Donnerstag, 28. März 2024

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Nationaler Emissionshandel
Scheer (SPD): "Eine weitere Verschleppung der CO2-Bepreisung"

Die SPD-Umwelt-Expertin Nina Scheer hat sich gegen den von der Union favorisierten Emissionshandel ausgesprochen. Dieser sei ein sehr schwieriges Instrument, um Alternativen zu den heute CO2-verursachenden Energiegewinnungsformen zu finden, sagte sie im Dlf. Eine CO2-Steuer sei planbarer.

Nina Scheer im Gespräch mit Christiane Kaess | 04.09.2019
Nina Scheer bei einer Rede im Willy-Brandt-Haus in Berlin
Nina Scheer (SPD) forderte im Dlf eine Abkehr von der schwarzen Null, um in klimafreundliche Projekte zu investieren (imago/Metodi Popow)
Christiane Kaess: Um ihre Klimaschutzpläne umzusetzen, braucht die Union den Koalitionspartner SPD. Dort hat man Fortschritte beim Klimaschutz sogar zur Bedingung gemacht, um in der Großen Koalition zu bleiben. Fragen wir nach bei Nina Scheer von der SPD. Im Bundestag ist sie Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und sie ist eine der Kandidatinnen für den Vorsitz der SPD im Team mit Karl Lauterbach. Ich habe mit ihr vor gut einer Stunde gesprochen, zunächst über den Vorschlag der Union für einen CO2-Preis über mehrere Sektoren, vom Verkehr bis zum Wohnen, im Rahmen allerdings eines nationalen Emissionshandels. Geht sie da mit?
Nina Scheer: Das finde ich einen verkehrten Ansatz, und zwar muss man einfach erkennen, dass der Emissionshandel in der Installation ziemlich komplex ist und wahrscheinlich dann auch langwierig sein wird. Diese Erfahrung hat man ja auch schon mit dem europäischen Emissionshandel und das ist im Grunde genommen dann eine weitere Verschleppung einer CO2-Bepreisung, wenn man sich für so ein Modell entscheidet.
Hinzu kommt, dass ein Emissionshandel immer keine richtige verlässliche Investitionssicherheit für Alternativen bietet, weil ein Emissionshandelssystem marktgetrieben reagiert. Man kann nicht richtig verlässlich davon ausgehen, wieviel CO2 nun wirklich in den nächsten Monaten und Jahren kostet, sondern das ist immer marktabhängig. Das schwankt und auf einem schwankenden Markt kann sich eine Alternative, um die es ja bei der Energiewende gehen muss, nicht etablieren. Deswegen ist der Emissionshandel ein sehr schwieriges Instrument, um planbare Alternativen zu den heute CO2-verursachenden Energiegewinnungsformen zu finden.
Kaess: Das sieht man auf Unions-Seite ganz anders. Das Argument im CSU-Konzept ist genau, dass im Energie- und Industriebereich sich der Handel mit Emissionszertifikaten bereits bewährt hat, und deswegen, so sagt man jetzt, will man das ausweiten auf die Bereiche Verkehr und Gebäude. Warum sollte man nicht auch da auf ein, wie die CSU sagt, bewährtes System setzen?
Scheer: Ob das so bewährt ist, da mache ich ein Fragezeichen. In meinen Sachen ist es nicht bewährt und man hat auch mit dem Emissionshandel in der etablierten Form heute immer noch seine Schwierigkeiten, obwohl er ja schon seit Jahren existiert. Insofern: Wenn es so ein einfaches greifbares Instrument gibt wie eine CO2-Bepreisung über eine Steuer oder eine Abgabe, die schnell installiert werden könnte, und dann natürlich auch mit Ausgleichsmechanismen zur Abfederung von sozialen Härten ausgestaltet werden kann, dann fragt man sich natürlich, warum dann nicht so ein Instrument. Das wäre mit der SPD definitiv leicht zu erarbeiten, weil das ohnehin von uns vorgeschlagen wird und von Ministerin Schulze ja auch vorgeschlagen wurde.
Insofern kann man eigentlich nur so werten, dass offenbar keine Einigung erzielt werden soll.
"Die CO2-Steuer ist planbarer installierbar"
Kaess: Was ist denn besser an einer CO2-Steuer auf Heiz- und Kraftstoffe?
Scheer: Die CO2-Steuer ist planbarer installierbar. Man kann sich auf einen Preis einigen und wenn dieser Preis dann installiert ist, dann können sich auch alle Marktteilnehmer darauf einstellen. Man kann es ja auch in einer Zeitachse ansteigen lassen. Man kann den Einstiegspreis sehen und dann ansteigen lassen. Diese Ausgestaltung ist planbarer und damit für all das, was man ja bewirken möchte, nämlich den Umstieg auf erneuerbare Energien, auf CO2-vermeidende Energieformen – auch Schadstoffe müssen übrigens da mit hineingerechnet werden, weil man ja auch schließlich nicht versteckt noch mal die Atomenergie fördern möchte -, das lässt sich planbarer über einen klar definierten Preis organisieren als über ein Handelssystem.
Kaess: Jetzt ist es allerdings schlecht zu vermitteln, Frau Scheer, wenn in Zeiten von massiven Steuereinnahmen auch jetzt noch eine weitere Steuer dazukommen soll, und deshalb will die Union sie ja vermeiden.
Scheer: Wenn man das unterstellen wollte, dass die Union das vermeiden möchte, dann zielt sie ja offenbar darauf, dass überhaupt nichts geschehen soll.
Scheer: Man muss ein Instrument wählen, das auch wirklich wirkt
Kaess: Doch! Allerdings nicht über eine Steuer.
Scheer: Na ja. Aber wenn sie in dem Punkt einer CO2-Bepreisung ein Instrument wählt, was nicht spürbar sein soll, dann ist es doch klar, dass dieses Instrument offenbar nicht wirken soll, sprich quasi ein Placebo ist. Das haben wir schon lang genug gehabt. Etwas was nicht wirkt, das brauchen wir nicht, sondern wir brauchen wirklich Instrumente.
Wenn wir an eine CO2-Bepreisung gehen oder eine Schadstoffbepreisung, dann muss man auch ein Instrument wählen, was wirklich wirkt. Deswegen wäre das von mir gerade genannte definitiv wirksamer und auch zielführender.
Aber man muss auch sehen, dass das nie das einzige sein kann oder nicht das einzige sein sollte. Wenn wir heute auf die Energiewende schauen, haben wir massive Hemmnisse, zum Teil auch über die in den vergangenen Jahren getroffenen Vereinbarungen beziehungsweise gesetzlich fixierten Regelungen, zum Beispiel die Mengenbegrenzungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir haben jährliche Ausbaumengenbegrenzungen, die durch Ausschreibungen funktionieren, und das ist offenkundig zu wenig. Wir brauchen viel mehr Ausbau erneuerbarer Energien. Wir müssen diese Mengenbegrenzung abschaffen. Wir wissen auch heute, dass dieser 52-Gigawatt-Deckel für den Ausbau von Fotovoltaik nächstes Jahr wahrscheinlich erreicht sein wird, wenn der nicht geändert wird, wenn der nicht abgeschafft wird, dass wir dann ein riesen Problem kriegen beim Ausbau der Fotovoltaik. Auch da könnte man ansetzen.
"Ich fände es besser, wenn man die Alternativen erst mal fördert"
Kaess: Lassen Sie uns gerade noch mal kurz bei den Mehrkosten bleiben, die Sie angesprochen haben, denn sowohl die SPD als auch die Union will ja mögliche Mehrkosten an anderer Stelle dann den Bürgern und den Betrieben wieder zurückgeben. Jetzt hat die Union gestern gesagt, zum Beispiel über eine höhere Pendlerpauschale. Ist das eine gute Idee?
Scheer: Das kommt auch wieder auf die Ausgestaltung an. Ich fände es besser, wenn man die Alternativen erst mal fördert, wenn man wirklich den öffentlichen Personennahverkehr, die Bahntickets so günstig macht, dass sie immer das billigste Verkehrsmittel sind. Es kann nicht sein, dass das Bahnfahren manchmal Luxus ist, je nachdem in welcher Region man unterwegs ist. Es gibt ja auch schon gute Ausnahmen, aber in der Regel muss man leider die Erfahrung machen, dass Bahnfahren und ÖPNV-Nutzung das vergleichbar teuerste ist, und das kann nicht sein. Man muss dahin kommen, dass es Regelungen gibt, dass das das Allerbilligste ist.
Kaess: Und für diejenigen, die auf dem Land wohnen und aufs Auto angewiesen sind, muss die Pendlerpauschale tatsächlich erhöht werden?
Scheer: Das ist die Frage, ob das unmittelbar am Auto ansetzen muss. Wenn man zum Beispiel die Stromkunden entlastet, indem man bei der Strompreisgestaltung eine Veränderung vornimmt, dann hätte man gleich mehrere Lenkungseffekte unter einen Hut gebracht. Wenn man zum Beispiel die Stromsteuer runternimmt, wenn man bei den Umlage- und Abgabenbelastungen, die im Strompreis stecken, etwas zurücknimmt, dann hätten auch die Pendler in ihrer Rolle als Stromkunden, die sie ja meistens zugleich sind, ebenfalls eine Entlastung. So könnte man zielgenauer etwas verändern, was zugleich auch einen Anreiz bietet, nämlich wenn der Strompreis etwas günstiger würde, dann würden zum Beispiel auch Wärmepumpen angereizt, wenn es um Wärmeenergie-Gewinnung, alternative Wärmeenergie-Gewinnung geht.
Heute ist häufig der hohe Strompreis ein Hemmnis, dass die regenerative Wärmepumpe eingesetzt würde. Die mit erneuerbaren Energien funktionierende Wärmepumpe wird deswegen nicht montiert, nicht installiert, weil die relativ stromintensiv ist, und dann einem im Energiekonzept geraten wird, das sollte man nicht tun, weil es so teuer ist.
Erhalt des Status quo ist das Teuerste für alle
Kaess: Frau Scheer, lassen Sie mich hier noch mal nachfragen, denn der Punkt sozialverträglich dürfte ja der wichtigste sein für die SPD, um nicht auch noch Wähler zu verlieren, die vom Umbau für den Klimaschutz betroffen sind.
Ab heute beginnen die Regionalkonferenzen. Sie als Kandidatin werden sich vorstellen. Wie wollen Sie denn kurz und bündig SPD-Mitglieder von mehr Klimaschutz und allem, was dazu gehört, überzeugen, ohne Ängste zu schüren, dass sie dabei hinten überfallen?
Scheer: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Energiewende und alle Mechanismen, die auf einen schnellen Umstieg auf erneuerbare Energien hinwirken, dass die die größte Entlastung für die Bevölkerung bedeuten. Man muss sich immer vergegenwärtigen, dass ein Erhalt vom Status Quo das Teuerste für alle ist.
Deswegen muss man die Anreize so ausgestalten, dass der Umstieg auf die Erneuerbaren möglichst schnell angereizt wird, möglichst schnell funktioniert, und dann müssen soziale Härten abgefedert werden. Aber ich möchte jetzt auch nicht die Pendler mitbegünstigen, die es nicht nötig haben, sondern es muss an der Stelle wirken, wo tatsächlich zugleich ein guter Anreiz gegeben wird, dass man komplett in allen Sektoren die Energiewende hinbekommt: im Wärmebereich, im Verkehrssektor und natürlich auch der Strombereich, der ja zurzeit immer noch am stärksten im Fokus steckt.
Kaess: Sagen Sie uns noch zum Schluss: Das Ganze würde die SPD auch ohne neue Schulden hinbekommen?
Scheer: Die schwarze Null aufrecht zu erhalten, ist in diesen Zeiten meines Erachtens schlichtweg falsch.
Kaess: Trotz massiver Einnahmen des Staates?
Scheer: Sie ist kontraproduktiv, weil wir massive Investitionen in Bildung, in Infrastruktur brauchen.
Festhalten an der schwarzen Null ist widersinnig
Kaess: Aber Sie haben auch massive Einnahmen.
Scheer: Wir haben massive Einnahmen, ja. Aber wenn man an der schwarzen Null krampfhaft festhält, obwohl man weiß, dass man noch mehr Investitionen braucht, als man Einnahmen hat, die dann zukunftsweisend sind und in der Zukunft Entlastung bedeuten, dann wäre es doch widersinnig, diese Investitionen jetzt nicht zu tätigen. Wir müssen Investitionen dort jetzt tätigen, wo ein Unterlassen in der Zukunft noch teurer wird, und dann rechtfertigt es sich auch, dass man die schwarze Null lockert, und dafür stehe ich auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.