für ein Leben neben ihrer Leidenschaft – für die Zeit nach der aktiven Laufbahn oder den Fall, dass es nicht mit der Profikarriere nicht klappt.
Ein gelungenes Modell, findet Julian Rabe, Schulkoordinator beim Nachwuchsleistungszentrum von Julian Eitschbergers Verein Hertha BSC. Hertha sei nicht nur in der sportlichen Nachwuchsarbeit erfolgreich. Ist ein Talent erst mal aufgenommen, sei es auch schulisch gut umsorgt.
"Es ist, glaub ich, sehr standortabhängig, wie gut Fußball und Schule funktionieren. Wir sind hier im Olympiapark in Charlottenburg. Und wenn die Fußballer bei mir hier, sag ich mal, in den ersten zwei Stunden Unterricht haben und dritte, vierte Stunde ist Training, dann gehen die aus dem Klassenraum, gehen einmal über die Straße und in der Umkleide und auf dem Trainingsplatz. Diese Verzahnung, die wir hier haben, diese Nähe. Und das macht das Arbeiten miteinander natürlich auch deutlich einfacher."

Rund die Hälfte aller Fußballprofis in Deutschland hat Abi

Unter den derzeitigen männlichen Fußballprofis in Deutschland hat rund die Hälfte Abitur – ein Anteil, der in den nächsten Jahren noch steigen dürfte. Die hohen Raten von Absolventen, die auch in der A-Jugend noch zur Schule gehen, sieht Schulkoordinator Rabe als Erfolg. Wobei er zugibt, dass viele Talente die Schule nicht als ihre Priorität sehen:
"Die Motivation der Jungs selber: Man hat Jungs, die sagen klar, mein Ziel ist Abitur, und man hat andere, die sagen, ich will eigentlich nur meinen Sport machen. Die Anzahl derer, die mal Profi werden, die damit mal ihren Lebensunterhalt verdienen, da brauchen wir uns auch nicht in die Tasche lügen, der ist ja sehr, sehr klein."
Deshalb habe im Nachwuchsleistungszentrum von Hertha BSC Schule den gleichen Stellenwert wie Fußball: "Das ausgeschriebene Ziel: Die Jungs sollen zur Schule gehen. Und das geht zum Teil so weit: Wenn ich die Schule schwänze, dann stehe ich nicht auf dem Trainingsplatz. Dann kann es halt auch mal sein, dass ich aus dem Spiel herausgenommen werde. Weil uns die schulische Ausbildung genauso wichtig ist. Und wir sitzen hier auch zusammen, einmal im Halbjahr, mit den Lehrern und den Trainern und tauschen uns aus über jeden einzelnen Jungen. Da sind wir jetzt dran, dass so aufzubauen, dass die Jungs unabhängig vom eigenen Bildungsstand zuhause - wir wollen sie gleichermaßen fördern", so Julian Rabe.

Zeitmangel führt zu Schwierigkeiten mit der Schule

Die Wichtigkeit von Schule ist aber offenbar nicht überall gelebte Praxis. Der Autor Ronald Reng hat im vergangenen Jahr das Buch „Der große Traum“ veröffentlicht. Dafür hat Reng drei junge Fußballer neun Jahre lang über ihren Weg durch die Nachwuchsleistungszentren begleitet. Reng sagt: "Den Spruch kenne ich von jedem Verein; ich habe es bei keinem Verein so erlebt. Wenn wir bei den Beispielen meiner drei Jungs bleiben: Marius, Niko und Foti. Die hatten alle drei irgendwann Schwierigkeiten mit der Schule, die eindeutig auf den Zeitmangel zurückzuführen waren, weil sie die ganze Zeit ins Training mussten.
Niko hat sich dann wirklich durchgebissen. Der kam dann um 22:30 Uhr vom Training und hat sich da hingesetzt und hat gelernt und hat so sein Fachabitur geschafft. Foti war alleine im Internat bei 1860 München, war weg von der Familie. Der hat also die Schule dann abgebrochen. Und Marius war ganz klar: Okay, die Realschule hat er grad so geschafft, mit Hängen und Würgen."

Schule und Training: schwer zu stemmende Doppelbelastung

Die fußballerische Ausbildung in den Nachwuchsleistungszentren verlangt Heranwachsenden fast rund um die Uhr Konzentration ab, sofern sie Fußball und die Schule ernst nehmen. Viele, so Ronald Reng, setzen deshalb klare Prioritäten: "Der Traum, es schaffen zu wollen, macht ja viele Jungs blind. Sie versuchen es immer weiter und immer weiter und sie finden dann auch eine Plattform in der vierten Liga, wo sie dann vielleicht 800 Euro kriegen. Sie können sich davon eine Ein-Zimmerwohnung leisten. Die NLZs wurden ja nicht dafür gegründet, dass die Jugendliche einen bestmöglichen Lebenslauf kriegen, sondern dass die Vereine bestmögliche Fußballer kriegen. Und das kriegen sie definitiv."
Der Doppelbelastung können viele Jugendliche kaum standhalten: Entweder die Schule oder der Sport leiden. Julian Eitschberger berichtet, dass mit seiner vorzeitigen Beförderung in den Profikader auch bei ihm die Kraft für die Schule nachgelassen hat: "Ich finde schon, dass das ein bisschen so einen Unterschied hat. Weil du halt viel mehr angestrengt bist im Training. Weil Das Niveau ist deutlich höher. Und dadurch bist du meistens auch ziemlich schlapp nach dem Training. Und musst dann noch in der Schule natürlich performen."
Wie viele Nachwuchsspieler hat auch er schon dran gedacht, sich nur noch auf den Fußball zu fokussieren. Aber das Abitur will er trotzdem nächstes Jahr machen: hoffentlich als Stammspieler von Hertha BSC. Aber der 18Jjährige will realistisch sein. Sowohl zum etablierten Profi als auch zum Abitur ist es noch immer ein weiter Weg: "Nee, locker wird’s nicht, glaub ich. Ich muss schon nochmal dazu investieren neben der Schulzeit."
Dieser Beitrag ist der Teil der Denkfabrik des Deutschlandfunks zum Thema "Von der Hand in den Mund - Wenn Arbeit kaum zum Leben reicht". Weitere Beiträge finden Sie hier.